Pädiatrie

Hypertonie bei Kindern

Rechtzeitig erkennen und behandeln
Von Claudia Bruhn

Bluthochdruck ist nicht nur eine Erkrankung des Erwachsenenalters - auch bei Kindern beobachtet man inzwischen mit Besorgnis einen Anstieg der Prävalenz. Bei Kindern wird selten routinemäßig der Blutdruck gemessen, ein Hochdruck daher oft nur durch Zufall entdeckt. Wenn ein Kind sehr oft Nasenbluten hat oder über Kopfschmerzen klagt oder über Übelkeit, Sehstörungen oder Müdigkeit, sollte unbedingt auch der Blutdruck gemessen werden! Wie eine Hypertonie im Kindesalter behandelt wird und welche Unterstützung die Apotheke dabei leisten kann, darüber gibt der folgende Beitrag einen Überblick.

Hypertoniepatienten, die in der Apotheke ein Rezept über ein Antihypertensivum einlösen, sind in erster Linie Erwachsene im mittleren bis höheren Lebensalter. Doch auch bei Kindern kann diese Erkrankung auftreten – die Prävalenz nimmt sogar zu. Während sie in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch mit etwa 1% angegeben wurde, zeigen neuere Untersuchungen Werte bis zu 4,5%. Experten sehen die Gründe dafür zum einen in einer höheren Aufmerksamkeit für diese Erkrankung, zum anderen ist dafür wahrscheinlich auch der steigende Anteil fettleibiger Kinder verantwortlich. Die meisten Bluthochdruckerkrankungen bei Kindern sind sekundäre Hypertonien, das heißt sie treten als Begleiterkrankung einer Nierenerkrankung (z. B. Nierenarterienstenose), einer Herzkrankheit (z. B. Aortenisthmusstenose) oder einer endokrinen Störung (z. B. Phäochromozytom) auf. Essenzielle Hypertonien werden häufiger bei Jugendlichen diagnostiziert.

Säuglinge, Klein- und Schulkinder haben niedrigere Blutdruckwerte als Erwachsene. Ab dem Kleinkindalter steigt er mit zunehmenden Alter kontinuierlich an.


Eine Aussage über die Höhe des Blutdrucks in Bezug auf vergleichbare Gleichaltrige kann als Prozentangabe mittels der Perzentile in einem Koordinatensystem dargestellt werden. Die Kurven zeigen, wie viel Prozent der untersuchten Kinder unterhalb des jeweiligen Perzentilwertes liegen. Als "normal" gelten alle, die zwischen den Perzentilen 3% und 97% liegen. Ein Blutdruck auf der 95. Perzentile bedeutet, dass 95% der Kinder gleichen Alters und gleicher Größe einen geringeren Blutdruck haben. Das Kind befindet sich also an der Grenze zur Hypertonie.



Definiert wird eine arterielle Hypertonie im Kindesalter als eine dauerhafte Erhöhung des systolischen und/oder diastolischen Blutdrucks über die 95-er Perzentile der Altersnorm, bezogen auf die Körpergröße, wobei zwischen verschiedenen Stadien differenziert wird (siehe Tabelle 1 und 2).


Tab. 1: Referenzwerte für die 50. und 95. Perzentile bei der Gelegenheitsblutdruckmessung*
Gelegenheitsblutdruck (mmHg)
Jungen
Mädchen
Körpergröße (cm)
50. Perzentile
95. Perzentile
50. Perzentile
95. Perzentile
100
96/53
113/70
96/53
113/70
110
100/56
118/72
99/56
115/72
120
102/58
120/73
102/57
118/74
130
105/59
121/74
105/58
122/75
140
107/60
124/75
107/60
126/76
150
111/61
130/77
111/62
130/77
160
116/62
137/79
115/64
134/78
170
122/64
146/81
117/65
138/80
180
126/66
151/83
*Diese Werte wurden im Rahmen europäischer epidemiologischer Studien ermittelt und sind publiziert in: de Man SA, et al., Blood pressure in childhood: pooled findings of six European studies, J Hypertens 9: 109-114 (1991).

