Influenza

I. Zündorf, T. DingermannDie drohende Influenza-Pan

Nach Ansicht vieler Experten ist es heute keine Frage mehr, ob eine Influenza-Pandemie kommt, sondern nur noch, wann sie kommt. Diese Frage kann allerdings natürlich keiner beantworten, weshalb alles daran zu setzen ist, sich so gut wie möglich auf den Ernstfall vorzubereiten und bei diesen Bemühungen möglichst keine Zeit zu verlieren. Doch selbst für den Fall, dass man gut gerüstet ist, rechnen Experten mit Chaos, Panik und mit vielen Toten. Zwar wird die Zahl der Todesfälle bei weitem nicht die Größenordnung erreichen, die während der Spanischen Grippe in den Jahren 1918/19 erreicht wurde. Aber auch die aktuell prognostizierten Zahlen sind erschreckend. Man rechnet mit bis zu 160.000 Toten, mit bis zu 600.000 Krankenhauseinweisungen und mit ca. 22.000.000 Arztkonsultationen.

Influenza-A-Virus: ein schlampiges, launenhaftes und promiskuitives Virus

Influenzaviren gehören zur Familie der Orthomyxoviren. Von den drei bekannten Typen A, B und C sind jedoch nur die Typen A und B als Grippe-Erreger von Bedeutung. Typ-C-Viren verursachen Infektionen, die in der Regel symptomfrei oder nur mit leichten Symptomen verlaufen. Typ-B-Viren verursachen deutlich schwerere Erkrankungen, von denen besonders Kinder betroffen sind. Die größten Probleme verursachen allerdings Typ-A-Viren.

Während das Typ-C-Genom relativ stabil ist, unterliegen die Genome der A- und B-Typen einer großen Mutationsfrequenz. Diese ist bei Influenza-A-Viren besonders ausgeprägt. Hinzu kommt, dass Influenza-A-Viren (im Gegensatz zu Typ-B- und Typ-C-Viren) auch Schweine, Pferde, Meeressäuger und Vögel infizieren.

Klassifiziert werden die Influenza-A-Viren (Abb. 1) anhand der beiden Oberflächenproteine Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N). Hämagglutinin ist für die Bindung des Virus an die Wirtszelle verantwortlich, die Neuraminidase sorgt dafür, dass sich die Nachkommen-Viren von der Wirtszelle ablösen können. Bisher sind 16 verschiedene Hämagglutinin- und 9 Neuraminidase-Subtypen bekannt. Mehrheitlich infizieren diese Influenzaviren ausschließlich Vögel oder nicht-menschliche Säuger. Sie können in Seevögeln teils symptomlos persistieren, die damit eine nachhaltige Quelle ungeheuer divergenter Influenza-A-Viren darstellen.

Die große Heterogenität dieser Viren beruht auf zwei Hauptproblemen.

1. Influenza-A-Viren besitzen RNA-Genome mit negativ-strängiger Polarität. Daraus resultiert deshalb eine große Variabilität, da bei der Replikation dieser Genome eine Korrekturfunktion, wie sie bei der Replikation von DNA üblich ist, fehlt. RNA-Polymerasen sind um den Faktor 1000 ungenauer als DNA-Polymerasen.

2. Das RNA-Genom der Influenzaviren besteht aus 8 Segmenten, die für zehn strukturelle und nicht-strukturelle Proteine, z. B. auch für das Hämagglutinin und die Neuraminidase, kodieren. Befinden sich in einer Zelle zwei Influenza-A-Genome, können die RNA-Segmente nach ihrer Replikation in beliebiger Kombination zu neuen Viren assembliert werden.

Die erste Eigenschaft führt zum antigenic drift, eine konstante aber schrittweise Variation des viralen Genoms. Die zweite Eigenschaft führt zum antigenic shift, wobei Reassortanten entstehen, die völlig neue pathogene und immunologische Eigenschaften aufweisen können.

Die Virus-Influenza, eine ignorierte Infektionskrankheit

Bis heute zeigten nur Influenza-A-Viren der Subtypen H1, H2 und H3 einen humanen Tropismus und sind folglich die Ursache für die so genannte Virus-Grippe. Dass dies keine triviale Krankheit ist, zeigt u.a. die Tatsache, dass eine Virus-Influenza eine meldepflichtige Krankheit ist und ihre Verbreitung engmaschig überwacht wird (http://influenza.rki.de). Aus diesem Grund sind die epidemiologischen Erkenntnisse relativ zuverlässig und gleichzeitig extrem erschreckend.

Im Durchschnitt verursacht eine "normale Grippewelle", welche die nördliche Hemisphäre jeden Winter heimsucht, allein in Deutschland 8.000 Todesfälle, weltweit sogar bis zu 500.000 im Jahr. Welchen Schaden die Grippewellen der letzten drei Saisons verursacht haben, zeigt die entsprechende RKI-Statistik (Tab. 1).

Es könnten sehr viel weniger Tote sein, wenn sich vor allem die Risikogruppen, wie zum Beispiel alte Menschen, impfen ließen. Aber die Verwechslung mit dem gemeinen Schnupfen und die Tatsache, dass jährlich neu geimpft werden muss, führen zu Sorglosigkeit und Nachlässigkeit.

Humanpathogene Influenza-Viren induzieren eine Virus-neutralisierende Immunantwort, die sich fast ausschließlich in der Bildung Hämagglutinin-spezifischer Antikörper manifestiert. Eine T-Zell-spezifische Immunantwort spielt bei Influenzavirus-Infektionen eine untergeordnete Rolle. Dies zeigt sich insbesondere in der Tatsache, dass nach Infektion und Erkrankung kein wirklich effektiver, stammübergreifender Langzeitschutz etabliert werden kann, der jederzeit auffrischbar ist und somit auf die Existenz eines immunologischen Gedächtnisses schließen lässt, das spezifisch gegen stabile Komponenten der Influenzaviren gerichtet ist.

