Medizin

Was ist eigentlich ...das fetale Alkoholsyndrom?

Vor etwa 20 Jahren kam die Vermutung auf, dass unkontrollierter Alkoholgenuss in der Schwangerschaft zu einer Kombination von Fehlbildungen, dem sogenannten "fetalen Alkoholsyndrom" führen kann. Alkohol ist die häufigste Substanz, welche Fehlbildungen in der Schwangerschaft verursacht.

Sicht- und unsichtbare Schäden

In Deutschland werden Schätzungen zufolge jährlich etwa 2000 Kinder mit einem fetalen Alkoholsyndrom geboren. Dabei sind die gering ausgeprägten Formen einer Alkoholschädigung, die sich zum Beispiel nur als Konzentrationsstörungen bemerkbar machen, noch gar nicht mitgerechnet. Naturgemäß ist die Dunkelziffer höher und nicht abzuschätzen. In unseren Nachbarländern wie Frankreich liegt die Häufigkeit bei 1: 212, in Schweden bei 1: 600.

Unter dem Begriff "fetales Alkoholsyndrom" (FAS oder fetale Alkoholembryopathie (FAE)) wird eine durch übermäßigen, dauerhaften und krankhaften Alkoholgenuss entstandene Schädigung des Kindes verstanden. Besonders am Anfang der Organentwicklung ist der Embryo sehr empfindlich. Wird er jetzt ständig dem Zellgift Alkohol ausgesetzt, kommt es zu einer unzureichenden Entwicklung und Abnahme der Vermehrung aller Körperzellen. Folge dessen ist eine mangelhafte und fehlerhafte Entwicklung der Organe und des Gewebes. Daraus erklärt sich, dass im Prinzip alle Organe und Organsysteme des entstehenden und wachsenden Kindes im Mutterleib geschädigt sein können. In den ersten acht Wochen, also in der Embryonalperiode, werden Herz, Gehirn, Arme, Beine, Augen, Ohren und weitere Organe angelegt. Das FAS ist neben dem Morbus Down (Trisomie 21) und der Spina bifida ("offener Rücken"; Fehlbildung der Wirbelsäule und des Rückenmarks, die in verschiedenen Schweregraden auftreten kann) die häufigste Störung mit angeborener mentaler Retardierung.

Äußerliche Merkmale können fehlen

Die Diagnose einer schweren Alkoholembryopathie wird bei Ausprägung einiger äußerer Merkmale gestellt werden. Dazu zählen Kleinwuchs, Untergewicht, Kleinköpfigkeit, mangelhafte Muskelentwicklung, typische Gesichtsveränderungen, geistige Entwicklungsverzögerung und Verhaltensstörung. Bei weniger betroffenen Kindern sind diese äußerlichen Merkmale kaum oder sogar gar nicht erkennbar. In diesem Fall ist die Anamnese der mütterlichen Alkoholkrankheit wegweisend.

Viele Kinder haben Lernschwächen

Das FAS wird in unterschiedliche Schweregrade eingeteilt: leichte Form (Grad I), mittlere Form (Grad II) und schwere Form (Grad III). Die Übergänge zwischen den einzelnen Formen sind fließend. Gerade bei der leichten Form können die Veränderungen des Kindes so gering sein, dass ein Unterschied zu einem gesunden Kind nur sehr schwer erkennbar ist. Aber nicht nur sichtbare Schäden können auftreten. Auch unterschiedlich starke Störungen der Hirnleistung, kombiniert mit seelischen, gefühlsbezogenen und sozialen Entwicklungsstörungen sind zu finden. So kann es sein, dass die körperliche und geistige Entwicklung bei einigen Kindern in ähnlichem Ausmaß verzögert sind, bei anderen Kindern hingegen entweder Hirnleistungsschwäche oder Verhaltensstörungen dominieren. Bei nur leicht betroffenen Kindern kann es also lediglich zu einer Intelligenzreduktion kommen, während die körperliche Entwicklung annähernd unauffällig erfolgt. Fast 90 % der Kinder mit einem Alkoholschaden sind minderbegabt, die meisten von ihnen besuchen eine Schule für Lern- oder Geistigbehinderte. Das Verhalten ist oftmals auch typisch – sie sind zappeliger und weniger aufmerksam als Kinder nichtalkoholkranker Mütter. Es gibt aber auch Kinder mit relativ typischen Gesichts- und Körperveränderungen ohne geistige Beeinträchtigung und mit normalem Verhalten.

