Chemie

Was sollen Metalle im aktuellen Arzneischatz?

In einer Zeit, in der alles kritisch hinterfragt wird, muss auch die Frage erlaubt sein, ob Metalle noch in einen aktuellen Arzneischatz gehören. Da Metalle in elementarer Form, als Salze, als Komplexe, oder in Gestalt metallorganischer Verbindungen verwendet werden, sind die entsprechenden Arzneipräparate zahlreicher, als auf den ersten Blick zu vermuten ist.
Abb. 1: Therapeutisch und diagnostisch verwendete Metalle (rot), metallische Spurenelemente (grün) und 
radioaktive Nuklide (hellblau).

Halten wir zunächst in Form eines markierten Periodensystems (Abb. 1) und als tabellarische Übersicht (Tab. 1) fest, welche Metalle derzeit therapeutisch und diagnostisch angewandt werden.

Hinzu kommen einige Metall-Nuklid-haltige Arzneimittel, die zum Teil im Europäischen Arzneibuch als Monographien beschrieben sind (Tab. 2). Derzeit nicht offizinell sind Blei-, Cäsium-, Gallium-, Germanium-, Gold-, Molybdän-, Quecksilber-, Rubidium-, Ruthenium-, Tellur-, Yttrium- und Zink-Radionuklide, obwohl sie teils therapeutischen, teils diagnostischen Zwecken dienen.

Mineralstoffe

Als Mineralstoffe sind die Metalle Natrium, Kalium, Calcium und Magnesium für den Menschen essenziell. Sie behaupten daher als Substitutionsmittel, mit Ausnahme des Natriums, zu Recht ihren Platz im aktuellen Arzneischatz.

Natrium Der Natriumgehalt eines Erwachsenen beträgt etwa 100 Gramm. Die Versorgung, meist sogar eine Überversorgung erfolgt über die tägliche Nahrung. Eine Substitution ist im Allgemeinen nicht nötig, es sei denn, man denkt an die Rolle der physiologischen Kochsalzlösung. Wenn trotzdem im aktuellen Arzneischatz so zahlreiche Natriumsalze zu finden sind, so handelt es sich um solche, bei welchen das Anion das Pharmakophor darstellt und das Kation (Na) physiologisch unbedenklich ist.

Kalium Der menschliche Körper enthält etwa 150 Gramm Kalium, das intrazellulär angereichert ist. Die tägliche Zufuhr für den Erwachsenen liegt zwischen 2 und 4 Gramm. Ein bedrohlicher Kaliummangel kann bei der Therapie mit Saluretika auftreten.

Calcium Die Calciummenge in den Knochen eines Erwachsenen beträgt 1 bis 1,5 Kilogramm, die tägliche alimentäre Aufnahme etwa 1 Gramm. Um die arzneiliche Bedeutung das Calciums zu unterstreichen, sei auf die Calciumhomöostase, das Zusammenspiel mit Vitamin D, Calcitonin, Parathyrin und die Knochendynamik verwiesen.

Magnesium Der Körper eines Erwachsenen enthält 25 bis 30 Gramm Magnesium. Die tägliche Zufuhr bewegt sich zwischen 300 und 400 Milligramm. Magnesium ist in gewissem Umfang der physiologische Gegenspieler des Calciums. Es dient in über 300 Enzymsystemen als Aktivator. Organische Magnesiumsalze spielen in der Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine zunehmende Rolle.

Beurteilung: Als Substitutionsmittel unverzichtbar.

Tab. 2: Monographien des Europäischen Arzneibuchs zu radioaktiven Arzneimitteln.

