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Schwerpunkt Rheuma
Selbstmedikation: Das gute Gefühl, selbst etwas tun zu können
Zu den Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises zählen heute ca. 450 verschiedene Krankheitsbilder. Man klassifiziert diese heterogene Gruppe grob in entzündliche, degenerative und extraartikuläre Formen. Als gemeinsames Merkmal gelten akute oder chronische Entzündungen in einzelnen oder mehreren Gelenken oder umgebenden Geweben. Diese gehen in der Regel mit dolor, rubor, calor, tumor, functio laesa – also den klassischen Entzündungszeichen Schmerz, Röte, Hitze, Schwellung und gestörte Funktion einher.
Arthritis und Arthrose – die häufigsten Vertreter Die bedeutendste Untergruppe rheumatischer Erkrankungen stellt die rheumatoide Arthritis (früher: chronische Polyarthritis) dar. Etwa 1% der erwachsenen Bevölkerung ist davon betroffen, Frauen dreimal häufiger als Männer. Vermutlich basiert die Pathogenese auf fehlregulierten immunologischen Prozessen in der Gelenksynovia. Als Auslöser wird das Zusammentreffen aus genetischer Disposition und infektiösem Agens diskutiert.
Kennzeichnend für die rheumatoide Arthritis ist ein symmetrischer Gelenkbefall, oft beginnend an den Fingergrund- oder Fingermittelgelenken. Morgensteifigkeit sowie ein schubweiser, progredienter Verlauf sind weitere charakteristische Merkmale. Oft erst im fortgeschrittenen Stadium kommen röntgenologische und labormedizinische Befunde hinzu. Der klinische Verlauf der rheumatoiden Arthritis ist jedoch extrem variabel.
Eine häufige degenerative Gelenkerkrankung stellt die Arthrosis deformans, im Volksmund "Gelenkabnutzung", dar. Sie ist durch ein Missverhältnis zwischen Belastung und Leistungsfähigkeit eines Gelenks gekennzeichnet. Arthrotische Veränderungen sind nach bisheriger Auffassung primär nicht entzündlich, können jedoch inflammatorische Prozesse nach sich ziehen. Vermutlich lösen intraartikuläre Schäden die Freisetzung von Zytokinen aus, die dann eine Entzündungskaskade auslösen.
Fragen, fragen, nochmals fragen Im HV gilt es, selbstmedikationsfähige Gelenkbeschwerden von den arztpflichtigen zu unterscheiden. "Löchern" Sie also einen Kunden, der sich mit angeblichen Rheumabeschwerden an Sie wendet, so lange, bis Ihnen genügend Informationen für die Entscheidung vorliegen, ob Eigenmaßnahmen noch verantwortbar sind oder zum Arztbesuch zu raten ist. Dazu kann folgendes Fragenraster dienen:
- "Um welche Beschwerden handelt es sich?"
- "Seit wann haben Sie diese Symptome?"
- "Wie stark ist die Beeinträchtigung dadurch?"
Bei leichteren Gelenk- oder Muskelbeschwerden, die erstmalig aufgetreten sind und weniger als eine Woche bestehen, kann man einen Selbstmedikationsversuch wagen. Kamen die Symptome jedoch schon mehrmals vor, sind Gelenke geschwollen, bestehen Bewegungseinschränkungen oder Sensibilitätsstörungen, muss sich der Betroffene an einen Arzt wenden. Auch wenn Ihre Frage nach Morgensteifigkeit (länger als eine Stunde) oder Schmerzverschlimmerung in Ruhe bejaht wird, führt kein Weg am Arztbesuch vorbei.
Gleiches gilt für morgendliche Rückenschmerzen, die im Tagesverlauf nachlassen. Apotheker mit Weitblick sollten auch folgende Frage nicht auslassen: "Sind Sie in den letzten Wochen von einer Zecke gestochen worden?" Nicht selten wird eine Borreliose durch wochenlanges eigenmächtiges Herumdoktern verschleppt. Fühlt sich Ihr Kunde zusätzlich schlapp oder fiebrig sind Eigenmaßnahmen ebenso fehl am Platz wie bei Verdacht auf Erkrankungen der Halswirbelsäule oder Herpes zoster. Und auch Psoriasis-Patienten, die plötzlich an Gelenkbeschwerden leiden, sollten zunächst eine psoriatische Arthritis ärztlich ausschließen lassen.
