Deutscher Apothekertag 2006

Hallo, hört uns jemand?

Abgesehen von ein paar lauten Trillerpfeifen bei einer einstündigen Protestshow im Kongresssaal war es ein Apothekertag der leisen Töne, so leise, dass uns nicht einmal die Medien wahrgenommen haben. Die Politik ignorierte den Apothekertag weitgehend, die Grußworte waren bescheiden, ein Medienecho nicht zu hören und die Delegierten arbeiteten unter ihrem Präsidenten ruhig und gelassen an einer pharmazeutischen Zukunft. Arbeitsstimmung eben, business as usual Ť und draußen in der wirklichen Welt versucht die Koalition die Apotheker in einen mörderischen Wettbewerb zu schicken, den viele nicht aushalten, und ausländische Kapitalgesellschaften wollen über die Rechtsprechung die Kettenapotheken einführen.

Die Richtung, die unser ABDA-Präsident für die Politik der Apotheker vorgibt, hat er in seinem Lagebericht skizziert: "Lobbyarbeit ist leise. Sie geschieht in Dialog und in der Auseinandersetzung. Mit Haut-den-Lukas-Kampagnen war und ist die Politik nicht zu beeindrucken. Wir haben immer den konstruktiven Dialog gesucht, und wir pflügen eine gerade Furche." Man sei zwar auch bereit, so der Nachsatz des Präsidenten, für eine klare Strategie der Eskalation einzutreten - eine Kampagne sei dafür vorbereitet. Sollte diese aber ähnlich ablaufen wie die Protestshow in München, dann ist verständlich, wenn uns keiner mehr hört oder ernst nimmt.

Ein Leitgedanke zog sich durch die Arbeit des Apothekertags: "Die Zukunft des Apothekers wird pharmazeutisch entschieden." Und so bemühten sich die beiden Arbeitskreise und die Antragsberatungen, pharmazeutische Tätigkeiten des Apothekers herauszuarbeiten, die ihn als Heilberufler - und nicht als Kaufmann - auszeichnen und in unserer Gesellschaft unersetzlich machen sollen. Nachdem Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln weitgehend entfallen sind, die Distribution als gegeben hingenommen wird, bleiben dem Apotheker andere Aufgaben: an erster Stelle die Beratung, dann die pharmazeutische Betreuung, außerdem pharmazeutische Dienstleistungen und in nächster Zukunft die Prävention - Themen, mit denen sich der diesjährige Apothekertag befasste. Wenn es richtig gemacht wird, dann werden diese Tätigkeiten den Apotheker unersetzbar machen und ihm einen festen Platz im Gesundheitswesen zuweisen.

Auf den nachfolgenden Seiten haben wir Lage- und Geschäftsbericht zusammengefasst, wir berichten über die Arbeitskreise und die Anträge und schildern unsere Eindrücke von der Protestaktion. Gespickt haben wir den Bericht mit unseren persönlichen Kommentaren, Meinungen und Randnotizen, die Sie zum Nachdenken anregen mögen. Doch zunächst: das Wichtigste in Kürze

Das war der Apothekertag

Grußworte

Wer gehofft hatte, auf dem Deutschen Apothekertag 2006 mit wichtigen Vertretern bundesdeutscher Gesundheitspolitik zusammenzutreffen, wurde enttäuscht. Mit Verweis auf ihre Teilnahme an Beratungen zur Gesundheitsreform hatten Dr. Klaus Theo Schröder, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, und Dr. Carola Reimann, Gesundheitssprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, ihr Kommen abgesagt.

Die bayerische Sozialministerin Christa Stewens bekannte sich in ihren Grußworten für den Erhalt der flächendeckenden Arzneimittelversorgung und gegen Apotheken in der Hand von Kapitalgesellschaften. Dr. Konrad Schily (FDP) Mitglied des Bundestagsausschusses für Gesundheit mahnte die Rückbesinnung auf die Werte der sozialen Marktwirtschaft an. Der Präsident der Österreichischen Apothekerkammer Mag. Pharm. Dr. Herbert Cabana, zeigte am Beispiel Österreich, dass Apotheker durchaus alle politisch Verantwortlichen von den Vorteilen überzeugen können, wenn eine Apotheke im Besitz und unter der Führung eines Apothekers ist.

Grußworte überbrachte auch - ein Novum - die Vorsitzende der Apothekengewerkschaft Adexa, Monika Oppenkowski. Sie machte auf die Sorgen der Apothekenangestellten aufmerksam: die Gesundheitsreform könnte zu Personaleinsparungen in Apotheken führen.

