Arzneimittelsicherheit

Der Heparin-Skandal

Wie es dazu kommen konnte und die Lehren daraus
Von Monika Tawab und Manfred Schubert-Zsilavecz

Der jüngste Heparin-Skandal hat wieder einmal gezeigt, welche verheerenden Schäden verunreinigte Ausgangsstoffe bei Patienten anrichten können. Zu Recht stellt sich daher die Frage, wie es dazu kommen konnte und wie wir uns zukünftig vor ähnlichen Vorfällen schützen können.

Seit Wochen beschäftigt verunreinigtes Heparin die Überwachungsbehörden. Das Antikoagulans aus China steht im Zusammenhang mit 81 bestätigten Todesfällen und zahlreichen schweren allergischen Reaktionen in den USA, weshalb alle unfraktionierten injizierbaren Heparinpräparate der amerikanischen Firma Baxter in den USA zurückgerufen wurden. Auch in Deutschland musste die Firma Rotexmedica ihr unfraktioniertes Heparin wegen schwerer allergischer Komplikationen vom Markt nehmen. Weitere Rückrufe verschiedener Hersteller, unter anderem auch der Firma Sanofi Aventis in Australien, Schweden und England, folgten [1].

Bei den sehr hoch angesiedelten Sicherheits- und Qualitätsanforderungen für Arzneimittel in westlichen Ländern, wirft sich die Frage auf, wie es zu solchen gravierenden Zwischenfällen kommen konnte. Wie dem "The New England Journal of Medicine" zu entnehmen ist, steht die amerikanische Zulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) unter massivem Beschuss [2, 3]. Daran ist nicht nur das verunreinigte Heparin Schuld. Auch der Rückruf des von der FDA zugelassenen COX-2-Inhibitors Rofecoxib (Vioxx®) führte bereits im Vorfeld zu einem erheblichen Vertrauensverlust in die US-Behörde.

Die Realität zeigt, dass die FDA mit ihrer Überwachungsfunktion angesichts der dramatischen Zunahme der Überseeproduktion von Ausgangsstoffen und Fertigarzneimitteln maßlos überfordert ist. Der enorme Kostendruck treibt die pharmazeutische Industrie mehr und mehr dazu, billige Ausgangsstoffe/Fertigprodukte aus dem Ausland zu importieren. Über 80% der pharmazeutischen Wirkstoffe in den USA stammen heute von ausländischen Lieferanten, die meistens in China oder Indien ansässig sind. Zuverlässige Daten über die genaue Anzahl ausländischer Ausgangsstoff- und Fertigarzneimittelhersteller sind nur schwer erhältlich. Es wird vermutet, dass die genaue Zahl zwischen 3200 und 6800 Einrichtungen liegt [4]. Geht man von der niedrigen Zahl aus, so inspiziert die FDA jährlich nur ca. 7% der ausländischen Lieferanten. Demnach würde eine komplette Inspektion aller ausländischen Hersteller mindestens 13 Jahre in Anspruch nehmen [2].

Zahlreiche Faktoren führten zu diesem Missstand bei der amerikanischen Zulassungsbehörde. Während der FDA zunehmend mehr und mehr Verantwortung übertragen wird, halten sich die finanziellen und personellen Ressourcen in Grenzen. So erhielt die FDA im Jahre 2007 1,75 Milliarden US-Dollar zugesprochen, was weniger ist als 75% des Budgets eines Schulbezirks in Maryland und genau so viel wie die veranschlagten Kosten für die berüchtigte "bridge to nowhere" (Brücke ins nirgendwo) in Alaska [3]. Gemäß dem GAO (Government Accountability Office)-Report reduzierte sich weiterhin die Zahl der GMP-Inspektoren seit 2002 um 25% [4]. Zusätzlich wird die Arbeit der Inspektoren durch sprachliche Barrieren vor Ort erheblich eingeschränkt. Unangekündigte Inspektionen sind daher kaum möglich.

Angesichts dieser knappen Ressourcen setzt die FDA mittels einer risikobasierten Analyse Prioritäten für GMP-Inspektionen im Ausland und fokussiert dabei auf Betriebe, deren GMP- Konformität in Frage gestellt ist. Im Falle des chinesischen Heparin-Lieferanten war seitens der FDA eine Inspektion zwar geplant, wurde aber nicht durchgeführt.