Was heute möglich ist Eine kausale Therapie echter rheumatischer Erkrankungen ist bisher nicht möglich. Meist müssen sich die therapeutischen Bemühungen darauf beschränken, inflammatorische Prozesse einzudämmen, um den Gewebeuntergang zu bremsen. Wichtig ist außerdem eine suffiziente Schmerzkontrolle, um die artikuläre Mobilität und damit letztlich die Lebensqualität der Patienten zu erhalten. Steht als Diagnose eine rheumatische –Erkrankung bereits fest, ist eine Selbstbehandlung grundsätzlich nur als Ergänzung und nur in Absprache mit dem behandelnden Arzt empfehlenswert.
Mittel der Wahl: NSAR Die nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) sind zur symptomatischen Linderung von Entzündungs- und Schmerzzuständen bei rheumatischen Beschwerden Mittel der Wahl. In diesem Fall sind Wirkstoffe mit vorwiegend antiphlogistischer Wirkkomponente vorzuziehen. Rezeptfrei stehen zur oralen Applikation (abhängig von der Dosierung) z. B. zur Verfügung: Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen, Acetylsalicylsäure (ASS). Dabei sind die bekannten gruppenspezifischen Kontraindikationen wie Asthma, Magen-Darm-Ulcera, Blutbildungsstörungen etc. und Wechselwirkungen (z. B. orale Antikoagulanzien, Antidiabetika, Corticoide etc.) zu beachten. Wichtiger Abgabehinweis: "Nehmen Sie keinesfalls mehrere dieser Präparate gleichzeitig ein!" Bereiten Sie Ihren Kunden außerdem auf mögliche gastrointestinale Nebenwirkungen vor. Sicherheitshalber kann man dazu raten, das NSAR mit viel Flüssigkeit nach dem Essen einzunehmen.
Schmerzsalben helfen ... ... dieses Feedback bekommt man öfters von Kunden, die leichtere Gelenkbeschwerden mit NASR-haltigen Salben angehen. Entsprechende Fertigpräparate stehen von A wie arthrexx® Cellugel über Diclac® Schmerzgel, Spalt® Schmerz-Gel, Traumon® Gel, Voltaren® Schmerzgel bis Z wie Zuk® Schmerzgel in jeder Sichtwahl. Allerdings ist ihr Sinn und Zweck wissenschaftlich umstritten. Zu wenig Wirkstoff, so die Kritiker, penetriert in tieferes Gewebe bzw. dringt überhaupt zum entzündeten Gelenk vor.
Systemische Nebenwirkungen sind bei der topischen NSAR-Anwendung kaum zu befürchten, wohl aber lokale Hautreaktionen wie Rötungen oder Juckreiz.
Wärme aus der Tube Neben den NSAR werden auch hyperämisierende Substanzen wie Capsicum-Extrakte (z. B. Caye® Balsam, hot Thermo dura® C Creme), Nonivamid (z. B. Finalgon® Creme) oder Benzylnicotinat (Phlogont® Sandoz Thermal Salbe, Zuk® Thermocreme) zur lokalen antirheumatischen Behandlung eingesetzt. Sie lösen eine lokale Rötung und Wärmeempfindung aus, die subjektiv als wohltuend empfunden wird. Allerdings muss das zu behandelnde Hautareal intakt sein. Außerdem dürfen die Zubereitungen nicht mit Schleimhäuten (Nase, Augen!) in Kontakt kommen. Grundsätzlich gilt: Keine hyperämisierenden Mittel auf akut entzündliche Gelenke! Dann sind eher kühlende Maßnahmen (z. B. Kältekompressen etc.) angesagt. Hyperämisierende Präparate haben ihr Einsatzgebiet vor allem bei chronisch-degenerativen Gelenkbeschwerden oder muskulären Verhärtungen. Bei der Abgabe Arnikaextrakt-haltiger Topika sollte man ebenfalls auf die Möglichkeit von Hautreaktionen (z. B. Bläschen, Ekzeme) hinweisen!
