Arzneimittel und Therapie

Serotonin-Wiederaufnahmeinhibitoren: Unbedenklich während der Schwangerschaft?

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, insbesondere Paroxetin, sollten während der Schwangerschaft nicht oder nur in der geringst wirksamen Dosis eingesetzt werden, da Entzugssymptome des Neugeborenen nicht ausgeschlossen werden können. So das Fazit einer WHO-Datenbank-Analyse.

Bei einer routinemäßigen Überprüfung der WHO-Datenbank auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen hin wurde bereits im Dezember 2001 eine Assoziation zwischen der Einnahme des selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmers (SSRI) Paroxetin (z. B. Seroxat®) und dem Auftreten neonataler Konvulsionen festgestellt. Daraufhin wurde eine gezielte Datenbankanalyse durchgeführt, um das Vorkommen neonataler Konvulsionen und neonataler Entzugssymptome unter der mütterlichen Einnahme von SSRIs genauer zu untersuchen und festzustellen, ob substanzspezifische Unterschiede vorliegen.

Datenquelle

Die erforderlichen Informationen wurden einer Datenbank der WHO (WHO Collaborating Centre for International Drug Monitoring in Uppsala, Schweden) entnommen, in der Meldungen über vermutete unerwünschte Arzneimittelwirkungen aus mehr als 70 Ländern gespeichert werden. Diese Meldungen werden kontinuierlich in die Datenbank eingegeben und vierteljährlich ausgewertet. Dabei wird ein statistischer Indikator ermittelt, die so genannte Informationskomponente IC. Liegt der IC-Wert im positiven Bereich, wurden mehr unerwünschte Wirkungen als erwartet gemeldet.

Ergebnisse

Bis November 2003 wurden 93 Fälle registriert, bei denen unter der Einnahme von SSRIs entweder neonatale Konvulsionen oder neonatale Entzugssyndrome (unnormales Schreien, Tremor, Irritiertheit, Nervosität) vorgekommen waren und deren statistischer IC-Wert über Null lag, das heißt also, die häufiger als erwartet aufgetreten waren. 64 dieser Fälle ereigneten sich unter der Einnahme von Paroxetin (Seroxat®), 14 unter Fluoxetin (z. B. Fluctin®), neun unter Sertralin (Gladem®, Zoloft®) und sieben unter Citalopram (z. B. Cipramil®). Die IC-2 SD-Werte (um der Variabilität des IC-Wertes Rechnung zu tragen, wird ihm ein Konfidenzintervall von plus oder minus zwei Standardabweichungen zugemessen) lagen bereits Anfang 1991 über Null und stiegen bis November 2003 auf 2,68 an.

Substanzspezifische Unterschiede?

Die meisten neonatalen Entzugssymptome wurden unter Paroxetin beobachtet, was möglicherweise pharmakokinetischen Parametern wie seiner kurzen Halbwertszeit, seinem speziellen Rezeptorbindungsprofil und seinem Metabolismus zuzuschreiben ist. Allerdings wurde die Entzugssymptomatik auch unter anderen SSRIs registriert, darunter nicht nur die oben erwähnten Fluoxetin, Sertralin und Citalopram, sondern auch unter Venlafaxin (Efexor®, Trevilor®). Bis weitere Daten zur Verfügung stehen, sollte Paroxetin nach Möglichkeit nicht oder nur in niederen Dosen während der Gravidität eingesetzt werden, aber auch eine Therapie mit Venlafaxin oder Citalopram sollte sorgfältig beobachtet werden.

Dr. Petra Jungmayr

 

Quelle
Sanz E., et al.: Selective serotonin reuptake inhibitors in pregnant women and neona- tal withdrawal syndrome: a database ana- lysis. Lancet 365, 482 – 487 (2005).
Ruchkin V., et al.: SSRIs and the develo- ping brain. Lancet 365, 451 – 453 (2005).

Weitere Trübungen der SSRI-Euphorie

Seit ihrer Markteinführung vor rund 15 Jahren sind die Verordnungen von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern kontinuierlich angestiegen und ihre Indikationsgebiete wurden sukzessive erweitert. Ihre gute Wirksamkeit, ihre einfache Handhabung und das Fehlen gravierender Nebenwirkungen machten diese Substanzgruppe auch für Allgemeinmediziner attraktiv, was sich in steigenden Verordnungszahlen niederschlug. Erste Trübungen der SSRI-Euphorie traten 2003 auf, als eine Assoziation zwischen der Einnahme von Paroxetin (und Venlafaxin) im Kindes- und Jugendalter und dem vermehrten Auftreten suizidaler Gedanken vermutet wurde, was zwei Jahre später zu Warnhinweisen führte. Dann folgten Berichte über aktivierende Symptome und manische Zustände unter einer Therapie mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern und nun die Beobachtung, dass SSRIs zu einer neonatalen Entzugssymptomatik führen können. Autoren und Kommentatoren der obigen Studie raten zu einem überdachten, sorgsamen Umgang mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, die – richtig eingesetzt – nach wie vor ein wertvolles Potenzial zur Therapie psychischer Erkrankungen sind.

Zum Weiterlesen

Antidepressiva. Nicht mehr Selbstmorde durch SSRI. DAZ 2005, Nr. 21, S. 41 –43. www.deutsche-apotheker-zeitung.de

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