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GKV-Spitzenverbände: Gesundheitsreform praxisuntauglich
Werde jetzt nicht die Notbremse gezogen, zeigten die Probleme bei der Umsetzung, dass diese Reform praxisuntauglich sei und die Versorgung verschlechtere, hieß es in einer Erklärung der Spitzenverbände. Und weiter: "Es macht keinen Sinn, ein funktionierendes Gesundheitssystem zu zerstören, neue teure bürokratische und zentralistische Strukturen zu schaffen, um schließlich zu der jetzt schon absehbaren Erkenntnis zu kommen, dass die Reform nur neue Probleme schafft und zu weiteren erheblichen und unnötigen Kostensteigerungen bei gleichzeitig schlechteren Leistungen führen wird."
Stattdessen forderten die Spitzenverbände ein Sofortprogramm zur Stabilisierung der Finanzlage der GKV. Neben einer konsequenteren Einführung des Wettbewerbs gehöre dazu auch kurzfristig die Wiederaufstockung der gekürzten Steuerzuschüsse auf 4,2 Mrd. Euro als Kompensation versicherungsfremder Leistungen (wie Mutterschaftsgeld, Haushaltshilfe und Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes). Außerdem müsste der Mehrwertsteuersatz bei Arznei- und Hilfsmitteln auf 7 Prozent reduziert und damit wenigstens eine Gleichbehandlung mit Hundefutter und Schnittblumen erreicht werden, für die nach wie vor 7% Mehrwertsteuer zu zahlen seien. Die Bundesagentur für Arbeit müsste kostendeckende Krankenkassenbeiträge für arbeitslose Versicherte bezahlen. Steigende Steuereinnahmen und massive Überschüsse bei der Bundesagentur für Arbeit ließen dies ohne Weiteres zu, so die Verbände.
Nach wie vor ist – entgegen der Beteuerungen einiger Koalitionspolitiker – nicht gesichert, ob die Gesundheitsreform – trotz mehrmaliger Verschiebungen von Beratungsterminen – zum 1. April 2007 und das Herzstück der Reform, der Gesundheitsfonds, zum 1. Januar 2009 in Kraft treten können. Denn für einige Landesregierungen, allen voran Bayern und Baden-Württemberg, sind die Befürchtungen über zusätzliche Belastungen durch den Finanzausgleich nicht ausgeräumt. Ein höherer Ausgleichsbedarf ergibt sich nach Einschätzung dieser Länder künftig dadurch, dass von 2009 an ein einheitlicher Beitragssatz gelten soll. Für Mitglieder günstigerer Kassen bedeutete dies höhere Zahlungen. Außerdem soll der geplante Gesundheitsfonds 100 Prozent aller Kassenausgaben abdecken (bisher umfasst der Finanzausgleich nur 92 Prozent).
Eine Konvergenzklausel soll zwar die Zusatzbelastungen der Versicherten je Bundesland bei 100 Millionen Euro deckeln. Während nach Berechnungen des Bundesversicherungsamtes auf Baden-Württemberg, Hessen, Hamburg und Bayern Zusatzbelastungen von höchstens 60 Millionen zukommen, müssten nach Berechnungen des Kieler Instituts für Mikrodatenanalyse (Drabinski-Institut) allein Baden-Württemberg Mehrbelastungen von 1,7 Milliarden Euro und Bayern rund 1,04 Milliarden Euro durch den Finanzausgleich der Länder auf sich nehmen. Unter Berufung auf diese Zahlen hatte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) die Zustimmung zur Reform offen gelassen.
Rürup-Gutachten kommt zu geringeren Belastungen
Um diesen Streitpunkt auszuräumen, gab die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt umgehend ein Gutachten bei dem Vorsitzenden des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen, Bert Rürup, und dem Mitglied des Sachverständigenrats, Eberhard Wille, in Auftrag. Laut diesem Gutachten, das die Gesundheitsministerin am Nachmittag des 4. Januars der Öffentlichkeit präsentierte, kommen auf die finanzstarken Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen durch die Gesundheitsreform weit weniger Mehrkosten zu als von ihnen befürchtet. Die zusätzlichen Belastungen für Bayern lägen bei etwa 80,7 Mio., für Baden-Württemberg bei 72,1 Mio. und für Hessen bei 61,7 Mio. Euro. Rürup warf dem Kieler Institut methodische Fehler in seinen Berechnungen vor. Schmidt begrüßte die Zahlen. Nach ihrer Ansicht seien die Befürchtungen der Länder "nahezu unbegründet", zudem gebe es die Konvergenzklausel, die die Belastungen auf maximal 100 Mio. Euro begrenze.
Nach Ansicht des Kieler Instituts für Mikrodatenanalyse hat das Rürup-Gutachten die Zahlen der Drabinski-Studie nicht widerlegt. Vielmehr würden die Drabinski-Zahlen in weiten Teilen vom Rürup/Wille-Gutachten bestätigt, z. B. für Bayern und Baden-Württemberg. Unerklärliche Unterschiede gebe es jedoch z. B. bei Niedersachsen, das nach Rürup/Wille zu den deutlichen Gewinnern, nach Drabinski allerdings zu den Verlierern des neuen, geplanten Gesundheitswesens zähle.
Bayern lenkt nicht ein
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) rief die Kritiker aus der Union zum Ende des Streits auf. Wenn es um die Sache gehe, müsse jetzt "der Streit um die Wirkungen des Gesundheitsfonds und die zusätzlichen Belastungen beendet werden", sagte Schmidt.
Der CSU-Abgeordnete Wolfgang Zöller hält das Rürup-Gutachten für schlüssig, er gehe nun von einem Gelingen der Reform aus. Und Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger ließ wissen, dass er nun grundsätzlich bereit sei, den Streit über die befürchteten Mehrkosten durch die Gesundheitsreform zu beenden. Gleichwohl meldete er Vorbehalte im Detail an.
Bayern dagegen wolle an der bisherigen Linie gegen Berlin festhalten, Sozialministerin Christa Stewens (CSU) sprach von völlig veralteten Daten im Rürup-Gutachten. Da die Autoren nur wenig Zeit zur Verfügung gehabt hätten, hätten sie keine belastbaren Zahlen zusammentragen können. Der geplante bundesweit einheitliche Beitragssatz könne den Finanzbedarf im Gesundheitswesen nicht abdecken. Eine belastbare Modellrechnung zur Einführung des Gesundheitsfonds gebe es bis heute nicht – was im Übrigen auch Rürup bei der Vorstellung des Gutachtens eingeräumt hatte. Allerdings hätte es bei einem größeren zeitlichen Spielraum allenfalls nur Veränderungen an der Qualität der Zahlen gegeben, nicht an der Quantität – die eine oder andere Position hätte um 10 oder 20 Mio. Euro differiert. Nach Rürup sollte dies aber nicht die "kriegsentscheidende Frage" sein. .
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