RadionuklidArzneiform
CR-51Chromedetat-Injektionslösung 
Natriumchromat-Lösung
Co-57

Cyanocobalamin-Kapseln 
Cyanocobalamin-Lösung

Co-58Cyanocobalamin-Kapseln 
Cyanobalamin-Lösung
Ga-67Galliumcitrat-Injektionslösung
In-111Indium(III)-chlorid-Lösung 
Indium-Oxinat-Lösung 
Indium-Pentetat-Injektionslösung
Sr-89Strontiumchlorid-Injektionslösung
Tc-99Technetium-Albumin-Injektionslöung 
und 15 weitere Zubereitungen
TI-201Thalliumchlorid-Injektionslösung

Spurenelemente

Zu den essenziellen und daher gegebenenfalls als Arzneistoffe erforderlichen, metallischen Spurenelementen zählen für den Menschen die nach ihrer Position im Periodensystem unmittelbar benachbarten Elemente Eisen, Kupfer, Zink, Mangan, Cobalt, Nickel, Molybdän und Chrom. Über die Essenzialität des Vanadiums ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die physiologische Bedeutung der metallischen Spurenelemente ist aus Tabelle 3 ersichtlich.

Beurteilung: Fester Bestandteil des heutigen Arzneischatzes.

Tab. 3: Bedeutung der metallischen Spurenelemente.

SpurenelementBedeutung
ChromZusammenhang mit Diabetes und Glucose-Toleranzfaktor
CobaltZentralatom von Vitamin B12
EisenZentralatom in Hämoglobin- und Myoglobin, Enzymbaustein
KupferEnzymbaustein, Blutbildung, Elastinbildung
ManganEnzymaktivierung, Bestandteil antioxidativer Enzyme
MolybdänBestandteil von Flavinenzymen, z. B. Xanthinoxidase, Aldehydoxidase
NickelBestandteil von Urease und Lactatdehydrogenase
ZinkEnzymbaustein, Enzymaktivierung, Bestandteil antioxidativer Enzyme

Antazida

Aluminium und Magnesium Antazida sind im allgemeinen Salze und salzartige Verbindungen. Als Kationen enthalten sie Aluminium, Calcium, Magnesium, Natrium, als Anionen Carbonat, Hydroxid, Silicat. Bei den einfach strukturierten Antazida "der ersten Generation" werden die Protonen durch Hydroxid- oder Carbonat-Ionen gebunden. Bei den Schichtgitter-Antazida der "zweiten Generation", wie Hydrotalcit oder Magaldrat, werden die Protonen unter Beteiligung von Hydroxid- und Carbonat-Ionen in Zwischenschichten gebunden.

Kolloidales Aluminiumhydroxid kann als anorganisches Polymer angesehen werden. Hydrotalcit und Magaldrat haben eine definierte Kristallstruktur mit einer Magnesiumhydroxid-Matrix, wobei Magnesium-Ionen z. T. durch Aluminium-Ionen ersetzt sind. In den Zwischenschichten befinden sich bestimmte Anionen, wie Carbonat bei Hydrotalcit oder Sulfat bei Magaldrat.
Schichtgitter-Antazida sind den Gemischen von Aluminium- und Magnesiumhydroxiden überlegen. Sie binden zunächst wie die einfachen Hydroxide Protonen. Oberhalb eines pH-Wertes von 4,6 verlangsamt sich der Neutralisationsprozess, sodass eine Art Pufferung eintritt. Dadurch wird ein Acid-rebound-Effekt verhindert. Die nicht verbrauchte Säurebindungskapazität wird als Reserve in Anspruch genommen, wenn der pH-Wert des Mageninhaltes allmählich wieder absinkt.
Magnesium-haltige Antazida wirken durch ihre osmotischen Eigenschaften laxierend. Aluminium-haltige Antazida wirken obstipierend. Die ausgewogene Kombination von Mg- und Al-haltigen Antazida kann daher sinnvoll sein.

Beurteilung: Die therapeutische Bedeutung der Antazida ist durch die mit H2-Blockern und Protonenpumpen-Hemmern erzielten Erfolge in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Empfehlenswert sind nur solche Fertigarzneimittel, die eine Wirkungsdauer von ca. 60 min aufweisen. Nicht zu empfehlen sind Antazida, die den pH-Wert im Magen rasch anheben, da hieraus nach einem Rebound-Mechanismus eine erneute Säuresekretion resultiert.
 

