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Ein Fass ohne Boden?

Der Niedriglohnsektor wächst immer schneller. Das ergab eine Untersuchung des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen. Besonders betroffen sind Familien mit Kindern.

Etwa 6,5 Millionen Arbeitnehmer erhalten Niedriglöhne. Ihr Anteil beträgt 22 Prozent und ist seit Mitte der 90er-Jahre kontinuierlich gestiegen, allein zwischen 2004 und 2006 um zehn Prozentpunkte. Im Jahr 2006 mussten 1,9 Millionen Arbeitnehmer mit einem Bruttostundenlohn von fünf Euro oder weniger auskommen.

Qualifikation schützt nur bedingt vor dem Abrutschen in den Niedriglohnsektor. Der Untersuchung zufolge hatten 74% der Beschäftigten, die im Niedriglohnsektor arbeiten, eine Berufsausbildung oder ein Studium absolviert – 1995 waren es 67%.

Besonders häufig sind Minijobber von der Niedriglohnbeschäftigung betroffen – mehr als 90% von ihnen beziehen auch Minilöhne. Allerdings erhalten auch jeder siebte Vollzeitbeschäftigte und jeder vierte Teilzeitbeschäftigte einen Niedriglohn.

Im internationalen Vergleich fällt vor allem auf, dass sich bei uns die Löhne vergleichsweise stark nach unten differenzieren. Außerdem ist der hohe Anteil qualifizierter Kräfte im Niedriglohnbereich bemerkenswert. Dies hat Auswirkungen auf den gesamten Arbeitsmarkt: Arbeitgeber können auf schlecht bezahlte Kräfte zugreifen, was zusätzlich zu den Folgen für die Betroffenen eine Gefahr für die Arbeitsplätze mit normalem Lohnniveau darstellt.


Niedriglöhne


In der Politik wird meistens die Niedriglohn-Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verwendet: Angestellte, die weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns bekommen, sind demnach im Niedriglohnsektor tätig. Die Grenzen liegen in den alten Bundesländern bei 9,61 Euro pro Stunde und im Osten bei 6,81 Euro pro Stunde.

Kinderarmut: Neue ­Lösungen sind gefragt

Die niedrigen Löhne und Gehälter bleiben nicht ohne Auswirkung auf die Familien. In den letzten Jahren ist speziell die Kinderarmut kontinuierlich angestiegen. Das Modell, bedürftigen Familien zusätzlich zum Kindergeld einen Kinderzuschlag zu zahlen, hat Experten zufolge aber nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht. Zu hohe bürokratische Hürden führten in lediglich zwölf Prozent der Anträge zwischen 2005 und 2006 zu einer Ausschüttung der Förderung.

Wissenschaftler der Hans-Böckler-Stiftung entwickelten nun ein Alternativkonzept: Kernpunkte sind neben Vereinfachungen beim Vergabeverfahren die Erhöhung des maximalen Kinderzuschlags auf 150 Euro, sodass das Kindergeld zusammen mit dem Kinderzuschlag das Existenzminimum des Nachwuchses abdeckt. Alleinerziehende erhalten dann aufgrund der besonderen Situation 100 Euro zusätzlich.

Dem Modell zufolge sollten auch die finanziellen Grenzen des Existenzminimums überdacht werden. Wer keine Hartz-IV-Leistungen erhält, könnte trotzdem in den Genuss der Unterstützung kommen. Im Gespräch sind dabei Einkommensgrenzen von 860 Euro für Alleinerziehende und 1238 Euro für Paare. Zudem sollen die bislang geltende Höchstbezugsdauer von drei Jahren und die Anrechnung des Familienvermögens dem Reformvorschlag zufolge wegfallen.


Michael van den Heuvel


Kommentar


Ein gesetzlicher Mindestlohn könnte zwar dort, wo keine Tarifverträge gelten, der Armut wirkungsvoll entgegenwirken. Dennoch sollen Mindestlöhne nicht die Maßnahmen der Familienpolitik ersetzen!

Um die größte Not zu lindern, ist der Kinderzuschlag unbestritten eine schnell wirksame Maßnahme: Die Hans-Böckler-Stiftung geht davon aus, dass sich durch die Reform die Kinderarmut von 18 auf 14 Prozent senken ließe. Langfristig muss aber darüber nachgedacht werden, ob ein Kinderexistenzgeld, wie es der Wissenschaftler Claus Schäfer fordert, nicht doch die sinnvollere Variante ist. Dem liegt die Idee zugrunde, dass die Arbeitgeber für die adäquate Entlohnung der Angestellten zuständig sind, der Staat aber für einen vernünftigen Familienlastenausgleich zu sorgen hat.


Tanja Kratt, Zweite Vorsitzende von ADEXA

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