Schwerpunkt Rheuma

C. BruhnKindliches Rheuma: Rheumakranke Kinder sind

Auch Kinder können an Rheuma erkranken. Die Diagnose bedeutet einen gravierenden Einschnitt im Leben der ganzen Familie und markiert gleichzeitig den Beginn einer langwierigen Therapie, denn die Kinder werden teilweise ein Leben lang mit der Krankheit zu tun haben. Ihr Alltag ist auf Jahre hinaus belastet durch tägliche Medikamenteneinnahme, Krankengymnastik und Klinikaufenthalte Ų und durch Vorurteile der Umgebung. Denn in den Köpfen vieler ist Rheuma immer noch eine Krankheit alter Menschen. Dabei können sich Krankheitsbild, Diagnose und Therapie bei Kindern deutlich vom Rheuma des Erwachsenen unterscheiden.

Die größte Herausforderung bei rheumatischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter besteht in der richtigen Diagnosestellung: denn einige Gelenkerkrankungen bei Kindern sind harmlos und heilen folgenlos aus. Das wohl bekannteste Beispiel ist der so genannte "Hüftschnupfen" (Coxitis fugax), eine Hüftgelenksentzündung unbekannter Ursache, die sich in plötzlich auftretenden Schmerzen und Bewegungseinschränkungen äußert. Eine spezielle Behandlung ist nicht notwendig, es sei denn, es handelt sich um eine bakterielle (eitrige) Coxitis, wie sie z. B. nach einer Hüftgelenksoperation auftreten kann.

Schleichender Beginn der kindlichen Arthritis Bei den schweren entzündlich-rheumatischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter unterscheidet man chronische Gelenkentzündungen (juvenile –idiopathische Arthritis, JIA; idiopathisch bedeutet: Ursache unbekannt), Bindegewebs–erkrankungen (Kollagenosen wie systemischer Lupus erythematodes, Dermatomyositis, Sklerodermie) und Gefäßentzündungen (Vaskulitiden). An einer juvenilen idiopathischen Arthritis leiden in Deutschland rund 50.000 Kinder und Jugendliche, jährlich kommen etwa 1000 Neuerkrankungen hinzu. Die Ursachen sind noch nicht eindeutig geklärt. Vermutet wird eine erbliche Veranlagung in Verbindung mit äußeren Faktoren, die zu einer Autoimmunreaktion führen.

Für die JIA wurde vor einigen Jahren von der WHO und der Internationalen Rheuma-Liga ILAR eine neue Klassifikation erarbeitet (siehe Kasten). Die Unterschiede der Krankheitsformen liegen hauptsächlich im Alter des ersten Auftretens, in der Zahl der befallenen Gelenke und den Begleiterkrankungen. So entwickeln beispielsweise 30 bis 40% der Kinder mit Oligoarthritis eine rheumatische Iridozyklitis (siehe Kasten), die häufig nicht bemerkt wird.

Rechtzeitige Therapie ist wichtig Bevor bei Kindern die Diagnose Rheuma gestellt werden kann, müssen andere mögliche Erkrankungen ausgeschlossen werden. Dieser Abklärungsprozess ist häufig schwierig und ähnelt einem Puzzle, bei dem alle Befunde zusammengesetzt werden müssen, bis sich schließlich ein klares Bild ergibt. Kleinkinder können die Art und Lokalisation von Schmerzen häufig noch nicht klar artikulieren. In dieser Altersgruppe kann das Auftreten spezifischer Symptome auf eine rheumatische Erkrankung hindeuten.

Ist die Diagnose gesichert, sollte so schnell wie möglich eine spezialisierte Behandlung eingeleitet werden. Denn eine rechtzeitige Therapie kann in vielen Fällen zum Rückgang der Bewegungseinschränkung und Entzündungsprozesse führen. In Deutschland haben sich einige Kliniken auf die Behandlung von Kinderrheuma spezialisiert. Da es bisher keine ursächliche oder kurative Therapie gibt, besteht das Behandlungsziel darin, Entzündungen und Schmerzen zu lindern und die normale Gelenkfunktion möglichst aufrechtzuerhalten. Besonderes Augenmerk gilt der Verhinderung von:

  • irreversiblen Gelenkschäden,
  • Visus-Einschränkungen als Folge einer chronischen Iridozyklitis,
  • lokalen und allgemeinen Wachstumsstörungen,
  • Organversagen als Folge einer Amyloid A-Amyloidose,
  • irreversiblen unerwünschten Arzneimittelwirkungen.

