DAZ aktuell

Keine neuen bundesweiten AOK-Rabattverträge

STUTTGART (hst). Etwas überraschend hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg am 27. Februar 2008 in dem Verfahren um einstweiligen Rechtsschutz gegen das von Vergabekammern ausgesprochene Zuschlagsverbot im Rahmen des Ausschreibungsverfahrens für neue Rabattverträge für die Jahre 2008/2009 die Entscheidung des Sozialgerichts Stuttgart aufgehoben. Da gegen diese Entscheidung im Eilverfahren keine Rechtsmittel mehr möglich sind, können die AOKs die neuen Rabattverträge bis zu einer anderslautenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht abschließen.

Die bereits verlängerte Bindungsfrist der Hersteller an ihre Angebote ist am 29. Februar 2008 abgelaufen, so dass den AOKs keine bindenden Angebote mehr vorliegen. Der Versuch der AOKs, mittels Ausschreibung neue bundesweit einheitliche Rabattverträge für alle Allgemeinen Ortskrankenkassen abzuschließen, ist damit für etwa drei Viertel der ursprünglich ausgeschriebenen Wirkstoffe gescheitert.

Erhebliche Mängel

Die schriftliche Entscheidungsbegründung lag bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht vor. In der mündlichen Entscheidungsbegründung beanstandete das Gericht erhebliche Mängel im Ausschreibungsverfahren. Nach Ansicht des 5. Senats des LSG Baden-Württemberg war das Kriterium der "Stoffbreite" in der in den Ausschreibungsunterlagen dargestellten Form für die Hersteller keine ausreichende Grundlage zur Bewertung der Preiskalkulation, so dass letztlich eine Zuschlagserteilung vom Zufall abhängen würde. Dies werteten die Richter als eine Ungleichbehandlung und mithin einen Verstoß gegen das Willkürverbot. Die Klausel, wonach die Hersteller nach Abschluss eines Rabattvertrages im Falle allgemeiner Preisabsenkungen für einen Wirkstoff um mehr als fünf Prozent einen weiteren Rabatt entsprechend der Höhe der Preissenkung gewähren sollten (Preisanpassungsklausel), wurde als Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewertet. Derartige Preisanpassungen seien bei Verträgen mit einer Laufzeit von zwei Jahren nicht üblich. Auch hätten die AOKs nur regional beschränkt ausschreiben oder regionale Lose bilden müssen. Der Zusammenschluss der 16 AOKs mit einem Marktanteil von 40 Prozent überschreite kartellrechtliche Grenzen und bilde somit ein Oligopol, das mittelständische Unternehmen bei dem Abschluss von Rabattverträgen benachteilige. Ferner hätten den Anbietern die Verordnungsdaten nicht zur Verfügung gestanden.

Stand der Verträge

Für die Apothekenpraxis bedeutet die Entscheidung jedoch, dass zumindest kurzfristig keine neuen bundesweiten AOK-Rabattverträge mit Sortimentsumstellungen anstehen. Lediglich für 22 Wirkstoffe bestehen seit Anfang des Jahres bundeseinheitliche Rabattverträge mit insgesamt 30 Herstellern. Einige AOKs verfügen noch über vor der Ausschreibung abgeschlossene Rabattverträge bzw. haben unabhängig vom Ausschreibungsverfahren bzw. ohne den Ausgang des Rechtsstreits abzuwarten, Rabattverträge mit einzelnen Herstellern geschlossen.

So weit keine Rabattverträge bestehen, ist die Aut-idem-Regelung nach Rahmenvertrag anzuwenden. Sofern Verträge bestehen, wie z. B. bei der AOK Rheinland/Hamburg, sind im Rahmen der zulässigen Regelungen bevorzugt Produkte mit Rabattvertrag abzugeben.

