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Schwerpunkt Reisemedizin
Montezumas Rache – fürchterlich aber abwendbar
Etwa jeder Dritte, der in die Tropen reist, erkrankt an einer Reisediarrhö. Aber auch in südlichen europäischen Gefilden gehört Durchfall zu den häufigsten Reiseerkrankungen. Bei weit mehr als 90% der Fälle handelt es sich um akuten Durchfall, der in den ersten Urlaubstagen beginnt und bereits nach wenigen Tagen sisitiert. Die Urlaubsfreude wird dennoch stark getrübt. Etwa 40% können ihre Reise nicht wie geplant fortsetzen, 20% müssen das Bett hüten und für etwa 1% endet die Durchfallepisode im Krankenhaus. Während sich ansonsten Gesunde schnell wieder erholen, kann die Reisediarrhö für Säuglinge und Kinder, Schwangere, ältere Menschen und chronisch Kranke durchaus kritisch werden. Erhöht ist das Risiko einer infektiösen Enteritis für Patienten unter Immunsuppression, nach Gastrektomie und unter einer magensäurehemmenden Therapie.
Häufig: ETEC im Trinkwasser
Urlaubskiller Nummer 1 sind Enterotoxin-bildende Escherichia-coli-Stämme (ETEC), die für bis zu 50% der akuten Durchfallerkrankungen auf Reisen verantwortlich gemacht werden. Campylobacter, Salmonellen und Shigellen, seltener Yersinien kommen ebenfalls in Frage. Viren spielen dagegen auf Reisen eine eher untergeordnete Rolle. Das Infektionsrisiko ist hoch, denn die Keime werden fäkal-oral übertragen. Fäkal verunreinigtes Trinkwasser und Nahrungsmittel sind die Hauptinfektionsquellen. Das Risiko ist abhängig von der Hygiene im Reiseland und von den Reisebedingungen. Rucksackreisende haben ein höheres Risiko als Hotelgäste, die ihre Hotelanlage kaum verlassen. Aber auch der Pool kann mit gefährlichen Erregern kontaminiert sein. Wichtigste Schutzmaßnahme: das Prinzip "peel it, cook it or forget it" zu befolgen, und zwar konsequent. Sicher auch kein Fehler: die Reinigung des Pools zu begutachten und Buchten im Bereich von Abwasserkanälen zu meiden, seien sie auch noch so idyllisch.
Rehydratation ist das A und O
Haben sich die Keime trotz aller Vorsichtsmaßnahmen im Verdauungstrakt breit gemacht, müssen gesunde Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit einer Durchfalldauer von drei bis fünf Tagen rechnen. Harmlos ist die Diarrhö, wenn weder Blut noch Schleim im Stuhl sind und Fieber, Erbrechen, Schmerzen und Kreislaufstörungen fehlen. Dann ist auch eine Selbstmedikation möglich.
Die Substitution von Flüssigkeit und Elektrolyten ist die entscheidende therapeutische Maßnahme. Orale Rehydratationslösungen gehören deshalb in jede Reiseapotheke, vor allem wenn kleine Kinder mitreisen. Jugendliche und Erwachsene können sich im Notfall mit Mineralwasser behelfen, dem sie Salz und Zucker beimischen. Zur Kaliumsubstitution bieten sich Bananen an. Schwarzer Tee mit Salz und Zucker ist wegen des Gerbstoffgehalts günstig. Als ideales Getränk gilt auch die überschüssige leicht salzige Flüssigkeit, die beim Kochen von Reis entsteht. Bei Risikopersonen, wie Säuglingen oder alten Menschen, sowie generell bei schwerem Flüssigkeitsverlust oder gleichzeitigem Erbrechen kann eine intravenöse Flüssigkeitssubstitution notwendig werden. Dann sollte man sich nicht scheuen, frühzeitig eine Klinik aufzusuchen.
Loperamid kann die Darmperistaltik hemmen und sollte kurzzeitig bei Erwachsenen und Kindern ab dem zwölften Lebensjahr eingesetzt werden. So kann die Diarrhö kurzfristig unterdrückt und eine eventuell notwendige Weiterreise ermöglicht werden. Es sollte jedoch nicht zu lange eingenommen werden, da das Ausscheiden der pathogenen Keime verhindert wird. Bei Durchfall mit Blutabgang oder Fieber, an dem meist invasive Keime wie Salmonellen beteiligt sind, ist Loperamid kontraindiziert. Das Risiko eines toxischen Megakolons wird erhöht.
Saccharomyces-boulardii-Präparate können die Wiederherstellung der Darmflora fördern.
Adsorbenzien wie Kaolin, Pektin oder Kohle können unterstützend eingesetzt werden, sind aber nicht zwingend notwendig. Die Akzeptanz von Kohletabletten ist gerade bei Kindern eher gering.
