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Arzneimittelversorgung
Rabattverträge, Zielpreisverein-barungen oder ein "dritter Weg"?
In der aktuellen Diskussion um neue vertragliche Lösungen zur Dämpfung der Arzneimittelausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) finden sich auf der einen Seite Rabattverträge zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmen nach §130a Abs. 8 fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) [1], auf der anderen Seite wird das Modell der Zielpreisvereinbarungen vorgeschlagen [2].
Ein halbes Jahr nach in Kraft treten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG) haben sich die Rabattverträge als neues Instrumentarium im Markt etabliert, wohingegen das Zielpreismodell noch ein Nischendasein fristet. Inzwischen haben circa 200 Krankenkassen Rabattverträge mit 55 Pharmafirmen ausgehandelt, die Verträge betreffen mehr als 18.000 Arzneimittel. Das Zielpreismodell wird dagegen bislang nur begleitend in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein angewendet. Nun muss aber die Quantität der implementierten Instrumente nicht unweigerlich bedeuten, dass auch deren Qualität die bessere ist.
Rabattverträge führen beispielsweise zu einem großen "Interaktionspotenzial" zu anderen gesetzlichen Instrumenten. Kann der Lauer-Preis nicht mehr als Referenzpreis Verwendung finden, sind z. B. Verfahren wie die Festbetragsregelung (§35 SGB V) oder Arzneimittelvereinbarungen, Arzneimittelrichtgrößen und Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung (§§84 und 106 SGB V) betroffen, da diese auf dem Lauer-Preis als Ausgangsbasis aufsetzen. Auch die Importquote (§129 Abs. 1 S.1 Nr. 2 SGB V) sowie die Aut-idem Regelung (§129 SGB V) sind beeinträchtigt, da bei einer bevorzugten Abgabe von rabattierten Arzneimitteln die Abgabe anderer Arzneimittel nur noch in Ausnahmefällen vorgesehen ist. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass die gerade erst gewonnene Transparenz im Arzneimittelmarkt wieder geschwächt wird [3].
Zielpreisvereinbarungen
Auch das Modell der Zielpreisvereinbarungen [2] weist möglicherweise Schwachstellen auf. In Zeiten eines Preismoratoriums (§130a Abs. 3a SGB V) scheint es theoretisch zu funktionieren und sollte der einzelnen Apotheke eine größere Flexibilität in der Arzneimittelauswahl geben. Liegt dagegen, wie ab dem 31. März 2008 zu erwarten ist, kein gesetzliches Preismoratorium mehr vor, können die Arzneimittelpreise auch wieder ansteigen, so dass ein zuvor verhandelter Zielpreis entweder regelmäßig neu zu verhandeln oder aber nur schwer einzuhalten ist.
Weitere Optionen
Neben diesen beiden Instrumentarien sind allerdings auch weitere Modelle denkbar. Auf der einen Seite steht hier das Denkmodell, Rabattverträge durch direkte Preisverhandlungen zu ersetzen und dieses unter Umständen noch um ein Ende des Kontrahierungszwanges für Krankenkassen zu ergänzen [4]. Ein anderer Weg findet sich im §130a Abs. 8 SGB V, in dem es heißt, dass Rabattverträge zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmen auch durch Dritte ausgehandelt werden können. Im Sinne eines – wie in den USA bereits betriebenen – Pharmacy Benefit Managements [5] könnten auch die Apotheker sich und ihren Sachverstand in Rabattverhandlungen einbringen und Lösungen miterarbeiten, die sowohl die sozialen Sicherungssysteme entlasten als auch den Arbeitsablauf in der Apotheke weitgehend flexibel erhalten, obwohl auch hierdurch die ehemalige Transparenz nicht wiederherzustellen ist. Als ersten Schritt würden sich Verträge zur Integrierten Versorgung (§140a SGB V) anbieten, da dort bereits eine enge Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker eingefordert wird. Dies hat auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen in seinem Gutachten 2007 unterstützt, wenn er sog. Versorgungseinheiten unter einem "ökonomischen Dach" vorschlägt: "Eine solche umfassende Versorgungseinheit verei-nigt unter einem ‚ökonomischen Dach’ u.a. (…) ein angeschlossenes Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) mit angestellten oder freiberuflich tätigen Ärzten, sowie auch dezentral niedergelassenen Haus- und Fachärzten (…) sowie eine Netzapotheke mit Dependencen, die auf der Basis indikationsspezifischer Vertragslisten direkt mit pharmazeutischen Firmen kontrahiert" (Ziffer 43) [6]. Grundsätzlich sind allerdings bei solch einem Modell neben den potenziellen Vorteilen [7][8] auch einige in letzter Zeit geäußerte Kritikpunkte [9] zu beachten.
