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Arzneiporträt
Beinwell: heilende Wirkung seit der Antike
Wer regelmäßig Sport treibt, um gesund zu bleiben, leidet irgendwann einmal auch unter Muskel- und Gelenkbeschwerden. So gehören Sprunggelenksverletzungen zu den häufigsten Verletzungen überhaupt. Wird das normale Bewegungsausmaß im Sprunggelenk überschritten, kann das Gewebe geschädigt werden. Ein Bluterguss bildet sich, das Gelenk schwillt an und wird druckempfindlich. Sowohl akute als auch chronische Muskel- und Gelenkbeschwerden weisen pathophysiologisch die klassischen Zeichen einer Entzündung nach Celsus auf: Schmerz, Rötung, Schwellung, erhöhte Temperatur, Funktionseinschränkung.
Muskel- und Gelenkbeschwerden entstehen nicht nur durch akute Schäden, wie Zerrungen, Quetschungen, Brüche und Risse, sondern auch durch chronische Belastungen, wie Fehlhaltungen, Fehlstellungen und wiederholte Verletzungen. Die Gefahr von Gelenkbeschwerden steigt mit dem Alter und mit dem Gewicht. Auch ein steigender Grad an sportlichen Aktivitäten begünstigt deren Entstehung.
Schmerzhafte Erkrankungen: Muskel- und Gelenkbeschwerden
In Europa verzeichnet man 1,5 Millionen neuer Patienten jährlich, die unter Muskel- und Gelenkbeschwerden leiden. Verschleißerscheinungen wie Gelenkarthrose oder der Gelenkrheumatismus können starke Schmerzen auslösen. Die Hauptursache von chronischen Beschwerden des Bewegungsapparates ist die Zerstörung der Gelenke, insbesondere des Gelenkknorpels. Knorpelschäden werden oft nicht oder nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, und unbehandelte Gelenkknorpelschäden führen in den meisten Fällen zu Gelenkarthrose.
Im betroffenen Areal entsteht ein pathophysiologischer Teufelskreis, der die Entzündung weiter nährt und der, einmal in Gang gekommen, nur schwer zu durchbrechen ist. Von physikalischer Therapie bis hin zum chirurgisch/orthopädischen Eingriff reichen die Maßnahmen, mit denen man versucht, die Schmerzen loszuwerden.
Kytta-Salbe so wirksam wie Diclofenac-Gel
Traumatisch bedingte Verletzungen des oberen Sprunggelenks (Distorsionen) gehören zu den häufigsten orthopädischen Behandlungsindikationen. Die Sprunggelenksverletzung ist ein optimales Modell für schmerzhafte Muskel- und Gelenkbeschwerden, da hier ebenfalls die klassischen Symptome einer Entzündung wie Schmerz, Rötung und Schwellung verbunden mit einer Funktionseinschränkung auftreten.
In der pharmakologischen Therapie haben sich eine Reihe topischer Präparate etabliert, die sowohl antiinflammatorisch als auch analgetisch wirksam sind. Dazu gehören chemisch-synthetische und phytotherapeutische Präparate. In einer klinischen Studie wurde die Wirksamkeit und Verträglichkeit dieser beiden Therapieprinzipien vergleichend in der Behandlung einer unilateralen Sprunggelenksdistorsion untersucht. Hierzu wurden in einem verblindeten, kontrollierten, randomisierten, multizentrischen und konfirmatorischen Studiendesign 164 Patienten (n = 164, mittleres Alter 29,0 Jahre, 47,6% weiblich) mit akuter Sprunggelenks-Distorsion ambulant entweder mit einem 6 cm langen Strang Kytta-Salbe® f (35% Beinwellwurzel-Fluidextrakt, n = 82) oder mit einem Diclofenac-Gel (1,16 g Diclofenac-Diethylamin, n = 82) über einen Zeitraum von 7 ± 1 Tagen viermal täglich topisch behandelt.
Um die Wirksamkeit zu objektivieren, wurden verschiedene Zielvariablen untersucht: Der primäre Parameter war die Schmerzreaktion gegenüber dosiertem Druck auf die Verletzung, der mit einem Tonometer appliziert wurde.
Sekundäre Parameter waren die Schwellung des betroffenen Gelenks, das individuelle spontane Schmerzempfinden in Ruhe und unter Belastung (visuelle Analogskala), Bewegungseinschränkung des verletzten Gelenkes, Verbrauch von Paracet-amol-Tabletten sowie die globale Einschätzung von Wirksamkeit und Sicherheit durch Arzt und Patient.