Der Geschäftsbericht

Die geplante Gesundheitsreform hatte der Hauptgeschäftsführer der ABDA, Dr. Hans-Jürgen Seitz, an den Anfang seines Geschäftsberichts gestellt. An dem vorliegenden Arbeitsentwurf übte er deutlich Kritik, das Papier habe sich von den koalitionär vereinbarten Zielen in den Eckpunkten entfernt und setzte sich über berechtigte Interessen der Bürger und der am Gesundheitswesen Beteiligten hinweg. Man lehne es kategorisch ab, für finanzpolitische Transaktionen mit 500 Millionen Euro plus ruinösem Preis- und Margendumping in die Haftung genommen zu werden. Unter dem Motto "Gute Argumente für eine bessere Reform" will die ABDA mit einer Vielzahl von Maßnahmen, von Zeitungsanzeigen bis hin zu verschiedenen regionalen Aktivitäten, Position zum geplanten Gesetzeswerk ziehen.

Beim Thema Fremd- und Mehrbesitzverbot sei äußerste Wachsamkeit angebracht, siehe den Fall Hecken/DocMorris. Die ABDA kämpft mit allen rechtsstaatlichen Mitteln dafür, dass dieser einmalige Vorgang keinen Bestand hat. Den Versandhandel hält Seitz mittlerweile für entzaubert, sein Marktanteil beträgt nur um die 1%.

Aufmerksam wird die industrielle Verblisterung verfolgt, insbesondere der laufende Testversuch im Saarland. Hier stellt sich auch die Frage, ob die zu erwartenden Mehrkosten von den gesetzlichen Krankenversicherungen getragen werden. Für die niedergelassene deutsche Apotheke ergibt sich derzeit ein noch nie da gewesenes Bedrohungsszenario, so Seitz. Würden die umstrittenen Arbeitsentwürfe umgesetzt, würde dies die inhabergeführte Apotheke infrage stellen. "Wettbewerbliche" Ausführungen in den Arbeitsentwürfen scheinen den niedergelassenen Apotheker weg vom Heilberuf und hin zum Kaufmann zu drängen. Hier stellte Seitz klar: die ABDA hat sich in intensivsten politischen Gesprächen klar für den Heilberuf und ein daraus abgeleitetes Wettbewerbsmodell stark gemacht.

Der Lagebericht

Auch ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf stellte die geplante Gesundheitsreform in den Mittelpunkt seines Lageberichts. Sogar gute Ansätze in einzelnen Punkten wirken sich in dem Gesamtkontext des geplanten Gesetzes so negativ aus, dass das System der freiberuflichen Arzneimittelversorgung nach 750 Jahren zerstört wird. Wolf: Wir können und werden diesen Arbeitsentwurf so nicht mittragen." Der Arbeitsentwurf ist ein Frontalangriff auf das Berufsbild des Apothekers. Der Apotheker soll zum bloßen Arzneimittelverteiler degradiert werden. Man wolle zwar Reformen und Fortschritte, so Wolf, Apotheker seien keine Neinsager oder Verhinderer, aber man wende sich gegen systemzerstörenden Nonsens.

Weitere Gefahren drohen den Apotheken von der widerrechtlichen Erteilung einer Apothekenbetriebserlaubnis an eine ausländische Kapitalgesellschaft im Saarland. Immerhin hat die Bundesregierung erklärt, dass sie nicht - wie beim Versandhandel - vorschnell aufgrund vermuteter Entscheidungen des EuGH vorab deutsche Gesetze ändern will, sondern die höchstrichterliche Entscheidung zum deutschen Apothekenrecht abwarten wird.

Wolf rechtfertigte die "leise Lobbyarbeit" der ABDA, den konstruktiven Dialog mit den Politikern. Lehnt die Politik den Dialog aber ab, ist man bereit, für eine klare Strategie der Eskalation.

Pharmazeutische Dienstleistungen

Ein Arbeitskreis des deutschen Apothekertags befasste sich mit pharmazeutischen Dienstleistungen für die Patienten. Die Teilnehmer diskutierten Möglichkeiten und Strategien, wie die Apotheker sich künftig noch stärker als Heilberuf profilieren können. Apotheker könnten beispielsweise noch stärker die Rolle als Diabetesberater ausfüllen. Lifestyle-Prävention des Typ-2-Diabetes funktioniert und ist kosteneffektiv, bei der Umsetzung gibt es allerdings doch viel zu tun und zu verbessern. Der "Leitfaden Prävention des Diabetes-mellitus-Typ 2" ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Pharmazeutische Betreuung muss für den Patienten täglich erlebbar sein, beispielsweise auch mit der Durchführung von Interaktionschecks. Die Software für die pharmazeutische Betreuung muss ausgebaut werden. Langfristig ist eine Honorierung dieser Dienstleistung anzustreben.