Im Rahmen von Verträgen zur Integrierten Versorgung könnten Apotheker beispielsweise gemeinsam mit Kardiologen und Internisten Verordnungsquoten und Zielpreise für einzelne Wirkstoffgruppen (z. B. Anteil einer Leitsubstanz wie Ramipril am Gesamtmarkt der ACE-Hemmer) bzw. Wirkstoffgruppenübergreifend (z. B. Verhältnis ACE-Hemmer zu AT1 -Blockern) definiert werden, die gemeinsam im Rahmen eines Hausapothekenmodells einzuhalten sind. Mengenkomponenten könnten basierend auf epidemiologischen Verbrauchsanalysen und Ergebnissen der Versorgungsforschung sowie Erfahrungswerten aus vorausgegangenen Jahren festgelegt werden. Versicherte könnte je nach Wahl eines Arzneimittels (Original, Altoriginal, Generikum) eine gestaffelte Zuzahlung angeboten werden, um auch auf dieser Ebene Anreize für ein wirtschaftlicheres Verhalten zu setzen. Begleitende Verträge mit pharmazeutischen Unternehmern könnten solch ein Angebot abrunden und den Apotheker in die Rolle eines Case-Managers versetzen, der langfristig auch weitere Dienstleistungen bei der Betreuung und Begleitung vor allem chronisch Kranker anbietet.
Fazit
Beide aktuell diskutierten Wege "Rabattverträge" und "Zielpreismodell" befinden sich noch in einer "Lernphase" und sind bei weitem noch nicht ausgereift. Sie stellen allerdings beide einen weiteren Baustein in einer seit Jahren betriebenen Add-on-Politik dar, in der sich ein Instrument zum nächsten gesellt. Es ist daher zu fordern, dass die Politik und Krankenkassen sämtliche Regularien, die in den Arzneimittelmarkt eingreifen, auf ihren Nutzen und ihre Kompatibilität zu anderen Maßnahmen hin überprüft und ggf. aussetzt. Arzneimittelpreisverordnung, Negativ-, Life-Style- oder OTC-Ausnahmeliste, Arzneimittel-Richtlinie, Aut-idem, Importquote, Festbeträge, Arzneimittelvereinbarungen, Arzneimittelrichtgrößen, Wirtschaftlichkeitsprüfung, Preisvergleichslisten, Hersteller- und Apothekenrabatt, Zuzahlung, Preismoratorium und Rabattverträge – ein zuviel an nebeneinander, das einen an sich schon komplexen Markt noch komplexer und noch schwerer handhabbar und planbar macht. Zudem fehlt in der Regel die Evaluation aller genannten Interventionen, sodass Effektivität und Effizienz nur bedingt überprüfbar sind. Die Marktbeteiligten sollten sich jedoch der neuen Optionen aus dem GKV-WSG bewusst sein und die gebotenen Chancen proaktiv wahrnehmen.
Literatur[1] Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2477) zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 378).
[2] Franzmann A, Klöckner D, Schüssel K, Schulz M, Diener F (2007): Zielpreise für Leitsubstanzen: Verantwortungsteilung zwischen Arzt und Apotheker. PZ; 152 (16): 1398-1402
[3] Pfannkuche MS, Hoffmann F, Glaeske G (2007): Rabattverträge für Arzneimittel: Noch mehr Intransparenz im Pharmamarkt? DAZ; 147 (22): 2508-2512
[4] Cassel D, Wille E, Häussler B, Schröder H, Nink K, Lankers C (2006): Gutachten für das Bundesministerium für Gesundheit – Steuerung der Arzneimittelausgaben und Stärkung des Forschungsstandortes für die pharmazeutische Industrie. www.bmg.bund.de/cln_041/nn_605048/SharedDocs/Publikationen/Berichte/Pharmagutachten,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Pharmagutachten.pdf (letzter Zugriff: 04.10.2007)
[5] Greß S, Niebuhr D, Wasem J (2005): Marktzugang und Preisbildung auf Arzneimittelmärkten im internationalen Vergleich. www.uni-essen.de/fb5/pdf/142.pdf (letzter Zugriff: 04.10.2007)
[6] SVR-Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2007): Kooperation und Verantwortung. Kurzfassung. Bonn.
[7] Grabowski H, Mullins CD (1997): Pharmacy Benefit Managament, Cost-Effectiveness Analysis and Drug Formulary Decisions. Soc. Sci. Med.; 45 (4): 535-544
[8] Eber B, Kirman C, Tylor BI, Sanders J, Etheredge L (2001): Pharmacy Benefit Managers: A Modell for Medicare? National Health Policy Forum. www.nhpf.org/pdfs_ib/IB765_PBMs_7-9-01.pdf (letzter Zugriff: 04.10.2007)
[9] Garis RI, Clark BE, Siracuse MV, Makoid MC (2004): Examing the Value of pharmacy benefit management companies. Am J Health Syst Pharm; 61 (1): 81-85
Anschrift der Verfasser:
Matthias S. Pfannkuche, Apotheker, Prof. Dr. Gerd Glaeske, Universität Bremen, Zentrum für Sozialpolitik (ZeS), Arbeitsgruppe Arzneimittelanwendungsforschung, Außer der Schleifmühle 35-37, 28203 Bremen
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