Qualitätssicherung

R. MohrDas Arzneibuch – Teil II: Von der Stadt

Die ersten amtlichen Arzneibücher hatten nur einen sehr begrenzten Geltungsbereich. Die besten unter ihnen fanden auch darüber hinaus breitere Annerkennung und konkurrierten miteinander. Sie hatten ihr eigenes Profil, da sie sich sowohl formal Ų z. B. bezüglich Stil, Sprache oder Gliederung einer Vorschrift Ų, aber auch inhaltlich Ų z. B. in den analytischen Anforderungen oder verwendeten Maßen und Gewichten Ų unterschieden. Die politische Einigung Deutschlands im 19. Jahrhundert beendete diese Arzneibuch-Vielfalt durch Einführung des Deutschen Arzneibuchs. Entsprechend ersetzt seit 1969 in einem noch andauernden Prozess das Europäische Arzneibuch die nationalen Arzneibücher.

Kämpfe und Kompromisse auf dem Weg zum gemeinsamen Ziel

Die Entwicklung von Werken mit lokaler oder regionaler Bedeutung zu weiter verbreiteten Werken vollzog sich auf nationaler und internationaler Ebene. So entstand das Deutsche Arzneibuch auf der Grundlage mehrerer Landespharmakopöen, und das Europäische Arzneibuch wächst durch die Harmonisierung der traditionsreichen nationalen Pharmakopöen der europäischen Staaten [1]. Am Ende dieser Entwicklung steht die mittlerweile stattfindende Abstimmung der weltweit führenden Pharmakopöen (Ph.Eur., USP und JP).

In diesen Harmonisierungsprozessen kam und kommt es immer wieder zu heißen Diskussionen und Schwierigkeiten, die sich aus den aufeinander treffenden Unterschieden im Wissen, in Mentalitäten, Traditionen und Interessen der Verhandlungspartner ergeben. Schließlich wird meistens ein Kompromiss gefunden.

Aus der Sicht der Verfasser und Nutzer einer lokal gewachsenen Vorschriftensammlung werden diese Kompromisse gelegentlich als Rückschritt empfunden. Wird doch meist angenommen, dass der eigene Stil und der erreichte Standard dem anderen überlegen sind. In manchen Punkten stimmt das auch tatsächlich, in anderen zeigt es sich aber durchaus, dass eine neue Sicht- oder Vorgehensweise auch bereichernd ist.

Von Valerius Cordus zum DAB

Vorläufer des Deutschen Arzneibuchs (DAB) sind Stadtpharmakopöen – z. B. das Dispensatorium des Valerius Cordus, das seit 1546 als "Nürnberger Pharmakopöe" bekannt wurde – und Landespharmakopöen wie das Dispensatorium Brandenburgicum (seit 1698), aus dem wiederum die Preußische Pharmakopöe hervorging (Tab. 1).

Auf der Grundlage der Landespharmakopöen des 19. Jahrhunderts, insbesondere der 7. Ausgabe der Preußischen Pharmakopöe (1862), erarbeitete der damalige Allgemeine Deutsche Apothekerverein die Pharmacopoea Germaniae (1865/1868), die bald danach zur ersten deutschen Einheitspharmakopöe, der Pharmacopoea Germanica (1872), weiterentwickelt wurde. Diese war auf Latein verfasst und wird heute rückwirkend als DAB 1 bezeichnet. Ab dem DAB 3 (1890) wurde das Deutsche Arzneibuch erstmals offiziell in deutscher Sprache herausgegeben, allerdings noch mit lateinischem Untertitel: "Arzneibuch für das Deutsche Reich, Dritte Ausgabe (Pharmacopoea Germanica, editio III)".

Von den danach folgenden historischen Arzneibüchern hat das DAB 6 den größten Bekanntheitsgrad erreicht, weil es kriegs- und nachkriegsbedingt über den ungeheuer langen Zeitraum von 1927 bis 1968gültig war. Die späteren Arzneibuchausgaben wurden durch die zunehmend rasanter werdende fachlich-pharmazeutische Entwicklung, der sie sich anpassen mussten, immer schneller überarbeitet und neu herausgegeben.

Vom DAB 7 zum DAB 2005

DAB 7 Das DAB 7 (1969 bis 1978) war noch das letzte große nationale Werk. Danach vermischen sich die Geschichte des Deutschen Arzneibuchs und die Geschichte des Europäischen Arzneibuchs zu dem amtlichen Arzneibuch mit nationalem und europäischem Teil.

DAB 8 Zu der Zeit des DAB 8 (1979 bis 1986) waren schon etliche ehemals nationale Vorschriften in der 1. Ausgabe der Ph.Eur. aufgegangen. Das DAB 8 wurde als gebundenes Buch neben den drei Bänden der Ph.Eur. herausgegeben und enthielt ein gemeinsames Inhaltsverzeichnis, auch über die Vorschriften der Ph.Eur.

