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Frontal 21: "Apotheker zocken Patienten ab"
Ob Apotheken bei Verordnung eines Wirkstoffs das günstigste Präparat abgeben, wollten zwei Mitarbeiter von Frontal 21 wissen. Im Hintergrund der Recherche stand das Thema Naturalrabatte. Den Mitarbeitern wurden, so geht es aus dem Sendemanuskript hervor, geheime Lieferlisten über Rabatte zugespielt, die sie zum Anlass nahmen, mit verdeckter Kamera Stichproben in Berliner Apotheken zu machen. In einem Drittel der Fälle wurden, so fanden die Reporter heraus, statt des günstigsten Mittels teurere Präparate abgegeben. Den Grund dafür – "den Anreiz für diese Abzocke" – sehen sie in den Naturalrabatten, die die Apotheker von den Pharmafirmen erhalten.
Erst vor wenigen Tagen ging der Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK) mit der Meldung an die Öffentlichkeit, dass durch Naturalrabatte den Krankenkassen und damit auch den Patienten ein Schaden von mindestens 500 Mio. Euro im Jahr entstehe. Das Geschäft mit den Naturalrabatten erklärte das Fernsehmagazin seinen Zuschauern wie folgt: "Der Apotheker bezahlt beispielsweise zwei Medikamente und bekommt von den Pharmafirmen vier weitere gratis dazu. Er berechnet der Kasse aber alle Packungen, also auch die geschenkten."
Ein solches Geschäft könne nach Ansicht von Experten nur funktionieren, weil die Pharmabranche zuvor die Arzneimittelpreise heraufsetze, um die kostenlosen Packungen zu subventionieren. Nach Ansicht von Ingo Kailuweit, Kaufmännische Krankenkasse Halle, haben den Schaden die Versicherten und Arbeitgeber, die die Beiträge zahlen, und damit auch das Sozialsystem. Florian Lanz vom BKK-Bundesverband ließ die Zuschauer wissen: "Da die Verträge natürlich nicht auf dem Ladentisch, sondern unter dem Ladentisch gehandelt werden, haben wir keinen vollständigen Überblick, aber wir schätzen, dass der jährliche Schaden für die gesetzlichen Krankenkassen bei mindestens 500 Mio. Euro liegt."
Bis zu mehreren 100 Prozent Rabatt
Laut aktueller Rabattlisten namhafter Pharmafirmen geht Frontal 21 davon aus, dass eine Preisschlacht tobt. Gängige Naturalrabattangebote belaufen sich auf 20 Prozent, manche Firmen bieten sogar bis zu mehreren 100 Prozent Rabatt. Vor diesem Hintergrund sei es kein Wunder, dass viele Apotheker das Gesetz unterliefen und nicht das günstigste Präparat abgeben, sondern das, wofür sie die meisten Rabatte bekommen. Gerd Glaeske, Apotheker und Mitglied im Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, meinte dazu sogar, "ob das hier nicht eine Beeinflussung ist, die an der Korruption haarscharf vorbei schrammt". Peter Schönhöfer von Transparency International, einer Vereinigung gegen Korruption, meinte sogar, dass Naturalrabatte abgeschafft werden müssen.
Als Beispiel für die Abgabe eines teureren Präparates zeigte Frontal 21 ein Beispiel, das mit versteckter Kamera gefilmt wurde: "Das preiswerte Präparat kostet 29,81 Euro, eines für 43,24 Euro bekommen wir statt dessen und damit eines der teuersten für diesen Wirkstoff – aber eines, für das es gerade ein Rabattangebot gibt."
Rabatte und Skonti sind üblich
Die ehemalige Kammerpräsidentin der Apothekerkammer Hessen, Gabriele Bojunga, äußerte sich in der Frontal 21-Sendung entrüstet: "Zwei bestellen, sechs geliefert bekommen und zwei bezahlen, das sind unmoralische Angebote. Und die solche Angebote in Anspruch nehmen oder auch machen, die müssen nicht ganz dicht sein, weil jeder natürlich in der Regierung sagt: Da ist doch Luft drin, es schlägt sich auf die Preise nieder."
Gefragt wurde auch Hermann S. Keller, Vorsitzender des Deutschen Apotheker-Verbands. Er bestritt, dass den Kassen durch Naturalrabatte ein Schaden entstehe. Die Apotheker erhielten wie alle Kaufleute bei bestimmten Bestellmengen Rabatte und auch Skonti. Die Apotheker gäben ein Dreifaches der Rabattbeträge, insgesamt 1,2 Mrd. Euro an die Krankenkassen durch den gesetzlichen Rabatt zurück. Kailuweit von der Kaufmännischen Krankenkasse nannte den Milliardenrabatt der Apotheker an die Kassen "üblich", da Kassen Großabnehmer der Apotheken seien. Aber Naturalrabatte in einer Größenordnung von 450 Mio. sind nach seiner Auffassung dagegen "sozialpolitisch ein Skandal".
Es besteht Handlungsbedarf
Nach Auffassung von Peter Schönhöfer könnte man Naturalrabatte sofort abschaffen: "Dass die Regierung nichts tut, ist im Prinzip eine Unterstützung korruptiver Elemente in unserer Gesellschaft."
So habe man auf Nachfrage beim Bundesgesundheitsministerium die schriftliche Antwort bekommen, dass zwar Handlungsbedarf bestehe, aber die Krankenkassen das Problem der Naturalrabatte selber lösen müssten, was bisher vergeblich gewesen sei. Auch Florian Lanz vom BKK-Bundesverband fordert, dass der Gesetzgeber hier tätig wird und eine gesetzliche Regelung zur Abschaffung von Naturalrabatten schafft. Er hofft, dass dies nach der Bundestagswahl der Fall sein wird.
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