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Arzneimittel und Therapie
Ein wenig länger leben
Hinter Darm- und Brustkrebs nimmt Lungenkrebs die dritte Position der Neuerkrankungen an Krebs ein. Gemessen an der Letalität, ist er gar die Nr. 1: Auf 40.000 Neuerkrankungen jedes Jahr in Deutschland kommen 40.000 Tote. Bei den Männern steht er seit langem unangefochten an erster Stelle der Krebs-Todesfälle. Die Frauen holen langsam, aber sicher auf; denn seit zwei Jahrzehnten steigt die Raucherinnenquote. Das schiebt den Lungenkrebs auf die dritte Position bei den weiblichen Krebsopfern. Zigarettenrauchen ist der bei weitem wichtigste exogene Risikofaktor für das Bronchialkarzinom. Die häufigste Form bösartiger Lungentumoren sind dabei nicht-kleinzellige Bronchialkarzinome (NSCLC, non small cell lung cancer). Sie werden unterteilt in Plattenepithelkarzinome (35 bis 40%) Adenokarzinome (25 bis 30%) und großzellig-anaplastische Karzinome (5 bis 10%). 30.000 Menschen erkranken bei uns jährlich am NSCLC.
Zu späte "Frühsymptome"
Leistungsabfall, Luftnot, Husten, Schmerzen und Appetitlosigkeit: Die Leitsymptome bei Lungenkrebs sind nicht spezifisch. Wenn sich bei Bluthusten auch der letzte "Arztmuffel" röntgen lässt, kann es schon sehr spät sein. Andererseits sind die Möglichkeiten der Frühdiagnostik so oder so begrenzt. Beides bedingt, dass sich mehr als die Hälfte der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose schon im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit befindet, erläuterte Prof. Martin Wolff vom Klinikum Kassel. Die Stadieneinteilung richtet sich nach der Lage des Tumors (in oder schon außerhalb der Lunge), Lymphknotenbefall und Vorliegen von Metastasen. Operabel sind die Tumoren maximal bis zu Stadium IIIa (s. Tab. 1). Danach gilt der Krebs als nicht mehr heilbar. Die weitere Behandlung hat palliativen Charakter: Ziele sind das Verlängern der verbleibenden Lebenszeit, das Erhalten von Lebensqualität, das Verzögern einer raschen Progression und der damit einhergehenden Symptome, das Lindern von Schmerzen.
Chemotherapie hat ein Plateau erreicht
In dieser Situation bleiben dem Kranken, medizinisch gesehen, nur Chemotherapie und Bestrahlungen. "Eine effektive Palliation macht dabei eine Nutzen-Lasten-Abwägung erforderlich", sagte Wolff. Der Nutzen der Chemotherapie konnte in den vergangenen Jahren trotz variierter Therapieregime nicht wesentlich gesteigert werden. Häufig eingesetzt werden Platin- und/oder Taxan-Zytostatika, Vinorelbin und Gemcitabin. Die Ansprechrate ist gering, die Patienten leben nur wenige Monate länger als ohne Behandlung. Nebenwirkungen wie Übelkeit, Durchfall, Haarausfall, Neutropenie, Nierenschädigung, Ekzeme u. a. zerstören viel an Lebensqualität, die die Therapie eigentlich erhalten soll.
Mechanismus: Tumorrezeptoren als Ziel
Einen im Vergleich zu üblichen Zellgiften spezifischeren Therapieansatz bieten Rezeptoren auf und in der Tumorzellmembran, wie der Epidermal Growth Factor Receptor (EGFR). Er ist bei Patienten mit NSCLC unterschiedlich häufig überexprimiert oder fehlreguliert. Liganden wie z. B. EGF und TGF-alpha bewirken an der intrazellulären Tyrosinkinase(TK)-Domäne des EGF-Rezeptors eine Phosphorylierung. Eine Signalkaskade kommt in Gang, die Wachstum und Teilung der Tumorzelle, Angiogenese und Metastasierung stimuliert und den programmierten Zelltod (Apoptose) inhibiert. EGFR-Rezeptoren können an der Zelloberfläche durch Antikörper antagonisiert oder im Zellinnern durch "small molecules" wie Erlotinib oder Gefitinib (Iressa®) blockiert werden. Erlotinib besetzt selektiv und reversibel die Adenosintriphosphat (ATP)-Bindungsstelle der intrazellulären Tyrosinkinase-Domäne des EGF-Rezeptors, was die Signalkaskade unterbricht.