DAB 9 Im DAB 9 (1987 bis 1991) wurde die seit 1980 erschienene 2. Ausgabe der Ph.Eur. integriert. Alle Vorschriften waren in einem Buch enthalten. Die europäischen Vorschriften waren gegenüber den nationalen Vorschriften an dem europäischen Sternenkranz zu erkennen.

DAB 10 Ab dem DAB 10 (1992 bis 1996) wurden die nationalen und europäischen Vorschriften als Gesamtwerk in einer Loseblattausführung herausgegeben.

DAB 1996 ff. Der Nachfolger des DAB 10 wurde nicht "DAB 11", sondern "DAB 1996" genannt. Diese Bezeichnungsweise ("DAB" + Angabe der Jahreszahl der Ergänzungslieferung) ist seither beibehalten worden.

Seit dem DAB 1997 wurden die europäischen Vorschriften von den nationalen Vorschriften entkoppelt. Dabei wurde das DAB weiterhin in Loseblattform herausgegeben, und die amtliche deutsche Ausgabe des Europäischen Arzneibuchs wird seither in Buchform publiziert.

Im DAB 1999 kam es noch mal zu einer größeren Veränderung. Diese wurde erforderlich, weil das Nummerierungssystem des Allgemeinen Teils der Ph.Eur., das auch im DAB verwendet wird, umgestellt worden war. Beispielsweise wurden die allgemeinen Methoden von der bis dahin üblichen Kennzeichnung (z. B. "V.3.2.8 Schwermetalle") in das neue System mit arabischen Ziffern ("2.4.8 Schwermetalle") umgestellt. Das DAB musste daher komplett neu herausgegeben werden, um die neuen Referenznummern auch in allen Einzelmonographien anzupassen.

Europarat will die Arzneimittelqualität verbessern

In den 50er-Jahren haben die Sieger des 2. Weltkriegs die ehemaligen Kriegsgegner in ihre jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Systeme eingebunden. So haben die Alliierten die Bundesrepublik Deutschland integriert, um sie zum einen besser beaufsichtigen zu können – z. B. was die Kohle- und Stahlproduktion als Voraussetzung für eine funktionierende Kriegsmaschinerie anging –, zum anderen, um hier ein neues politisches Wertesystem zu etablieren.

Um einander näher zu kommen und gemeinsame Ziele zu erreichen, gründeten zehn europäische Staaten am 5. Mai 1949 in London den Europarat mit Sitz in Straßburg. Im Gegensatz zu den später, ab 1952, gegründeten Europäischen Gemeinschaften, die sich gemeinsame wirtschaftliche Ziele setzten, sind die Ziele des Europarats,

  • Prinzipien der Demokratie und der Menschenrechte zu wahren,
  • menschliche und ethische Werte zu fördern und
  • die Lebensqualität der Europäer der verbessern.

Aus diesem Grund schuf der Europarat auch Gremien, die sich mit Gesundheitsfragen beschäftigen, beispielsweise den Gesundheitsausschuss (Public Health Committee). Da der Europarat ein gemeinsames Arzneibuch als wichtiges Instrument ansah, um eine hohe Arzneimittelqualität und damit die Lebensqualität und Gesundheit der Menschen sicherzustellen, übernahm er die Aufgabe, ein Europäisches Arzneibuch zu erarbeiten.

Startschuss zum Europäischen Arzneibuch

Der offizielle Startschuss fiel 1964, als acht Europaratsmitglieder (die damaligen sechs EWG-Staaten, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie die Schweiz) ein "Teilabkommen auf dem Gebiet des sozial- und des öffentlichen Gesundheitswesens" abschlossen. Im Rahmen dieses Abkommens wurde am 22. Juli 1964 das "Übereinkommen über die Ausarbeitung eines Europäischen Arzneibuchs" getroffen.

Nach den Gepflogenheiten der Demokratie mussten die einzelnen Staaten das Übereinkommen ratifizieren, wozu sie unterschiedlich lange Zeiten benötigten. In Deutschland beispielsweise geschah dies durch ein Gesetz vom 4. Juli 1973 [2].

Am 8. Mai 1974 war das Übereinkommen schließlich in allen acht Vertragsstaaten umgesetzt. Ab diesem Zeitpunkt konnten und mussten die ersten Bände des Europäischen Arzneibuchs, die bereits vorlagen, national in Kraft gesetzt werden. So trat in Deutschland der 1. Band der 1. Ausgabe des Europäischen Arzneibuchs am 1. Oktober 1974 in Kraft.

Nachdem die ursprünglichen acht Vertragsstaaten das Übereinkommen ratifiziert hatten, wurde es auch für andere Länder möglich, dem Abkommen beizutreten. Die Zahl der Vertragsparteien und Beobachterstaaten ist seither rasch und stetig auf derzeit 53 angestiegen [3].

Vom Acker auf die Schnellstraße

Die Arbeit am Europäischen Arzneibuch kam in der Anfangszeit nur langsam voran. Das lag zum Teil daran, dass sich neue Arbeitstechniken und Infrastrukturen erst einspielen mussten, aber auch an nationalen Vorbehalten im Umgang miteinander, die noch aus den Erfahrungen der Kriegszeit stammten und es schwieriger machten, sich zu einigen. In der Folge wurden diese Schwierigkeiten jedoch überwunden und die Aktivitäten immer weiter beschleunigt (Tab. 2).