Der Heparin-Vorfall macht deutlich, dass Inspektionen von ausländischen Lieferanten in einem noch größeren Maße als zuvor durchgeführt werden müssen, um eine hohe Arzneimittelqualität zu gewährleisten. Mit Sicherheit kommt der Behörde, sei es in den USA oder in Europa, hierbei eine wichtige Kontrollfunktion zu. Allerdings können die Behörden diese Funktion nur in vollem Umfang wahrnehmen, wenn ihnen ausreichende finanzielle und personelle Mittel zur Verfügung stehen. Es sollte daher alles Mögliche getan werden, um insbesondere von politischer Seite maximale finanzielle Unterstützung zu garantieren.

Doch auch die pharmazeutischen Unternehmer müssen zunehmend in die Verantwortung gezogen werden. Der Vorteil reduzierter Produktionskosten durch Bezug von Ausgangsstoffen aus billigen Quellen sollte sorgfältig gegen ein erhöhtes Risiko für den Patienten abgewogen werden. Pharmazeutische Hersteller sind daher aufgefordert, noch häufiger als zuvor ihre Lieferanten im Ausland zu auditieren und die Herstellungsprozesse der Ausgangsstoffe – auch nach erfolgter Zulassung ihres Präparates – kontinuierlich zu überprüfen. Neben einer lückenlosen Dokumentation des Vertriebsweges sollte auf eine kritische Beurteilung des Herstellungsverfahrens inklusive der In- bzw. Endkontrollen, auf die Validierung kritischer Herstellungsschritte und auf die Durchführung von Stressstabilitäten geachtet werden. Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei dem Verunreinigungsprofil gewidmet werden, welches nicht nur die bekannten Verunreinigungen berücksichtigen sollte.

Im Fall des verunreinigten unfraktionierten Heparins enthielten die betroffenen Präparate übersulfatisiertes Chondroitinsulfat, das nur mit speziellen Analysenmethoden detektiert werden kann. Im Rahmen der üblichen Qualitätsprüfungen konnte daher diese Verunreinigung nicht festgestellt werden. Erst durch die Anwendung spezieller Verfahren, wie der Kapillarelektrophorese und Kernspinresonanzspektroskopie (NMR-Spektroskopie) ist man dieser Verunreinigung auf die Spur gekommen. Seitdem schreiben die FDA sowie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vor, alle Injektionslösungen mit unfraktioniertem Heparin mittels einer dieser beiden Analysenmethoden auf das Vorhandensein von sulfatiertem Chondroitinsulfat zu prüfen.

Nach Angaben des BfArM sind in Deutschland seit der Rückrufaktion im März keine weiteren Chargen mehr gefunden worden, die problematisches unfraktioniertes Heparin enthalten. Ebenso ist die legale Verteilerkette für Arzneimittel in Deutschland aus Sicht des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Bundesgesundheitsministeriums weiterhin relativ sicher. Dennoch hat der Heparin-Skandal uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, hohe Anforderungen an die Qualität, Sicherheit und Vertrieb von Arzneimitteln zu stellen und diese auch in Zukunft zu garantieren.

 

Quelle

[1] BfArM-Stufenplanverfahren: Fraktioniertes und unfraktioniertes Heparin vom 25. April 2008; www.aerzteblatt.de vom 25. April 2008. 

[2] Stuart O. Schweizer. Trying Times at the FDA – The Challenge of Ensuring the Safety of Imported Pharmacetuicals. N Engl J Med, 2008, 358(17): 1773-1777.

[3] Alastair J.J. Wood. Playing "Kick the FDA" – Risk-free to Players but Hazardous to Public Health. N Engl J Med, 2008, 358(17): 1774-1775. 

[4] Drug safety – preliminary findings sugest weakness in FDA’s program for inspecting foreign drug manufacturers. Testimony of Marcia Crosse, director health care, before the Subcommittee on Oversight and Investigations, Committee on Energy and Commerce, House of Representatives, November 1, 2007. Washington, DC: Government Accountability Office. (GAO-08-224T). (Accessed April 4, 2008, at http://www.gao.gov/htext/d08224t.html.) 

 

 


Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz

Dr. Mona Tawab

Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker e.V. 

Carl-Mannich-Str. 20 

65760 Eschborn

 

 

 

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