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Barmer mit Hausapothekenmodell auf Erfolgskurs

MÜNCHEN (hvj). Nach Angaben der Barmer Krankenkasse haben sich deutschlandweit über eine halbe Million Versicherte in das erste überregionale Hausarzt-/Hausapothekenmodell eingeschrieben. Auch wenn die Kritik seitens der Apotheker noch nicht verstummt ist, hat sich die Mehrzahl der deutschen Apotheken zur Teilnahme entschlossen. Über 40 Barmer-Versicherte kommen so durchschnittlich auf jede Barmer Hausapotheke. Es stellt sich die Frage, ob sich solch neue Versorgungsmodelle zur Standardversorgung entwickeln können. Die DAZ hat sich mit Detlef Böhler, einem der verantwortlichen Initiatoren bei der Barmer Ersatzkasse, unterhalten.

 

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Herr Böhler, über 550.000 Versicherte sowie 16.000 Apotheken haben sich für das Barmer Hausapothekenmodell eingeschrieben. Was sind ihrer Meinung nach die Gründe für die hohe Bereitschaft?

Böhler:

Zunächst möchte ich klar stellen, dass es sich bei unserem Versorgungsangebot nicht um ein Modell handelt, sondern es erfolgt eine sektorenübergreifende Patientenversorgung durch Hausärzte und Hausapotheken im Rahmen eines integrierten Versorgungsvertrages. Die hohe Akzeptanz bei unseren Versicherten – im Übrigen gehen wir derzeit von über 700.000 eingeschriebenen Versicherten aus – sowie bei unseren Partnern von über 33.000 Hausärzten und 16.000 Hausapotheken, hat sicherlich unterschiedliche Gründe.

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Was bewegt Ihrer Meinung nach die Versicherten der Barmer, sich für diese neue Versorgungsform zu entscheiden?

Böhler:

Die wesentlichen Vorteile des Vertrages liegen für die Versicherten in einem deutlichen Plus an medizinischer Behandlungsqualität, mehr Arzneimittelsicherheit sowie der finanziellen Entlastung für Ehepaare von bis zu 60 Euro pro Jahr durch den Bonus bei der Praxisgebühr. Das macht bei einem durchschnittlichen beitragspflichtigen Einkommen immerhin bis zu 0,3 Beitragssatzpunkte aus.

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Welche konkreten Leistungen werden denn dem Patienten im Barmer Hausapothekenmodell und im Besonderen in der Apotheke geboten?

Böhler:

Die Hausapotheke wird für unsere Versicherten zum Vertrauten in Sachen Arzneimittel. Sie führt im Einverständnis mit dem Versicherten eine Liste aller für ihn abgegebenen Arzneimittel einschließlich der Selbstmedikation. Dabei werden diese ständig auf mögliche negative Wechselwirkungen geprüft. Bei Auffälligkeiten berät der Hausapotheker direkt den Patienten und nimmt erforderlichenfalls Kontakt mit seinem Hausarzt auf. Dies bedeutet somit eine deutliche Erhöhung der persönlichen Arzneimittelsicherheit für unsere Versicherten. Des Weiteren bieten die Hausapotheken Gesundheits-Check-ups, Einkaufsrabatte, einen Medikamentencheck sowie den Arzneimittel-Homeservice an.

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Worin liegen Ihrer Meinung nach die Vorteile für die teilnehmenden Apotheken?

Böhler:

Die Vorteile für die Hausapotheke liegen sicherlich in der Stärkung der Stellung der Apotheker vor Ort als "Arzneimittelspezialist". Intensive Beratung in allen Arzneimittelfragen, im Zuge der Medikationsprüfung auf etwaige kritische Wechselwirkungen, Nebenwirkungen, Fehldosierungen, stärkt ganz klar die Präsenzapotheke vor Ort. Darüber hinaus erfolgt durch die Einschreibung unserer Versicherten und der weiteren Preis- und Servicevorteile eine langfristige Bindung zwischen Kunden und Apotheke. Natürlich ist auch die Möglichkeit der zusätzlichen Vergütung zu nennen.

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Das Barmer Hausapothekenmodell bietet wie von Ihnen bereits erwähnt Vorteile gegenüber den "Nicht-Teilnehmern". Wie refinanzieren Sie als Kostenträger diese Mehrausgaben, z. B. die Praxisgebühr?

