Phytopharmazie

A. Nahrstedt, C. WeberSchöllkraut-Präparate im Fok

Schöllkrauthaltige Fertigarzneimittel stehen aufgrund möglicher hepatotoxischer Effekte immer mal wieder in der Diskussion. Diese hat durch ein vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) kürzlich eingeleitetes Stufenplanverfahren, womit die Behörde auf Fallberichte der letzten Jahre reagiert, neue Nahrung erhalten. Eine detaillierte Analyse des vorliegenden Datenmaterials lässt jedoch keine Notwendigkeit für aktuelle Maßnahmen erkennen. Die meisten der heute auf dem Markt befindlichen Präparate liegen mit ihrem Gesamtalkaloid-Gehalt unter 2,5 mg Gesamtalkaloiden pro Tagesdosis, weshalb diese Präparate ohnehin als lebersicher gelten.

Schöllkraut (Chelidonium majus, Papaveraceae), auch Warzenkraut oder Goldwurz genannt, ist eine in Europa, Mittel- und Nordasien verbreitete Ruderalpflanze. Ihr Nutzen als Heilpflanze war schon in der Antike bekannt. Seither wird die Pflanze in Europa und China vorwiegend zur inneren Behandlung von Galle- und Leberleiden eingesetzt.

Modernes Phytotherapeutikum

Den Stellenwert des Schöllkrauts in der modernen Phytotherapie dokumentieren u. a. die Monographie der Kommission E aus den 90er-Jahren sowie der ESCOP (European Scientific Cooperative on Phytotherapy) aus dem Jahr 2003. Gemäß Kommission E ist Schöllkraut bei "krampfartigen Beschwerden im Bereich der Gallenwege und des Magen-Darmtrakts" indiziert. Als wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe werden die Chelidonium-typischen Alkaloide (z. B. Coptisin, Chelidonin, Protopin, Berberin) angesehen, deren papaverinartige, leicht spasmolytische und cholekinetische Wirkung in pharmakologischen und klinischen Studien gezeigt werden konnte.

Effektive Sicherheitsmaßnahmen

Bereits in den 90er-Jahren wurden bei längerfristiger Einnahme hoch dosierter Schöllkraut-Extrakt-Präparate über hepatische Nebenwirkungen berichtet. Von niedrig dosierten Präparaten sind jedoch keine vergleichbaren Meldungen bekannt. Obwohl die hepatischen Nebenwirkungen verglichen mit z. B. Benzodiazepinen, Paracetamol, manchen Antibiotika, Antimykotika, Hormonpräparaten etc. erheblich seltener auftraten, verpflichteten sich die Hersteller von Schöllkraut-Präparaten schon im Jahr 1998 im Rahmen eigenverantwortlicher Maßnahmen und in Abstimmung mit dem BfArM, bei einem Gesamtalkaloid-Gehalt von über 2,5 mg pro Tagesdosis einen entsprechenden Warnhinweis in Fachinformation und Packungsbeilage aufzunehmen. Auf diese Weise wird seither auf mögliche hepatische Nebenwirkungen hingewiesen und die Bestimmung der Leberwerte bei langfristiger Anwendung (über 4 Wochen) zur Auflage gemacht.

Hochdosierte Schöllkraut-Präparate, die schon zuvor keine große Marktbedeutung hatten, wurden daraufhin kaum mehr eingesetzt. Auch die ohnehin geringe Zahl von Nebenwirkungsberichten ging noch weiter zurück, was retrospektiv als Effektivitätsbeweis der eingeleiteten Maßnahmen gewertet wird. Somit besteht bei Schöllkraut-Präparaten seit Jahren eine nach Ansicht von Experten tolerable und mit vielen anderen Arzneimitteln zumindest vergleichbare Sicherheitslage.

BfArM möchte Grenzwert senken

Am 10. Juni 2005 hat das BfArM ein Stufenplanverfahren zur Minimierung von Gefahren durch schöllkrauthaltige Arzneimittel bei innerlicher Anwendung eröffnet. Die Behörde verweist dabei auf Spontanmeldungen aus früheren Jahren zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW), insbesondere über hepatotoxische Reaktionen mit Cholestase, Ikterus, Leberenzymerhöhung etc. Die Symptomatik war in den meisten Fällen nach Absetzen der Medikation reversibel. Der Grenzwert für den Alkaloid-Gehalt soll, so die Absicht des BfArM, von 2,5 mg auf 0,0025 mg bzw. D4 herabgesetzt werden.