Hinzu kommt, dass die Virusgenome mit hoher Frequenz Mutationen akkumulieren, wodurch sich die antigenen Eigenschaften der Hämagglutinin-Moleküle in schneller Abfolge ändern. Dieses Phänomen der permanenten Modifikation des Hämagglutinins ist die relevanteste Konsequenz des für den oben bereits erwähnten antigenic drifts.

Das erklärt auch, warum in kurzen Abständen, im Allgemeinen jährlich, die Zusammensetzung der Influenzaimpfstoffe für einen oder mehrere der jeweils zirkulierenden humanpathogenen Influenzavirusstämme angepasst werden muss und warum man sich jährlich durch eine neue Impfung schützen muss.

Zwischenzeitlich empfiehlt die STIKO den bekannten Risikogruppen diese jährliche Impfung gegen eine Influenza-Infektion. In Deutschland betrifft dies alle Menschen über 60 Jahre sowie Menschen aller Altersgruppen, die unter Grunderkrankungen (u. a. Stoffwechselkrankheiten, Immundefekte, chronische Erkrankungen der Atemwege und des Herz-Kreislaufsystems) leiden. Wie sich dies in unserer Deutschen Gesellschaft darstellt, zeigt Tabelle 2, in der absolute und prozentuale Anteile der verschiedenen Bevölkerungsgruppen und der Anteil an Risikogruppen für Deutschland aufgeführt sind. Darüber hinaus ist die Impfung all denjenigen empfohlen, die häufigen Kontakt zu anderen Menschen – insbesondere auch zu Menschen der Risikogruppen – haben. Dazu gehören auch alle medizinischen und Pflegeberufe.

Obwohl sich die Durchimpfungsraten in den letzten Jahren verbessert haben, können sie mit 24 % (im Jahr für die Saison 2003/04) bezogen auf die Gesamtbevölkerung (Tab. 3) [RKI, Epid. Bull. 14/04], mit 33% für die empfohlenen Zielgruppen und mit schätzungsweise 10–15% für medizinisches und Pflegepersonal keineswegs als befriedigend gelten. Diese Einschätzung wird auch unterstützt durch die Anzahl der verkauften Impfdosen (17,3 Millionen Impfdosen der Saison 2003/04), die unter der Zahl der zu den Risikogruppen gehörenden Personen in Deutschland von ca. 22 Millionen liegt. Das kann sich noch einmal rächen. Sollte es nämlich bei der Herstellung eines Pandemieimpfstoffes zu Schwierigkeiten kommen, so dass eine nicht ausreichende Zahl von Impfdosen zeitnah produziert werden kann, so wird Deutschland von den beiden in Deutschland produzierenden Impfstoffwerken in dem relativen Maß versorgt werden, wie es in der Vergangenheit Influenza-A-Impfdosen abgenommen hat.

Aus diesem Grund gilt es, durch entsprechende Aufklärungsmaßnahmen eine Erhöhung der Durchimpfungsraten zu erreichen. Dies erfordert auch die Bereitstellung ausreichender Mittel, was ausdrücklich im Pandemieplan gefordert wird. Entsprechende Konzepte sollten von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aufgestellt und die Kosten ermittelt werden.

Bei den in Deutschland zugelassenen Influenza-A-Impfstoffen handelt es sich um so genannte trivalente Spalt- bzw. Subunitvakzine (nur Oberflächenbestandteile) von drei zirkulierenden Wildtyp-Influenzaviren oder deren Derivate (Reassortanten) (Abb. 2). Es sind also keine vermehrungsfähigen Viren enthalten, sondern nur Bestandteile. Als Hauptbestandteil enthält der Impfstoff mindestens 15 µg Hämagglutinin von jedem der drei Impfstämme. Die Vermehrung der Impfviren bei der Herstellung des Impfstoffes erfolgt in befruchteten und bebrüteten (embryonierten) Hühnereiern. Je nach Aufreinigungsmethode wird pro Impfdosis etwa ein Hühnerei benötigt. Die Impfstoffe sind hoch gereinigt, können aber noch Spuren von Hühnereiweiß und Thiomersal sowie Antibiotika enthalten.

Die Effektivität der Impfung liegt bei 70 – 90% für die Verhinderung der Erkrankung. Bei Immunschwäche oder in höheren Altersgruppen kann der Impfschutz geringer ausfallen. Allerdings ist der Impfstoff bei der älteren Bevölkerung in 56% effektiv in der Verhinderung von Influenza-bedingten Pneumonien und in 68% in der Verhinderung von Todesfällen infolge von Influenza (Gross et al., 1995).

Der Impfstoff ist sehr gut verträglich und Nebenwirkungen beschränken sich meist auf lokale Beschwerden, wie z. B. Rötung, Schwellung oder Schmerzhaftigkeit an der Injektionsstelle oder leichte, für Impfungen typische Allgemeinbeschwerden.

Vogelgrippe = Hühnerpest

Spezielle Influenza-A-Viren, in erster Linie die Subtypen H5 und H7, verursachen vor allem bei Hühnern und Truthähnen eine Krankheit, die früher als Hühnerpest bezeichnet wurde. Heute ist der Ausdruck Vogelgrippe gebräuchlicher.

Normalerweise persistieren diese Viren als schwach pathogene Vogelgrippe-Viren (low pathogenic avian influenza virus = LPAIV) asymptomatisch vor allem in Vögeln der Gattung Anseriformes (Enten und Gänse). Von Zeit zu Zeit wandeln sich diese Viren durch bestimmte Mutationen in hochpathogene Formen (highly pathogenic avian influenza viruses = HPAIV). Diese HPAI-Viren verursachen bei den infizierten Tieren eine plötzlich einsetzende, extrem schwere Krankheit, die nach kurzer Dauer praktisch zu 100% zum Tod führt.

Vor 1997 galt HPAI als eine seltene Krankheit, die allerdings dennoch gefürchtet war, weil sie einen erheblichen ökonomischen Schaden verursachte. In jüngster Zeit hingegen zog die Krankheit eine verstärkte Aufmerksamkeit auf sich, weil sich um 1997 mit dem Subtyp H5N1 ein Stamm etablierte (Perkins and Swayne, 2003), der nicht nur unter Vögeln hoch infektiös und pathogen war, sondern der überraschenderweise auch Säuger (Katzen, Schweine und Menschen) zu infizieren vermochte.