Tab. 2: Hypertonie-Stadien bei Kindern (RR=Blutdruck)
normal
RR systolisch/diastolisch < 90. Perzentile
Prähypertension
RR systolisch und/oder diastolisch > 90. Perzentile oder bei RR 120/80, auch wenn unter 90. Perzentile
Bluthochdruck Stadium 1
RR systolisch und/oder diastolisch > 95. und < 99. Perzentile + 5 mmHg
Bluthochdruck Stadium 2
RR systolisch und/oder diastolisch > 99. Perzentile
+ 5 mmHg

Die Diagnostik einer Hypertonie bei Kindern gestaltet sich relativ schwierig, da sie – analog wie bei Erwachsenen – zu Beginn und bei mäßiggradigem Verlauf keine Symptome verursacht. Erst bei längerer Krankheitsdauer oder schwerer Ausprägung kann es zu Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Sehstörungen, Krampfanfällen, Unruhe, Schlafproblemen oder Gedeihstörung kommen.

Die Diagnose arterielle Hypertonie stellt in der Regel der Haus- oder Kinderarzt. Um den Blutdruck bei Kindern korrekt bestimmen zu können ist es wichtig, dass eine ausreichend große Manschette verwendet wird, die bequem am Oberarm platziert werden kann. Als Faustregel gilt: Der aufblasbare Teil der Manschette umfasst mindestens zwei Drittel der Oberarmlänge. Aussagekräftiger als Gelegenheits-Blutdruckmessungen sind 24-Stunden-Langzeitmessungen. Eine Langzeitmessung wird dann angeraten, wenn bei der Gelegenheitsmessung ein Wert von über 160/100 mmHg bestimmt wurde oder bei drei Messungen an verschiedenen Tagen die 95. Perzentile überschritten wurde. Für diese Messungen gibt es weitere Tabellen mit Normwerten.

Sind weiterführende Untersuchungen zur Sicherung der Diagnose notwendig, werden diese in der Regel an Kliniken von spezialisierten Ärzten (vor allem pädiatrische Nephrologen, Radiologen bzw. Kardiologen) durchgeführt. Dabei kommen bildgebende Verfahren (z. B. Sonographie, MRT von Nieren und Gehirn) und Laboruntersuchungen (z. B. Hormonstatus der Nebennierenrinde) zum Einsatz.

Hypertoniebehandlung in der Pädiatrie

Prinzipiell wird hoher Blutdruck bei Kindern und Jugendlichen ähnlich wie bei Erwachsenen behandelt. Die Therapie richtet sich nach der Ursache und dem Schweregrad der Erkrankung. Bei sekundärer Hypertonie wird zunächst die Grunderkrankung therapiert.

Eine sekundäre Hypertonie im Rahmen einer Nierenerkrankung wird frühzeitig medikamentös behandelt, um eine hochdruckbedingte Verschlechterung der Nierenfunktion zu verhindern. Wird bei Kindern mit Diabetes eine Hypertonie diagnostiziert, muss unverzüglich mit der Behandlung begonnen werden, um mikro- oder makroangiopathische Schäden zu verhindern bzw. einzuschränken. Denn man nimmt an, dass bei einer Diabetesmanifestation im Kindesalter die pathophysiologischen Veränderungen durch die Hyperglykämie zu viel größeren Veränderungen führen als bei Erwachsenen, obwohl darüber noch wenig bekannt ist.