Böhler:

Durch die bessere Verbindung der Vertragspartner, aber auch zu weiteren Therapeuten, wie Fachärzte und Krankenhäuser, ist nicht nur eine qualitative Verbesserung der medizinischen Versorgung zu erwarten, sondern auch die Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven. Diese sollen dann natürlich auch dazu dienen, die zusätzlichen Honorierungen für Hausärzte und Hausapotheker langfristig realisieren zu können.

DAZ

Stimmt es tatsächlich, dass durch das Hausapothekenmodell bei der Barmer Kosten gespart werden können?

Böhler:

Wir haben mit unseren Vertragspartnern Maßnahmen im Bereich der Arzneimittelversorgung, der Krankenhausbehandlung, aber auch im Bereich der Heil- und Hilfsmittelverordnungen, vereinbart. Wir werden den Hausärzten entsprechende Hilfestellungen leisten, um unter Berücksichtigung der medizinischen Aspekte und der natürlich bestehenden Richtlinien sachgerechte Verordnungen auszusprechen. Im Bereich der Arzneimittelverordnungen stehen den Hausärzten verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Hierzu wären einerseits die Medikationsliste der Apotheken sowie das Medikationskonto der Barmer sowie von uns erstellte Verordnungsprofile zu nennen. Die Vertragspartner werden hierzu in den nächsten Wochen gemeinsam die Umsetzung angehen.

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Jede vierte deutsche Apotheke nimmt nicht am Barmer Hausapothekenmodell teil, und es gab auch vermehrte Kritik. Verstehen Sie die Vorbehalte, die bei diesen Apotheken existieren?

Böhler:

Wie vorstehend bereits erwähnt, stellen die Vertragsinhalte eine erhebliche Stärkung der Präsenzapotheke vor Ort dar und bietet vielfältige Möglichkeiten der Kundenbindung für die teilnehmenden Apotheker. Ich glaube, dieses Angebot haben viele Apotheker verstanden und durch ihre Teilnahme am Hausapothekenvertrag dokumentiert.

DAZ

Unbestritten ist, dass durch das Barmer Hausapothekenmodell in der Apotheke ein größerer Aufwand entsteht. Auch sind für die Teilnahme von den Apothekern nicht unerhebliche Investitionskosten vorzustrecken, die selbst nach Jahren durch die 80 Cent pro Patient pro Quartal nicht refinanziert werden können. Sollte das Hausapothekenmodell wirklich ein langfristiger Erfolg werden, müsste dann nicht ein anderes Vergütungssystem für die Apotheken geschaffen werden?

Böhler:

Zunächst ist festzustellen, dass wir am Anfang dieses Versorgungsvertrages stehen und eine Weiterentwicklung und Optimierung in welcher Richtung auch immer grundsätzlich nicht ausgeschlossen ist. Allerdings ist der Blick einzig und allein auf die zusätzliche Vergütung aus diesem Vertrag heraus zu kurz. Wie erwähnt, bietet dieser Vertrag vielfältige Möglichkeiten und Vorteile für die Hausapotheke. Ich glaube, vor dem Hintergrund dieser Argumente sowie des klaren Plazets der Barmer sollte man den Erfolg für die Hausapotheke nicht nur ausschließlich an die im Vertrag fixierte Vergütung ausmachen.

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Sie sprechen immer von mehr Arzneimittelsicherheit. Sind denn etwa nur Teilnehmer am Barmer Hausapothekenmodell optimal geschützt, oder anders gesagt, sind alle anderen bzgl. Arzneimittelsicherheit gefährdet?

Böhler:

Die Arzneimittelsicherheit in Deutschland ist sehr hoch und von Gefährdung kann hier wirklich nicht gesprochen werden. Wenn man jedoch einmal unser System genau betrachtet, kann man deutlich erkennen, dass bei der Arzneimittelsicherheit durchaus noch Verbesserungen möglich sind. Der bisherige Mangel an Koordinierung der Heilberufe untereinander und nicht abgestimmte Therapien bergen ein hohes Maß an vermeidbaren Gefahren. Hier setzt das Barmer Hausapothekenmodell an.

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Sie sehen also in einer exakten und vollständigen Medikamentendokumentation einerseits die Chance, noch mehr Arzneimittelsicherheit zu erreichen, andererseits im erheblichen Umfang Über-, Unter- und Fehlversorgung zu reduzieren und somit auch Kosten einzusparen?

Böhler:

Auch mit dieser Intention sind wir dieses Projekt angegangen. Wir wollen die Probleme bei den strukturellen Wurzeln lösen. Langfristig kann das deutsche Gesundheitssystem u. a. nur durch eine erhebliche Steigerung von Kommunikation und Koordination zwischen den Leistungserbringern erhalten werden und nicht durch das Herausverhandeln von Rabatten.