Die Vögel scheiden das Virus in hohen Konzentrationen mit dem Faeces aus (Titer bis zu 108,7 EID50 pro Gramm Faeces). Dabei ist eine EID50 definiert als die Virus-Dosis, die ausreicht, um ein angebrütetes Ei mit 50% Wahrscheinlichkeit zu infizieren. Erstaunlich ist die relativ große Stabilität dieser Viren (Stallknecht 1990 a+b, Lu 2003). Wässrige Virussuspensionen behielten ihre Infektiosität für mehr als 100 Tage bei einer Temperatur von 17 °C. Unter -50 °C lässt sich das Virus praktisch unbegrenzt lagern.

Besonders beunruhigend ist die Eigenschaft der H5N1-Viren, auch Menschen zu infizieren und dort schwere Krankheitssymptome zu verursachen, die in ca. 50% der Fälle zum Tode führen.

Obwohl die Zahl der Menschen, die durch H5N1 infiziert werden, stetig steigt, muss die Infektiosität der Viren für den Menschen (noch) als extrem niedrig angesehen werden. Voraussetzung für eine Ansteckung ist ein intensiver Kontakt mit infizierten Tieren.

Expositionsrisiken sind am höchsten beim Schlachten und Entfedern von Geflügel oder Zubereiten von Geflügelspeisen. Das HPAI H5N1-Virus ist dabei in allen Geweben nachweisbar, so dass alle Gewebe eines infizierten Tieres als infektiös einzustufen sind. Andererseits scheint ausreichend gekocht oder gebratenes Geflügelfleisch nicht infektiös zu sein.

Beunruhigend ist die Beobachtung, dass offensichtlich Enten das H5N1-Virus ausscheiden, ohne Krankheitssymptome zu zeigen. Damit könnten diese Tiere ein verborgenes Reservoir für die gefährlichen Viren darstellen. Hier könnte auch die Erklärung für Infektionen von Menschen liegen, die anscheinend keinen Kontakt zu infiziertem Geflügel hatten.

Bei Ausbrüchen der Geflügelpest in der Tierhaltung wird der gesamte Tierbestand der betroffenen Halter getötet und es werden Quarantänemaßnahmen ergriffen. Die Kadaver werden verbrannt oder auf andere Weise vernichtet. Daher ist die Anzahl der getöteten Tiere regelmäßig sehr viel größer als die Zahl der nachweislich infizierten Tiere. In Deutschland erfolgt die Bekämpfung der Geflügelpest auf Rechtsgrundlage des Tierseuchengesetzes, der Geflügelpest-Verordnung und der Geflügelpestschutzverordnung.

Extrem aktuell – aber ebenso umstritten – ist das Impfen von Geflügelbeständen. Seit zwei Monaten ist eine neue EU-Richtlinie (Direktive 2005/94/EC) in Kraft, die das Prozedere flexibilisiert und Entscheidung weitgehend ins Belieben der Mitgliedstaaten stellt. Weil das Impfen von Tieren lange tabuisiert wurde, sind entscheidende Entwicklungen verzögert worden, so dass derzeit eine Optimallösung tatsächlich nicht verfügbar ist.

Eine ideale Vakzinierung sollte folgende vier Kriterien erfüllen:

  1. Sie sollte vor der Krankheit schützen.
  2. Sie sollte vor Infektion mit virulenten Viren schützen.
  3. Sie sollte das Ausscheiden von Viren verhindern.
  4. Sie sollte eine Unterscheidbarkeit von geimpften und infizierten Tieren zulassen (serological differentiation of infected from vaccinated animals = DIVA Prinzip).
Einen Impfstoff, der alle diese Vorraussetzungen erfüllt, gibt es derzeit nicht. Während der letzten Vogelgrippe-Epidemie vor drei Jahren, die durch den Virus-Typ H7N1 verursacht wurde, entschied man sich in Italien, einige Bestände zu impfen. Um geimpfte von infizierten Tieren unterscheiden zu können, impfte man das Geflügel mit einer abgeschwächten Variante des Erregers H7N3. Dieser Impfstoff schützte vor der H7-Variante und anhand von N3-Antikörpern ließ sich nachweisen, dass die Tiere immunisiert und nicht infiziert waren.

Heute ließen sich mit Hilfe gentechnischer Verfahren sehr viel bessere Impfstoffe herstellen. Allerdings wird das nur geschehen, wenn es einen Markt für diese Impfstoffe gibt. H5N1 hat hier einen Denkprozess initiiert, der durchaus in eine solche Richtung gehen könnte. Allerdings werden noch mindestens zwei bis drei Jahre vergehen, bis ein solcher Impfstoff verfügbar ist.

Dennoch: Die Nachbarstaaten (vor allem Holland und Frankreich) wollen die Impfung. Falls H5N1 auf Nutztierbestände überspringen sollte, wird wohl auch bei deutschen Bauern, Ökobauern und Tierschützern die Forderung nicht lange auf sich warten lassen, lieber zu spritzen als zu keulen.

Das pandemische Risiko

Zweifelsohne stellt die Existenz der H5N1-Variante eine sehr akute Bedrohung für das Auftreten einer neuen Pandemie dar. Von einer Pandemie spricht man dann,

  1. wenn ein Influenza-A-Virussubtyp erstmals beim Menschen auftaucht oder beim Menschen wieder auftaucht, nachdem er mindestens für eine Generation beim Menschen nicht beobachtet wurde,
  2. wenn dieser Influenza-A-Virussubtyp im Menschen effizient repliziert und
  3. wenn der Influenza-A-Virussubtyp leicht und nachhaltig zwischen Menschen übertragen wird.
Bisher sind für die H5N1-Variante lediglich die beiden ersten Bedingungen erfüllt, weshalb wir noch keine Pandemie haben. Andererseits fehlt nur noch eine von drei Bedingungen, was die konkrete Gefahr unterstreicht.