Abb. 2: Bismut(III)-citrat-hydroxid-Komplex.


Ulkustherapeutika

Bismutsalze Nachdem man entdeckte, dass Bismutsalze (s. Tab. 1) eine bakterizide Wirkung gegenüber Helicobacter pylori, dem wichtigsten Krankheitserreger in der Gastroenterologie, zeigen, ist die therapeutische Bedeutung kolloidaler Bismut-Verbindungen, die schon seit Generationen als Magentherapeutika angewandt wurden, enorm angestiegen. Neben den älteren Bismutsalzen wird heute zur Behandlung des Ulcus duodeni bevorzugt ein Bismut(III)-citrat-hydroxid-Komplex eingesetzt, dessen Summenformel (K2NH4)5(Bi6(OH)11(C6H5O7)4 für den neutralen Bereich angegeben wird. Eine mögliche Struktur, die als Teil eines größeren Molekülverbandes anzusehen ist, stellt das in Abbildung 2 formulierte Schema dar.
Komplexes Bismutcitrat hat keinen Einfluss auf die Säuresekretion und wirkt auch nicht als Antazidum. Nach peroraler Applikation fallen im sauren Milieu des Magens kolloidales Bismutsubcitrat oder andere unlösliche Bismut-Verbindungen aus, die einen Schutzfilm für die Schleimhaut bilden, die Pepsin-Wirkung antagonisieren, wodurch die Ulzera besser abheilen, und sich gegenüber Helicobacter pylori bakterizid verhalten

Beurteilung: Wertvolle Arzneistoffe.

Metallhaltige Diagnostika

Barium, Gadolinium, Mangan, Eisen, Zirkon Bariumsulfat Wegen seiner hervorragenden Kontrastintensität ist Bariumsulfat das Mittel der Wahl zur röntgenologischen Darstellung des Magen-Darm-Traktes. Die Mengen, die dazu benötigt werden, sind im Vergleich zu anderen prophylaktisch und therapeutisch gebrauchten Arzneistoffen sehr hoch. Da es extrem schwer löslich in Wasser, verdünnten Säuren und verdünnten Laugen ist, kann es trotz der Toxizität freier Barium-Ionen bedenkenlos angewandt werden. Voraussetzung ist die Erfüllung der Arzneibuchqualität. Intoxikationen sind dann nicht zu erwarten und bisher auch nie beobachtet worden.

Bewertung: unentbehrlich!
 

Abb. 3: Gadopentet-Dimeglumin und sein Chelatbildner.


Gadoliniumchelate Das Gadolinium-Ion trägt sieben ungepaarte Elektronen, wodurch starke paramagnetische Eigenschaften erzeugt werden. Nach i.v. Injektion wird bei Anwendung der Kernspin- oder Magnetresonanz-Tomographie (MRT) die Signalintensität und dadurch auch der Kontrast des zentralen Nervensystems erhöht. Die Kontrastverstärkung kommt durch einen intensiven Effekt auf die Spin-Gitter-Relaxations-Zeit zustande.

Von den als Kontrastmittel für die spinale und kraniale MRT zur Verfügung stehenden Gadoliniumchelaten (s. Tab. 1) sei das Dimeglumin-Salz der Gadopentetsäure als Beispiel vorgestellt (Abb. 3).

Bewertung: Sinnvoll.
 

Abb. 4: Mangafodipir und sein Chelatbildner.

Mangan Das Chelat aus Mangan(II) und Ethylendipyridoxamin-diphosphat dient als Mangafodipir (Abb. 4) zur Erkennung von Leberläsionen bei Patienten mit Verdacht auf Lebermetastasen oder Leberzellkarzinomen. Der diagnostische Mechanismus beruht auf der Verdrängung der Mn-Ionen durch Zn-Ionen, nach i.v. Injektion. Die mittlere Halbwertszeit der Mn-Ionen beträgt 20 Minuten, die des Liganden, der renal eliminiert wird, etwa 50 Minuten.

Beurteilung: Sinnvoll.