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Können denn Versandapotheken – z. B. für die Dauermedikation – am Hausapothekenmodell teilnehmen?

Böhler:

Grundsätzlich kann eine deutsche Versandapotheke teilnehmen. Allerdings wird von uns neben der Betreuung und Beratung der Versicherten die Dokumentation der Dauer-, aber auch die Akutmedikation gefordert. Ob diese Leistung von überregionalen Arzneimittelversendern darstellbar ist, dürfte fraglich sein. Die von uns präferierte Barmer Hausapotheke ist eine Präsenzapotheke.

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Noch einmal, Integrierte Versorgung bedeutet erhöhten Aufwand für die Leistungserbringer. Wie können die deutschen Apotheken nachhaltig von der Teilnahme an integrierten Versorgungsformen profitieren?

Böhler:

Die seit Januar 2004 neu geregelte Arzneimittelpreisverordnung entkoppelt den Ertrag des Apothekers fast vollständig vom Preis der verschreibungspflichtigen Medikamente. Die Abgabe von preisgünstigen Generika anstatt teurer Originalpräparate bzw. Scheininnovationen belasten somit den Apotheker in keiner Weise mehr. Werden die Kosten pro Arzneimittelpackung gesenkt, würden Möglichkeiten geschaffen, ggf. insgesamt mehr Arzneimittel abzugeben. Arzneimitteltherapie könnte dann – sofern die therapeutische Möglichkeit besteht – bevorzugt angewendet werden, da sie bezogen auf den einzelnen Patienten somit die preisgünstigste Alternative darstellen kann. Solch eine Entwicklung ist theoretisch möglich.

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Sehen Sie im deutschen Apotheker langfristig den alleinigen Arzneimittelfachmann für die Versicherten der Barmer Krankenkasse?

Böhler:

Bei der deutschen Bevölkerung genießen die Apotheker großes Vertrauen. Das wollen wir nutzen und dabei den Apotheker aus seiner "isolierten Stellung" herausbringen und in die Integrierte Versorgung voll einbinden. Wie ein Schutzengel soll er als Fachmann die Arzneimitteltherapien überwachen.

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Ist hierbei denn der Datenschutz gewährleistet bzw. erhält die Barmer direkten Zugriff auf vertrauliche Patientendaten?

Böhler:

Der Datenschutz ist beim Hausapothekenmodell voll gewährleistet und selbstverständlich haben wir – wie Übrigens bei allen Versicherten – keinen direkten Zugriff auf Patientendaten.

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Die Barmer Krankenkasse hat sich mit ihrem Hausapothekenmodell als Pionier bzw. "First Mover" profiliert. Die Deutsche BKK hat bereits nachgezogen. Gibt es hier jetzt einen neuen Wettbewerb?

Böhler:

Wir wollen mit unserem Hausarzt-/Hausapothekenmodell in erster Linie unseren Versicherten ein attraktives Angebot zur Verbesserung der medizinischen Behandlungsqualität und der Arzneimittelsicherheit sowie den möglichen Bonus anbieten. Natürlich steht es jeder Krankenkasse frei, ein ähnliches Versorgungsangebot anzubieten. Allerdings handelt es sich bei unserem Vertrag um den ersten bundesweiten kassenspezifischen Integrationsvertrag, bei dem sich Versicherte, Hausarzt und Hausapotheke freiwillig einschreiben können. Übrigens sind auch wir an sinnvollen Lösungen für Teststreifen interessiert. Allerdings sollte nicht nur das Verhandeln über deren Preise, sondern ein optimierter Verbrauch der Patienten – ggf. durch Schulung und Überwachung von Arzt und Apotheker – im Vordergrund stehen.

DAZ

Herr Böhler, nehmen Sie selbst am Hausapothekenmodell teil und wenn ja, werden Sie jetzt in Ihrer Apotheke noch besser versorgt?

Böhler:

Auch ich habe mich bei meinem Hausarzt sowie bei meiner Hausapotheke in den Integrationsvertrag eingeschrieben. Bisher blieb es, Gott sei Dank, bei dem Einschreibekontakt. Dennoch kann ich von einem sehr freundlichen Kontakt während der Einschreibung in meiner Hausapotheke berichten.

DAZ

Herr Böhler, wir bedanken uns für das Gespräch.

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