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- DAZ 10/2006
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Arzneimittel und Therapie
Hintergrund: Kardiovaskuläre Mortalität unter Sulfonylharnstoffen
Eingeschlossen wurden ausschließlich Patienten, welche nach den Aufzeichnungen der Datenbank des Gesundheitsservice der Provinz Saskatchewan, Kanada, zwischen den Jahren 1991 und 1995 ein Antidiabetikum mit den oben genannten Substanzen in Monotherapie verschrieben bekamen. Die Nachbeobachtungszeit betrug etwa vier bis fünf Jahre.
Es wurden 120 Patienten mit Tolbutamid- bzw. Chlorpropramid-Therapie (Alter 67,4 Jahre), 4138 Patienten mit Glibenclamid-Therapie (Alter 67,1 Jahre) und 1537 Patienten mit Metformin-Therapie (Alter 63,9 Jahre) für diese retrospektive Analyse ausgewertet. Im Beobachtungszeitraum waren von 5795 Patienten insgesamt 1503 Personen verstorben; 372 davon verstarben laut Todesscheinangabe an einem kardiovaskulären Ereignis (24,8%).
Die Autoren analysierten nun zunächst die Mortalitätsraten der mit den verschiedenen Substanzgruppen behandelten Patienten. Hier zeigten sich sehr deutliche Unterschiede. Unter der Tolbutamid- bzw. Chlorpropramid-Therapie lag die Mortalitätsrate bei 67,6 Toten pro 1000 Patientenjahre. Unter der Glibenclamid-Behandlung war die Mortalitätsrate mit 61,4 Toten pro 1000 Patientenjahre nur leicht niedriger, dagegen war die Mortalitätsrate unter der Metformin-Behandlung mit 39,6 Toten pro 1000 Patientenjahre deutlich niedriger. Die Mortalität war unter einer Glibenclamid-Monotherapie um 55% höher als unter einer Metformin-Therapie.
In einem zweiten Analyseschritt haben die Autoren nochmals innerhalb der verschiedenen Behandlungsgruppen unterschieden, ob die Patienten mit einer niedrigen oder einer hohen Dosierung der jeweiligen Substanz behandelt worden waren. Die niedrige Dosierung diente als Referenz. Es zeigte sich, dass in der Tolbutamid-/Chlorpropramid-Gruppe und in der Glibenclamid-Gruppe die Mortalität bei den mit einer hohen Dosierung behandelten Subgruppen um das 2,12fache bzw. das 1,29fache höher lag, als bei einer niedrigen Dosierung der jeweiligen Substanzklasse. Für Metformin war eine solche Dosis-Wirkungsbeziehung nicht feststellbar (0,84-fache Erhöhung bei hoher Dosierung). Die Mortalitätsraten wurden unter Kontrolle weiterer potenziell konfundierender Variablen wie Alter, Diabetesdauer oder Geschlecht ermittelt.
Die Autoren vermuten aufgrund ihrer Analyse einen Zusammenhang zwischen der erhöhten Mortalität und der Behandlung mit Tolbutamid bzw. Glibenclamid. Sie schließen die Möglichkeit einer kardiovaskulären Schädigung infolge dieser Substanzklassen nicht aus. Angesichts der Verfügbarkeit neuerer Substanzen fordern sie eine größere Vorsicht bei der Verordnung von Sulfonylharnstoff-Präparaten.
In einem Gespräch mit der Deutschen Apotheker Zeitung (DAZ 2006 Nr. 4, S. 30-33) forderte der Endokrinologe und Internist Prof. Dr. Christoph Rosak, Frankfurt, aufgrund der vorliegenden Daten zur kardiovaskulären Mortalität unter Sulfonylharnstoffen folgende Konsequenzen für den Einsatz von Glibenclamid:
- Der breite Einsatz von Glibenclamid-Präparaten muss vor dem Hintergrund der dosisabhängigen erhöhten kardiovaskulären Mortalität neu überdacht werden. Insbesondere was ihren Einsatz bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und Herzerkrankungen anbelangt.
