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Risiko Cumarin – Weihnachten ohne Zimtsterne? (Außenansicht)
Die ZDF-Sendung Frontal hat uns in ihrer Ausgabe vom 16. Oktober die Zimtsterne zu Weihnachten gründlich vermiest (natürlich verantwortungsbewusst). Frontal warnt vor Zimtsternen und berichtet, dass Lebensmittelkontrolleure in Nord–rhein-Westfalen schon im Januar, also unmittelbar nach Ende des vergangenen Weihnachtsgeschäftes, dieses Gebäck untersucht und dabei festgestellt hätten, dass in ihm der zulässige Grenzwert für Cumarin deutlich, in einem Fall sogar um das Vierzigfache, überschritten wurde. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat daraufhin das gesundheitliche Risiko, das von Cumarin in zimthaltigen Lebensmitteln ausgehen kann, bewertet und eine tolerierbare tägliche Aufnahmemenge von 0,1 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht festgelegt (s. a. DAZ Nr. 43/2006, S. 34). Laut Aussagen des BfR bedeutet dies beispielsweise für Kleinkinder, dass die tolerierbare tägliche Aufnahmemenge schon durch drei Zimtsterne ausgeschöpft sein kann. ("Im Zweifelsfall fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker".)
Obwohl die behördliche und mediale Warnung für das letztjährige Weihnachtsfest zu spät kam und Zimtsterne von den (glücklicherweise) ahnungslosen Verbrauchern vermutlich im gewohnten Maße und mit Genuss verzehrt wurden, scheint an ihnen doch niemand gesundheitlichen Schaden genommen zu haben, sonst hätte Frontal sicher schon früher darüber berichtet.
Cumarin ist ein Aromastoff, der in vielen Pflanzen enthalten ist, unter anderem in bestimmten Zimtarten. Zimt wird als Gewürz in kleinen Mengen seit Jahrtausenden genossen, ohne dass es zu Nebenwirkungen gekommen wäre. Länger und in größeren Mengen eingenommen kann Zimt (in erster Linie die Cumarine) Leberschäden verursachen. Auch steht er (wie so viele andere Pflanzenbestandteile) im Verdacht, Krebs auszulösen. Problematisch sei bei industriell hergestelltem Gebäck vor allem die häufige Verwendung des Cassia-Zimts, der im Vergleich zum teureren Ceylon-Zimt sehr hohe Werte des Aromastoffs aufweist.
Verständlicherweise völlig anders sieht das Ganze die deutsche Süßwarenindustrie. Deren Bundesverband teilte (unter Verweis auf Studien der europäischen und amerikanischen Behörde für Lebensmittelsicherheit) knapp und bündig mit, dass vom Klassiker unter den Weihnachtsplätzchen keine gesundheitlichen Gefahren drohen. Maßvoll verzehrt sei das Gebäck völlig unbedenklich.
Also was nun, woran sollen wir Verbraucher uns halten? Toleranz- und Grenzwerte – wie die von natürlichen oder chemischen Zusätzen in Lebensmitteln – beruhen letztlich auf Abschätzungen der möglichen Schädigungen für Mensch und Umwelt. Da die Zusammenhänge aber meist komplex sind, müssen Grenzwerte in vielen Fällen auch ohne genaue Kenntnisse über die jeweils zutreffenden Dosis-Wirkungs-Beziehungen festgelegt werden. Was dabei interessiert, ist die Frage, ob die natürlichen Inhaltsstoffe, Zusatzstoffe, Rückstände und Verunreinigungen in den Lebensmitteln einen so hohen Gehalt aufweisen, dass sie Schadstoffcharakter annehmen. Es kommt also auf die Frage an, wieviel man wovon täglich essen darf, ohne Schaden zu nehmen.
So ein Grenzwert garantiert natürlich keinen absoluten Schutz, er stellt den bestmöglichen Schätzwert dar und beruht auf Analysen, Tierversuchen und Beobachtungen. Offen bleiben müssen Fragen der gesundheitlichen Risikobewertung von Langzeitwirkungen, der Summationseffekte beziehungsweise möglicher Wechselwirkungen mit den in einer Vielfalt aufgenommenen anderen Stoffen.
Wir müssen uns also darüber im Klaren sein, dass Grenzwerte keine absoluten Werte und kurzfristige Überschreitungen in der Regel ohne Folgen für die Gesundheit sind. Derartige Grenzwerte und die daraus abgeleiteten Richtlinien und Vorschriften sollten daher als "Experimente" betrachtet werden, die sorgfältig geplant, überwacht und gegebenenfalls – wenn neue Erkenntnisse dies notwendig erscheinen lassen – revidiert werden müssen. Nur so lässt sich die Zweckmäßigkeit solcher Vorschriften für uns feststellen.
Sicherheit in Bezug auf unsere Nahrung ist ein wichtiges Thema. Doch unsere größte Aufmerksamkeit sollten wir weniger den möglichen als vielmehr den wahrscheinlichen Bedrohungen widmen. Verzerrte Vorstellungen bewirken, dass heute unverhältnismäßig hohe Anforderungen an die Risikominimierung bestimmter Lebensmittelbestandteile gestellt werden, die relativ unwichtig sind. Würden die gleichen Sicherheitsmaßnahmen, wie sie in der Lebensmittelchemie üblich und vorgeschrieben sind, auf Bestandteile von Naturprodukten angewendet, wir dürften nicht nur nicht mehr Zimtsterne, sondern auch keinen schwarzen Pfeffer, –Petersilie oder Senf zu uns neh–men, denn sie alle enthalten gefährliche, teils sogar krebserregende Stoffe.
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