Eisen Paramagnetische Eisen(II und III)oxide werden heute in Form von Kristallsuspensionen zur MRT lokaler Leberläsionen eingesetzt.

Zirkon(IV)oxid stellt neben Bariumsulfat ein brauchbares Röntgenkontrastmittel dar. Es wird im Rahmen von Operationen zur Verfolgung des Geschehens in Form Gentamycin-haltiger Kugelketten (Septopal®) temporär in mit Gentamycin-empfindlichen Erregern infizierten Knochen und Weichteile eingebracht.

Beurteilung: In speziellen Fällen wichtig.

Edelmetallhaltige Wirkstoffe

Platin Platin-Verbindungen werden derzeit als Zytostatika eingesetzt. Die zytostatische Wirkung von Platin-Komplexen wurde 1965 per Zufall aufgrund einer falschen Hypothese entdeckt. Man glaubte, dass magnetische Felder die Zellteilung hemmen. So ließ sich die Teilung von Colibakterien durch das Anlegen eines elektrischen Feldes an das Nährmedium verhindern, und dies geschah mit Platin-Elektroden. Es war zu erwarten, dass nach Ausschalten des Stroms die Bakterien weiter wachsen würden, was jedoch nicht der Fall war. Man erkannte schließlich, dass während der Elektrolyse Platin-Ionen an das Milieu abgegeben wurden und diese unter der Einwirkung von Ammoniumsalzen und Licht Cisplatin bildeten, worauf die zytostatische Wirkung beruhte.
Cisplatin und verwandte Platin-Komplexe werden oft ohne Kommentar den alkylierenden Zytostatika zugeordnet, was nicht gerechtfertigt ist, da sie nicht über Alkylgruppen verfügen oder - falls doch - ihre Alkylgruppen nicht am Wirkungsmechanismus beteiligt sind. Eine Gemeinsamkeit mit den bifunktionellen Alkylanzien besteht darin, dass Cisplatin und Verwandte wie diese DNA-Stränge vernetzen.

 

Cisplatin ist ein planarer Diammin-Komplex des Platindichlorids, bei dem die beiden Ammoniakliganden auf der gleichen Seite stehen (Abb. 5). 
Carboplatin ist ein Salz der Cyclobutan-1,1-Dicarbonsäure mit den gleichen Ammoniakliganden (Abb. 5). 
Oxaliplatin ist ein Salz der Oxalsäure, wobei an die Stelle der Ammoniakliganden das trans-1,2-Diaminocyclohexan tritt (Abb. 5).

Wirkmechanismus: Als Voraussetzung für einen Mechanismus nach dem Prinzip des "cross linking" wird die cis-Ständigkeit der gleichartigen Liganden angesehen. Die beiden Chlor-Atome des Cisplatins reagieren mit nukleophilen Funktionen in Nucleinsäuren und Proteinen. In chloridhaltigen Lösungen oder "Bioflüssigkeiten" wie Blut werden sie nicht abgespalten. Wegen der geringeren intrazellulären Chlorid-Konzentration erfolgt dort Umwandlung in einen elektrophilen Aquo-Komplex, der die bioaktive Wirkform der Platin-Komplexe darstellt und mit nukleophilen Zentren reagiert. Obwohl der Angriff an allen DNA-Basen erfolgen kann, bindet er bevorzugt an das N(7) des Guanidins. Die Schädigung der DNA resultiert in erster Linie aus der Quervernetzung innerhalb des gleichen Stranges.
Unterschiede bestehen beim Wirkungseintritt, in der unterschiedlichen Tumorselektivität, hinsichtlich nephrotoxischer und hepatotoxischer Nebeneffekte, sowie bei den emetischen, neurotoxischen und ototoxischen Begleitwirkungen.

Beurteilung: Platinkomplexe vom Typ des Cisplatins sind heute unentbehrlich bei der zytostatischen Therapie verschiedener Karzinome. Bei Hodentumoren können durch solche Platinkomplexe selbst in fortgeschrittenem Stadium totale Remissionen erzielt werden.