Studie: Jede Woche zählt
Zulassungsbasis für Erlotinib ist eine Studie an insgesamt 731 Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC, die bereits ein oder zwei Chemotherapien erhalten hatten. Die einmal tägliche orale Gabe von 150 mg Erlotinib verlängerte im Vergleich zu Placebo die Überlebenszeit der Patienten signifikant um zwei Monate (6,7 Monate versus 4,7 Monate). Die Zeit ohne Progression des Tumors verlängerte sich von acht auf knapp zehn Wochen. Bei einer Ansprechrate von 12,3% wurde die Verschlimmerung der Tumor-assoziierten Beschwerden gebremst und verhalf den Patienten im Durchschnitt zu einer verbesserten Lebensqualität. Häufige Nebenwirkungen der Erlotinib-Einnahme waren Hautausschlag und Durchfall.
"Die Größenordnung der Wirksamkeit von Erlotinib ist damit vergleichbar der Effektivität der üblicherweise in der Zweit- und Dritt-Linien-Behandlung eingesetzten Chemotherapie - ohne mit deren typischen Nebenwirkungen verbunden zu sein", sagte Prof. Dr. M. Thomas, Kassel.
Wer profitiert von Erlotinib besonders?
Zwei Monate Lebensverlängerung stellen einen Durchschnittswert dar. Bei der Analyse schälen sich Untergruppen von Patienten heraus, die gut oder schlecht auf die Behandlung ansprechen. Lebenslange Nichtraucher, Asiaten und Patienten mit Adenokarzinom überlebten am längsten. Interessant in dieser Hinsicht: Nur ein relativ kleiner Teil der Tumorzellen exprimiert tatsächlich EGF-Rezeptoren. Bei Patienten mit immunhistochemisch EGF-positiven Tumoren war ein Trend zu längerem Überleben sichtbar.
Sprechen Mutanten besser an?
Nicht vollends geklärt ist der Einfluss von Mutationen am EGF-Rezeptor, die durch aufwändige DNA-Sequenzierung entdeckt werden können. Patienten mit Mutationen zeigen zwar in größerem Umfang ein gutes klinisches Ansprechen auf die EGFR-Blockade und zum Teil dramatische Verbesserungen. Nach den Worten von Professor Thomas bedeutet "Ansprechen" jedoch nicht "Überleben": "Patienten mit EGFR-Mutationen hatten unter Erlotinib im Vergleich zu Patienten mit Wild-Typ-Tumoren keinen Überlebensvorteil." Derzeit empfiehlt Thomas Erlotinib für alle in Frage kommenden Patienten ohne vorherige Erhebung des EGFR-Status.
Die Frage, welche Krebspatienten gut auf eine Therapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren oder Antikörpern ansprechen, und welche nicht, dürfte in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Die Krebstherapie werde zunehmend von solchen gezielten, oft "biologisch" genannten Therapeutika bestimmt werden, meinte Professor Thomas. Ihr exorbitanter Preis bei gleichzeitig zunehmenden Patientenzahlen macht der Forschung Druck: Testverfahren sind dringend gefragt, die eine Definition von Subgruppen mit optimalem Ansprechen auf die jeweilige Therapie ermöglichen.
Apotheker Ralf Schlenger
Quelle
Prof. Dr. Martin Wolff, Kassel; Prof. Dr. Michael Thomas, Heidelberg. Einführungs- pressekonferenz „Neue Chancen bei Lun- genkrebs: Erfahrungen und Erfolge mit Tarceva®“, 27. September 2005, Frank- furt/Main, veranstaltet von der Hoffmann LaRoche AG, Grenzach-Wyhlen.
Zum Weiterlesen
Rezeptor-Tyrosinkinasen.
Angriffspunkte für neue Tumortherapien. Med Monatsschr Pharm 2004;27:50-58. www.medmopharm.de
Nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom
Die Lungentumoren werden aufgrund ihres unterschiedlichen biologischen Verhaltens und somit unterschiedlicher Behandlung und Prognose in zwei große Gruppen unterteilt:
- kleinzellige Lungenkarzinome (small cell lung cancer; SCLC) und
- nicht-kleinzellige Lungenkarzinomen (non small cell lung cancer; NSCLC). Die Gruppe der nicht-kleinzelligen Lungenkarzinome wird nochmals in die Untergruppen Plattenepithel-Karzinome (squamous cell cancer (SCC), Adenokarzinome und großzelligen Karzinome unterteilt.
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