Mit Sicherheit existiert kein immunologischer Schutz beim Menschen gegen H5N1-Varianten, da das Virus als human-pathogenes Virus völlig "neu" ist. Seine human-pathologischen Eigenschaften hat es mit einer Mortalitätsinzidenz von ca. 50% bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Was fehlt, ist eine ausreichende Anpassung an humane Hämagglutin-Rezeptoren, die eine effiziente Mensch-zu-Mensch-Übertragung gewährleistet (Guan, 2004). Erste "Anläufe" in diese Richtung wurden bereits beobachtet. So konnte in vitro gezeigt werden, dass zwei simultane Aminosäure-Austausche in der Rezeptorbindestelle des Hämagglutinin-Proteins der asiatischen HPAIV H5N1-Linie (Q226L and G228S) die Bindung an humane Rezeptoren um den Faktor 2 bis 6 verbessert. Dies entspricht in etwa einer Affinität, die auch für humane Influenza-A-Viren charakteristisch ist (Harvey, 2004). Gambaryan et al. (2006) beschrieben kürzlich zwei H5N1-Varianten, die man von zwei Patienten – einem Vater und seinem Sohn – isoliert hatte, die sich im Jahre 2003 in Hong Kong infiziert hatten. Diese Varianten zeigten ebenfalls eine im Vergleich zu "normalen" H5N1-Varianten um den Faktor 2 bis 6 höhere Affinität für humane Rezeptoren. Hierfür konnte eine einzelne Mutation von Serin nach Asparagin an Position 227 (S227N) der Rezeptorbindestelle verantwortlich gemacht werden (Abb. 3).

Es ist wirklich nicht übertrieben, wenn man davon spricht, dass die Pandemie unmittelbar bevorsteht. Eventuell ist es schon passiert, wenn dieser Artikel erscheint. Es kann aber auch noch dauern. Zuverlässige Vorhersagen sind deshalb nicht möglich, weil hier die beiden wichtigsten Gesetz der Evolution gelten: "Zufall" und "Selektion" (und eben nicht Kreativismus, wie einige Fanatiker einer teils naiven Bevölkerung einzureden versuchen). Klar ist jedoch, dass die Wahrscheinlichkeit direkt mit der Anzahl der zirkulierenden H5N1-Viren korreliert. Nicht zuletzt aus diesem Grund könnte sich ein konsequentes Investment in die Entwicklung eines sehr guten Impfstoffs gegen die aviäre H5N1-Variante als eine der effektivsten Maßnahmen gegen eine neue Pandemie erweisen, wenn es dazu nur nicht bereits zu spät ist.

Pandemische Vakzine

Wie wir gesehen haben, ist eine Vakzinierung gegen die Influenza nicht nur eine scharfe Waffe gegen die saisonale Virusgrippe, sondern auch gegen eine Pandemie, die morgen, im nächsten Jahr oder gar im nächsten Jahrzehnt kommen kann.

Andererseits sind die derzeit zugelassenen und verwendeten Influenzaimpfstoffe als pandemische Impfstoffe ungeeignet, da keine Grundimmunität gegenüber dem Erreger vorhanden ist. Das pandemische Virus repräsentiert einen anderen Influenza A-Subtyp, im konkreten Fall A/H5, während die bisher zirkulierenden Influenza A-Viren zum Subtyp A/H1 und A/H3 gehören. Daher sind im Falle des Auftauchens eines neuen (pandemischen) Influenza-Hämagglutinins eine unbekannte Anzahl von Teilimpfungen notwendig, um in einem diesbezüglich immunologisch naiven Immunsystem eine schützende Immunantwort zu induzieren und aufzubauen.

Dies bedeutet weitere Probleme, denn zusätzlich zu der Herausforderung nach dem Erstauftreten einer pandemischen Virus-Variante möglichst schnell ausreichende Mengen einer Pandemie-Vakzine für eine möglichst komplette Durchimpfung der Gesamtbevölkerung herzustellen, muss die Zahl der Dosen auch noch verdoppelt oder verdreifacht werden, um wiederholt impfen zu können. Dies kann man versuchen, dadurch sicherzustellen, dass Impfstoffe entwickelt werden, die aufgrund einer höheren Immunogenität geringere Antigendosen enthalten als interpandemische Impfstoffe.

Der Notwendigkeit einer deutlich höheren Immunogenität künftiger pandemischer Impfstoffe versucht man durch verschiedene Strategien Rechnung zu tragen (Pfleiderer, 2005):

