Apothekertag Thüringen

Festvortrag

Freiheit heißt Verantwortung

In seinem Vortrag "Verantwortung trotz Widrigkeiten" wandte sich Dr. h. c. Joachim Gauck, Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, gegen das in Deutschland weit verbreitete Schweigen aus Ohnmacht. Gauck forderte dazu auf, nicht vor der Verantwortung zu fliehen, sondern die Denk- und Verhaltensweisen in Ost und West zu hinterfragen, sich auf Augenhöhe zu begegnen, um voneinander zu lernen und aktiv die Gesellschaft zu gestalten.

Die Ostdeutschen haben seit 56 Jahren erfahren, dass Gehorsam und Unterwerfung belohnt werden. Zu schweigen und nur das Nützliche zu reden hat sich für sie als sicher und bequem erwiesen. Sie haben zu spüren bekommen, dass Verantwortung und Kreativität in einer Diktatur unerwünscht sind. Es gibt immer etwas, was einem weggenommen werden kann – nur Anpassung lohnt sich. Dieses Motto setzte sich in vielen Köpfen in Ostdeutschland über diesen langen Zeitraum fest, so Gauck.

Die Bewohner der DDR bezeichnete er als "nicht-autonome Staatsbewohner, sogar Staatsinsassen", da sie ihr Land nicht verlassen durften. Was es heißt, mündige Bürger eines Staates zu sein, haben die Ostdeutschen nicht gelernt und nicht erfahren. Sie flüchteten sich in Nischen oder in ihren Beruf. Erst mit der Wende im Herbst 1989 flammte ein Machtgefühl auf: "Wir sind das Volk"! Durch verantwortungsvolles Handeln konnte auf einmal die eigene Person wirklich etwas bewegen! Die Ostdeutschen waren stolz: Sie haben eine Revolution geschafft, und das ist eigentlich untypisch für die Deutschen, die ja eher für Gehorsam und Ordnung bekannt seien. Doch dieses große Gefühl ebbte wieder sehr schnell ab. Gauck hätte sich gewünscht, dass dieses Gefühl, etwas gestalten zu können, länger angehalten hätte. Die Ostdeutschen haben etwas verändert! Sie haben die Freiheit gewonnen. Doch viele stellen sich heute die Frage: Freiheit wovon? Freiheit wozu? Viele fühlen sich einsam und sind voller Angst, so Gauck. "Die Diktatur war zwar blöd, aber wir waren nicht schuld", so spitzte Gauck es zu.

Dieses zu denken ist eine der schlimmsten Folgen der Diktatur: die dunklen Schatten, die geblieben sind, die partielle Unfähigkeit zum Bürgersein. Die Menschen haben sich an das Leben in einem fremdbestimmten Raum, an ein Leben in politischer Ohnmacht gewöhnt. Gauck warnte davor, dass diese Einstellung politisches Prinzip wird, "dann wird es gefährlich, dann kommt es zu einer Diffamierung der Gegenwart". Denn die Menschen sagen auch heute "Ich kann nichts dafür, was in der Politik geschieht." Sie schleichen sich aus der Verantwortung eines mündigen Bürgers, obwohl weit und breit kein Diktator zu sehen ist.

Ein Muss: Freude an Eigenverantwortung

Doch warum ist es so schwer, Verantwortung anzunehmen? Es scheint in der nur allzu menschlichen Neigung zur Ohnmacht zu liegen. Gerade Menschen, die lange unter der Diktatur gelebt haben, sagen nur zu leicht: "Man hat uns gezwungen! Wir konnten ja nicht anders!" Das mag richtig sein für die Zeit der Diktatur. Aus rationaler Sicht war es richtig von den Eltern, ihren Kindern in der DDR zwei Wahrheiten zu lehren. Diese verinnerlichten zum einen Worte, die für die Öffentlichkeit gedacht waren und sie fanden andere Worte, die nur im engsten Freundeskreis ausgesprochen wurden. So wuchsen die Kinder – und auch ihre Eltern – zweisprachig auf: "bilingual in einer Sprache" wie Gauck es formulierte.

Positiv gesehen könnte das als große Begabung aufgefasst werden, Gauck sieht es eher als ein manifestes Spaltungsphänomen. Die Eltern konnten sich im Spiegel noch anschauen und sich sagen: "Ich handele ja vernünftig!" anstatt sich eingestehen zu müssen: "Ich handele feige!"

Aber in der Gegenwart? Inmitten einer Demokratie sei diese Ohnmacht so etwas wie ein süßes Gift. Offiziell wird der Gebrauch dieses Giftes abgestritten, aber insgeheim hat derjenige, der von diesem Gift nimmt, ein positives Gefühl: "Ich bin nicht schuld, Gott sei Dank. Ich kann ja nichts machen". Und genau hier fordert Gauck eindringlich auf, nicht nur scheel zu schauen, was die anderen machen, sondern anzunehmen, dass man ein mündiger Bürger ist, der Gestaltungsmöglichkeiten hat und diese auch bewusst wahrnimmt! Optimismus und Abwarten allein reiche nicht aus. Nur im Mitmachen und Mitgestalten sieht Gauck einen Weg, Freude an der Freiheit und Freude an der Eigenverantwortung zu gewinnen und zu verbreiten. ck

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