Interpharm Hamburg

Suchterkrankungen

Gene und Sucht

Ist Alkoholabhängigkeit vererbbar oder gibt es vielleicht sogar das "Trinker-Gen"? Diese Fragen beschäftigen die Suchtforschung schon seit langem. Prof. Dr. Rainer Spanagel, Mannheim, und seine Mitarbeiter konnten im Tiermodell zeigen, dass zwischen einer Mutation im Per2-Gen und der Alkoholabhängigkeit ein Zusammenhang besteht.

Das Belohnungssystem des Menschen befindet sich in einem kleinen Areal im Vorderhirn, dem Nucleus accumbens. Durch positive Signale – hervorgerufen beispielsweise durch ein gutes Essen oder Sex – kommt es in diesem Bereich zur Dopaminausschüttung. Auch Drogen interagieren mit dem Nucleus accumbens, was jedoch zu unvergleichlich höheren Neurotransmitter-Ausschüttungen führt. Als Folge davon wird die körpereigene Dopamin-Produktion gehemmt und die Zahl der dopaminergen Synapsen hochreguliert. Daraus entsteht das Verlangen, immer mehr der "glücklich-machenden" Suchtstoffe zu konsumieren.

Diese Vorgänge lassen sich gut im Tiermodell veranschaulichen. So kam es beispielsweise nach Gabe von Kokain an Mäuse zu einer übermäßigen Stimulation des Belohnungssystems. Zunächst konnte man sich jedoch nicht erklären, weshalb einige Tiere – wie auch einige Menschen – anfälliger für Suchtstoffe sind als andere.

Spanagel und seine Mitarbeiter konnten in einer Studie (Spanagel, R., et al.: The Clock gene Per2 influences the glutamatergic system and modulates alcohol consumption. Nat. Med. 11, 35-42 [2005]) zeigen, dass zwischen Mutationen im Per2-Gen (period gene 2), einem Gen der "inneren Uhr" bei Mäusen und Menschen, und dem Grad der Alkoholabhängigkeit ein Zusammenhang besteht. Tiere, denen dieses Gen fehlte, nahmen in Experimenten exzessive Mengen Alkohol zu sich, wenn sie freie Wahl zwischen Wasser und der Droge hatten. Darüber hinaus waren Mutationen im Per2-Gen mit höheren Glutamatkonzentrationen im Gehirn assoziiert. Auch beim Menschen fand man inzwischen, dass Mutationen im Per2-Gen und erhöhter Alkoholkonsum in engem Zusammenhang stehen.

Erkenntnisse therapeutisch nutzen

Diese Erkenntnisse könnte man nutzen, um die Therapie der Alkoholabhängigkeit effektiver zu gestalten. Denn es hatte sich in den Untersuchungen außerdem gezeigt, dass Mäuse mit der Per2-Genmutation und erhöhten Glutamatspiegeln im Gehirn besonders gut auf Acamprosat ansprachen. Dieser Wirkstoff (siehe Kasten) wird beim Alkoholentzug zur Behandlung des Cravings, das heißt zur Reduktion des übermäßigen Verlangens nach der Droge, eingesetzt. Er ist jedoch nicht bei allen Patienten gleichermaßen effektiv. Wenn es nun gelingen könnte, mit einem Test diejenigen Patienten mit der Genmutation und erhöhten Glutamatspiegeln im Gehirn zu identifizieren, wäre dies der erst Schritt zu einer effektiveren Therapie. cb

Acamprosat zur Alkoholentwöhnung
Acamprosat (Campral®), eine "Anticraving-Substanz", ist ein Glutamatagonist, der durch Interaktion mit NMDA-Rezeptoren den Calciumeinstrom in Nervenzellen vermindert.
Der Wirkstoff ist zugelassen zur Unterstützung der Aufrechterhaltung der Abstinenz bei alkoholabhängigen Patienten. Die Behandlung ist nur angezeigt im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts, das auch begleitende psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen einschließt. Sie sollte unmittelbar nach der Entgiftung beginnen und darf auch im Falle eines Rezidivs nicht abgebrochen werden. Acamprosat ist nicht geeignet zur Behandlung der Symptome des Alkoholentzugs.

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