  • Intradermale Applikationen des Antigens. Dies könnte sich als Dosis sparend erweisen.
  • Einsatz von Adjuvanzien, beispielsweise auf der Basis von Aluminiumsalzen und Mineral- bzw. Pflanzenölen. Der entscheidende Nachteil der Mehrzahl dieser Konzepte ist aber die teilweise massiv verstärkte Nebenwirkungsrate. Ein neuerer Ansatz verwendet eine Öl-in-Wasser-Emulsion (MF59C.1) womit in bestimmten Alters- und Risikogruppen eine Steigerung der Immunogenität erreicht wird. In jüngeren Altersgruppen wird eine im Vergleich zu anderen Grippeimpfstoffen erhöhte Reaktogenität beobachtet.
  • Formulierung der Antigene als so genannte Virosome. Virosome bestehen aus Phospholipidmembranen, in die das gereinigte Hämagglutinin integriert ist. Zur Gruppe der Virosomalimpfstoffe sind auch die "Immune Stimulating Complexes" (ISCOMs) zu zählen, die aus einer komplexen Mischung von Cholesterin, Phospholipiden und pflanzlichen Glykosiden bestehen. Obwohl die Immunogenitätssteigerung viraler Proteine (inklusive der Influenzavirus-Oberflächenglykoproteine), die mit ISCOMs formuliert wurden, im Tiermodell oft beschrieben ist, ist der klinische Nutzen für den Menschen nicht belegt.
  • Influenzaimpfstoffen auf der Basis lebend-attenuierter Influenzaviren. In den USA ist ein entsprechender interpandemischer Impfstoff, der als Nasalspray verabreicht werden kann, für Menschen ohne Grunderkrankungen im Alter von 18 bis 49 Jahren zugelassen. Obwohl gezeigt wurde, dass dieser Impfstoff eine über 90%ige Wirksamkeit in immunologisch naiven Kindern hat, haben Sicherheitsbedenken verhindert, die Zulassung auf diese und andere Altersgruppen auszudehnen. Dass ein pandemischer Influenzaimpfstoff auf der Basis lebend-attenuierter Influenzaviren zugelassen wird, ist unwahrscheinlich, da befürchtet wird, dass die massenweise Anwendung von "lebenden" Impfviren mit einem pandemischen Hämagglutinin die Entstehung eines oder mehrerer anderer pandemischer Influenzaviren über unerwünschte Reassortierungsereignisse mit zirkulierenden Wildtyp-Influenzaviren unterstützen könnte.
  • Influenzaimpfstoffe aus Gewebekulturzellen. Diese sind seit einiger Zeit bereits in den Niederlanden zugelassen, werden dort aber nicht vermarktet. Ein Grund hierfür ist wohl auch die deutlich kostspieligere Herstellung derartiger Impfstoffe. Dennoch entwickeln nahezu alle Hersteller herkömmlicher Ei-basierter Influenzaimpfstoffe auch Gewebekulturimpfstoffe. Ein solches Verfahren wäre dann sehr wichtig, wenn ein Influenzavirus mit einer hohen Pathogenität für Vögel mit einem humanen Influenza-Pandemievirus gemeinsam zirkuliert und somit die Verfügbarkeit von ausreichenden Mengen embryonierter Hühnereier für die Impfstoffproduktion eingeschränkt ist.
  • Rekombinante Influenzaimpfstoffe. Laborkonzepte zur Entwicklung wirksamerer Influenzaimpfstoffe umfassen die Expression diverser Virusproteine in einer Vielzahl von prokaryontischen und eukaryontischen Expressionssystemen. Auch die Modifikation anderer Viren (z. B. Adenoviren) mit Genen des Influenza-Virus sind realisiert worden.
  • "Reverse Genetics". Im Gegensatz zu gentechnologischen Methoden zur Expression einzelner oder mehrerer Influenzavirus-Gene, die bisher noch nicht überzeugen konnten, ist die Methode der reversen Genetik (rg), also der Expression kompletter Influenzaviren aus acht Plasmiden, die jeweils eines der acht Nukleinsäuresegmente enthalten, ein mittlerweile standardisiertes Verfahren zur Herstellung geeigneter Referenzviren, die als Produktionsviren eingesetzt werden können. Dieses Verfahren stellt auch eine Alternative zur klassischen Herstellung eines Saatvirus für die Impfstoffproduktion dar, die bisher durch natürliche Reassortierung eines attenuierten Impfstammes (Influenza A/Puerto Rico/8/34 (H1N1)) mit der hoch pathogenen Virusvariante (z.B. H5N1) im embryonierten Hühnerei erfolgte (Webby and Webster, 2003). Durch reverse Genetik lassen sich sehr viel schneller gut vermehrbare und schwach-pathogene Produktionsviren erzeugen. Allerdings müssen für die Herstellung von Impfstoffen auf der Basis von rg-Referenzviren besondere Sicherheitsvorschriften beachtet werden, da die Viren als genetisch veränderte Organismen (GVOs) eingestuft sind.

Die entsprechende Aufrüstung bestehender Anlagen zur Herstellung von pandemischen Influenzaimpfstoffen ist daher mit hohen Kosten verbunden und erfordert u.U. die vollständige Neuerrichtung einer Produktionsanlage.

Ein entscheidender Unterschied zwischen einem pandemischen und einem interpandemischen Influenza-Impfstoff besteht darin, dass die pandemische Vakzine nur Antigene eines einzelnen Virus enthalten muss. Denn im Gegensatz zur interpandemischen Phase, in der mehrere Influenzaviren gleichzeitig zirkulieren, geht die pandemische Bedrohung von einem einzelnen Virusstamm mit pandemischem Potenzial aus. Daher kann die Produktionskapazität durch Umstellung von einem trivalenten auf einen monovalenten Impfstoff verdreifacht werden. Um dieses so genannte 3-zu-1-Szenario tatsächlich nutzen zu können, bedarf es mehrerer Voraussetzungen. Insbesondere muss das Antigen so immunogen sein, dass keine höheren Antigenkonzentrationen in der pandemischen Vakzine erforderlich sind als in den interpandemischen Impfstoffen.

Essenziell für eine schnelle Bereitstellung einer pandemischen Vakzine ist nicht nur ein effektives Herstellungsverfahren, sondern auch eine schnelle Zulassung des Impfstoffs. Dabei dürfen die Anforderungen an Sicherheit und Wirksamkeit nicht ignoriert werden. Um dies zu gewährleisten müssen so viele herstellungs- und prüfungsrelevante Aspekte wie möglich bereits in der interpandemischen Phase geklärt werden.

Hierzu hat die EMEA gemeinsam mit den EU-Mitgliedstaaten ein Konzept entwickelt, das in drei Dokumenten niedergelegt ist [EMEA/CPMP/4717/03; EMEA/CPMP/4986/03; EMEA/CHMP/VEG/193031/04]. Das Konzept besteht darin, für einen bestimmten Subtyp, der von dem späteren Pandemiestamm weit entfernt sein kann (z. B. A/H2), einen Impfstoff herzustellen, zu prüfen und – falls er den Anforderungen entspricht – zuzulassen. Diese so genannte mock-up-Vakzine ist dann zwar formal zugelassen, aber natürlich nicht verkehrsfähig. Auf der Basis dieses Zulassungsverfahrens kann dann zu gegebener Zeit der eigentliche Pandemie-Impfstoff über ein Variations-Schnellverfahren zugelassen werden, sodass eine Zulassungszeit von nur wenigen Tagen möglich wäre. Die Strategie sieht vor:

  • Vorzugsweise eine zentrale europäische Zulassung.
  • Prüfung und Zulassung (jedoch keine Genehmigung der Verkehrsfähigkeit) einer virtuellen pandemischen Vakzine (mock-up-Vakzine) in der interpandemischen Phase für ein Virus mit pandemischem Potenzial, gegen das die zu impfende Bevölkerung immunologisch naiv ist.
  • Im Falle einer drohenden Pandemie erfolgt die Anpassung der Zulassung für die mock-up-Vakzine an den pandemischen Subtyp und die Genehmigung der Verkehrsfähigkeit des pandemischen Impfstoffes in allen EU-Mitgliedstaaten im Rahmen eines Schnellverfahrens zur Variation der bestehenden Zulassung der mock-up-Vakzine.

