Arzneimittel und Therapie

Enuresis-Therapie

Ausschleichen verbessert das Therapieergebnis

Zur Behandlung des nächtlichen Einnässens liegen neue Studienergebnisse vor, die zeigen, dass individualisierte Konzepte bei Anwendung von Desmopressin die Therapie signifikant verbessern können. Bei dem synthetischen Analogon zum natürlichen humanen L-Arginin-Vasopressin ist die vasopressorische Wirkung weitgehend nicht mehr vorhanden, während die antidiuretische Wirkung um ein Vielfaches gesteigert ist. Desmopressin erhöht in den distalen Nierentubuli und den Sammelrohren der Niere die Permeabilität für Wasser und damit die Wasserrückresorption aus dem Primärharn.

Nächtliches Bettnässen (Enuresis) zählt zu den häufigsten körperlichen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Fast 10% der Siebenjährigen und ca. 5% der Zehnjährigen sind davon regelmäßig betroffen. Die Erkrankung kann das Selbstwertgefühl der Kinder stark beeinträchtigen und vermindert darüber hinaus die Lebensqualität der ganzen Familie. Während man früher glaubte, dass die Enuresis spätestens nach der Pubertät ausgeheilt ist, zeigen neueste Studienergebnisse, dass sie bei Nichtbehandlung bei bis zu 3% der Patienten persistiert. Anders als bei Kindern ist jedoch im Erwachsenenalter eine erfolgreiche Enuresistherapie praktisch nicht mehr möglich.

Bei der Behandlung der Enuresis im Kindesalter wird meist mit einer Verhaltenstherapie ("Urotherapie") begonnen. Sie umfasst hauptsächlich:

  • Motivation und Aufklärung;
  • Kontrolle des Trink- und Miktionsverhaltens mithilfe von Protokollen;
  • Biofeedbacktraining;
  • Alarmtherapie.

Führen diese Maßnahmen nicht zum Erfolg, kommen in erster Linie Wirkstoffe wie das synthetische Vasopressinanalogon Desmopressin und Anticholinergika (z. B. Propiverin, Oxybutynin) zum Einsatz. Bei fehlendem oder unbefriedigendem Erfolg werden diese Therapieoptionen teilweise auch kombiniert angewendet.

Basis für die derzeitigen Therapiekonzepte ist der heutige Wissensstand, nach dem eine primäre Enuresis wahrscheinlich keine psychischen Ursachen hat, sondern auf einer Reifungsverzögerung der neurogenen Blasenkontrolle und/oder einem Mangel an antidiuretischem Hormon (Vasopressin) beruht. Darüber hinaus werden eine eingeschränkte Blasenkapazität und eine familiäre Disposition als Ursachen der Enuresis diskutiert. Statistiken zufolge beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Kind Enuresis auftritt 45%, wenn ein Elternteil früher Bettnässer war und 75%, wenn beide Eltern betroffen waren.

Ausschleichen statt Absetzen

Die Erfolgsquote einer Enuresisbehandlung ist nicht immer zufriedenstellend, die Rückfallrate häufig hoch. So haben beispielsweise mehrere europäische Studien zur Desmopressin-Therapie aus den Jahren 2000 und 2001 Erfolgsquoten zwischen 40 und 80% und Rückfallquoten zwischen 30 und 50% gezeigt.

Eine kürzlich veröffentlichte deutsche multizentrische Studien hat ergeben, dass sich der Therapieerfolg signifikant verbessern lässt, wenn Desmopressin nach einem standardisierten Therapieschema ausgeschlichen wird. Der Hauptteil der 491 Patienten der Studie war im typischen Enuresisalter von unter zehn Jahren (58% bis sieben Jahre, 29% acht bis zehn Jahre). 314 von ihnen wurden mit Ausschleichen, 173 ohne Ausschleichen behandelt. Beim Ausschleichschema wurde das Kind zunächst in einer zweiwöchigen Aufbauphase auf Desmopressin (0,2 mg oral bzw. 0,2 µg intranasal) eingestellt. Nässte das Kind in dieser Zeit ein, wurde in der sich anschließenden acht- bis zehnwöchigen Erhaltungsphase mit 0,4 mg Desmopressin oral bzw. 0,4 µg intranasal behandelt, ansonsten behielt man die 0,2-mg- bzw. 0,2-µg-Dosis bei. Daran schloss sich die Ausschleichphase mit einer stufenweisen Wirkstoffreduktion in zweiwöchigen Abständen an. Zunächst wurde Desmopressin zwei Wochen lang jeden zweiten Tag, dann zwei Wochen lang jeden dritten Tag und schließlich zwei Wochen lang einmal wöchentlich verabreicht. Nässte ein Kind in der Ausschleichphase ein, ging man auf das letzte Dosierungsschema, mit dem Trockenheit erreicht worden war, zurück.