Eine wichtige Aufgabe für den Apotheker ist die Stärkung der Compliance, dies vor allem in einer immer älter werdenden, multimorbiden und multitherapierten Gesellschaft. Auch hier ist eine Honorierung denkbar.

Immer wieder problematisch im Apothekenalltag: die Schnittstelle zwischen stationärer und ambulanter Versorgung von Patienten. Am Beispiel des Braunschweiger Projekts "Entlassungsmanagement" erfuhr man, wie eine sektorenübergreifende, interdisziplinäre pharmazeutische Betreuung gewährleistet wird. Eckpunkte dieses Projekts sind die Apotheker auf Visite, ein Abschlussgespräch des Apothekers mit dem Patienten bei dessen Entlassung und die Organisation der ambulanten Versorgung nach der Entlassung durch Kommunikation mit dem Hausarzt und der Hausapotheke.

Wirtschaftliche Verantwortung für die Arzneimittelversorgung

Der zweite Arbeitskreis des Apothekertags befasste sich mit der wirtschaftlichen Verantwortung für die Arzneimittelversorgung. Es sei erkennbar, dass die Gesellschaft diese Verantwortung neu justieren wolle. Der Apothekertag diskutierte, wie sich die Apotheker hier einbringen und welche Beziehungen sich dabei zu den Ärzten und Krankenkassen ergeben können.

Nach Ansicht des Krankenkassenvertreters können öffentliche Apotheken künftig nur noch im Rahmen der pharmazeutischen Betreuung neue Funktionen hinzugewinnen. Aus Sicht der Ärzte ist eine Teilung von Aufgaben und Verantwortung grundsätzlich möglich, setzt aber eindeutige Abgrenzungen und mehr Kommunikation voraus und muss auch zur Teilung der Haftung und der gesundheitspolitischen "Sorgen" führen.

Die Apotheker wiederum sind davon überzeugt, dass Versorgungsqualität, Flächendeckung und ein gutes Preis-Leistungsverhältnis im System gefragt sind. Für die Patienten müsse der Apotheker Heilberufler und Problemlöser sein, die Ärzte wünschten sich den Apotheker als professionellen Ansprechpartner, der sie bei der Förderung der Compliance unterstützt. Als Werkzeuge für die effiziente Versorgung könnten die Hausapotheke, die Medikationsdatei mit dazugehörigen Auswertungen, die Beratung und lokale Arzt-Apotheker-Kooporationen dienen. Als Werkzeuge für die Preis- und Mengensteuerung könnten Wirkstoffverordnungen, Kollektivverträge und die flächendeckende Dokumentation dienen, Leistungen, die nur die Apotheken über die Rezeptauswertung bieten könnten. Der Arbeitskreis schloss optimistisch, man hoffe, dass die Apotheker viel und schnell genug lernen.

Die Protestveranstaltung

Unter dem Motto "Gute Gründe für ein besseres Gesetz" hatte die ABDA am Samstag, 23. September 2006, zu einer Protestveranstaltung in den großen Kongresssaal des Münchner Internationalen Congress-Centrums eingeladen. Rund 1000 Apothekerinnen und Apotheker waren dem Aufruf gefolgt, hatten sich mit Buttons und Trillerpfeifen, einige auch mit Plakaten ausgerüstet, um zusammen mit Partnern im Gesundheitswesen die guten Gründe gegen die Reform deutlich und lautstark zu artikulieren. Die Statements zeigten, dass die Ablehnung des Gesetzes quer durch alle Professionen im Gesundheitswesen geht und auch die Patienten nur Nachteile durch dieses Gesetzeswerk befürchten. Mit 15 plakativen Thesen versuchte die ABDA am Schluss der einstündigen Veranstaltung, ihre ablehnende Haltung mediengerecht darzustellen. Nur: Es waren - außer der Fachpresse - keine Medien anwesend. Und so erfuhr die Bevölkerung nichts von den Protestanstrengungen der Apotheker.

Die Anträge

  • Die heilberufliche Kompetenz von Apothekerinnen und Apotheker soll weiter ausgebaut und stärker in den gesellschaftlichen Fokus gerückt werden.

  • Der saarländische Ministerpräsident wird aufgefordert, die an die DocMorris-Apotheke erteilte Betriebserlaubnis unverzüglich zu widerrufen.

  • Die Bundesregierung soll am apothekenrechtlichen Fremd- und Mehrbesitzverbot festhalten.

  • Der Gesetzgeber wird aufgefordert, auf apothekenpflichtige Humanarzneimittel nur den reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7% zu erheben.