Besondere Aspekte des nationalen Pandemieplans

Jeder sollte unserer Meinung nach den nationalen Influenzapandemieplan gelesen haben. Dieser umfasst drei Teile, deren beiden erste Teile im Netz unter der Adresse http://www.rki.de/cln_006/nn_226928/DE/Content/InfAZ/I/Influenza/influenzapandemieplan__I-I,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/influenzapandemieplan_I-II abrufbar sind.

Teil III des Influenzapandemieplans mit dem Titel "Aktionsplan von Bund und Ländern" kann unter der Adresse http://www.rki.de/cln_006/nn_226928/DE/Content/InfAZ/I/Influenza/influenzapandemieplan__III,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/ influenzapandemieplan_III abgerufen werden.

Schließlich hat auch das Auswärtige Amt einen Influenzapandemieplan – Ausland – zusammengestellt, der unter der Adresse http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/download/pdf/laenderinfos/pandemieplan.pdf abgerufen werden kann.

Die Dokumente sind sehr informativ und viele der dort angesprochenen Aspekte sind natürlich auch in diese Zusammenfassung eingeflossen. Allerdings wird der Ernstfall zeigen, ob und wie sich die Maßnahmen durchführen lassen. Ein erster Testfall im Zusammenhang mit der H5N1-Epidemie um die Insel Rügen in Mecklenburg-Vorpommern hat angedeutet, wo die Schwächen liegen. Dies sind u.a. die föderale Zuständigkeit bei einer derart global auftretenden Katastrophe und die daraus resultierende Gefahr einer mangelnden Kompetenz bei den Behörden vor Ort, die im konkreten Fall zudem erschreckend naive Züge erkennen ließ.

Wer allerdings glaubt, der Pandemieplan würde Entscheidungen für den Ernstfall vorwegnehmen, der hat sich massiv getäuscht. Dies soll am Beispiel von Abschnitt 6.2.3 "Impfstrategie im Pandemiefall" erläutert werden.

Natürlich sollte mit einer Impfprävention im Rahmen einer Pandemie ein möglichst rascher und vollständiger Impfschutz der gesamten Bevölkerung vor dem pandemischen Virus angestrebt werden. Dass dies zu Beginn der Pandemie nicht möglich ist, liegt nahe. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Priorisierung der zu impfenden Gruppen. Eine solche Priorisierung kann nach unterschiedlichen Kriterien erfolgen.

1. Nach politisch-sozialen Aspekten. Danach wird zunächst das in der Akutmedizin beschäftigte medizinische und Pflegepersonal geimpft. Nachrangig werden dann sonstiges medizinisches und Pflegepersonal und die Beschäftigten, die für die öffentliche Ordnung wichtig sind, sowie Berufstätige geimpft. Das Ziel dieser Priorisierung ist die Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung und der staatlichen Infrastruktur sowie der Minimierung der wirtschaftlichen Folgen einer Pandemie.

2. Mit dem Ziel einer maximalen Reduktion der Krankheitslast und der durch die Infektion verursachten Todesfälle. Hier gibt es interessante Berechnungen, die verschiedene Aspekte in Augenschein nehmen [Meltzer et al., 1995]:

a) das Risikos für einen tödlichen Ausgang (Letalität) bei unterschiedlich Betroffenen; b) die Verhinderung einer möglichst großen Anzahl an Todesfällen, c) der wirtschaftliche Nutzen (Nettoersparnis) durch eine Impfung. Dass sich hier Impfreihenfolgen signifikant verschieben können, je nach dem ob man die Impfstrategie nach den unter a, b oder c formulierten Aspekten wählt, zeigt die Tabelle 5.

3. Nach epidemiologisch-dynamischen Aspekten. Hier erfolgt zunächst die Impfung von Bevölkerungsgruppen, die dem höchsten Infektionsrisiko ausgesetzt sind und die die Infektion am schnellsten weiterverbreiten. Dazu zählen Schulkinder, Studenten und Berufstätige mit vielen Kontakten zu anderen Menschen sowie medizinisches Personal. Modellrechnungen auf der Basis der Erfahrungen der Pandemien von 1957 und 1968 legen nahe, dass bei begrenztem Impfstoffangebot die Impfung nach dieser Priorisierung die Entwicklung der Epidemie am wirksamsten hätte verlangsamt werden können, um Zeit für eine vermehrte Impfstoffproduktion und die Verteilung an die Risikogruppen zu gewinnen [Glezen, 1996]. All dies ist sehr gut nachvollziehbar. Allerdings legt der Pandemieplan nur bedingt Handlungsoption zwingend fest und lässt ein hohes Maß an Flexibilität zu.

Da durch ein funktionierendes Gesundheitswesen der größte Nutzen für die Minderung der Morbidität und Mortalität erreicht werden kann, empfiehlt die Expertengruppe "Influenza-Pandemieplanung" am RKI, dass der Aufbau eines ausreichenden Immunschutzes im Fall sehr knapper Impfstoffressourcen prioritär für das Personal im (akuten) ambulanten und stationären medizinischen Versorgungsbereich sichergestellt werden soll.

An zweiter Stelle stehen die Berufsgruppen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Infrastruktur und der Sicherheit, deren Arbeitsfähigkeit für die Allgemeinheit besonders wichtig ist. Die Reihenfolge, in der diese Berufsgruppe geimpft werden kann, hängt von der Menge der verfügbaren Impfstoffdosen ab. Da die Entscheidungen auf Landesebene getroffen werden, ist nicht mit einem einheitlichen Vorgehen zu rechnen.

