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- DAZ 29/2007
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Feuilleton
Kunstgeschichte
Der gemalte Himmelsgarten von Bamberg
Der Botaniker ist es gewohnt, Pflanzen durch die Lupe zu betrachten. In Bamberg sollte er jedoch besser ein Fernglas zur Hand nehmen, wenn er ihre Details erkennen will. Die Gewölbe der dortigen Kirche St. Michael sind vor vierhundert Jahren mit insgesamt 578 Pflanzenbildern ausgemalt worden – eine botanisch-kunsthistorische Kostbarkeit, die ihresgleichen sucht.
Nachdem die Kirche der Benediktinerabtei St. Michael in Bamberg im Jahr 1610 völlig ausgebrannt war, musste sie großenteils neu erbaut werden. Damals ersetzte man die frühere Holzdecke der Basilika durch Rippengewölbe, und anschließend füllte ein Maler die Felder mit den noch heute erhaltenen Pflanzendarstellungen – vermutlich war es Wolfgang Ritterlein († 1622), der einige Jahre später die Pfarrkirche im unterfränkischen Büchold mit Pflanzen ausschmückte.
Viele Pflanzen spielen in der Bibel eine Rolle und haben deshalb auch in der religiösen Kunst einen festen Platz – man denke nur an Dattelpalme und Weinrebe. Hinzu kommen viele Pflanzen, die im Laufe der Zeit im Sinne der Heilsgeschichte gedeutet und in einen allegorischen Bezug zu bestimmten Personen und Ereignissen der Bibel gebracht wurden. So gibt es eine besonders große Anzahl von "Marienpflanzen" in unserer heimischen Fora – Pflanzen, die Maria niemals gesehen hat. Auf Johannes den Täufer, der genau ein halbes Jahr vor Christus am 24. Juni geboren sein soll, wurden einige Pflanzen bezogen, die um diese Zeit blühen oder Früchte tragen wie Johanniskraut und Johannisbeere.
In den Gewölben der Vierung, dem unmittelbar vor dem Chor gelegenen Raum, in dem sich Längsschiff und Querschiff kreuzen, finden sich Pflanzen, die auf die Passion Christ verweisen: Kirsch- und Maulbeerbaum, deren Früchte einen blutroten Saft enthalten; die Weinrebe wegen der Gleichsetzung von Wein und Blut Christi in der Eucharistie; die Dattelpalme und – als einheimische "Ersatzpflanze" – die Stechpalme (Ilex) als Hinweis auf den Einzug Christi in Jerusalem am Palmsonntag; und schließlich auch die Passionsblume, die mit ihren einzelnen Pflanzenteilen die Marterwerkzeuge Christi nachbildet – jedenfalls nach der Ansicht damaliger Theologen.
Oft war nicht das Aussehen, sondern die (Heil-) Wirkung einer Pflanze entscheidend für ihre theologische Deutung und allegorische Bedeutung. So gab das Bittersüß einen Hinweis darauf, dass dem Christen nach dem irdischen Jammertal die Freuden des Jenseits bevorstehen. Andere bittere, aber heilsame Pflanzen wie Aloe, Enzian und Tausendgüldenkraut wurden in dem Sinne gedeutet, dass die Buße wie eine bittere Arznei die Seele des sündigen Menschen gesund macht. Was die Sehkraft bessert, fördert im übertragenen Sinne den Blick für die christliche Heilsbotschaft – und dergleichen mehr.
Exotische Pflanzen von Aloe bis Tomate
Die erwähnte Passionsblume stammt aus der erst gut hundert Jahre zuvor entdeckten Neuen Welt, ebenso eine erstaunlich große Anzahl anderer Pflanzen, die auf die Gewölbe von St. Michael gemalt sind: Ananas, Kürbis, Mais, Opuntie, Paprika, Stechapfel, Tabak, Tomate (die Kartoffel fehlt allerdings). An exotischen Pflanzen der Alten Welt seien Aloe, Pampelmuse und Pfeffer genannt. Viele dieser Pflanzen waren vor 400 Jahren in Deutschland in natura noch unbekannt, oder von ihnen waren, wenn es sich um Handelspflanzen handelte, allenfalls bestimmte Teile bekannt. Die Zeitgenossen konnten sich jedoch an Hand von illustrierten Pflanzenbüchern ("Herbarien") ein Bild von ihnen machen.
Vom Kräuterbuch abgeschaut
Auch bei seltenen einheimischen Pflanzen war der Maler von St. Michael auf Abbildungen in Büchern angewiesen, so z. B. bei dem Moorglöckchen (Wahlenbergia hederacea). Als Vorlage hat ihm hier zweifellos die übereinstimmende Darstellung im Kräuterbuch des Matthias Lobelius aus dem Jahr 1581 gedient, das sich heute in der Staatsbibliothek Bamberg befindet.
Den Bamberger Himmelsgarten beleben auch einige Tiere, und zwar solche, die fliegen können und – nach damaliger Anschauung – zugleich fromm sind: Papageien. Man glaubte, in ihrem krächzenden Ruf das Wort "Ave" zu hören, das erste Wort des Avemaria – und hier in der Kirche natürlich kein Gruß an die heidnischen Cäsaren.
Wolfgang Caesar
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