Gold Gold-Verbindungen werden seit etwa 75 Jahren als Basistherapeutika zur Behandlung von Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises eingesetzt. Aurothiomalat und Auranofin enthalten Gold(I)-Ionen als wirksame Komponente. Der genaue Wirkmechanismus ist unklar. Diskutiert wird ähnlich wie bei D-Penicillamin die Reaktion von Gold mit SH-Gruppen. Gold wird stark an freie SH-Gruppen von Proteinen wie Albumin und Immunoglobulinen gebunden. In vitro konnte gezeigt werden, dass Gold-Verbindungen die Bindung der Transkriptionsfaktoren AP-1 und NFkB an ihre Responselemente reduzieren. Auf zellulärer Ebene wurde beobachtet, dass Goldverbindungen die Phagozytose und die Freisetzung lysosomaler Enzyme in Granulozyten, die IL-1 vermittelte Proliferation von Lymphozyten und verschiedene Makrophagenfunktionen hemmen. Aurothiomalat (Abb. 6) ist eine wasserlösliche, polymere Goldverbindung zur intramuskulären Applikation. Die Bioverfügbarkeit liegt bei intramuskulärer Applikation bei über 95%. Da sich Gold in verschiedenen Geweben wie Lymphknoten, Nieren, Leber, Knochenmark und Milz anreichert und dort gespeichert wird, liegt die Gesamteliminationshalbwertszeit bei ca. 250 Tagen.
 

Die Gold-Pharmakokinetik von Auranofin (Abb. 6) unterscheidet sich deutlich von der Aurothiomalat-Kinetik. Auranofin ist als lipophile Verbindung im Gegensatz zu Aurothiomalat peroral einsetzbar, die Bioverfügbarkeit liegt bei etwa 15 bis 25%. Die Resorption erfolgt in den oberen Dünndarmabschnitten. Die Plasmahalbwertszeit liegt bei 17 bis 25 Tagen, die Gesamt-eliminationshalbwertszeit bei 81 Tagen. Der überwiegende Teil des absorbierten Auranofins gelangt durch biliäre Exkretion oder Sekretion in den Darm.

Beurteilung: Gold-Verbindungen zählen zu den wirksamsten Basistherapeutika zur Behandlung von Krankheiten des rheumatischen Formenkreises.

Silber Silber wird heute noch auf vielfältige Weise therapeutisch verwandt (Tab. 4).

Beurteilung: Die aufgeführten Anwendungen sind - mit Ausnahme der Credé'sche Augenprophylaxe - undramatisch und ersetzbar. Von dem sehr schmerzhaften Einträufeln einer Sibernitratlösung in die Augen des Neugeborenen zur Verhütung einer Gonorrhö-Konjunktivitis, wenn die Mutter an einer Gonorrhö erkrankt ist (Credé-Prophylaxe), ist heute strikt abzuraten. Die Schutzbehauptung orthodoxer Fachleute, die Augenprophylaxe sei gesetzlich vorgeschrieben, greift deshalb nicht mehr, weil das Gesetz schon 1986 abgeschafft wurde. Alternativ können Antibiotikahaltige Augentropfen angewandt werden. Schwangere sollten vor der Geburt klar stellen, dass ihr Säugling nicht durch eine Therapie gequält wird, die vor 100 Jahren ihre Berechtigung hatte, heute jedoch obsolet ist.

Tab. 4: Therapeutische Verwendung von Silber.

VerbindungIndikation
Elementares SilberInfizierte und infektionsgefährdete Wunden
Kolloidales SilberGastritis, Enteritis, Sommerdiarrhö, Säuglingsdurchfälle
SilberaminoehtylphosphatWundbehandlung, Dermatophytosen, Dermatomykosen
SilbereiweißacetyltannatProphylaxe und Therapie des bakteriellen Schnupfens
SilbernitratBlennorrhö-Prophylaxe Neugeborener (Credé'sche Prophylaxe)

Wirkstoffe mit toxischen Metallen

Antimon, Arsen, Quecksilber Mit diesen sehr toxischen Metallen sind für jedermann, der sich kritisch, zugleich aber auch objektiv mit Arzneistoffen und Arzneimitteln auseinander setzt, bedeutende Fortschritte in der medikamentösen Therapie assoziiert. Man denke beispielsweise an Paul Ehrlichs Salvarsan, das erste wirksame Pharmakon gegen die Syphilis, oder an das Stibophen als Spezifikum gegen Schistosomiasis und Leishmaniosen, oder an das Mersalyl, das die Erfolgsserie synthetischer Diuretika einleitete.

