Arzneimittel und Therapie

Modafinil macht schläfrige Nachtarbeiter wacher

Modafinil (Vigil®) senkte in einer Studie an Patienten mit Schichtarbeiter-Syndrom die exzessive Schläfrigkeit im Nachtdienst. Es wurde in einer Dosierung von 200 mg 30 bis 60 Minuten vor Dienstantritt eingenommen. Aufgrund dieser Daten wurde die Zulassung erweitert. Modafinil galt bisher in der Behandlung der Narkolepsie als Mittel der Wahl.

Schichtarbeit bei Nacht stört sowohl das Schlafen als auch das Wachen, indem sie die Übereinstimmung des Schlaf-Wach-Rhythmus mit körpereigenen zirkadianen Rhythmen aufhebt. 5 bis 10% der Nachtschicht-Arbeiter haben schichtbedingt eine schwere Störung des Schlafens und Wachens, ein so genanntes Schichtarbeiter-Syndrom. Sie sind während der Nachtschicht extrem schläfrig und können tagsüber nicht einschlafen. Das Schichtarbeiter-Syndrom kann für die Betroffenen erhebliche Folgen haben: Sie leiden vermehrt an Depressionen, Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwüren, verursachen Unfälle und fehlen häufig bei der Arbeit. Sie sind sozial isoliert, weil sie familiären und gesellschaftlichen Aktivitäten oft fern bleiben.

Kürzlich wurde mit Modafinil ein Arzneistoff bei Menschen mit Schichtarbeiter-Syndrom zugelassen, der bereits bei Narkolepsie sowie bei exzessiver Tagesschläfrigkeit durch ein mittelschweres bis schweres Schlafapnoe-Syndrom eingesetzt wird.

Nachtarbeiter mit chronischer exzessiver Schläfrigkeit

An 28 Zentren in den USA bekamen erwachsene Schichtarbeiter in einer randomisierten Doppelblindstudie drei Monate lang 30 bis 60 Minuten vor jeder Nachtschicht 200 mg Modafinil oder ein Placebo in Form von zwei Tabletten.

Bei einem Telefon-Screening waren zunächst 4533 Schichtarbeiter erfasst worden. Gut 60% erfüllten alle Einschlusskriterien, darunter:

  • mindestens fünf Nachtschichten pro Monat, davon drei aufeinander folgende;
  • Schichtarbeiter-Syndrom mit chronischer exzessiver Schläfrigkeit (" drei Monate);
  • Schlaflatenz von höchstens sechs Minuten bei Gelegenheiten zum Kurzschlaf während der Nacht.

609 Patienten wurden Schlaftests unterzogen, 209 wurden randomisiert. Von ihnen bekamen 110 Placebo und 99 Modafinil. Die Patienten absolvierten mehrere Besuche in ihrem Behandlungszentrum:

  • Screening-Besuch zur Feststellung ihrer Eignung
  • Basisbesuch nach drei oder mehr Nachtschichten, um die Ausgangswerte von Wachheit, Leistungsfähigkeit und Schläfrigkeit bei Nacht zu ermitteln und eine Polysomnographie am anschließenden Tag durchzuführen
  • Randomisierungs-Besuch für die Zuteilung der Studienmedikation
  • monatliche Kontrollen in der Nacht nach drei oder mehr Nachtschichten ("Labornacht")

 

Wie misst man Schläfrigkeit?

Ein primäres Wirksamkeitskriterium war die vom Arzt beurteilte Veränderung der Schläfrigkeit während der Nachtschicht einschließlich der Wege zur Arbeitsstätte und nach Hause vom Basisbesuch bis zur letzten monatlichen Kontrolle (Clinical Global Impression of Change von 1 = sehr stark verbessert bis 7 = sehr stark verschlechtert).

Das zweite primäre Wirksamkeitskriterium war die Schlaflatenz während der Labornächte. Sie wurde polysomnographisch mit dem multiplen Schlaflatenz-Test ermittelt durch zweistündliche Messung ab 2 Uhr nachts. Auch hier wurde die Veränderung vom Basisbesuch bis zur letzten Kontrolle erfasst.

Wenn die Aufmerksamkeit nachlässt

Zu den sekundären Wirksamkeitskriterien gehörten als Maß für die nächtliche Wachheit die Zahl und Dauer der Aufmerksamkeitsdefizite im psychomotorischen Vigilanztest. Außerdem führten die Patienten Tagebuch über ihre Schläfrigkeit während der Nachtschicht und die Schlafeffizienz am darauf folgenden Tag.

Gut 200 Patienten bis zu drei Monate lang behandelt

204 Patienten - 108 mit Placebo, 96 mit Modafinil - nahmen ihre Studienmedikation mindestens einmal ein. 153 Patienten - 81 mit Placebo und 72 mit Modafinil - führten die Behandlung drei Monate lang durch. Die Teilnehmer waren durchschnittlich 38 Jahre alt, gut 60% waren Männer. Rund 90% hatten andauernd Nachtschicht, die übrigen Wechselschicht.