Bedauern bei der AOK

Die AOK Baden-Württemberg bedauerte die Entscheidung in einer ersten Reaktion, insbesondere da sie die deutschlandweite Ausschreibung von Arzneimittelrabattverträgen für 2008 faktisch unmöglich mache. Damit verliere das AOK-System bundesweit Einsparungen in dreistelliger Millionenhöhe. Das AOK-System werde kurzfristig darüber beraten, wie die Potenziale, die der Gesetzgeber über Arzneimittelausschreibungen grundsätzlich ermöglicht habe, für die Zukunft doch noch gehoben werden könnten. Dr. Christopher Herrmann, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der AOK Baden-Württemberg und Verhandlungsführer der AOKs in dem Ausschreibungsverfahren, musste aber Anfang dieser Woche einräumen, dass die einzelnen Kassen jetzt wohl ihren eigenen Weg gehen würden.

Chance für Zielpreisvereinbarungen

Dem Vernehmen nach haben nach dieser Entscheidung auch Zielpreisvereinbarungen, wie sie die ABDA vorschlägt, wieder eine Chance. Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben müssten diese dann aber regional zwischen den Landesapothekerverbänden und der jeweiligen AOK geschlossen werden. Am Donnerstag dieser Woche solle auch diese Option in einem Gespräch mit der Apothekerschaft erörtert werden, hieß es bei der AOK Baden-Württemberg.

Erheblicher Klärungsbedarf scheint hinsichtlich der tatsächlichen Einsparpotenziale zu bestehen, sowohl durch Rabattverträge als auch durch Zielpreisvereinbarungen. Marktbeobachter gehen davon aus, dass angesichts der zwischenzeitlichen Preissenkungen und der anstehenden Festbetragsanpassungen sowohl die seitens der AOKs genannten Einsparpotenziale durch Rabattverträge als auch das vom Deutschen Apothekerverband genannte Potenzial von Zielvereinbarungen von 400 Mio. Euro deutlich zu hoch gegriffen sei.

Politische Konsequenzen gefordert

Der AOK-Bundesverband forderte inzwischen politische Konsequenzen. Der Gesetzgeber müsse nach Ansicht der AOK jetzt kurzfristig die gesetzlichen Regelungen für Rabattverträge nachbessern, heißt es in einer Pressemitteilung des AOK-Bundesverbandes. Das den Rabattverträgen vorgeschaltete Ausschreibungsverfahren der AOK sei bundesweit das transparenteste und wettbewerbsoffenste Verfahren aller Krankenkassen, erklärte Dr. Herbert Reichelt, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Das Gericht habe sich, offenbar mangels konkreter sozialgesetzlicher Vorgaben, für die umfassende Anwendung förmlicher Vergaberechtsvorschriften entschieden.

Hausgemacht

Industrievertreter bekräftigten ihre Einschätzung, dass das vorläufige Ende der neuen AOK-Rabattverträge weitgehend durch die AOKs hausgemacht und durch Unbelehrbarkeit und Selbstüberschätzung einiger AOK-Manager verursacht sei. Die AOK Baden-Württemberg als Verhandlungsführer in dem Verfahren sei auf alle vom Landessozialgericht genannten Verfahrensmängel frühzeitig hingewiesen worden, so ein Industrievertreter. Wäre es den AOK-Vertretern um die Sache und weniger um Machtdemonstration gegenüber der Pharmaindustrie gegangen, wären die Verträge vermutlich längst in Kraft.

Dieser vorläufig abschließenden Entscheidung war ein juristisches Hickhack um Zuständigkeiten der Gerichte und die Frage der Anwendbarkeit von Rechtsnormen vorausgegangen (die DAZ berichtete mehrmals).

Mit der Entscheidung des LSG Baden-Württemberg ist die juristische Auseinandersetzung um die Anforderungen an und Ausgestaltung von Rabattverträgen nicht abgeschlossen. Die rechtlichen Fragen, so ein Beobachter, seien nicht endgültig geklärt. So müsse sich als nächstes der gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte mit der Frage des zulässigen Rechtsweges bei Arzneimittelrabattverträgen befassen. Eine weitere wichtige Vorentscheidung falle möglicherweise im Spätherbst 2008 oder Anfang 2009 vor dem EuGH, der aufgrund eines Vorlagebeschlusses des Oberlandesgerichts Düsseldorf zu entscheiden hat, ob Krankenkassen öffentliche Auftraggeber sind und damit dem Vergaberecht unterliegen.

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