Angestrebt wird ein mehrdimensionaler Therapieansatz, der gleichberechtigt medikamentöse und nicht-medikamentöse Maßnahmen umfasst. Die nicht-medikamentösen Maßnahmen beinhalten:

  • Physiotherapie zur Behandlung von Schonhaltungen und Bewegungseinschränkungen,
  • physikalische Maßnahmen gegen Schmerzen (z. B. Eispackungen bei schmerzhaft geschwollenen Gelenken, Wärme- oder Elektrotherapie bei schmerzhaften Muskelverspannungen),
  • Ergotherapie zum Training der Gelenkfunktionen,
  • Einsatz von Hilfsmitteln zur Entlastung der Gelenke (z. B. Handgelenksschienen zum Schutz vor Fehlstellungen, Fahrzeuge wie Münsterpferdchen oder Gehroller bzw. bei größeren Kindern Gehstützen zur Entlastung der unteren Extremitäten),
  • Patientenschulungen und psychologische Betreuung (für alle Familienangehörigen).

Off-label-use ist häufig In der Pharmakotherapie der juvenilen idiopathischen Arthritis kommen vor allem nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) Glucocorticoide, Immunsuppressiva und das Biologikum Etanercept zum Einsatz. Nicht alle Wirkstoffe sind jedoch für diese Altersgruppe auch zugelassen. Für die sehr häufig eingesetzten Wirkstoffe (Hydroxy-)Chloroquin, Natrium-Aurothiomalat ("Gold"), Methotrexat und Etanercept besteht inzwischen eine Zulassung zur Behandlung der JIA. Therapien wie die intravenöse Gabe von Immunglobulinen oder die autologe Stammzelltransplantation haben eine untergeordnete Bedeutung.

NSAR Die Cyclooxygenaseinhibitoren Ibuprofen, Naproxen, Diclofenac und Indometacin wirken relativ schnell auf lokale Entzündungen und verbessern Symptome wie Gelenkschwellung, Überwärmung und Steifigkeit, beseitigen aber nicht die systemische Entzündung. Gelegentlich werden auch COX-2-Hemmer (z. B. Celecoxib) off label eingesetzt.

Immunsuppressiva ("Basismedikamente") und Zytostatika Eingesetzt werden Methotrexat, Chlorambucil, (Hydroxy-)Chloroquin, Goldsalze, Sulfasalazin, Azathioprin, Cyclosporin A, Leflunomid und Mycophenolat Mofetil. Der Stellenwert der Wirkstoffe ist unterschiedlich – einige werden nur bei bestimmten JIA-Formen (z. B. Chlorambucil bei AA-Amyloidose) oder als Reservemedikation (z. B. Cyclosporin A) eingesetzt.

Glucocorticoide Glucocorticoide (Prednisolon, Triamcinolon) wirken rasch bei akuten Entzündungen (vor allem bei intraartikulärer Applikation), werden aber wegen ihrer Nebenwirkungen – vor allem aufgrund möglicher Wachstumsstörungen und -verzögerungen – bei Kindern relativ zurückhaltend eingesetzt. Unverzichtbar ist die lokale Anwendung bei Iridozyklitis.

Etanercept Von den so genannten Biologika ist der TNF-alpha-Inhibitor Etanercept bisher als einziger Wirkstoff bei Kindern und Jugendlichen zugelassen. Seine Anwendung beruht auf der Erkenntniss, dass proinflammatorische Zytokine wie TNF alpha oder Interleukin 1 (IL-1) eine wichtige Rolle bei der Pathogenese der juvenilen idiopathischen Arthritis spielen.

Der Schulalltag rheumakranker Kinder Die meisten Patienten mit juveniler idiopathischer Arthritis befinden sich im Schulalter, entsprechende Probleme sind daher vorprogrammiert. Da Rheuma gemeinhin als Erkrankung älterer Menschen gilt, besteht bei Lehrern häufig Unkenntnis und Unverständnis. Die Kinder fürchten sich außerdem vor Hänseleien durch Mitschüler. Gespräche der Eltern betroffener Kinder mit Lehrern und Mitschülern können helfen, Verständnis zu wecken und Ängste abzubauen. Vonseiten der Schule können zahlreiche Maßnahmen ergriffen werden, um dem Kind den Schulalltag zu erleichtern, z. B:

  • Nutzung eines Sitzrollers
  • innerhalb des Schulgebäudes gestatten,
  • Schaffung der Möglichkeit
  • einer Zeitverlängerung bei Klassenarbeiten, da z. B. beim Tragen von Hand–gelenksschienen das Schreiben erschwert ist,
  • Kinder möglichst keine Treppen steigen lassen (gegebenfalls Fahrstuhlbenutzung ermöglichen oder Verlegung des Klassenraums ins Erdgeschoss),
  • Anschaffung eines Rheuma-gerechten Sitzmöbels,
  • Gestaltung von Klassenfahrten oder Ausflügen so, dass das rheumakranke Kind teilnehmen kann.

Die Deutsche Rheuma-Liga e.V. gibt ein Faltblatt heraus ("Das rheumakranke Kind in der Schule"), das Lehrern eine Orientierungshilfe bieten soll.