1. Ausgabe der Ph.Eur. Die 1. Ausgabe der Ph.Eur. (1974 bis 1987) erschien ab 1969 in 3 Bänden und 2 Supplementen – wie alle folgenden – im Original auf Englisch und Französisch. Sie wurde in Deutschland ab 1974, nach der Ratifizierung des Übereinkommens, während der Zeit des DAB 7 und DAB 8 in Kraft gesetzt.

2. Ausgabe der Ph.Eur. Die 2. Ausgabe der Ph.Eur. (1987 bis 1996) erschien ab 1980 bis 1995 mit 19. Teilbänden. Sie wurde ab 1987 in Deutschland in Kraft gesetzt und war im DAB 9 integriert.

3. Ausgabe der Ph.Eur. Ab der 3. Ausgabe (1997 bis 2001) wurde die Ph.Eur. in Deutschland wieder als getrenntes Werk, in Buchform, neben dem nationalen Teil des Arzneibuchs (DAB und HAB) herausgegeben. Das jeweils auf Englisch und Französisch erarbeitete Original wird seither vom Bundesministerium ab dem Implementierungsdatum als anwendbar erklärt, bevor die offizielle übersetzte Fassung als amtliche deutsche Ausgabe in Kraft tritt.

4. Ausgabe der Ph.Eur. In der 4. Ausgabe (2002 bis 2004) wurde eine Reihe von Neuerungen eingeführt, z. B. wurden übergeordnete allgemeine Monographien aufgenommen und bestimmte Monographien in Sachgruppen (z. B. Impfstoffe oder Darreichungsformen) zusammengefasst.

5. Ausgabe der Ph.Eur. Die 5. Ausgabe gilt seit 2005. Sie löste die 4. Ausgabe ab, die durch die acht Nachträge im Umfang aufgebläht und unübersichtlich geworden war. Inhaltlich wurden viele Monographien überarbeitet und dem neusten Erkenntnisstand angepasst. Insbesondere wurden differenzierende Reinheitsprüfungen in die Monographien aufgenommen, die in der Lage sind, neue Verunreinigungen bzw. Abweichungen vom bekannten Verunreinigungsprofil eines Arzneistoffs aufzuspüren. Solche Abweichungen können z.B. bei absichtlichen oder unabsichtlichen Änderungen im Herstellungsverfahren einer Substanz auftreten und auch bei Minderqualitäten aus nicht ausgereiften Produktionsbedingungen (Produktion außerhalb der guten Herstellungspraxis).

Von der Schnellstraße auf den Highway

Seit 1990 wurde begonnen, die Monographien zu harmonisieren, die sich in allen drei weltweit führenden Arzneibüchern befinden, d.h. dem Europäischen Arzneibuch (Ph.Eur.), dem Japanischen Arzneibuch (JP) und dem Arzneibuch der Vereinigten Staaten (USP). Dieser Prozess erwies sich bisher als kompliziert, es werden jedoch Fortschritte erzielt. Die erarbeiteten harmonisierten oder auch in Teilen harmonisierten Texte werden in die einzelnen Pharmakopöen übernommen. Informationen über das Arbeitsprogramm und den Zeitplan des Prozesses können der Webseite des European Directorate for the Quality of Medicines (EDQM) entnommen werden [4].

Fazit

Die Schwierigkeiten und Verunsicherungen, die sich aus unterschiedlichen Vorschriften zu demselben Punkt in verschiedenen Pharmakopöen ergeben, haben immer wieder gezeigt, dass ein gemeinsames harmonisiertes Werk erstrebenswert ist. Selbst wenn das Gemeinschaftswerk teilweise durch Kompromisse zustande kommt, so stellt es doch eine gemeinsame Basis dar, die anschließend überarbeitet und verbessert werden kann.

Für den globalen Arzneimittelmarkt ist ein gemeinsames, anspruchsvolles Arzneibuch, das man selbst mitgestalten kann, Voraussetzung dafür, die Arzneimittelsicherheit hoch zu halten und die Kosten bei der Arzneimittelherstellung zu erniedrigen.

Wie die Monographien ins Arzneibuch gelangen, wer sie erarbeitet und wie auf den Inhalt Einfluss genommen wird – das erfahren Sie im nächsten Teil dieser Serie.

Die ersten amtlichen Arzneibücher innerhalb Deutschlands hatten wegen der politischen Zersplitterung jeweils nur einen engen Geltungsbereich. Auf der Grundlage mehrerer Landespharmakopöen wurde schließlich das Deutsche Arzneibuch erarbeitet, das 1872 in Kraft trat. In einem ähnlichen, noch andauernden Prozess ersetzt das Europäische Arzneibuch seit 1969 das DAB und die anderen nationalen Arzneibücher.

Hinweis

Teil I der Serie erschien in DAZ 10, Seite 61.

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