Von den verschiedenen metallorganischen Verbindungen, die früher als Antiprotozoika therapeutische Anwendung fanden, haben derzeit noch das Arsen-haltige Melarsoprol und das Antimon-haltige Stibogluconat-Natrium chemotherapeutische Bedeutung.

Stibogluconat Organische Verbindungen des dreiwertigen Antimons besitzen eine antiprotozoische Wirkung. Das komplex gebundene Antimon, wie es beispielsweise im Brechweinstein, Stibophen oder Natrium-Stibogluconat (Abb. 7) vorliegt, blockiert Sulfhydrylgruppen in Enzymen. Wegen toxischer Nebenwirkungen wird derzeit nur noch das letztere therapeutisch angewandt.

Melarsoprol Die Toxizität der substituierten Arsanilsäure, deren antiprotozoische Wirkung schon lange bekannt war, wird durch die Kaschierung mit Dimercaprol (Abb. 7) wesentlich vermindert, während die chemotherapeutische Aktivität erhalten bleibt. Die Wirkung des ZNS-gängigen Melarsoprols beruht auf der Inaktivierung SH-Gruppen-haltiger Enzyme durch Reaktion mit dem organisch gebundenen Arsen.

Beurteilung: Stibogluconat wird erfolgreich gegen Leishmaniosen wie Orientbeule, Espundia und Kala-Azar eingesetzt und ist in den betroffenen tropischen Infektionsgebieten unentbehrlich. Melarsoprol spielt heute immer noch eine bedeutende Rolle bei der Behandlung des zweiten Stadiums der Schlafkrankheit. Im europäischen Arzneischatz haben beide Arzneistoffe keine aktuelle Bedeutung.

Wie ein obsoleter und toxischer Arzneistoff, den man vor Generationen den Menschen hauptsächlich als Roborans und den Pferden zur Erzielung eines schönen glatten Fells verabreichte, mit neuer Indikation wieder aufersteht, zeigt das Arsentrioxid (Synonyme: arsenige Säure, Arsenblüte, Hüttenrauch, Giftmehl).

Arsentrioxid (As2O3) wird seit kurzem erfolgreich zur Behandlung von Patienten mit rezidivierender bzw. refraktärer akuter promyeloischer Leukämie (APL) eingesetzt. Wie Tretinoin ist Arsentrioxid nur bei APL mit der (15,17)-Translokation und nicht bei der (11,17)-Translokation wirksam. Der Wirkstoff führt im Gegensatz zum Tretinoin nicht zur vollständigen Wiederherstellung der normalen PML-Verteilung im Zellkern und nicht zur Ausdifferenzierung der Zellen, sondern vor allem zur Apoptose. Da Tretinoin-resistente APL-Zellen noch auf die Arsentrioxid-Behandlung ansprechen, wird der Wirkstoff bei Patienten mit rezidivierender APL verwendet. Arsentrioxid greift in zahlreiche Signaltransduktionsprozesse ein, es aktiviert verschiedene Proteinkinasen und Caspasen. Es beeinflusst außerdem den zellulären Redox-Status und die zelluläre Stress-Antwort. Der genaue Wirkmechanismus bei der APL ist allerdings noch unklar.

Beurteilung: Arzneistoff auf Probe.

Quecksilber und Quecksilberverbindungen Die Zeiten der nutzlosen Quecksilber-Schmierkuren mit grauer Salbe (Unguentum Hydrargyri cinereum, mit 30% metallischem Hg in feinverteilter Form) zur Behandlung der Syphilis sind ebenso überwunden wie die der Verabreichung von Kalomel (Hydrargyrum chloratum, Quecksilber(I)chlorid, Hg2Cl2) als Laxans.

