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Arzneimittel und Therapie
Neuer Wirkungsmechanismus bei Krebs: Sorafenib hemmt mehrere Signalwege
Für die Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom haben Bayer und Onyx im Sommer 2005 sowohl in den USA als auch in Europa einen Zulassungsantrag gestellt.
Hemmung der Raf-Kinase...
Sorafenib attackiert mehrere Schwachstellen der Krebszellen gleichzeitig: Zum einen unterbricht die Substanz einen Signalweg, der die Zelle zu unablässiger Teilung anregt, zum anderen verhindert Sorafenib die Neubildung von Blutgefäßen, ohne die bösartige Geschwulste nicht mehr wachsen können.
Normalerweise erhalten Zellen die Befehle für Teilung und Wachstum von außen, indem ein Wachstumsfaktor an der Zelloberfläche andockt. Dann wird das Signal in das Zellinnere übertragen. Das Ras-Protein fungiert als zentrale Schaltstelle.
Es wird aktiviert und schaltet die Raf-Kinase ein. Dadurch wird eine Kaskade von Enzymen ausgelöst, die sich gegenseitig aktivieren. Schließlich gelangt die Botschaft dann bis in den Zellkern, wo die Zellteilung ausgelöst wird.
Bei vielen Tumorarten ist die Raf-Kinase und damit auch der Signalweg durch einen Defekt dauerhaft aktiv – auch ohne äußeres Wachstumssignal. Dadurch kommt es zur unkontrollierten Zellvermehrung. Bei 50% aller Krebsarten ist das Ras-Gen mutiert, bei 30% wird es überexprimiert. So sind zum Beispiel bei 90% aller Pankreaskarzinome und bei 50% aller Kolorektalkarzinome Mutationen im Ras-Gen zu finden.
Die Wirkung von Sorafenib setzt an dieser zentralen Schaltstelle in der Zelle an: Es blockiert den Ras-Signalweg. Dabei bindet Sorafenib nicht an das Ras-Protein selbst, sondern an das nächste Enzym in der Reihe, die Raf-Kinase, und verhindert so, dass der Wachstumsbefehl weitergegeben wird. Kann die Raf-Kinase als weiterführendes Signal in Krebszellen gehemmt werden, wird das Wachstumssignal des Ras-Signalwegs und damit die Proliferation der Krebszellen gebremst.
...und der Angiogenese
Sorafenib hemmt außerdem den VEGF-Rezeptor (vascular endothelial growth factor rezeptor), genauer: die VEGF-Rezeptor-Tyrosinkinase in den Blutgefäßzellen. So verhindert Sorafenib die Neubildung von Blutgefäßen am Ort des Tumors, die Angiogenese. Durch diese Gefäße versorgt sich der Tumor mit Blut und Nährstoffen, was bereits ab einer Geschwulstgröße von wenigen Millimetern für sein Überleben notwendig ist. Sorafenib hemmt das intrazelluläre Signal für die Angiogenese und entzieht so dem Tumor die für sein Wachstum nötige Blutversorgung.
Darüber hinaus hemmt Sorafenib auch andere Tyrosin-Kinasen.
Phase-II-Studien: Tumore schrumpften
In einer Phase-II-Studie mit über 200 Patienten führte die Behandlung mit Sorafenib nach zwölf Wochen bei vielen Nierentumor-Patienten zur Verkleinerung der Tumoren sowie zu einer andauernden Stabilisierung der Krankheit. Über 85% der Studienteilnehmer mit Nierenzellkrebs hatten einen Tumor, der trotz mindestens einer vorausgegangenen Therapie weiter fortgeschritten war. Alle Patienten wiesen bei Eintritt in die Studie einen fortschreitenden Krankheitsverlauf auf. Die Studienteilnehmer erhielten Sorafenib in einer Dosierung von 400 mg zweimal täglich oral.
Bei 37 von insgesamt 106 Nierenkrebspatienten schrumpfte der Tumor um mehr als 25%, bei 13 Patienten sogar um mindestens die Hälfte. Bei allen 37 Patienten, bei denen sich der Tumor nach zwölf Wochen verkleinert hatte, dauerte es bis zur Progression im Mittel 48 Wochen, 88% dieser Patienten waren nach sechs Monaten nicht progredient.
Phase-III-Studie: 900 Patienten mit Nierenkrebs
In einer internationalen Phase-III-Studie werden derzeit fast 900 Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom untersucht. Sie erhalten zweimal täglich entweder 400 mg Sorafenib oder Placebo. Die Endpunkte der Studie sind das Gesamtüberleben, das progressionsfreie Überleben, das beste Ansprechen auf die Therapie, die Lebensqualität und die Medikamentensicherheit.