Insgesamt müssten zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung und der Aufrechterhaltung der essenziellen Infrastruktur ca. 7 Millionen Personen vorrangig geimpft werden. Dies entspricht 8,5% der Gesamtbevölkerung. Wie die restlichen zur Verfügung stehenden Impfdosen verteilt und appliziert werden, lässt der Influenzapandemieplan weitgehend offen.

Antivirale Arzneimittel


Antivirale Medikamente stellen bei bereits Infizierten die einzige Möglichkeit dar, kausal den möglicherweise fatalen Folgen einer Infektion entgegenzuwirken. Mit Oseltamivir und Zanamivir stehen zwei zugelassene Wirkstoffe zur Verfugung, die als Neuraminidase-Inhibitoren die Viren an einem effektiven Verlassen der Zellen nach erfolgter Replikation hindern. Die hohe Infektiosität – bedingt durch die hochaffine Bindung des Hämagglutinins an Rezeptoren, die bestimmte Zuckerstrukturen mit terminalen Neuraminsäureresten erkennen (Watowich 1994) – wird hier zur Falle. Denn an diese Rezeptoren, die die Viren als Eintrittspforte benutzen, sind sie auch beim Verlassen der Zellen so stark gebunden, dass diese Bindung nur durch die hydrolytische Spaltung einer glykosidischen Bindung gelöst werden kann. Diese Funktion erfüllt die virale Neuraminidase auf der Oberfläche der Viruspartikel. Wird sie gehemmt, können sich die Viren nicht weiter verbreiten. Somit verhindern Neuraminidasehemmer zwar nicht eine Infektion. Sie verhindern aber Reinfektionen und das Freisetzen großer Virusmengen in die Umgebung. Dies legt den Einsatz dieser Wirkstoffe auch unter dem Aspekt nahe, eine Epidemie zu kontrollieren und zu begrenzen (siehe unten).

Während Oseltamivir als Prodrug oral verfügbar ist, muss Zanamavir inhaliert werden. Im Falle einer Pandemie wird dieser Unterschied keine Rolle mehr spielen, zumal die Wirksamkeit beider Wirkstoffe als vergleichbar anzusehen ist.

Zwar lässt sich die Effektivität dieser Medikamente bei einer Infektion mit einem pandemischen Influenzavirus verständlicherweise nur bedingt abschätzen. Dennoch müssen beide Neuraminidasehemmer als wirksam eingestuft werden, wenn man die Studienergebnisse sowohl von Zanamivir als auch von Oseltamivir zugrunde legt (Monto, 2003; Moscona, 2005). Bei einer Virusgrippe verkürzen diese Wirkstoffe die Erkrankungsdauer um durchschnittlich 2 Tage, wenn sie 36 – 48 Stunden nach Auftreten der ersten Symptome eingenommen werden. Werden sie bereits 0 – 6 Stunden bzw. 6 – 12 Stunden nach Auftreten der Symptome verabreicht, kann eine Verkürzung der Erkrankungsdauer um bis zu 4 Tage erreicht werden (Tab. 6).

Komplizierte Erkrankungsverläufe mit Beteiligung der unteren Atemwege (wie Bronchitis und Pneumonie) wurden durch Oseltamivir bei sonst gesunden 13 bis 65 Jahre alten Personen um 68% und bei Risikogruppen ebenfalls signifikant um 34% reduziert (Kaiser et al., 2003).

Der Pandemieplan empfiehlt, alle Patienten, die schwer erkrankt sind, ein hohes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben und sich innerhalb von 48 Stunden nach Symptombeginn beim Arzt vorstellen, prioritär mit Neuraminidase-Inhibitoren zu behandeln.

Mindestens so interessant wie die nachgewiesene Wirksamkeit der Neuraminidasehemmer in der Therapie der Virus-Influenza ist die ebenfalls nachgewiesene prophylaktische Wirksamkeit (Moscona, 2005). Indikationen für den prophylaktischen Einsatz antiviraler Arzneimittel sind in der interpandemischen Phase vor allem Influenzaausbrüche in Risikopopulationen (z.B. in Krankenhäusern und Altenheimen). Im Pandemiefall wäre ein prophylaktischer Einsatz der Neuraminidase-Inhibitoren eine nahe liegende Option zur epidemiologischen Kontrolle der Pandemie. Dies sehen offensichtlich auch die Autoren des Pandemieplans so, die allerdings einschränkend argumentieren, dass eine antivirale Prophylaxe der gesamten Bevölkerung vor allem aus produktionstechnischen, logistischen aber auch aus finanziellen Gründen voraussichtlich nicht möglich sein wird. Deshalb spielt die Frage eine zentrale Rolle, welcher Personenkreis prophylaktisch mit Neuraminidase-Inhibitoren behandelt werden soll. Vorgeschlagen wird hier, ebenfalls besonders gefährdete und beruflich exponierte Personen sowie essenzielle Dienste der medizinischen Versorgung und der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu schützen. Bezüglich des Einsatzes von Neuraminidasehemmern bei Risikokollektiven legt sich der Pandemieplan nicht fest, empfiehlt aber von den Risikogruppen für die interpandemische Phase auszugehen (siehe Tab. 2).

Der im Pandemieplan fast ausschließlich vorgesehene Einsatz der Neuraminidasehemmer zur therapeutischen Intervention und die faktische "Kapitulation" vor der Prophylaxe, spiegelt auch das Dilemma wider, das sich aus der Länderkompetenz im Falle einer Pandemie ergibt. Die Länder haben sich einzeln in unterschiedlichem Ausmaß bevorratet und beanspruchen Wirkstoffrationen, die einerseits zu gering sind, um eine flächendeckende Versorgung zu garantieren, die aber andererseits unter Umständen dringend benötigt würden, um an einem beliebigen Ort der Republik einen Pandemieherd zu bekämpfen, wenn sich dieser einstellt.

Vom Management der Tierseuchen weiß man, dass der Eindämmung der Epidemie höchste Priorität einzuräumen ist. Das sollte bei einer humanrelevanten Epidemie nicht anders sein. Deshalb sollten alle Anstrengungen unternommen werden, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln Pandemieherde zu isolieren und ein Ausbreiten der Epidemie durch eine möglichst effiziente Prophylaxe zu verhindern. Dazu gehört auch, dass unter Umständen große Mengen antiviraler Wirkstoffe über Bundesländergrenzen hinweg in Epidemiegebiete verbracht werden.

