Arzneimittel und Therapie

Interview: "Restrisiko bei extrem ausgeprägtem Abusus möglich"

Die Veröffentlichung von Mihatsch und Koll. zur Analgetika-Nephropathie hat für Aufsehen gesorgt. Mihatsch sieht danach seine eigene Hypothese, dass Paracetamol als Hauptmetabolit von Phenacetin verantwortlich für die Analgetika-Niere ist, als widerlegt an. Wir wollten wissen, wie die Ergebnisse der Basler Studie in Deutschland gesehen werden und haben mit dem Nephrologen Prof. Dr. Bernhard Krämer, Regensburg, gesprochen.

d:

Herr Professor Krämer, wie häufig wird in Deutschland eine Analgetika-Niere diagnostiziert?

Krämer:

Die Diagnose wird insgesamt nur noch sehr selten gestellt, abnehmend von etwa 10 bis 20% als Phenacetin noch auf dem Markt verfügbar war auf wohl weit unter 1% zum heutigen Zeitpunkt.

d:

Welche Substanzen werden dafür nach Marktrücknahme von Phenacetin Mitte der 1980er Jahre verantwortlich gemacht?

Krämer:

Je nach Studie werden Mischanalgetika, hochdosierte nicht-steroidale Antirheumatika (NSAIDs) und hochdosiertes Paracetamol genannt. Jedoch wird auch von zunehmend mehr Studien bestritten, dass die genannten Substanzen überhaupt eine Analgetika-Nephropathie auslösen können. Hierzu gehören beispielsweise die groß angelegte SAN-Studie unter Leitung von van der Woude aus Mannheim, in der etwa 1000 inzidente Dialysepatienten unter 50 Jahren mit etwa 4000 Kontrollen in Deutschland und Österreich hinsichtlich der Analgetika-Einnahme verglichen worden sind und auch die von Ihnen zitierte Untersuchung von Mihatsch et al.

d:

Welche Schlussfolgerung lässt sich aus diesen Arbeiten ziehen?

Krämer:

Das Neuauftreten einer Analgetika-Nephropathie stellt mittlerweile offensichtlich ein extrem seltenes Ereignis dar. Somit könnte man optimistischerweise ein komplettes Verschwinden der Analgetika-–Nephropathie annehmen oder zumindest eine dramatische Abnahme des Risikos postulieren mit einem möglichen Restrisiko bei extrem ausgeprägtem Analgetikaabusus.

d:

Können wir wirklich den Begriff Analgetika-Niere aus den Lehrbüchern streichen, sind Paracetamol und damit die Kombinationsanalgetika rehabilitiert?

Krämer:

Die Bedeutung des Begriffs Analgetika-Nephropathie für den klinischen Alltag kann zumindest erheblich relativiert werden, was gleichzeitig eine Rehabilitation von Paracetamol und Kombinationsanalgetika sicherlich bei geringer und mäßiggradiger Dosierung bedeutet.

d:

Die Analgetika-Nephropathie muss abgegrenzt werden von anderen Schäden, die Analgetika den Nieren zufügen können. Welche Auswirkungen haben Paracetamol, hochdosierte NSAIDs und COX-2-Hemmer auf die Nieren?

Krämer:

NSAIDs und COX-2-Hemmer erhöhen das Risiko für ein akutes Nierenversagen dosisabhängig bis zu 8,5fach und das Risiko einer Exazerbation einer Herzinsuffizienz bis zu 10fach. Sie führen sehr häufig zu einer Natriumretention und erhöhen den Blutdruck um bis zu 5 mmHg.

d:

Wie sind Berichte zu Nierenversagen unter Rofecoxib und Celecoxib zu bewerten?

Krämer:

Das Risiko des Auslösens eines akuten Nierenversagens besteht dosisabhängig (und eventuell halbwertszeitabhängig) unter COX-2-Hemmern in ähnlicher Weise wie unter klassischen NSAIDs. COX-2-Hemmer sind somit nicht als "renoprotektiv" zu bewerten.

d:

Herr Professor Krämer, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Gespräch führte Dr. Doris Uhl.

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