Rheumabäder (z. B. von tetesept®), die traditionell zur Besserung des Befindens bei Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises angewendet werden, sind ebenfalls nicht bei hochakuten Entzündungszuständen, sondern nur bei muskulären oder chronischen Symptomen empfehlenswert.
Phytos für die Gelenke Phytotherapeutika werden bei rheumatoiden Beschwerden meist adjuvant mit dem Ziel einer Dosisreduktion der ärztlich verordneten NSAR oder Corticoide eingesetzt. Wichtig ist daher in jedem Fall die Absprache mit dem behandelnden Arzt! Humanpathologische Untersuchungen mit Teufelskrallenextrakt deuten auf eine Hemmung der Eicosanoid-Biosynthese durch enthaltenes Harpagosid als Mechanismus für die analgetisch-antiinflammatorische Wirkung hin. Sowohl die Kommission E als auch die ESCOP (European Scientific Cooperative on Phytotherapy) haben Teufelskrallenextrakt positiv bewertet. Entsprechende Präparate (z. B. Teufelskralle-ratiopharm®, Sogoon®, Jucurba forte® etc.) sind zur unterstützenden Therapie bei Verschleiß–erscheinungen des Bewegungsapparats geeignet. Einen NSAR-sparenden Effekt der Teufelskralle konnten bereits mehrere klinische Studien bei chronisch aktivierten Schmerzen am Bewegungsapparat zeigen. Bereiten Sie Ihren Kunden jedoch darauf vor, dass die Wirkung verzögert einsetzt!
Wegen der guten Verträglichkeit spricht nach heutiger Erkenntnis nichts gegen eine Langzeitanwendung. Dennoch sollten Sie im HV auch hier Anwendungsbeschränkungen im Hinterkopf behalten: Teufelskrallenpräparate sind wegen choleretischer Effekte bei Magen-Darm-Ulcera kontraindiziert und bei Gallensteinleiden nur eingeschränkt einsetzbar.
Weidenrinde in neuem Licht Die Kommission E hat bereits im Jahr 1984 eine Positivmonographie zu Weidenrindenextrakt bei rheumatischen Beschwerden erstellt. Die ESCOP schloss sich 1997 diesem Urteil bei der symptomatischen Behandlung leichter Rheumabeschwerden an. Während bislang fast ausschließlich Salicin als wirksamkeitsbestimmender Inhaltsstoff galt, rückt seit kurzem die Polyphenolfraktion als Vermittler der entzündungshemmenden Effekte immer mehr in den wissenschaftlichen Fokus.
Klinische Belege für die Symptomlinderung bei rheumatischen bzw. arthritischen Beschwerden durch Weidenrindenextrakte liegen in Form zahlreicher Studien an mehreren hundert Patienten vor. Obwohl der thrombozytenaggregationshemmende Effekt gering zu sein scheint, sollte auch bei der Abgabe von Weidenrindenpräparaten (z. B. Assalix®, Assplant®, Proaktiv®) die potenzielle Interaktionsgefahr mit oralen Antikoagulanzien nicht außer Acht gelassen werden. Außerdem wichtig für die Beratung: Allergikern, Asthmatikern und Patienten mit Magen-Darm-Geschwüren in der Anamnese sollten Sie Weidenrindenextraktpräparate sicherheitshalber nicht empfehlen.
Was kann die Brennnessel? Neben Teufelskrallenwurzel und Weidenrinde stellen Brennnesselblätter-Extrakt-Präparate eine dritte phytotherapeutische Option bei rheumatischen Beschwerden dar. Die Präparate (z. B. Hox® alpha, Flexal® Brennessel) müssen regelmäßig, mehrmals täglich nach dem Essen mit viel Flüssigkeit eingenommen werden. Gelegentlich kann es zu Überempfindlichkeitsreaktionen der Haut oder des Magen-Darm-Trakts kommen. Als Wirkprinzip wird der Gesamtextrakt angesehen. Die Einnahmedauer ist prinzipiell auch hier nicht limitiert.