Leider sind bisher in der Öffentlichkeit Neuraminidasehemmer fast ausschließlich als Arzneimittel zur Therapie der Virus-Influenza vorgestellt und diskutiert worden. Die potenziell große Bedeutung der Neuraminidasehemmer als Prophylaktika, die im Bedarfsfall konzentriert und flächendeckend in begrenzten Epidemieregionen eingesetzt werden können, ist bisher unzureichend vermittelt worden.

Daher steht zu befürchten, dass im Ernstfall panisch motivierter Egoismus die Szene beherrschen wird und dass ein vernünftiger altruistischer Einsatz dieser Wirkstoffe keine Chance hat. Je besser und länger eine lokal auftretende Epidemie kontrolliert werden kann, umso mehr Zeit wird für die Fertigstellung des Pandemieimpfstoffs, der schärfsten Waffe gegen eine Influenza-Pandemie, gewonnen.

So scheint eine gute Vorbereitung in Form eines gut gemachten Pandemieplans am Föderalismus zu scheitern. Erste Eindrücke für dieses Szenario erlebt man in diesen Tagen im äußersten Nordosten unserer Republik.

Nach Ansicht vieler Experten ist es heute keine Frage mehr, ob eine Influenza-Pandemie kommt, sondern nur noch, wann sie kommt. Diese Frage kann allerdings natürlich keiner beantworten. Deshalb ist alles daran zu setzen, sich so gut wie möglich auf den Ernstfall vorzubereiten und bei diesen Bemühungen möglichst keine Zeit zu verlieren. Doch selbst für den Fall, dass man gut gerüstet ist, rechnen Experten mit Chaos, Panik und mit vielen Toten. Zwar wird die Zahl der Todesfälle bei weitem nicht die Größenordnung erreichen, die während der Spanischen Grippe in den Jahren 1918/19 erreicht wurde. Aber auch die aktuell prognostizierten Zahlen sind erschreckend. Man rechnet mit bis zu 160.000 Toten, mit bis zu 600.000 Krankenhauseinweisungen und mit ca. 22.000.000 Arztkonsultationen.

Die Ursprünge der Pandemie-Viren Im letzten Jahr erregten zwei Veröffentlichungen Aufmerksamkeit: Zum einen war das Genom des Virus sequenziert worden, das 1918/19 den Tod von Millionen Menschen gefordert hat, zum anderen wurde dieses Virus über Reverse Genetik erneut "zusammengebaut" (Taubenberger et al., Tumpey et al.). Mittlerweile kann man die Entstehung der Influenza-Viren nachvollziehen, die im 20. Jahrhundert für drei Pandemien verantwortlich gemacht werden können. Bei der Spanischen Grippe 1918 war es vermutlich ein Vogel-Virus, das auf den Menschen übertragen wurde. Nachdem sich das humane Immunsystem auf das neue H1N1-Virus angepasst hatte, kam es 1957 zu einer Doppelinfektion eines Menschen oder aber eines Tieres mit dem H1N1- und einem aviären H2N2-Virus mit dem Resultat, dass eine hoch-infektiöse Reassortante entstand, die das Hämagglutinin, die Neuraminidase und das PB1-Polymeraseprotein aus dem H2N2-Virus erhalten hatte. Die restlichen fünf Gensegmente wurden vom H1N1-Virus beigetragen. Diese neue Virus-Variante zirkulierte im Menschen, bis dann 1968 für die Hong-Kong-Grippe ein neues Vogel-Virus dazukam und das Hämagglutinin- und PB1-Gen beisteuerte. Wie das nächste Pandemie-Virus aussehen wird ist noch fraglich: Wird es "einfach" aus einer Mutante eines Vogelgrippe-Virus entstehen oder wird eine Reassortante aus dem momentan zirkulierenden H3N2- und einem Vogelgrippe-Virus gebildet werden?

Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am RKI

  • Standardimpfung: Personen über 60 Jahre
  • Indikationsimpfung: Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens wie z. B. chronische Lungen-, Herz-Kreislauf-, Leber- und Nierenkrankheiten, Diabetes und andere Stoffwechselkrankheiten, Immundefizienz, HIV-Infektion sowie Bewohner von Alters- oder Pflegeheimen.
  • Berufliche/Indikationsimpfung: Personen mit erhöhter Gefährdung, z. B. medizinisches Personal, Personen in Einrichtungen mit umfangreichem Publikumsverkehr sowie Personen, die als mögliche Infektionsquelle für von ihnen betreute ungeimpfte Risikopersonen fungieren können
  • Indikationsimpfung: Wenn Epidemien auftreten oder auf Grund epidemiologischer Beobachtungen befürchtet werden (entsprechend den Empfehlungen der Gesundheitsbehörden)

"Reverse Genetics" Die Herstellung pandemischer Impfviren nach dem Prinzip der reversen Genetik basiert auf einem "molekularen Baukastensystem". Hier werden die Erbgutsegmente von Influenzaviren durch Klonierung in vitro zusammengestellt. Gleichzeitig werden Modifikationen eingefügt, um ein attenuierte Virusvariante zu erhalten, die für eine Replikation in embryonierten Hühnereiern optimiert ist.

So ist es möglich, ein Saatvirus innerhalb von etwa vier Wochen herzustellen. Ferner ist dies eine unabdingbare Voraussetzung, um H5- oder H7-Varianten in größeren Mengen zu erhalten, da diese in ihrer natürlichen Struktur aufgrund ihrer enormen Virulenz im Hühnerei schlecht oder gar nicht vermehrbar sind.

Allerdings ist dieses Verfahren auch patentrechtlich geschützt (das Patent liegt im Besitz der Firma MedImmune in den USA), und die nach diesem Verfahren produzierten Impfviren gelten als genetisch modifizierte Organismen, so dass sich deren Produktion nur in gentechnischen Anlagen realisieren lässt.

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