Die Auswertung der Daten zeigte nach sieben Tagen folgende Ergebnisse:
- eine signifikante Verminderung der Schmerzreaktion gegenüber dosiertem Druck in beiden Gruppen (Kytta®: –80,6% vs. Diclofenac: –74,7%),
- eine signifikante Abnahme der Schwellung des betroffenen Gelenkes in beiden Gruppen (Kytta®: –79,5% vs. Diclofenac: –69,4%),
- eine signifikante Minderung der bewegungsabhängigen Schmerzen in beiden Gruppen (Kytta®: –83,2% vs. Diclofenac: –72,4%),
- eine signifikante Verbesserung der Beweglichkeit des betroffenen Gelenkes in beiden Gruppen (Vorteile für Beinwell-Extrakt),
- sehr gute Gesamtbewertung der Wirksamkeit durch Ärzte und Patienten mit Vorteilen für die Kytta-Salbe® (Kytta®: 78% bzw. 84% vs. Diclofenac: 61% bzw. 71%),
- eine sehr gute Verträglichkeit in beiden Gruppen.
Die Studie belegt, dass der therapeutische Einsatz des Phytotherapeutikums Kytta-Salbe® in der Therapie der akuten Sprunggelenksdistorsion eine zumindest ebenbürtige Behandlungsoption im Vergleich zu etablierten chemisch-synthetischen topischen Pharmaka wie Diclofenac-Gel darstellt. Bei der Gesamtbetrachtung der primären sowie sekundären Zielparameter war der Beinwell-Extrakt gegenüber dem Diclofenac-Gel sogar punktuell überlegen. Das betrifft insbesondere die globale Einschätzung von Wirksamkeit und Verträglichkeit durch Ärzte und Patienten.
Der Name weist auf die Anwendung hin
Dass Beinwell eine besondere Arzneipflanze ist, erkennt man bereits am Namen. Diese Pflanze wurde von Anfang an nach ihrer medizinischen Anwendung benannt, und zwar in allen Sprachen Westeuropas. Bei den griechischen Ärzten hieß der Beinwell "Symphyton", von symphyo, "ich wachse zusammen." Die latinisierte Form lautet "Symphytum", und so heißt die Pflanze heute noch in der botanischen Nomenklatur. Ein anderer häufig gebrauchter Name war "Consolida", das bedeutet "Festigung". Daneben findet sich auch die Bezeichnung "Solidago" als Synonym für Beinwell. Dieses Wort kommt von "solido", "ich mache fest", "ich füge zusammen".
Auch die deutschen Namen "Beinwell" und "Wallwurz" haben dieselbe Bedeutung wie die griechischen und lateinischen Bezeichnungen. Beide Namen gehen auf das Verb "wallen" zurück, was wiederum "zusammenwachsen" heißt. "Bein" bezeichnet ursprünglich "Knochen". "Beinwell" ist demnach ein Mittel, das Knochen zusammenwachsen lässt und "Wallwurz" ist eine Wurzel oder ein Kraut, das etwas zusammenwachsen lässt.
Heilmittel in der Antike
Plinius der Ältere, Flottenadmiral und Naturforscher, der beim Ausbruch des Vesuv im Jahr 79 n. Chr. ums Leben kam, als er mit seinen Schiffen die Menschen aus Pompeji retten wollte, schreibt in seiner Naturgeschichte ("Naturalis historia"), dass der Beinwell bei Quetschungen und Verrenkungen sowie zur Wundbehandlung ein beliebtes Mittel ist.
Die "Materia medica" des griechischen Arztes Dioskurides ist die älteste erhaltene Arzneimittellehre Europas. Das Werk entstand gleichzeitig und unabhängig von der "Historia naturalis". Es hat die europäische und arabische Phytotherapie über nahezu zwei Jahrtausende geprägt. Dioskurides empfiehlt Symphytum bei äußerlichen Entzündungen und frischen Wunden. Über das ganze Mittelalter hinweg wurde Beinwell bei Quetschungen, Wunden und äußerlichen Entzündungen empfohlen, sowohl in den Kräuterbüchern als auch in den Lehrbüchern der Chirurgie.