Anleitung und Schulungen verbessern Prognose Die Prognose rheumatischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter wird wesentlich von der Mitarbeit der Patienten und Eltern bestimmt. An Kliniken, die sich auf die Behandlung von Kinderrheuma spezialisiert haben, wurden daher Schulungsprogramme entwickelt. Über die medizinische Behandlung und Rehabilitation hinaus haben Eltern rheumakranker Kinder einen erhöhten Bedarf an sozialrechtlicher Beratung. Denn wie bei jeder chronischen Erkrankung kommt auf die Familie eine erhebliche zeitliche und finanzielle Mehrbelastung zu, die vom Staat teilweise (z. B. in Form von Pflegegeld) ausgeglichen wird. Nach Beendigung der Schulzeit besteht ein erhöhter Beratungsbedarf, falls sich die Berufswahl schwierig gestaltet. Eventuell kommen berufsvorbereitende Maßnahmen in Frage, oder es kann mit einer entsprechenden Arbeitsplatzgestaltung die Berufsausübung erleichtert werden. Neben der von den Kliniken angebotenen Beratung haben Familien die Möglichkeit, in Elternkreisen (z. B. unter dem Dach der Rheuma-Liga e.V., siehe Kasten) von den Erfahrungen anderer Betroffener zu profitieren.

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

"Rheumatismus": Hinter diesem Begriff verbirgt sich eine Vielzahl von Krankheitsbildern, die sich an den Gelenken, aber auch extraartikulär an den umgebenden Geweben manifestieren. Entsprechend differenziert muss die Beratung in der Apotheke sein. Laut WHO-Definition handelt es sich bei rheumatischen Erkrankungen um Erkrankungen des Bindegewebes und schmerzhafte Störungen des Bewegungsapparates, die sämtlich potenziell zur Ausbildung chronischer Symptome führen können. Aber auch Kinder können an Rheuma erkranken. Die Diagnose bedeutet hier einen gravierenden Einschnitt im Leben der ganzen Familie und markiert gleichzeitig den Beginn einer meist langwierigen Therapie.

Symptome, die auf eine rheumatische Erkrankung hindeuten können:

  • plötzliches Fieber
  • Morgensteifigkeit
  • schmerzende und geschwollene Gelenke
  • Überwärmung einzelner Gelenke
  • "Schonhinken"
  • Augenentzündungen
  • Kinder, die schon laufen können, wollen plötzlich wieder getragen werden Humpeln, Hinken, veränderter Gebrauch der Hände (beim Schreiben!), eventuell "roboterhafte" Bewegungen
  • Schwierigkeiten beim An- und Ausziehen
  • häufiges nächtliches Aufwachen (aufgrund von Schmerzen)
  • Weinerlichkeit und Traurigkeit, auch Aggressivität

Einteilung der juvenilen idiopathischen Arthritis

  • systemische juvenile
  • idiopathischen Arthritis
  • Rheumafaktor-negative Polyarthritis
  • Rheumafaktor-positive Polyarthritis
  • Oligoarthritis
  • Enthesis-assoziierte Arthritis
  • Psoriasis-assoziierte Arthritis
  • andere Arthritis

(nach WHO/ILAR 1998)

Komplikation Iridozyklitis

Bei der Iridozyklitis handelt es sich um eine Entzündung von Iris und Ziliarkörper, die häufig (zwischen 10 und 50%) bei einer JIA beobachtet wird, allerdings auch ohne rheumatische Grunderkrankung auftreten kann. Sie kann akut mit heftiger Symptomatik, aber auch chronisch verlaufen. Da die chronische Iridozyklitis ohne auffällige Symptome verläuft, wird sie leicht übersehen und oft zu spät behandelt. Verschlechterungen des Sehvermögens oder sogar Erblindung sind die Folge. Daher sollten die vom Kinder–rheumatologen empfohlene Häufigkeit der augenfachärztlichen Untersuchungen (je nach Risiko alle vier Wochen bis alle drei Monate) unbedingt eingehalten und die empfohlenen Therapien konsequent durchgeführt werden.

Nützliche Tipps von der Rheuma-Liga e.V.

Auf den Seiten der Deutschen Rheuma-Liga e.V. finden sich nützliche Tipps, die den täglichen Umgang mit der Erkrankung erleichtern.

Informationsmaterialien für Eltern rheumakranker Kinder (z. B. Tipps zum Pflegegeldantrag)

Kontakte zu "Elternkreisen" der Rheuma-Liga das "Rheumafon": junge Rheumatiker beraten gleichaltrige Betroffene, z. B. bei Fragen zur Berufswahl oder sozialrechtlichen Problemen

Spezialisierte Rheuma-Kliniken

Hier eine Auswahl von Kliniken, die sich in Deutschland auf die Behandlung von Kindern spezialisiert haben:

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