Kein Hinweis auf neue Risiken

Um die wissenschaftliche Diskussion über die Neubewertung von Schöllkraut-Präparaten auf Evidenzbasis zu stellen, müssen die dem Stufenplan zugrunde liegenden Fallmeldungen näher betrachtet werden: In der BfArM-Datenbank sind insgesamt 68 Berichte über UAW unter der Therapie mit schöllkrauthaltigen Präparaten erfasst. 48 davon betreffen das Leber-Gallesystem, 44 von diesen gelten als ausreichend dokumentiert.

Die detaillierte Analyse der Fälle, bei denen ein Kausalzusammenhang als "möglich" (26) oder "wahrscheinlich" (16) gilt, macht deutlich, dass Lebernebenwirkungen mit der Einnahme einer Alkaloid-Tagesdosis von mindestens 8 mg bis zu 45 mg sowie einer Einnahmedauer von mehreren Wochen assoziiert sind. Für Tagesdosen unter 5 mg existieren keine Hinweise auf Kausalität. Über Schöllkraut-Präparate mit einem Gesamtalkaloid-Gehalt unterhalb des Warnhinweis-pflichtigen Schwellenwerts von 2,5 mg/d liegt keine Meldung über hepatische Nebenwirkungen vor. Dies ist bemerkenswert, da letztere mehr als die Hälfte aller abgegebenen Schöllkraut-Medikamente ausmachen.

Nebenwirkung oder Krankheitssymptom?

Legt man der Häufigkeitsberechnung die Gesamtzahl aller Fallmeldungen zugrunde, errechnet sich für die betroffenen Präparate eine Häufigkeit von 0,05/1.000.000 Tagesdosen, also ein in Relation zu anderen Arzneimittelgruppen sehr geringer Wert. Außerdem ist zu bedenken, dass das Indikationsgebiet aller Schöllkraut-Präparate, zu denen Fallberichte vorliegen, Leber-Gallebeschwerden sind. Daher ist anzunehmen, dass zumindest in einigen Fällen nicht eine Schöllkraut-Nebenwirkung, sondern Symptome der zu behandelnden Lebererkrankung erfasst wurden.

2,5 mg-Grenze reicht aus

Das BfArM nennt im aktuellen Stufenplanverfahren eine maximale Dosis an Schöllkraut-Gesamtalkaloiden von 0,0025 mg/Tagesdosis. Diese Zahl wird jedoch nicht aus den vorliegenden Daten abgeleitet, sondern mit In-vitro-Untersuchungen an Rattenhepatozyten von Gebhardt und Gaunitz aus dem Jahr 1999 begründet. Damit war damals der Grenzwert von 2,5 mg/d bestätigt worden. Das BfArM schlägt diesem Wert nun einen Sicherheitsfaktor von 10 x 10 x 10 = 1000 zu, was zur Zahl 0,0025 mg/d führt. Dieser Faktor soll in Rechnung stellen, dass die Untersuchungen an Ratten- und nicht an Humanzellen durchgeführt wurden, es sich um In-vitro- und nicht um In-vivo-Modelle gehandelt hat, die als Kurzzeitversuche angelegt waren.

Diese Berechnung entbehrt jedoch einer rationalen Grundlage, denn insbesondere für die Wirkung von Lebertoxinen besteht weitgehende Übereinstimmung zwischen verschiedenen Zellarten (üblich ist ein Ausgleichsfaktor von 1,5). Für die Dosisabschätzung liegen inzwischen geeignetere Daten aus Untersuchungen mit Humanhepatozyten vor. Auch existieren umfangreiche In-vivo-Daten aus klinischen Studien am Menschen, die alle kein Risiko unterhalb von 2,5 mg Gesamtalkaloide/Tag erkennen lassen. Davon abgesehen ist beim Einsatz von Arzneimitteln stets – auch bei Schöllkraut-Präparaten – eine Nutzen-Risiko-Abwägung vorzunehmen, die jedoch bei der vom BfArM angewendeten Methode fehlt. Würde man dasselbe Prinzip auf alle heute verfügbaren Medikamente anwenden, ginge ein Großteil des verfügbaren Arzneimittelschatzes verloren.

Fazit

Die Ableitung der um mehrere Zehnerpotenzen auf 0,0025 mg abgesenkten Tagesmaximaldosis an Gesamtalkaloiden aus In-vitro-Untersuchungen entbehrt einer evidenzbasierten Grundlage. Seit Festlegung des Warnhinweises ab 2,5 mg/d ist keine relevante Veränderung der Datenlage eingetreten, welche eine neue Nutzen-Risiko-Abwägung rechtfertigen könnte. Die bereits bestehenden Regelungen können also die Sicherheit der Schöllkraut-Präparate gewährleisten.