Auch bei Gicht und Rheuma
An der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit werden erstmals auch rheumatische Erkrankungen und die Gicht (Podagra) als wichtiges Einsatzgebiet genannt, wobei hier ein Beinwell-Destillat empfohlen wird. Beispiele sind das "Kleine Destillierbuch" des Straßburger Chirurgen Hieronymus Brunschwig aus dem Jahr 1500 und die Kräuterbücher des Otto Brunfels (1532) und Tabernaemontanus (1590). Noch im 18. Jahrhundert waren die genannten Indikationen aktuell, wie das erste deutsche "Universallexikon" des Johann Heinrich Zedler (ab 1732) zeigt.
Zahlreiche Indikationen
Im 19. Jahrhundert scheint das Interesse am Beinwell etwas zurückgegangen zu sein. Umso überraschender fällt das einschlägige Kapitel im "Lehrbuch der biologischen Heilmittel" von Gerhard Madaus aus, das eine große Bedeutung für die Phytotherapie hatte. Als "Anwendungen in der Praxis" wird eine Fülle von Indikationen aufgeführt: Paradontose, Schlaganfall, chronische Katarrhe, Durchfall, Magen-Darmgeschwüre, Diabetes mellitus, Wunden, Geschwüre, Blutungen, Bluterguss, Brüche, Knochenerweichung, Überbein, Ischias. Demnach scheint der Beinwell im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts eine bedeutende Arzneipflanze gewesen zu sein. Etwa 50% aller Anwendungen entfielen nach Madaus auf Knochenerkrankungen und Knochenverletzungen, knapp 25% auf die Wundbehandlung.
Beinwell in "Hagers Handbuch" und in der Moderne
Ein Standardwerk der Pharmazie ist "Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis", das im ausgehenden 19. Jahrhundert erstmals erschien und immer wieder überarbeitet wird. Noch in seiner vierten Auflage von 1978 findet sich eine stattliche Liste von Anwendungen der Beinwellwurzel: äußerlich bei Knochenhauterkrankungen, Knochenbrüchen, Förderung der Kallusbildung, bei Neuralgien nach Knochenbrüchen, Zerrungen, Prellungen, Hämatomen, Thrombophlebitis, Gefäßkrämpfen, Thrombosen, Arthritis, Sehnenscheiden- und Muskelentzündungen, bei schlecht heilenden Wunden, Paradontose, Stomatitis, Pharyngitis, Angina. Innerlich bei Gastritis, Magen- und Darmgeschwüren, Hustenmittel (vor allem bei Kindern). Für die Volksheilkunde werden außerdem Rheuma, Pleuritis, Bronchitis, Durchfall und Tumore genannt.
In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts setzt die Untersuchung und Diskussion über die wirksamen Inhaltsstoffe ein, dabei werden Allantoin, aber auch die Schleim- und Gerbstoffe genannt. Nach dem Jahr 1980 begann für die Phytotherapie ein neues Zeitalter. Mit der Arbeit der Kommission E am ehemaligen Bundesgesundheitsamt in den 80-iger und frühen 90-iger Jahren steht ein neuer Standard in der Bewertung der Phytotherapie zur Verfügung, der nahezu weltweite Geltung erlangt hat.
Quellen
Predel H-G, Gianetti B, Koll R, Bulitta M, Staiger C.: Efficacy of a Comfrey root extract ointment in comparison to a Diclofenac gel in the treatment of ankle distorsions: Results of an observer-blind, randomized, multicenter study. Phytomedicine 2005, in press.
Staiger, C.: Beinwell – eine moderne Arzneipflanze. Zeitschrift für Phytotherapie 2005; 26: 169 – 173.
Dr. Johannes Gottfried Mayer, Institut für Geschichte der Medizin der Universität Würzburg; Dr. med. Helmut Pabst, Grünwald, Vi- zepräsident des Bayerischen Sportärzteverbandes; Dr. med. Dr. rer. nat. Bruno Massimo Giannetti, Bonn, Arbeitskreis SOPs für klinische Prüfungen, Bundesverband der Arzneimittelhersteller; Univ.-Prof. Dr. med. Hans-Georg Predel, Leiter des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin, Deutsche Sporthochschule Köln. Pressekonferenz „Beinwell bekämpft den Schmerz ... so wirksam wie Diclofenac“, St. Gallen, 2, Oktober 2005, veranstal- tet von Merck Selbstmedikation GmbH, Darmstadt.
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