Arzneimittel und Therapie

Ein Vitamin als Therapeutikum

Die gängige Bezeichnung von alpha-Tocopherol als Vitamin E lenkt das Hauptaugenmerk auf seine Bedeutung als essenzieller Nahrungsbestandteil und den Einsatz zur Prophylaxe. Doch sollte darüber nicht die mögliche Verwendung zur Therapie und Sekundärprävention verschiedener Rheumaformen übersehen werden. Die Wirksamkeit konnte in zahlreichen Studien dargelegt werden, der Wirkungsmechanismus ist hingegen noch immer Gegenstand der Forschung.

Der bekannteste Effekt von Vitamin E ist seine antioxidative Wirkung, wobei 1 mg Vitamin E als Oxidationsschutz für 2 g mehrfach ungesättigte Fettsäuren gilt. Darüber hinaus werden Vitamin E entzündungshemmende und immunmodulierende Effekte zugeschrieben. Während eine tägliche Zufuhr von 15 bis 25 I. E. als Grundbedarf angesehen wird, dienen Dosen von 50 bis 200 I. E. zur antioxidativen Prophylaxe, die auf den Gefäß- und Zellschutz zielt. Zur Vorbeugung gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Katarakt sind Dosierungen von 200 bis 500 I. E. dokumentiert.

Kritische Diskussionen

Aufgrund einer im November 2004 veröffentlichten Metaanalyse von Miller zu Vitamin-E-Studien sind Dosierungen über 400 I. E. als nicht nützlich oder sogar mortalitätssteigernd in Verruf geraten. Kritiker werfen dieser Auswertung einen unangemessenen Umgang mit den Daten und die Verwendung ungeeigneter statistischer Verfahren vor. Insbesondere die Grenze von 400 I. E. sei willkürlich gewählt.

Aus europäischer Perspektive wird argumentiert, dass die hier in der Praxis etablierten Einnahmeempfehlungen durch Studien abgesichert seien, während es für die in den USA durchaus übliche Verwendung von Hochdosen über 1000 I. E. über lange Zeiträume bis zu mehreren Jahren ohnehin keine Begründung gebe.

 

Einsatz bei Rheuma

Von der Diskussion über die erhoffte Langzeitprophylaxe von Herz-Kreislauf-Erkrankungen muss der Einsatz als Adjuvans in der Therapie von Gelenkbeschwerden unterschieden werden. In mehreren Studien zu degenerativen und entzündlichen rheumatischen Erkrankungen war Vitamin E in Dosierungen von ein- bis dreimal täglich 500 I. E. gegenüber täglich 50 bis 150 mg Diclofenac hinsichtlich der Schmerzlinderung nicht unterlegen. Doch entfallen bei Vitamin E die Nebenwirkungen nicht-steroidaler Antirheumatika im Gastrointestinaltrakt. Die Wirkung wird durch die Hemmung von Phospholipasen, Lipoxygenasen und Cyclooxygenasen (COX) erklärt. Demnach bietet die Bildung von Entzündungsmediatoren aus Arachidonsäure mehr Targets für Vitamin E als für klassische Antirheumatika, die nur als COX-Inhibitoren wirken.

Für die praktische Anwendung bietet sich Vitamin E nach Einschätzung von Wünschmann insbesondere als Ergänzung und als therapeutische Alternative bei Patienten an, die Anzeichen für unerwünschte Wirkungen von nicht-steroidalen Antirheumatika aufweisen. Dabei sollten für sechs bis zwölf Wochen täglich 1000 I. E. Vitamin E und nach erfolgreicher Therapie für weitere sechs bis zwölf Wochen täglich 500 I. E. zur Rezidivprophylaxe eingesetzt werden.

Vitamin-E-Mangel im Gelenk

Niedrige Vitamin-E-Konzentrationen im Gelenk korrelieren mit der Manifestation einer rheumatoiden Arthritis. Sowohl der mögliche Vitamin-E-Verbrauch durch freie Radikale als Folge der Entzündung als auch die durch die Gelenkschwellung verlängerte Transportstrecke in das Gelenk stehen als Ursachen für diesen lokalen Vitamin-E-Mangel in Verdacht. Eine Erklärung wird von einer noch laufenden Studie erwartet, bei der die Konzentrationsunterschiede von Vitamin E im Blut und in der Gelenkflüssigkeit untersucht werden. Bisherige Auswertungen an zehn Patienten hätten gezeigt, dass eine ausgeprägte Gelenkentzündung die Vitamin-E-Konzentration im Gelenk deutlich vermindert. Die positive Korrelation zwischen Blut- und Synoviaspiegel lasse erwarten, dass mit einer höheren Zufuhr auch die Versorgung des Gelenks verbessert werden kann. Über den kurzfristigen entzündungshemmenden Effekt hinaus würden weitere Ergebnisse für Vitamin E als langfristig wirksamer Schutzfaktor für den Knorpel sprechen.

Thomas Müller-Bohn, Süsel

 

Quelle
Prof. Dr. Olaf Adam, München; Dr. Helmut Schübel, München; Dr. Bernt Wünschmann, München: Neueste Erkenntnisse zur Rolle von Vitamin E in der Rheumatherapie, Hamburg, 7. Juli 2005, veranstaltet von der Hermes Arzneimittel GmbH, München.

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