Die Studie begann im vierten Quartal 2003. Im April 2005 wurde das Studiendesign aus ethischen Gründen geändert: Nun konnten auch die bisher mit Placebo behandelten Patienten Sorafenib erhalten, weil der Vorteil bei der progressionsfreien Überlebenszeit bei Sorafenib-Patienten statistisch signifikant war.
Zwischenauswertung: Überlebenszeit verdoppelt
Eine Zwischenauswertung der klinischen Phase-III-Studie zeigt, dass eine Behandlung mit Sorafenib die Überlebenszeit im Vergleich zu Placebo fast verdoppeln kann:
- Das progressionsfreie Überleben lag bei den mit Sorafenib behandelten Patienten im Mittel bei 24 Wochen, in der Placebo-Gruppe bei zwölf Wochen.
- Bei 74% Prozent der Sorafenibgruppe verkleinerte sich der Tumor gegenüber 20% in der Placebo-Gruppe.
- Bei 78% der Patienten unter der Sorafenib-Therapie stabilisierte sich die Erkrankung. Unter der Placebo-Behandlung waren es 55%, wobei sich der Tumor bei den meisten mit Verum Behandelten verkleinerte.
- Unter der Therapie mit Placebo kam es dreimal häufiger zur Progression. In der Zwischenauswertung wurden 220 Todesfälle berücksichtigt, die bis zum 31. Mai 2005 aufgetreten waren. Die in dieser Zwischenanalyse berücksichtigte Fallzahl ist allerdings für eine statistisch gesicherte Aussage noch nicht ausreichend. Die abschließende, statistisch gesicherte Analyse der Überlebenszeit wird gemäß Studienprotokoll auf der Basis von 540 Todesfällen durchgeführt werden.
Unerwünschte Wirkungen: Hautausschläge und Durchfall
Bisher wurde bei 768 Patienten die Sicherheit der Therapie bewertet. Zu den unerwünschten Wirkungen gehören Hautausschläge, Durchfall, das Hand-Fuß-Syndrom (Rötungen und Schmerzen an Händen und Füßen), Haarausfall, Jucken, Schwindel, Bluthochdruck und Erschöpfungszustände. Die Rate der schweren, unerwünschten Wirkungen (Grad 4) war in beiden Patientengruppen etwa vergleichbar, im Grad 3 unter Sorafenib mäßig erhöht (31 gegenüber 22% unter Placebo).
Behandlungsstudien in den USA und Europa
Zurzeit können Patienten in den USA Sorafenib aufgrund eines Behandlungsprotokolls, der Advanced Renal Cell Carcinoma Sorafenib (ARCCS) Study, erhalten. Um in die Behandlung aufgenommen zu werden, dürfen die Patienten mit fortgeschrittenem Nierenkrebs vorher noch nicht mit Sorafenib behandelt worden sein. Eine ähnliche Behandlungsstudie wird in Kürze auch in der EU anlaufen. Auch verhandeln Bayer und Onyx mit den Zulassungsbehörden in anderen Ländern über ähnliche Behandlungsprogramme wie in den USA und der EU.
Gute Zwischenergebnisse beim malignen Melanom
Sorafenib wird von Bayer HealthCare und Onyx Pharmaceuticals gemeinsam entwickelt und als Monotherapie oder in Kombination mit anderen onkologischen Substanzen bei einer Reihe anderer Krebserkrankungen geprüft. Dazu gehören das metastasierende Melanom, fortgeschrittene solide Tumoren, fortgeschrittener Bauchspeicheldrüsenkrebs, das myelodysplastische Syndrom (MDS) und die akute myeloische Leukämie (AML).
So wurden in einer Studie 35 Patienten mit fortgeschrittenem bösartigen Hautkrebs mit einer Kombination aus Sorafenib sowie den etablierten Wirkstoffen Carboplatin und Paclitaxel behandelt. Ein erstes Zwischenergebnis: Bei 40% der Teilnehmer schrumpfte der Tumor, bei 43% stabilisierte sich die Krankheit. In einer Phase-II-Studie zur Behandlung von Leberkrebs kam es bei 52% der Patienten zu einer Stabilisierung der Erkrankung oder einer Verkleinerung des Tumors.
Weitere Informationen über die Studien mit Sorafenib sind unter www.clinicaltrials.gov zu finden.
Quelle
Dr. Dimitris Voliotis „Sorafenib – Innovation in der Krebstherapie“, Wuppertal, 24. Oktober 2005, Pressekonferenz „Bayer HealthCare Pharma F & E-Forum 2005“, veranstaltet von Bayer HealthCare AG, Leverkusen.
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