Weniger schläfrig, aber noch nicht richtig wach

Die Nacht-Schläfrigkeit besserte sich bei 36% der mit Placebo Behandelten und 74% der mit Modafinil Behandelten gemäß Clinical Global Impression of Change. Der Unterschied war signifikant.

Zu Beginn litten die Schichtarbeiter nachts an starker Schläfrigkeit: Die mittlere Schlaflatenz während der Nacht war beim Basisbesuch mit durchschnittlich 2,0 Minuten unter Placebo und 2,1 Minuten unter Modafinil extrem kurz. Bis zum Behandlungsende stieg die Schlaflatenz auf durchschnittlich 2,4 Minuten mit Placebo und 3,8 Minuten mit Modafinil. Die Schlaflatenz besserte sich mit Modafinil nur um 2 und um 4 Uhr nachts und nicht um 6 und 8 Uhr morgens. Trotz der Verbesserung blieb die nächtliche Schlaflatenz weit unter sechs Minuten. Die Arbeiter hatten also nachts längst nicht die normale Wachheit wie ein gesunder Tagarbeiter tagsüber.

Seltener und kürzer unaufmerksam

Im psychomotorischen Vigilanztest verschlechterten sich die Placebo-Patienten von 16,1 auf 23,8 Aufmerksamkeitsdefizite, während die Zahl bei den Modafinil-Patienten von 12,5 auf 10,3 sank. Mit Modafinil verkürzten sich die unaufmerksamen Momente von durchschnittlich 780 auf 669 ms, während sie mit Placebo von 852 auf 1235 ms stiegen.

Unfallgefahr geringer

Die Patienten-Tagebücher zeigten in drei Kriterien signifikante Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen: Modafinil senkte sowohl die maximale Schläfrigkeit bei der Arbeit als auch die Schläfrigkeit auf dem Nachhauseweg. Mit Modafinil hatten im Vergleich zu Placebo 25% weniger Nachtarbeiter Unfälle oder Beinaheunfälle auf dem Nachhauseweg.

Tagesschlaf unbeeinflusst

Die Tages-Polysomnographie zeigte weder im Hinblick auf Dauer, Latenz und Effizienz des Schlafs noch im Hinblick auf die Verteilung der Schlafstadien einen Unterschied. Die häufigste Nebenwirkung unter Modafinil waren Kopfschmerzen (26% gegenüber 19%). Auch Schlaflosigkeit am Tag trat in der Modafinil-Gruppe häufiger auf (6% gegenüber 0%).

Fazit

Bei dieser Studie an Patienten mit Schichtarbeiter-Syndrom erhöhte Modafinil die Wachheit und Leistungsfähigkeit während der Nachtwache. Auch nach eigener Einschätzung litten die Patienten während des Nachtdienstes und auf dem Nachhauseweg weniger an Schläfrigkeit. Trotz der Verbesserungen blieb das Ausmaß an nächtlicher Schläfrigkeit und Leistungsbeeinträchtigung hoch.

Apothekerin Susanne Wasielewski

 

Quelle

Czeisler, C. A., et al.: Modafinil for exces- sive sleepiness associated with shift-work sleep disorder. N. Engl. J. Med. 353, 476 – 486 (2005).

Indikationserweiterung zur Behandlung bei exzessiver Schläfrigkeit

Modafinil ist ein Benzhydrylsulfinyl-Acetamid-Derivat. Es unterscheidet sich chemisch und pharmakologisch von Amphetaminen, einschließlich Methylphenidat, wirkt jedoch vergleichbar. Das Psychostimulans wirkt im Schlaf-Wach-Zentrum des Hypothalamus. Als Wirkmechanismen werden eine indirekte Hemmung GABAerger Nervenzellen des Hypothalamus und eine zentrale Aktivierung über Alpha1-Adrenozeptoren diskutiert. Der Wirkmechanismus konnte bisher noch nicht vollständig geklärt werden.

Modafinil war bisher zur Behandlung von Narkolepsie und obstruktivem Schlafapnoe-Syndrom mit exzessiver Tagesschläfrigkeit zugelassen. In der Behandlung der Narkolepsie gilt es als Mittel der Wahl. Aufgrund der Daten der vorliegenden Studie wurde die Zulassung erweitert zur Behandlung des chronischen Schichtarbeiter-Syndroms mit exzessiver Schläfrigkeit, wie die Cephalon GmbH mitteilte. Modafinil untersteht der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung.

 

Glossar

Schlafeffizienz: Quotient aus Gesamtschlafdauer und im Bett verbrachter Zeit.

Schlaflatenz: Zeit vom Zubettgehen bis zum Einschlafen. Im multiplen Schlaflatenz-Test Zeit bis zum Einschlafen bei 20-minütigen Gelegenheiten zum Nickerchen.

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