Arzneimittel und Therapie

Diabetesprävention

Selen steigert Risikofür Typ-2-Diabetes

Dem in vielen Nahrungsergänzungsmitteln enthaltenen Spurenelement Selen wurden schon viele positive Wirkungen nachgesagt. So soll es aufgrund seiner antioxidativen Eigenschaften vor Krebs schützen. Auch gab es Hinweise auf eine positive Beeinflussung des Glucosestoffwechsels. Doch nach den Ergebnissen der bislang größten randomisierten kontrollierten Studie zur Frage der Diabetesprävention kann Selen die Entstehung eines Typ-2-Diabetes nicht verhindern. Im Gegenteil: Durch die Supplementation steigt das Risiko.

Insulinresistenz, gestörte Glucosetoleranz und Diabetes führen zu oxidativem Stress, der wiederum die Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen fördert. Epidemiologischen Beobachtungsstudien zufolge sollen hohe Plasma-Antioxidanzien-Spiegel ebenso wie die Supplementation von Antioxidanzien vor Diabetes schützen. Doch die wenigen klinischen Studien, die untersucht haben, ob sich durch Antioxidanzien-Einnahme die Entstehung eines Typ-2-Diabetes tatsächlich verhindern lässt, fielen negativ aus.

Dem Spurenelement Selen werden nicht nur antioxidative Wirkungen zugeschrieben. Geringe Konzentrationen von Selen sollen auch positive Auswirkungen auf den Glucosestoffwechsel haben. Beispielsweise soll die Insulinsensitivität gesteigert werden. Es wurde spekuliert, dass insulinähnliche Eigenschaften des Selens helfen können, vor der Entstehung eines Diabetes zu schützen, zumal in einigen Studien ein Selendefizit bei Diabetikern im Vergleich zu Gesunden festgestellt worden war.

Randomisierte Placebo-kontrollierte Studien über die Auswirkungen einer Langzeitsupplementation von hochdosiertem Selen gab es bislang nicht. Daher wurde in der Nutritional Prevention of Cancer Trial untersucht, wie sich die Gabe von täglich 200 μg Selen über durchschnittlich 7,7 Jahre auf die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes auswirkt. Die Nutritional Prevention of Cancer Trial wurde ursprünglich initiiert, um zu klären, ob die regelmäßige Einnahme von Selen zur Sekundärprävention von Hautkrebs geeignet ist. Die negativen Ergebnisse waren schon 1996 publiziert worden. Nun wurden die Daten erneut vor dem Hintergrund der Frage nach der Diabetesprävention ausgewertet. An der Studie hatten 1312 Patienten teilgenommen. 1202 von ihnen waren zum Studienbeginn noch nicht an Diabetes erkrankt und standen damit für die Diabetes-Studie zur Verfügung. 600 von ihnen hatten Selen erhalten, 602 Placebo.

Ungünstig: hoher Selenausgangswert

Am Ende des Beobachtungszeitraums lag bei 58 Teilnehmern der Selengruppe ein Typ-2-Diabetes vor, in der Placebogruppe hingegen nur bei 39 Patienten. Danach erhöhte Selen das Diabetesrisiko um 50%. Noch gefährdeter waren Patienten, die schon vor der Selensupplementation einen hohen Selenplasmaspiegel hatten. Je höher der Ausgangswert war, umso mehr stieg das Diabetesrisiko unter der Selengabe. Patienten mit den höchsten Spiegeln hatten ein signifikant um den Faktor 2,7 erhöhtes Risiko.

Ursache unklar

Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Selen ist ein Spurenelement mit einer geringen therapeutischen Breite. Seine Wirkungen auf den Stoffwechsel unterliegen großen interindividuellen Schwankungen. Möglicherweise unterdrückt es die Bildung des Insulin-like-Growth-Factors, der wiederum an der Regulation der Glucosehomöostase beteiligt ist. In Tierversuchen konnte durch hohe Selensupplementation die Glucagon-Freisetzung gesteigert werden. Hohe Glucagonspiegel führen ihrerseits zur Hyperglykämie.

Selen hat eine geringe therapeutische Breite. Überdosierungen, bei denen mit Tagesdosen über 2000 μg zu rechnen ist, führen unter anderem zu gastrointestinalen und neurologischen Störungen, Haarausfall und Kopfschmerzen. Der Tolerable Upper Intake Level (UL) für Selen wird von dem amerikanischen Institute of Medicine mit 400 μg/Tag angegeben. Der Wert bezieht sich auf die Gesamtzufuhr von Selen, also auch auf die aus Nahrungsquellen. Da der Selengehalt in der Nahrung regional sehr unterschiedlich ist und in den USA schon sehr hoch sein kann, wird dieser Wert vor dem Hintergrund der Diabetes-Studie als zu hoch angesehen.

Bei uns wird empfohlen, pro Tag nicht mehr als 150 μg Selen über Supplemente zuzuführen. Für Nahrungsergänzungsmittel empfiehlt das Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) eine Obergrenze von 30 μg Selen pro Tagesdosis. Den Tolerable Upper Intake Level gibt das BfR mit 300 μg/Tag an.

Diabetikerzahlkönnte steigen

In den USA nehmen 1% der Erwachsenen regelmäßig Selensupplemente und 35% Multivitamin- und Mineralstoffpräparate ein. Sollten sich die Ergebnisse dieser sekundären Analyse der Nutritional Prevention of Cancer Trial bestätigen lassen, dann muss mit einer steigenden Zahl von Diabetikern durch die zusätzliche Seleneinnahme gerechnet werden, zumal in den USA die Selenzufuhr über die Nahrung ausreichend ist. Die Autoren der Studie raten daher dringend davon ab, Selen in Dosierungen zu supplementieren, die über denen in Multivitamin-/ Mineralstoffpräparaten liegen.

Quelle

Stranges S et al.: Effects of Long-Term Selenium Supplementation on the Incidence of Type 2 Diabetes. Ann Intern Med 2007; 147: 217-223.

Gullar E et al: Selenium and Diabetes: More Bad News for Supplements. Ann Intern Med 2007; 147:1-3.

du
Prävention mit Selen!? Während das Prostatakarzinom-Risiko mit zunehmendem Selenspiegel sinken soll, scheint das Diabetes-Risiko zu steigen.
Foto: medicalpicture.net

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