  • Apothekerinnen und Apotheker sollen sich verstärkt in anerkannte Konzepte zur Prävention einbringen.

  • Die ABDA soll einen Katalog neuer pharmazeutischer Dienstleistungen entwickeln, die zukünftig als Präventionsmaßnahmen in jeder Apotheke ausgeführt werden können.

  • Der nächste deutsche Apothekertag und Tag der Apotheke" soll sich mit dem Thema Prävention mit und durch Pharmazie beschäftigen.

  • Die ABDA soll ein Gesamtkonzept erstellen, das die zukünftige Rolle von Apothekerinnen und Apothekern beschreibt, die sie in eine Gesellschaft einnehmen können, deren Menschen immer älter werden.

  • Politiker und gesetzliche Krankenkassen sollen aufgefordert werden, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass durch Ausbau der Einbeziehung der Apotheken in die wirtschaftliche Verantwortung für die Arzneimittelversorgung durch erweiterte Auswahlmöglichkeiten Effizienzreserven erschlossen werden können.

  • Am bundeseinheitlichen Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel soll festgehalten werden.

  • Der Gesetzgeber soll vor dem Hintergrund des Eckpunktepapiers die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln durch Wohnort nach Apotheken sicherstellen.

  • Die im Eckpunktepapier vorgesehene Haftung der Apotheker für nicht erreichte Einsparungen der gesetzlichen Krankenversicherung wird abgelehnt.

  • Die Arzneimittelpreisverordnung soll nicht auf Höchstpreise umgestellt werden.

  • Die Rechtsbeziehungen der Apotheker zu den Krankenkassen sollen wieder dem Wettbewerbs- und Kartellrecht unterstellt werden. Außerdem sollen das Sozialgerichtsgesetz und das Kartellgesetz so geändert werden, dass für Klagen von Apothekern gegen Krankenkassen statt des Sozialrechtswegs wieder der ordentliche Rechtsweg gegeben ist.

  • Die PTA-Ausbildung soll durch eine Novellierung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für PTA den aktuellen Berufsaufgaben in der Apotheke angepasst werden.

  • Das Bundesgesundheitsministerium soll darauf hinwirken, dass bedenkliche, insbesondere gefälschte Arzneimittel nicht in Verkehr gebracht werden können.

  • ABDATA soll prüfen, ob bereits vorhandenes Fachwissen in ein elektronisches Expertensystem eingespeist werden kann mit dem es möglich ist, Handlungsoptionen für den Fall abzufragen, dass aufgrund prädiktiver genetischer Tests Funktionseinschränkungen bei Cytochromen oder Transporter offensichtlich sind.

  • Arzneimittel der traditionellen chinesischen Medizin sollen der Apothekenpflicht unterstellt werden.

  • Hersteller und Vertreiber von Arzneistoffen (Rezeptursubstanzen), Chemikalien und Drogen sollen die Qualität dieser Grundstoffe in ihren jeweiligen Verhältnissen und Verpackungen bis zum Ende der Verwendbarkeitfrist gewährleisten.

  • Im ABDA-Artikelstamm sollen diejenigen Arzneimittel besonders gekennzeichnet werden, die temporär nicht verfügbar sind.

  • Das saarländische Justizministerium soll die Mitglieder seiner Arbeitsgruppe nennen, die die Betriebserlaubnis für DocMorris vorbereitet hat.

  • Die ABDA soll sich dafür einsetzen, dass die klinische Pharmazie an den Hochschulen ausgeweitet wird und mehr eigenständige Professuren geschaffen werden.

  • Der Gesetzgeber soll ein Rauchverbot in öffentlichen Bereichen einführen.

Den vollständigen Bericht vom Deutschen Apothekertag 2006 finden Sie in Kürze im Bereich "Kongressberichte"

Abgesehen von ein paar lauten Trillerpfeifen bei einer einstündigen Protest-Show im Kongresssaal war es ein Apothekertag der leisen Töne - viel business as usual. Politik und Medien ignorierten den Apothekertag weitgehend, die Delegierten bastelten an einer pharmazeutischen Zukunft. Berufspolitisch kam ein klares Nein zur geplanten Gesundheitsreform. Ein Leitgedanke zog sich durch die Arbeit des Apothekertags: "Die Zukunft des Apothekers wird pharmazeutisch entschieden." Die beiden Arbeitskreise und die Antragsberatungen bemühten sich darum, pharmazeutische Tätigkeiten des Apothekers herauszuarbeiten, die ihn als Heilberufler – und nicht als Kaufmann - auszeichnen und in unserer Gesellschaft unersetzlich machen sollen.

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