 

Em. Prof. Dr. Dr. h.c. Adolf Nahrstedt, Institut für Pharmazeutische Biologie und Phytoche- mie, Hittorfstr. 58-62, 481449 Münster
Christiane Weber, Peter-Rosegger-Str. 194, 72762 Reutlingen

Schöllkrauthaltige Fertigarzneimittel – wirksam oder nicht? Vielleicht ein wenig überraschend – aber dennoch erfreulich transparent eröffnete kürzlich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Stufe II eines Stufenplanverfahrens mit der Ankündigung eines möglichen Entzugs der Verkehrsfähigkeit Schöllkraut-haltiger Fertigarzneimittel. Schaut man ebenso interessiert wie kritisch durch die bereitgestellte Dokumentation, fragt man sich verwundert nach der Relevanz dieser Dokumente, aus denen bereits im Jahre 1998 unbestritten notwendige Konsequenzen gezogen wurden. Seither wurde in vielen Präparaten entgegen der Empfehlung der Kommission E die Tageshöchstdosis auf ca. 2,5 mg Gesamtalkaloide beschränkt. Die positive Effektivität dieser Maßnahme ist nachprüfbar.

 

Als interessierter Leser sucht man dann nach anderen Gründen, weshalb denn dann diesen Arzneimitteln die Zulassung entzogen werden könnte. Man wird fündig in dem Hinweis, dass es für derartig "niedrige Dosen" keine überzeugenden Wirksamkeitshinweise gibt. Immerhin liegt der Wert von 2,5 mg Gesamtalkaloide fast um eine Zehnerpotenz niedriger, als das Intervall, das die Kommission E als wirksam definiert hatte (12 – 30 mg Gesamtalkaloide pro Tag).

Völlig verwirrt wird der Leser allerdings durch den Hinweis, dass Präparate mit einer um den Faktor 1000 niedrigeren Tagesdosis (2,5 µg) als die heute gängige Tagesdosis verkehrsfähig bleiben sollen.

Daher die folgenden kritischen Anmerkungen zur Bekanntmachung des Verfahrens:

  • Ist man der Meinung, Präparaten die Verkehrsfähigkeit zu entziehen, die nicht wirksam sind, so sollte man dies konsequent umsetzen. Eine um den Faktor 1000 niedrigere Dosis als die nicht wirksame Dosis wieder als verkehrsfähig zu definieren, ist absurd.
  • Ist man der Meinung, Präparaten die Verkehrsfähigkeit zu entziehen, die nicht wirksam sind, sollte man das auch so sagen und eine derartige Maßnahme nicht unter der Überschrift "der Abwehr von Gefahren durch Arzneimittel" vollziehen.
  • Die Überprüfung der Wirksamkeit sollte Wirkstoff-spezifisch (d. h. Extrakt-spezifisch) erfolgen. Allen Präparaten, die Schöllkraut-Extrakte enthalten, die Zulassung zu entziehen, nur weil sie Schöllkraut-Extrakte enthalten, ist unangemessen, vor allem auch dann, wenn Pharmakovigilanz-Daten dies nicht rechtfertigen.
  • Theoretische Extrapolationen aus In-vitro-Studien zu bemühen, um die Maßnahme zu begründen, erübrigt die auf den ersten Blick so erfreuliche, ausführliche Dokumentation für die konkrete Entscheidung eher irrelevanter Kasuistiken.

Theo Dingermann Prof. Dr. Theo Dingermann ist pharmazeutischer Biologe und Inhaber des Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie an der Universität Frankfurt/Main

 

Das Wichtigste in Kürze

  • Hoch dosierte Schöllkraut-Extrakte scheinen mit einem gewissen, wenn auch äußerst geringen hepatotoxischen Potenzial behaftet zu sein.
  • Die Inzidenzrate schöllkrautbedingter Lebernebenwirkungen liegt deutlich unter der gängiger Antirheumatika, Antibiotika etc.
  • Aktuelle Daten zeigen für Schöllkraut eine deutliche Dosis-Nebenwirkungs-Korrelation.
  • Alkaloid-Dosen unter 2,5 mg pro Tag sind als sicher einzustufen.
  • Die Warnhinweis-Regelung bei Alkaloid-Tagesdosen über 2,5 mg hat sich als sinnvoll und effektiv erwiesen.
  • Bei "Nebenwirkungen" einer Schöllkraut-Einnahme handelt es sich oft um Symptome der eigentlichen Krankheit, die zur Schöllkraut-Einnahme geführt hat.