Dann wären da noch ... .. die Vitamin-E-Präparate mit ihrem immer wieder kontrovers diskutierten Nutzen bei entzündlich degenerativen Gelenkprozessen (siehe nachfolgendes Interview). Befürworter argumentieren mit den antioxidativen, antiinflammatorischen Qualitäten der Tocopherole, die den Bedarf an NSAR etc. erheblich senken sollen. So konnten zwei Drittel der Arthrosepatienten in einer klinischen Untersuchung bei täglicher Einnahme von 2 x 500 I. E. Vitamin E (Optovit®) die Dosis ihrer Rheumamedikamente reduzieren. Laut einer aktuellen Emnid-Umfrage (Juli 2006) bewerten 80 von 100 befragten deutschen Rheumatologen den Einsatz von Vitamin E positiv. Da Vitamin-E-Präparate nicht verschreibungsfähig sind, ist ihre Empfehlung überwiegend Apotheker-Sache! Ein wichtiger Einnahmehinweis dazu: Da es sich um ein fettlösliches Vitamin handelt, kann der Körper den Wirkstoff am besten zusammen mit fetthaltigen Nahrungsmitteln aufnehmen.
Auch wenn die Enzymtherapie einen Dauerzankapfel verschiedener Disziplinen darstellt, positive Erfahrungsberichte mit diesen Präparaten (z. B. Phlogenzym®, Wobenzym® N) können nicht geleugnet werden. Als additive Therapie sollen sie bei rheumatischen Erkrankungen vor allem die Symptome Schmerz, Schwellung und Entzündung günstig beeinflussen. Daher können prinzipiell auch diese Präparate in die Überlegungen einer ergänzenden Selbstmedikation rheumatischer Beschwerden einbezogen werden.
Das Wichtigste zum Schluss Eine besonders wichtige ergänzende Maßnahme ist eine nicht medikamentöse: Nutzen Sie das Beratungsgespräch dazu, Patienten mit rheumatoiden Beschwerden zu konsequenter, gelenkschonender körperlicher Aktivität wie Radfahren, Schwimmen, Gymnastik, Aquajogging oder Walking zu animieren. Denn darin sind sich die unterschiedlichen Fachdisziplinen ausnahmsweise einig: Schonung oder gar Ruhigstellen der betroffenen Gelenke ist kontraproduktiv, da es deren Versteifung beschleunigt und Fehlbelastungen anderer Gelenke provoziert. Regelmäßiges Muskel -und Gelenktraining kann dagegen die Progredienz der meisten rheumatischen Erkrankungen verlangsamen und trägt zur Mobil–erhaltung des Körpers bei.
Apothekerin Christiane Weber
"Wenn Gelenke schmerzen..." unter dieser Überschrift haben wir Ihnen in der DAZ 37 die Grundlagen zum Thema Rheuma vermittelt: Entstehung, Diagnostik und Therapie sowie die Besonderheiten des kindlichen Rheumas. In diesem Teil möchten wir Ihnen aufzeigen, wie Rheumapatienten zur Selbsthilfe angeleitet werden können.
Der Welt-Rheuma-Tag wurde erstmals 1996 von der Arthritis and Rheumatism International (Ari) ins Leben gerufen, der internationalen Vereinigung von Selbsthilfeverbänden Rheumabetroffener. Seitdem findet er immer am 12. Oktober statt. Die Deutsche Rheuma-Liga wird anlässlich des diesjährigen Welt-Rheuma-Tages erstmals einen Aktionsplan vorstellen, in dem Versorgungslücken aufgezeigt und umfassende Aktionsschritte beschrieben sind. Angelehnt an die Kampagne "Früher ist besser" soll darauf hingewirkt werden, Neuerkrankungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, Krankheitsfolgen zu mindern und eine Teilnahme am gesellschaftlichen und beruflichen Leben zu ermöglichen.
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