Alkohol wird nach dem Trinken rasch aus Magen und Darm ins Blut aufgenommen. Maximale Blutkonzentrationen werden ein bis zwei Stunden nach dem Trinken erreicht. Der von der Mutter getrunkene Alkohol gelangt über die Nabelschnur ungefiltert zum Kind. Der Fetus hat also weitgehend die gleiche Blutalkoholkonzentration wie die Mutter! Dies bedeutet auch – entgegen landläufiger Meinungen – dass es unwichtig ist, ob der Vater Alkohol in hohem Maße zu sich nimmt. Der Alkohol kann beim Vater zwar auch das Erbmaterial in den Spermien schädigen, ein FAS wird dadurch jedoch nicht ausgelöst. Ebenso verursachen andere Stoffe oder Begleitumstände wie Vitaminmangel, Nicotinmissbrauch, mütterlicher Leberschaden, Fehlernährung der Mutter, Begleitstoffe in alkoholischen Getränken oder andere Substanzen kein FAS.

Kein definierter Schwellenwert

Auch heutzutage kann nicht gesagt werden, ab welcher Alkoholmenge Schäden beim Kind zu erwarten sind. Untersuchungen deuten an, dass ab einer Tagesdosis von etwa 50 – 60 g Alkohol mit Schäden zu rechnen ist. Aber nicht nur die täglich zugeführte Alkoholmenge über Spirituosen ist entscheidend. Es ist auch an alkoholhaltige "Stärkungsmittel" und Medikamente (zum Beispiel Homöopathika) zu denken. Wichtig ist auch, wie die Mutter den Alkohol verstoffwechseln kann und wie weit die Alkoholkrankheit bei der Mutter in körperlicher und seelischer Hinsicht fortgeschritten ist. Kam es bei der Mutter durch den täglichen Alkohol schon zu Leberschäden, wird der Alkohol nur verzögert abgebaut. Schon bei geringen Alkoholmengen in der Schwangerschaft ist demnach eine Schädigung beim Kind zu erwarten. Andere werdende Mütter wiederum, die mit dem Trinken gerade erst beginnen und noch keine Stoffwechselstörung haben, vertragen noch deutlich mehr Alkohol als fortgeschrittene Trinkerinnen. Trotz hohem Alkoholmissbrauch in der Schwangerschaft gebären sie nicht oder kaum beeinträchtigte Kinder. In jedem Fall muss mit einer kindlichen Schädigung gerechnet werden, wenn die Mutter in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft, also der sensiblen Phase der Organentwicklung, übermäßig trinkt und dann mit dem Trinken aufhört.

Ist eine Heilung in Sicht?

Eine ursächliche Heilung ist nicht möglich. Die Fehlbildungen an Gliedmaßen, am Herzen, an den Augen oder den Nieren, um nur einige Beispiele zu nennen, lassen sich teilweise operativ beheben oder lindern. Ein "Medikament" gegen die allgemeine Unterentwicklung gibt es nicht. Durch unterschiedliche Förderungsmaßnahmen können die bestehenden Störungen gebessert werden. Nachuntersuchungen alkoholgeschädigter Kinder zeigten, dass die äußerlichen Auffälligkeiten und Fehlbildungen mit zunehmendem Alter weniger ausgeprägt werden. Auch die Intelligenz und die Sprachentwicklung bessern sich mit zunehmendem Alter. Jedoch werden schwer betroffene Kinder geistig retardiert bleiben. Selbst Kinder mit einem leichten fetalen Alkoholsyndrom (Grad I) besuchen später häufig keine normalen Schulen.

Quelle

Spohr HL, Willms J, Steinhausen HC: Prenatal alcohol exposure and longterm developmental consequences. Lancet. 1993; 341:907-910.

Streissguth AP, Aase JM, Clarren SK, et al: The fetal alcohol syndrome in adolescence and adults. JAMA 1991; 265: 1961-1967.

Michael Krausz: Kompendium Sucht, Thieme Verlag,

Bernhard van Treeck: Drogen- und Sucht-Lexikon, Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf,

Dr. Ingo Blank, Gärtringen

i Fetales Alkoholsyndrom

Faktoren, von denen die Schädigung des Kindes abhängt

täglich genossene Alkoholmenge

Art des Alkohols (Bier, Wein oder Schnaps; Schnapstrinker sind häufiger betroffen)

Dauer der Trunksucht

Alter der Mutter

Trinkverhalten (Gelegentliches Trinken? Morgendlicher Beginn? Kontrollverlust?)

Grad der Alkoholkrankheit

weitere körperliche Krankheiten

zusätzliche Suchtstoffe und Medikamente in der Schwangerschaft

Körperliche Anzeichen

der Alkohol-Embryopathie

kleiner Kopfumfang (Mikrozephalie)

Hautfalten an den Augenecken

kleine Augenöffnungen

tiefe Nasenbrücke (sog. Stubsnase)

kurze abgeflachte Nase

dünne Oberlippe

kleine Rinne zwischen Nase und Oberlippe

Minderwuchs

Untergewicht

Verhaltensauffälligkeiten

und Entwicklungsstörungen

Hyperaktivität

Aufmerksamkeitsmangel

Lernschwierigkeiten

Gestörte Feinmotorik

Schwierigkeiten, sich an neue Bedingungen anzupassen

verzögerte geistige Entwicklung

Sprachstörungen

Hörstörungen

Essstörungen

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