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Arzneimittel und Therapie
Diabetes mellitus: Inhalatives Insulin kurz vor der Zulassung
Inhalatives Insulin ist ein humanes Insulinpulver, das vor den Mahlzeiten inhaliert wird. Die Applikation erfolgt mithilfe eines speziellen Inhalators, der von Nektar Therapeutics entwickelt und patentiert wurde. Seine blutzuckersenkende Wirkung ist mit der von subkutan appliziertem Normalinsulin, der Wirkungseintritt mit dem kurz wirksamer Insulinanaloga vergleichbar. Für das inhalierbare Insulin der Firmen Pfizer und Sanofi-Aventis wurde in den USA und in der EU die Zulassung zur Behandlung erwachsener Typ-1- und Typ-2-Diabetiker beantragt, wie Pfizer mitteilte.
Teilchengröße 1 bis 3 Mikrometer
Das neue inhalative Insulin wird durch Sprühtrocknung in einen amorphen Zustand gebracht, aus dem es gut gelöst und resorbiert wird. Die Teilchen haben einen Durchmesser von 1 bis 3 Mikrometern und können bis in die Alveolen gelangen. Ein großer Vorteil: Es kann in dieser Form ohne Kühlung aufbewahrt werden.
Vor der Applikation muss das Insulin in ein Aerosol umgewandelt werden. Nur in dieser Form gelangt es in die Lungenalveolen, wo es resorbiert und in die Blutbahn aufgenommen wird. Das Insulin-Trockenpulver wird in einem Blister in den Inhalator eingesetzt. Durch eine mechanische Aktivierung (Druckluftpuls) wird ein Aerosol als stehende Wolke erzeugt, das vom Patienten ganz einfach eingeatmet werden kann. Bei der Inhalation lagert sich jeweils ein Drittel der Substanz im Gerät sowie in Mund und Rachen ab, nur ein Drittel gelangt in die Lungen. Insgesamt werden nur etwa 10 Prozent einer Dosis resorbiert.
Nach der Inhalation wird das Insulin schnell resorbiert, gelangt in den Blutkreislauf und kann rasch den Blutzucker senken. Die Wirkung tritt so schnell ein wie bei kurz wirksamen Insulinanaloga. Ein Spritz-Ess-Abstand muss daher nicht eingehalten werden.
Inhalation so wirksam wie Spritze
Das neue inhalative Insulin ist gut verträglich und weist bei Patienten mit Typ-1-Diabetes eine Wirksamkeit auf, die mit kurzwirksamen, subkutan applizierten Insulinanaloga vergleichbar ist. Das zeigen nach einer Mitteilung von Pfizer und Sanofi-Aventis neue Daten einer Studie über einen Zeitraum von 24 Wochen, die im Rahmen der 41. Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) im September in Athen vorgestellt wurden.
In dieser Studie untersuchten Dr. Paul Norwood, Studienleiter und Professor an der Universität von Kalifornien, San Francisco, und seine Arbeitsgruppe die Wirksamkeit und Verträglichkeit von inhalativem im Vergleich zu subkutan appliziertem Insulin. An der Studie nahmen 226 Typ-1-Diabetiker im Alter zwischen 25 und 65 Jahren über einen Zeitraum von zwölf Wochen teil. Anschließend wurde eine Follow-up-Untersuchung über weitere zwölf Wochen mit subkutan appliziertem Insulin durchgeführt.
In der Studie konnte für das inhalative Insulin eine vergleichbare Wirksamkeit und eine gute Verträglichkeit gezeigt werden. Die Blutzuckereinstellung konnte sowohl in der mit inhalativem als auch in der mit subkutan appliziertem Insulin behandelten Studiengruppe deutlich verbessert werden. Der HbA1c-Wert wurde nach zwölfwöchiger Therapie mit inhalativem Insulin von 7,5 auf 7,1 Prozent gesenkt.
Häufigste Nebenwirkungen: Hypoglykämien und Husten
Der Einfluss von inhalativem Insulin auf die Lunge wurde anhand mehrerer standardisierter Lungenfunktionstests analysiert. Analog zu vorherigen Studien konnten dabei zwischen den beiden Behandlungsgruppen geringe Unterschiede in der Lungenfunktion zugunsten von subkutan appliziertem Insulin gemessen werden. Diese traten innerhalb der ersten zwei Wochen auf, waren nicht progressiv sowie reversibel nach Absetzen der Therapie.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren Hypoglykämien und Husten. In der mit inhalativem Insulin behandelten Gruppe wurden neun gegenüber 17 Hypoglykämien in der Vergleichsgruppe beobachtet. Der Husten war im Allgemeinen nur leicht ausgeprägt. Veränderungen der Atemwege traten in den klinischen Studien nur in der Anfangsphase der Anwendung auf und waren nach dem Absetzen reversibel. In den bisherigen klinischen Studien beeinträchtigte inhalatives Insulin die Lungenfunktion nicht.
Vorteile für Typ-1- und Typ-2-Diabetiker
In den letzten Jahren wurden in zahlreichen klinischen Studien Patienten mit Typ-1- und mit Typ-2-Diabetes mit inhalativem Insulin behandelt. Die Studiendaten belegen unter anderem, dass Patienten mit Typ-1-Diabetes unter einer Therapie mit inhalativem Insulin eine geringere Gewichtszunahme als unter subkutanem Normalinsulin aufweisen. Ein weiterer Vorteil zeigte sich bei Typ-2-Diabetes-patienten mit unzureichend eingestelltem Blutzuckerspiegel, denen zusätzlich zu den oralen Antidiabetika prandial inhalatives Insulin verabreicht wurde. Bei dieser Gruppe zeigte sich eine Verbesserung des HbA1c-Wertes um etwa 2,3 Prozentpunkte, während die Vergleichsgruppe ohne inhalatives Insulin praktisch unverändert blieb.
Wahrscheinlich wird das inhalative Insulin die Insulinspritze nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Es ist als Alternative zum kurz wirkenden Insulin gedacht, das vor den Mahlzeiten gegeben wird. Die Injektion eines Basisinsulins wird dadurch aber nicht überflüssig.
Diskussion über Resorption
Ein Problem ist die niedrige Bioverfügbarkeit des inhalativen Insulins: Nur zehn Prozent der inhalierten Menge erreichen die Blutbahn. Bei Rauchern ist die Resorption wegen ihrer geschädigten Atemwege höher, weshalb hier die Gefahr von Hypoglykämien droht. Vor der Anwendung des inhalativen Insulins sollte die Lungenfunktion überprüft werden. Menschen mit schwerem Asthma bronchiale und Raucher dürfen es nicht anwenden. Offen bleibt, wie es mit Diabetikern aussieht, die regelmäßig dem Passivrauch ausgesetzt sind.
Empfehlung für die Zulassung
Am 8. September 2005 hat sich ein Beratungsausschuss der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) für die Zulassung von inhalativem Insulin zur Behandlung von erwachsenen Typ-1- und Typ-2-Diabetikern ausgesprochen. Die Zulassungsbehörde ist nicht verpflichtet, den Empfehlungen des Ausschusses zu folgen. Das Zulassungsverfahren bei der Europäischen Arzneimittelkommission (EMEA) läuft derzeit noch. Nach der Zulassung wäre das humane Insulinpulver das erste nicht injizierbare Insulin, das in Europa und den USA erhältlich ist.
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