Stufenplanverfahren 

Das Stufenplanverfahren stellt gemäß Arzneimittelgesetz ein behördliches Instrument der Arzneimittelsicherheit dar, das zur Neubewertung der Nutzen-Risiko-Relation eines Arzneistoffs und damit dem Schutz der Patienten dient. Das BfArM kann ein Stufenplanverfahren eröffnen, wenn es aufgrund aktueller Daten eine Neubewertung der Nutzen-Risiko-Relation für notwendig erachtet. Im Rahmen des Stufenplanverfahrens haben pharmazeutische Unternehmer innerhalb einer bestimmten Frist die Möglichkeit, Daten (z. B. Fallberichte) zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen etc. zu analysieren, Stellungnahmen an das BfArM abzugeben und Maßnahmen zur verbesserten Anwendungssicherheit vorzuschlagen. Stellt sich im Laufe des Verfahrens heraus, dass keine neue Nutzen-Risiko-Bewertung vorgenommen werden muss, kann das Verfahren konsequenzlos wieder eingestellt werden.

Schöllkraut-haltige Fertigarzneimittel – wirksam oder nicht?

Vielleicht ein wenig überra- schend! –  aber dennoch erfreu- lich transparent eröffnete kürz- lich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Stufe II eines Stu- fenplanverfahrens mit der Ankündigung eines möglichen Entzugs der Verkehrsfähigkeit Schöllkraut-haltiger Fertigarzneimittel. Schaut man ebenso interessiert wie kritisch durch die bereitgestellte Dokumentation, fragt man sich verwundert nach der Relevanz dieser Doku- mente, aus denen bereits im Jahre 1998 unbestritten not- wendige Konsequenzen gezogen wurden. Seither wurde in vielen Präparaten entgegen der Empfehlung der Kommission E die Tageshöchstdosis auf ca.

2,5 mg Gesamtalkaloide beschränkt. Die positive Effektivi- tät dieser Maßnahme ist nach- prüfbar.

Als interessierter Leser sucht man dann nach anderen Grün- den, weshalb denn dann diesen Arzneimitteln die Zulassung entzogen werden könnte. Man wird fündig in dem Hinweis, dass es für derartig „niedrige

Dosen“ keine überzeugenden Wirksamkeitshinweise gibt. Immerhin liegt der Wert von 2,5 mg Gesamtalkaloide fast um eine Zehnerpotenz niedriger, als das Intervall, das die Kommission E als wirksam definiert hatte (12 –  30 mg Gesamtalkaloide pro Tag).

Völlig verwirrt wird der Leser allerdings durch den Hinweis, dass Präparate mit einer um den Faktor 1000 niedrigeren Tagesdosis (2,5µg) als die heute gängige Tagesdosis verkehrs- fähig bleiben sollen.

Daher die folgenden kritischen Anmerkungen zur Bekanntmachung des Verfahrens:

■      Ist man der Meinung, Präparaten die Verkehrsfähigkeit zu entziehen, die nicht wirk- sam sind, so sollte man dies konsequent umsetzen. Eine um den Faktor 1000 niedrigere Dosis als die nicht wirk- same Dosis wieder als verkehrsfähig zu definieren, ist absurd.

■      Ist man der Meinung, Präparaten die Verkehrsfähigkeit zu entziehen, die nicht wirk-

sam sind, sollte man das auch so sagen und eine der- artige Maßnahme nicht unter der Überschrift „der Abwehr von Gefahren durch Arzneimittel“ vollziehen.

■      Die Überprüfung der Wirk- samkeit sollte Wirkstoff-spezifisch (d. h. Extrakt-spezi- fisch) erfolgen. Allen Präparaten, die Schöllkraut-Extrakte enthalten, die Zulassung zu entziehen, nur weil sie Schöllkraut-Extrakte enthalten, ist unangemessen, vor allem auch dann, wenn Pharmakovigilanz-Daten dies nicht rechtfertigen.

■      Theoretische Extrapolationen aus In-vitro-Studien zu bemühen, um die Maßnahme zu begründen, erübrigt die auf den ersten Blick so erfreuliche, ausführliche Dokumentation für die konkrete Entscheidung eher irrelevanter Kasuistiken.

Theo Dingermann

Prof. Dr. Theo Dingermann ist pharmazeutischer Biologe und Inhaber des Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie an der Universität Frankfurt/Main

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