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Billigstwindeln für Kassenpatienten
Nach dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz sollen die Krankenkassen, soweit dies zweckmäßig ist, im Wege der Ausschreibung selektive Verträge mit Leistungserbringern oder zu diesem Zweck gebildete Zusammenschlüsse der Leistungserbringer über die Lieferung von Hilfsmitteln schließen. Die ersten Krankenkassen (z. B. Barmer und einige AOKs) haben dies bereits getan. Es liegt auf der Hand, dass Apotheken in diesem Bieterstreit keine Chance haben: die Windelprodukte müssten billigst eingekauft und länderweit, z. T. überregional an die Patienten ausgeliefert werden. In aller Regel kommen hier nur die Hersteller direkt zum Zuge, die dann per Speditionen ausliefern lassen. Dies hat harte Konsequenzen für die Inkontinenz-Patienten. Sie können ihre Inkontinenzprodukte nicht mehr in ihrer Stammapotheke an der Ecke beziehen, die ihnen diese Produkte auch meist nach Hause geliefert hat. Ihre Verordnungen über Windeleinlagen müssen sie erst an die Kasse schicken, die dann den Hersteller, der den Zuschlag bekommen hat, informiert, damit dieser dann ausliefern lässt. Patienten müssen mit Lieferverzögerungen, die an der Tagesordnung sind, kämpfen. Sie müssen rechtzeitig an eine neue Verordnung denken, da der Nachschub Tage dauern kann.
Und es werden in vielen Fällen, wie mittlerweile festzustellen ist, nur noch Billigstwindeln ausgeliefert. Diesen Missstand prangerte auch die Fernsehsendung "Frontal21" in ihrer Sendung am 18. November an. Billigwindeln, die von den Kassen eingekauft werden, sind jedoch völlig unbrauchbar, sie sind zu dünn, haben eine zu geringe Saugkraft, der Patient liegt stundenlang nass im Bett. Kassen beteuern zwar, das die Qualität der Versorgung das grundlegende Kriterium für die Erteilung des Zuschlags sei. Doch laut "Frontal21" wurde beispielsweise in den Ausschreibungsunterlagen der AOK Mecklenburg-Vorpommern die Frage der Qualität der Versorgung überhaupt nicht erwähnt. Bei den Zuschlagskriterien hieß es nur: "Niedrigster Preis." Hinzu kommt, dass die Patienten die Windeln in großen Mengen zu Hause stapeln müssen, da die Billig-Lieferanten nur alle drei Monate ausliefern, wie "Frontal21" am Beispiel einer Senioren-Wohngemeinschaft in Gützow zeigte.
Frank Spieth, gesundheitspolitischer Sprecher "Die Linke", klagt: "Wenn es in der Versorgung der Menschen, der Kranken zukünftig nur noch um Preisfragen geht, also nicht mehr um Versorgungsqualität, dann wird das zwangsläufig zu einer Zwei-Klassen-Medizin führen, die Menschen mit geringem Einkommen, die Behinderte, die Pflegebedürftige von einer hochwertigen und humanen Versorgung abhängt."
Das Bundesgesundheitsministerium gab hierzu kein Interview, man schob die Schuld vielmehr auf die Krankenkassen, da diese die Qualität der Hilfsmittel sicherstellen müssten. Die Kassen wiederum verweisen auf die Politik, die den Sparzwang verordnet habe.
Wie das Fernsehmagazin feststellte, haben Hersteller von Windelprodukten bereits neben Qualitätswindeln eine Parallelproduktion mit Billigwindeln aufgebaut, die im Handel nicht angeboten wird, sondern ausschließlich für Kassenpatienten bestimmt ist. Ein Hersteller verweist dabei auf Nachfrage darauf, dass man sich hier an gesetzlichen Mindestanforderungen orientiere. Doch definierte Qualitätsstandards gibt es nicht.
Experten befürchten schon jetzt, dass diese Misere mit den Billigwindeln Folgeerscheinungen und Mehrausgaben nach sich ziehen wird. Sie prognostizieren beispielsweise einen Anstieg der Pilzinfektionen bis hin zu vermehrten Decubitusfällen. Für die Krankenkassen dürfte es damit letztendlich teurer werden.
Apotheker kämpft gegen Misere
Der Gilchinger Apotheker Stefan Hartmann, Bundesverband Deutscher Apothekenkooperationen, prangert ebenfalls diese unhaltbaren Zustände an. Mit Unterstützung von Kollegen und Ärzten will er der Willkür der Kassen entgegentreten. Einen besonders schweren Fall von Missstand, bei dem einer seiner stuhlinkontinenten Patienten über acht Wochen lang nicht von den Windelherstellern beliefert wurde, brachte Hartmann in die örtliche Presse. Als die Windeln – nach mehrmaliger Rücksprache mit der Kasse und nachdem seine Apotheke bereits mit einer Ausnahmegenehmigung der Kasse eine Notration liefern durfte –, endlich beim Patienten eintrafen, waren es die falschen.
Es ist zu wünschen, dass diese entwürdigenden Zustände für Betroffene in der Öffentlichkeit angeprangert werden. Wenn sich Gesundheitsministerium und Krankenkassen die Verantwortung dafür schon gegenseitig zuschieben, dann sollten wenigstens umgehend klare Qualitätsstandards für diese Windelprodukte definiert werden, die eingehalten werden müssen.
Und noch eines: Krankenkassen fordern verstärkt von Apotheken, mit denen sie besondere Verträge über die Lieferung bestimmter Leistungen abschließen (z. B. Stützstrümpfe), dass sich die Apotheken qualifizieren und ein Qualitätsmanagement vorweisen können. Wie sieht dies denn bei den Kassen selbst aus? Hat es mit Qualität zu tun, wenn ihre Versicherten Billigstprodukte und die erst nach Wochen geliefert bekommen? .
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