Antibiotika werden überschätzt
Eine antibiotische Therapie ist bei akuter Reisediarrhö nicht erforderlich. Ihren Stellenwert haben Antibiotika, insbesondere Chinolone, nur bei schweren akuten Diarrhöen, fieberhaften Verläufen, bei Abgang von Blut oder einer Krankheitsdauer von mehr als fünf Tagen. Dann sollte auch im Ausland ohnehin ein Arzt konsultiert werden. Die Selbstmedikation mit Antibiotika wird kritisch betrachtet.
Ob im Einzelfall ein Antibiotikum prophylaktisch für den Fall der Fälle verordnet wird, muss sorgfältig erwogen und mit dem Reisenden intensiv besprochen werden.
Immer wieder diskutiert wird die präventive kontinuierliche Antibiotikaapplikation während des Auslandsaufenthalts, die das Risiko einer infektiösen Enteritis tatsächlich deutlich senken kann. Sie wird allerdings im Hinblick auf Nebenwirkungen und Resistenzentwicklung weitgehend abgelehnt. Bei Risikopatienten kann sie überlegt werden. Ebenso bei Menschen, die sich nur kurz aus beruflichen Gründen im Ausland aufhalten.
Wenn der Durchfall persistiert
Bis die Urlauber nach Hause kommen, haben sie die Reisediarrhö im Urlaubsland längst hinter sich gebracht. In aller Regel. Selten klagen Reiserückkehrer aber auch über anhaltenden Durchfall, der bereits zehn Tage oder länger andauert. Sie gehören zur weiteren Abklärung in ärztliche Behandlung. Meist wird die chronische Reisediarrhö von Parasiten hervorgerufen, vor allem Lamblien, Amöben oder Kryptosporidien. Selten persistieren auch bakterielle Erreger wie Shigellen länger im Darm. Eine empirische Therapie mit Metronidazol erfasst zumindest Lamblien und Amöben. Hält die Durchfallsymptomatik an, ist eine weitergehende infektiologische Diagnostik einschließlich endoskopischer Untersuchung erforderlich. Immer sollte man aber im Auge behalten, dass eine chronische Diarrhö auch bei Reiserückkehrern ganz andere Ursachen haben kann und das gleichzeitige Auftreten von Durchfall und Reise purer Zufall ist.
Der Leitsatz "peel it, cook ist or forget it" ist zwar in aller Munde, befolgt wird er dagegen kaum. Diese Ignoranz gilt als Hauptursache für Reisediarrhöen.
- Trinken Sie nur in Dosen oder Flaschen abgefülltes Mineralwasser oder industriell hergestellte Getränke.
- Trinken Sie Wasser ansonsten nur, wenn es zuvor gekocht, gefiltert oder desinfiziert wurde. Unproblematisch sind heißer Tee und Kaffee.
- Trinken Sie nur pasteurisierte Milch oder kochen Sie die Milch vorher ab.
- Verzichten Sie auf Eiswürfel.
- Essen Sie nur Speisen, die gekocht oder durchgebraten sind und heiß serviert werden.
- Rohe, halbgare und aufgewärmte Speisen sind tabu.
- Nicht zu schälendes Obst, Gemüse und Salat sowie rohe und halbgare Meeresfrüchte sind tabu.
- Essen Sie nur Obst, das Sie selbst geschält haben.
- Verzichten Sie auf Essen von Imbissständen oder Garküchen, auch wenn es noch so verführerisch duftet.
Reisende in einer Malariaregion, die Durchfall und Fieber entwickeln, sollten die Ursache abklären lassen. Grundsätzlich kommt dann nämlich auch Malaria in Frage.
Gegen Cholera impfen?
Vor allem Afrikareisende müssen in bestimmten Gebieten auch das Risiko einer Cholerainfektion ins Kalkül ziehen, die bei etwa 5% der Infizierten zu sehr schwerem Durchfall mit Reiswasser-ähnlichen Stühlen führt. Behandelt wird möglichst frühzeitig mit Doxycyclin oder Cotrimoxazol. Seit vergangenem Jahr steht ein neuer oraler abgetöteter Cholera-Impfstoff für die aktive Immunisierung zur Verfügung. Die Impfung empfiehlt sich bei längerem Aufenthalt in Risikoländern und engem Kontakt mit der heimischen Bevölkerung. Aufgrund der Ähnlichkeit des Choleratoxins mit einem ETEC-Toxin soll sie auch einen gewissen Schutz vor ETEC-induzierten Reisediarrhöen bieten.
Durchfall im Urlaubsland hat nicht immer infektiöse Ursachen. Auch Stress, Klimawechsel und veränderte Lebensgewohnheiten können bei empfindlichen Menschen ebenso zu Durchfall führen, wie eine fremde Nahrungszubereitung. Fernreisende sollten es daher ruhig angehen lassen und sich eine Akklimatisierungsphase gönnen. Auch eine Überempfindlichkeit auf ungewohnte Gewürze kann Durchfall auslösen.
Zum Weiterlesen
Diarrhö
Ein Syndrom – viele Krankheiten. DAZ 2006, Nr. 20, S. 63–68. www.deutsche-apotheker-zeitung.de
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