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- DAZ 14/2007
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Staat gefährdet seine Bürger
Eigentlich sollte ein Staat alles tun, um seine Bürger zu schützen. Und in aller Regel tut er dies auch. Er hat zahlreiche Gesetze erlassen, die das Leben des Bürgers schützen. Wenn es sein muss, auch gegen dessen Willen oder durch Eingriffe in die Freiheit anderer. Banale Beispiele sind die Anschnallpflicht im Auto, die Promillegrenze beim Autofahren oder das Verbot der Abgabe von Alkoholika an Jugendliche. Oder – in unserem Bereich – die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln. Der Bürger soll nicht ohne ärztliche Verordnung in den Besitz von stark wirkenden Arzneimitteln kommen, die, unkontrolliert eingenommen, sein Leben schädigen könnten. Solche Vorschriften sind sinnvoll und tragen dazu bei, dass Menschen nicht an der Einnahme von Medikamenten sterben.
Doch mit der Zulassung des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln scheint sich unser Staat auf diesem Gebiet von seiner Fürsorgepflicht, die Bürger vor Gefahren zu schützen, verabschiedet zu haben. Es war die rot-grüne Bundesregierung, die dem Versand von Rx-Arzneimitteln in Deutschland Tür und Tor öffnete. Ulla Schmidt, seinerzeit wie heute Bundesgesundheitsministerin in diesem Land, glaubte, dass der Europäische Gerichtshof die Zulassung des Versands verschreibungspflichtiger Arzneimittel von der Bundesregierung verlangen werde. Und in vorauseilendem Gehorsam erlaubte sie das den Versandapotheken. Doch Europa entschied anders: Der Versandmarkt sollte zwingend nur für OTCs geöffnet werden. Den Versand von Verschreibungspflichtigen darf jeder Mitgliedstaat verbieten. Zu spät – in Deutschland war er nun schon erlaubt. Mit den zum Teil gefährlichen Folgen müssen nun die Bürger fertig werden. Denn durch die Freigabe von Rx im Versandhandel ist die Gefahr gewachsen, dass auch ausländische, nicht durch strenges deutsches Recht kontrollierte und kontrollierbare Versandapotheken nach Deutschland versenden. Was man im Internet alles unkontrolliert ordern kann, erfährt man täglich durch unverlangte Werbe-Mails. Würde eine Apotheke in Deutschland solche Arzneimittel ohne Rezept anbieten und abgeben, sie wäre morgen geschlossen.
Hinzu kommt, dass solche dubiosen Internetapotheken aus dem Ausland auch gefälschte Arzneimittel in den Verkehr bringen. Jüngste Untersuchungen haben dies bestätigt. Das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) deckte beispielsweise gefälschte Finasterid-Präparate auf, die solche Versender verschicken (DAZ Nr. 8, S. 44). Die Stiftung Warentest veröffentlichte in ihrer April-Ausgabe eine Untersuchung (AZ vom 2. April), wonach 13 von 16 übers Internet bezogene Schlankheitsmittel "in hohem Maß gesundheitsgefährdend" waren: sie enthielten verschreibungspflichtige Stoffe, die oft nicht deklariert waren, in zum Teil kritischen Kombinationen.
Ich bin überzeugt, dass weitere Untersuchungen eine Flut solcher Fälschungen und illegaler Arzneimittel zu Tage fördern würden. Auch das internationale Drogenkontrollgremium der Vereinten Nationen hat bereits im Februar in seinem Jahresbericht prognostiziert, dass der Arzneimittelmissbrauch in Zukunft auch in Europa zu erheblichen Problemen führen wird. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass bis zu 50 Prozent aller in Entwicklungsländern vertriebenen Arzneimittel gefälscht sind, viele von ihnen würden übers Internet vertrieben.
Was müsste ein Staat angesichts eines solchen Szenarios umgehend tun? Richtig, ein Verbot des Internethandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist dringend angezeigt. Die nordrhein-westfälische Landesregierung kündigte bereits im Januar an, sich für ein Verbot des Versandhandels von rezeptpflichtigen Arzneimitteln einzusetzen. Sie will nun eine entsprechende Gesetzesinitiative nach Inkrafttreten der Gesundheitsreform einbringen, um den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wieder zu verbieten. Wenn diese Regierung ihre Fürsorgepflicht für die Bürger ernst nimmt, dann müsste ihr vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse alles daran gelegen sein, sie vor diesen Gefahren zu schützen. Sicher, man wird mit einem Verbot nicht jede Rx-Arzneilieferung aus dem Ausland abfangen können, aber Verstöße könnten geahndet werden, bei den Bürgern würde möglicherweise ein anderes Bewusstsein einsetzen und bei dem einen oder andern auch ein Nachdenken über die mögliche Gefahr, in die er sich damit begibt.
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