- Die Krankenkassen müssen entscheiden, ob in den DMP-Programmen die Vorgabe, vorzugsweise Glibenclamid als zytotrope Substanz anzuwenden, noch aufrechterhalten werden kann und nicht andere zytotrope Substanzen ohne diese negative Eigenschaft vorgezogen werden sollten.
- Ärzte und Patienten sollten über das Risiko von Glibenclamid-Einnahme bei Typ-2-Diabetikern mit koronarer Herzerkrankung informiert werden. Hier ist auch der Apotheker gefordert.
Vorsicht bei der Interpretation der Ergebnisse!
Die Ergebnisse der retrospektiven Kohortenstudie von Simpson et al. legen die Möglichkeit nahe, dass man auch bei so genannten bewährten Substanzen der oralen Diabetestherapie vor Überraschungen nicht sicher sein kann. Allerdings ist bei der Interpretation der Ergebnisse eine gewisse Vorsicht angebracht, da es sich um eine retrospektive Analyse und nicht um eine randomisierte und prospektive Studie gehandelt hat. Auch muss man beim Mortalitätsunterschied zwischen den mit Metformin behandelten Patienten einerseits und den mit Sulfonylharnstoff-Präparaten behandelten Patienten andererseits auch einen Altersunterschied der Patientengruppen von etwa vier Jahren berücksichtigen. Ein solcher Altersunterschied geht per se mit einer Erhöhung der Mortalität einher.
Legt man beispielsweise die für Deutschland berichteten Mortalitätsraten des statistischen Bundesamtes zugrunde, so erhöht sich in der Altersgruppe der 64-Jährigen bzw. der 68-Jährigen das Mortalitätsrisiko von 15,8 auf 23,6 Verstorbene pro 1000 Patientenjahre, was einer altersbedingten Erhöhung des Mortalitätsrisikos um 49,8% entspricht. Dies wiederum ist recht gut vergleichbar mit der von den Autoren berichteten Erhöhung des Mortalitätsrisikos um 55%. Somit könnte der beobachtete Mortalitätsunterschied zwischen den verschiedenen Substanzgruppen auch auf den Altersunterschied der untersuchten Stichprobe zurückzuführen sein.
Die Verdopplung der Mortalität bei höheren Dosen von Sulfonylharnstoff-Präparaten ist per se noch kein zwingender Beweis, dass diese Substanzen für die erhöhte Mortalität verantwortlich sind. Diese "Dosis-Wirkungsbeziehung" könnte auch darauf zurückzuführen sein, dass mit hoher Dosierung behandelte Patienten wahrscheinlich eine schlechtere glykämische Kontrolle und damit auch ein höheres Folgeerkrankungsrisiko aufwiesen. Allerdings fehlen in dieser Studie weitere klinische Daten, um diese Überlegung zu überprüfen. Ebenso lässt sich, wie die Autoren einräumen, aus dieser Studie nicht ableiten, ob der Mortalitätsunterschied durch eine kardiovaskuläre schädliche Wirkung von Tolbutamid bzw. Glibenclamid oder durch eine kardioprotektive Wirkung des Metformins zustande kommt. Allerdings muss man auch kritisch festhalten, dass nur 24,8% aller Todesfälle auf ein kardiovaskuläres Ereignis zurück zu führen waren, so dass die beobachteten Unterschiede in der Gesamtmortalität nur schwerlich durch eine mögliche kardioprotektive bzw. -schädliche Wirkung der oben genannten Substanzklassen verursacht sein können.
Zusammenfassend verdient der von den Autoren berichtete Befund trotz der beschriebenen methodischen Einschränkungen Aufmerksamkeit. Weitergehende Studien zu dieser Fragestellung sind in diesem Zusammenhang sicherlich begrüßenswert.
Priv.-Doz. Dr. Norbert Hermanns, Leiter des Forschungsinstituts der Diabetes Akademie Mergentheim (FIDAM) Postfach 11 44 97961 Bad Mergentheim
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