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Arzneimittel und Therapie
Situationsbericht: Masernepidemie in Deutschland
Im Jahr 2005 wurden dem RKI insgesamt 778 Masernfälle gemeldet, im ersten Halbjahr 2006 insgesamt schon 1940 Erkrankungen. Der hohe Anstieg im ersten Halbjahr 2006 lässt sich auf Ausbrüche in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zurückführen. Aus dem Landkreis Esslingen und dem Großraum Stuttgart wurden in der 2. bis 17. Woche 74 Erkrankungen gemeldet, aus Nordrhein-Westfalen lagen bis zum 4. Juli 2006 1532 Meldungen vor.
Verschiedene Genotypen In Baden-Württemberg waren überwiegend Kleinkinder im Alter von ein bis vier Jahren und junge Schulkinder betroffen. Dagegen erkrankten in Nordrhein-Westfalen vor allem Jugendliche (58%) und Erwachsene (17%), sowie Kinder im ersten Lebensjahr (7%). Für die Ausbrüche in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen waren unterschiedliche Genotypen verantwortlich. Die im Großraum Stuttgart und Landkreis Esslingen identifizierten Masernviren ließen sich dem Genotyp B3 zuordnen, die für den Ausbruch in Nordrhein-Westfalen verantwortlichen Viren dem Genotyp D6. Die B3-Masernviren zeigen Sequenzidentität mit Viren, die schon 2005 in Nigeria und der Elfenbeinküste nachgewiesen worden sind. Sie sind allerdings inzwischen auch schon in den Niederlanden, den USA und Mexiko aufgetreten, so dass der genaue Weg der Einschleppung unklar bleibt. Die in Nordrhein-Westfalen gefundenen D6-Masernviren weisen Sequenzidentität mit Viren auf, die in der Ukraine für einen schon seit Oktober 2005 anhaltenden Masernausbruch mit bisher über 30.000 Erkrankten gesorgt haben. Einen Beweis für eine direkte Verbindung zwischen dem Ausbruch in der Ukraine und Nordrhein-Westfalen gibt es bislang nicht.
Baden-Württemberg: Kein Kind war geimpft Die in Baden-Württemberg erkrankten Kleinkinder und Schulkinder kamen aus Elternhäusern, in denen Impfungen und insbesondere Masernimpfungen abgelehnt wurden: Keines der erkrankten Kinder war geimpft! Die Situation in Nordrhein-Westfalen lässt vermuten, dass die Masernimpfung Mitte der 90er Jahre schlecht angenommen worden ist und zu Impflücken bei den jetzt betroffenen Jugendlichen geführt hat. Die noch laufenden Untersuchungen zeigen, dass das Erkrankungsrisiko bei fehlendem oder unvollständigem Impfschutz besonders hoch war. Am Beispiel Nordrhein-Westfalen wird auch deutlich, dass bei einem Masernausbruch Säuglinge, die noch keinen Infektionsschutz aufbauen konnten, besonders gefährdet sind. Sie lassen sich nur durch einen hohen Durchimpfungsgrad in der Gesamtbevölkerung und die so erzeugte Herdimmunität schützen.
Schwere Komplikationen Masern sind keine harmlose Infektionskrankheit. Das zeigen auch die Zahlen der Krankenhauseinweisungen und Komplikationen der jüngsten Masernausbrüche: Im Jahr 2005 mussten 98 der 778 gemeldeten Erkrankten in eine Klinik eingewiesen werden. In zwei Fällen war eine Masernenzephalitis aufgetreten, weitere häufige Komplikationen waren Lungen- und Mittelohrentzündungen. Ein 14-jähriges Mädchen starb an den Folgen der Masernerkrankung. In Nordrhein-Westfalen mussten von den bisher erfassten Patienten 236 (15%) im Krankenhaus behandelt werden, vor allem wegen Enzephalitis/Meningitis (fünf Fälle), Lungenentzündung (38 Fälle) und Mittelohrentzündung (34 Fälle).
RKI sieht Defizite Weltweit sind die Masernausbrüche in Deutschland kritisch wahrgenommen worden. Einige Länder hatten im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland Reisewarnungen ausgesprochen. Generell wird die Gefahr gesehen, dass Masern auch in solche Länder wieder eingeschleppt werden könnten, die das Ziel der Masernelimination schon erreicht haben oder ihm relativ nahe sind. Das Robert Koch-Institut sieht vor allem Defizite in der Bewältigung der akuten Situation und bei den bisher erreichten Impfquoten.
Diese lassen sich, so das RKI, nur beheben, wenn rechtzeitig und altersgerecht gegen Masern entsprechend der STIKO-Empfehlungen geimpft wird und gleichzeitig noch bestehende Impflücken erkannt und geschlossen werden. du
Mitarbeiter des Gesundheitsamtes des Rhein-Neckar-Kreises haben eine durch einen Hausarzt und eine Frauenklinik unterlassenen Meldung des Verdachts auf Masernerkrankung zum Anlass genommen, auf die Unverzichtbarkeit der im Infektionsschutzgesetz verankerten Meldepflicht von Masern schon im Verdachtsfall hinzuweisen.
Der Hausarzt hatte wegen des Verdachts auf Masern bei einem Patienten eine Blutprobe entnommen. Neun Tage später erhielt das Gesundheitsamt eine bestätigende Labormeldung, am gleichen Tag meldete auch der Hausarzt die Masernerkrankung, jedoch unter anderem ohne Angaben zur Erreichbarkeit des Patienten. Der Hausarzt war am Meldetag auch nicht mehr erreichbar und in der darauf folgenden Woche im Urlaub. Durch Zufall erfuhr das Gesundheitsamt, dass auch die mit Zwillingen schwangere Schwester des an Masern erkrankten Patienten einen Tag nach der Masern–meldung des Bruders wegen des klinischen Verdachts auf Masern in eine Klinik eingewiesen worden war. Die Klinik hatte eine Meldung an das Gesundheitsamt für überflüssig erachtet. Die Meldung traf erst nach Mahnung durch das Gesundheitsamt 13 Tage nach der Aufnahme und sieben Tage nach der Entlassung der Patientin ein.
Die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes des Rhein-Neckar-Kreises weisen darauf hin, dass sie nur bei unverzüglicher Meldung in der Lage sind, schnellstmöglich zu handeln und die notwendigen Maßnahmen zur Unterbrechung von Infektionsketten zu ergreifen.
Quelle Klett, M.; et al.: Masern: Meldung – unverzichtbares Instrument der Bekämpfung. Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts. Nr. 26, 201 vom 30. Juni 2006.
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