Starke Reduktion der Nonresponder-Rate

Die Ansprechraten der Studie waren definiert als Response (> 90% Reduktion der nassen Nächte), Teilresponse (50 – 90% Reduktion) und Nonresponse (< 50% Reduktion). Bei den 173 Kindern mit abruptem Therapieende wurden 51% Response, 27% Teilresponse und 22% Nonresponse beobachtet. Die ausschleichende Gruppe zeigte 72% Response, 24% Teilresponse und nur 4% Nonresponse (p < 0,001). Außerdem ergab sich, dass der Anteil der geheilten Kinder (weniger als zwei nasse Nächte pro Monat, siehe Kasten Definition) einen Monat nach Therapieende in der ohne Ausschleichen behandelten Gruppe bei 57%, in der Ausschleichgruppe dagegen bei 80% lag.

Als Grund für die besseren Ergebnisse beim Ausschleichen wird vermutet, dass durch die schrittweise Reduktion des Desmopressin-Spiegels die Reifung der körpereigenen Produktion des antidiuretischen Hormons stimuliert wird.

Quelle

Prof. Dr. Klaus-Peter Jünemann, Kiel, Dr. Arne-Daniela Marshall-Kehrel, Frankfurt, Prof. Dr. Paul Eggert, Kiel: "Neue Forschungsergebnisse in der Enuresis-Therapie", Berlin, 26. September 2007, veranstaltet von der Ferring Arzneimittel GmbH, Kiel.

Risikoinformation des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 24. Mai 2007, www.bfarm.de

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn
Desmopressin-haltige Tabletten zur Behandlung der Enuresis sollen vor dem Schlafengehen (und dabei 1,5 bis 2,5 Stunden nach einer Mahlzeit) unzerkaut eingenommen werden. Danach sollte der Patient nur noch wenig Flüssigkeit – nicht mehr als 240 ml – zu sich nehmen.
Wegfall der Indikation "Primäre Enuresis nocturna" für nasales Desmopressin
Im Mai 2007 hat der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMEA) hat die Anwendung von Desmopressin Nasenspray in der Indikation primäre Enuresis nocturna als nicht mehr vertretbar eingestuft und die Streichung dieser Indikation beschlossen. Der Grund: im Rahmen einer Pharmavigilanzuntersuchung in Frankreich sowie in Spontanberichten waren schwerwiegende Nebenwirkungen wie Hyponatriämie, Wasserintoxikationen und Krampfanfälle bei nasaler Anwendung von Desmopressin drei- bis viermal häufiger als bei anderen Darreichungsformen berichtet worden. Die mögliche Ursache für die Erhöhung des Risikos scheint in größeren interindividuellen Unterschieden in der Verfügbarkeit des Wirkstoffs nach intranasaler Anwendung zu liegen.
Vorangegangen waren dem EMEA-Beschluss nationale Anwendungsbeschränkungen (in Frankreich 2006, in England im April 2007).
Die Indikation Diabetes insipidus für nasal anzuwendendes Desmopressin bleibt erhalten. Allerdings verfügte die EMEA die Aufnahme eines entsprechenden Warnhinweises für schwere Hyponatriämien in die Fach- und Gebrauchsinformationen.
In Deutschland betrifft der Beschluss Desmopressin-Präparate wie Minirin® Nasenspray, Minirin® Rhinyle, Desmospray® Nasenspray, Desmopressin® TAD Nasenspray und Desmogalen® Nasenspray.
Unter Enuresis versteht man einen unwillkürlichen Harnabgang ab einem chronologischen Alter von fünf Jahren und einem geistigen Intelligenzalter von vier Jahren. Organische Grunderkrankungen wie Epilepsie, neurologische Inkontinenz, strukturelle Veränderungen des Harntraktes, medizinische Erkrankungen müssen ausgeschlossen werden. Die Mindestdauer der Symptomatik beträgt drei Monate, die Häufigkeit zweimal pro Monat unterhalb eines Alters von sieben Jahren und einmal pro Monat bei älteren Kindern.
Quelle: Enuresis und funktionelle Harninkontinenz. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (2003) AWMF online
Nächtliches Bettnässen Bei unwillkürlichem Harnabgang, der noch in einem Alter auftritt, in dem es für Kinder untypisch ist, wird häufig erfolgreich ein Verhaltenstraining angewandt. Eine Besserung reduziert den kindlichen Leidensdruck und fördert das Selbstwertgefühl. Eine medikamentöse Therapie wird in der Regel nur angewandt bei Kindern, die tagsüber einnässen.

Foto: DAK/Wigger

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.