Unter der ersteren soll Franz Schubert gelitten haben, das andere plagte den jungen Mozart auf seinen langen und beschwerlichen Reisen. Auch das Quecksilberpräzipitat (HgNH2Cl) und das hochtoxische Sublimat (Hydrargyrum bichloratum, Quecksilber(II)chlorid, HgCl2), die als Dermatikum bzw. als Antiseptikum noch lange im Einsatz waren, sind heute von der therapeutischen Bildfläche verschwunden. Geblieben sind die metallorganischen Hg-Verbindungen Thiomersal, zur Konservierung von Augentropfen, Impfstoffen und biologischen Produkten sowie Merbromin als Antiseptikum (Abb. 8).

Beurteilung: Merbromin ist heute überflüssig. Thiomersal hat dagegen noch seine Berechtigung als Konservierungsmittel in Multidosen-Impfstoffen und einigen inaktivierten Impfstoffen (Diphtherie, Pertussis, Tetanus, Hepatitis B). Der durch einen unzureichenden Impfschutz im Kindesalter entstehende Schaden wird derzeit als weitaus größer angesehen als ein Schädigungsrisiko durch Thiomersal. Für Erwachsene gelten Thiomersal-haltige Impfstoffe als unbedenklich.
 

Antidepressiva

Lithiumsalze (s. Tab. 1) werden zur Prophylaxe und Therapie manisch-depressiver und schizoaffektiver Psychosen eingesetzt. Der Wirkungsmechanismus ist noch weitgehend unbekannt. Sicher ist, dass sie in den Phosphatidyl-Inosityl-Stoffwechsel eingreifen und zu intrazellulärer Elektrolytveränderungen führen.

Beurteilung: Ohne hohen therapeutischen Stellenwert, geringe therapeutische Breite.

Dermatika

Zinkoxid wirkt schwach antiseptisch und adstringierend wobei es in geringem Umfang die Haut penetriert. Es dient als Grundlage von oder als Zusatz zu Pasten, Salben, Cremes, Schüttelmixturen, Pudern und ähnlichen dermatologischen Arzneiformen. 

Titandioxid hat einige gute Eigenschaften. Es ist untoxisch, stark lichtreflektierend, und wasserunlöslich. Verwendung findet es in Sonnenschutzmitteln, Lippenstiften, Körperpudern, Hämorrhoidal-Salben und -Zäpfchen, in Pasten bei Dermatosen, Juckreiz, Photoallergie, als Pigment zum Färben von Kapseln und Dragees.

Talkum (Talcum) ist nach der Ph. Eur. "ausgewähltes, pulverisiertes, natürliches, wasserhaltiges Magnesiumsilicat. Die chemische Zusammensetzung der reinen Substanz ist Mg3Si4O10(OH)2". Es dient als gut haftender, sterilisierbarer Bestandteil von Pudern, ist aber nicht geeignet zum Pudern von Operationshandschuhen.

Weißer Ton (Kaolinum ponderosum) ist nach der Ph. Eur. "ein natürliches wasserhaltiges Aluminiumsilicat von unterschiedlicher Zusammensetzung". Es wird innerlich bei leichten Entzündungen des Dünndarms, äußerlich zu entzündungshemmenden Umschlägen und galenisch als Bestandteil von Pudern und als Dispergiermittel eingesetzt.

Beurteilung: Es besteht kein Grund, die hier genannten Oxide und Silicate als Grund- und Hilfsstoffe aus der Arzneimittelproduktion zu verbannen.

Gesamtbewertung

Metall-haltige und Metall-freie Arzneistoffe sind in ihrer therapeutischen Bedeutung prinzipiell gleichrangig einzustufen. In beiden Bereichen gibt es bewährte, unverzichtbare, einige innovative und einige obsolete Wirkstoffe.

Hermann J. Roth

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