Nicht-medikamentöse Therapie

Bei milder primärer Hypertonie wird zunächst eine nicht-medikamentöse Behandlung eingeleitet. Sie umfasst hauptsächlich:

  • Gewichtsreduktion bei Übergewicht
  • Einschränkung der Kochsalzzufuhr
  • Abbau von Bewegungsmangel (z. B. durch Reduktion von Fernsehen und Computerspielen)
  • Sport (bevorzugte Sportarten: Schwimmen, Radfahren, Mannschaftsspiele)
  • Verzicht auf Rauchen und Alkohol
  • Stressreduktion im Alltag und Schaffung von Entspannungsmöglichkeiten (z. B. autogenes Training, Ballett, Yoga)

Medikamentöse Therapie

Bei mittelschwerer oder schwerer Hypertonie bzw. wenn nicht-medikamentöse Maßnahmen allein nicht ausreichen, wird eine Pharmakotherapie eingeleitet. Ziel ist dabei eine Absenkung des Blutdrucks deutlich unter die jeweilige 95. Perzentile, bei Proteinurie in den Bereich der 50. Perzentile.

Prinzipiell können dazu Arzneimittel aus allen bei Erwachsenen eingesetzten Wirkstoffklassen (d. h. ACE-Hemmer, Betablocker, Calciumantagonisten, Diuretika, AT1 -Antagonisten) angewendet werden. Die meisten Erfahrungen bestehen mit Betablockern, bei Natriumchlorid- und Wasserretention werden primär Diuretika empfohlen. Kinder mit Diabetes mellitus Typ 1 und Kinder mit Proteinurie werden hauptsächlich mit ACE-Hemmern behandelt.

Aus Gründen der Compliance werden möglichst einfache Therapieschemata und wenn möglich, Retardpräparate mit solchen Wirkstoffen, zu denen die meisten Erfahrungen vorliegen, eingesetzt. Zum Ausgleich von Nebenwirkungen werden anstelle von hochdosierten Monotherapien häufig Kombinationen bevorzugt:

  • Betablocker plus Diuretikum
  • Betablocker plus Calciumantagonist
  • Betablocker plus ACE-Hemmer
  • ACE-Hemmer plus Diuretikum
  • ACE-Hemmer plus Calciumantagonist

Bei den Betablockern kommen vor allem Metoprolol und Atenolol, bei den Diuretika Furosemid und Hydrochlorothiazid und bei den ACE-Hemmern Captopril, Enalapril und Ramipril zum Einsatz. Bei Blutdruckkrisen werden z. B. Nifedipin (sublingual), Clonidin oder Dihydralazin (intravenös) oder Prazosin (oral) angewendet.

Es gibt zu wenige Kinderarzneimittel

Nur für sehr wenige – meist ältere – Wirkstoffe gibt es eine Zulassung für Kinder, oft sind trotz Zulassung keine Präparate verfügbar. Der Off-label-use ist aus diesem Grund bei der Behandlung der Hypertonie im Kindesalter sehr häufig. Die Patienten bzw. ihre Eltern müssen in einem solchen Fall vom Arzt entsprechend aufgeklärt werden. Bezüglich der Dosierungen ist jedoch inzwischen ein breites Erfahrungswissen verfügbar und publiziert (siehe Tabelle 3).


Tab. 3: Antihypertonika mit einer Zulassung für das Kindesalter in Deutschland (Auswahl)
Wirkstoff
Dosierung*
Präparate (Bsp.)
ACE-Hemmer
Captopril
0,15 bis 0,3 mg/kg KG oral
Lopirin® Cor Tabletten,
Captopril® Stada Tabletten
Enalapril
2,5 bis 20 mg/Tag oral
Xane Cor Tabletten Benalapril® Tabletten
Calciumantagonisten
Verapamil
80 bis 360 mg/Tag oral
1,5 mg/kg KG pro Tag i.v.
Falicard® Tabletten, Injektionslösung
Diuretika
Furosemid
1 bis 2 mg/kg KG pro Tag oral
Furosemid® ratiopharm Tabletten
*lt. Fachinformation

Eine Verbesserung der Situation erhofft man sich von der seit Januar 2007 existierenden neuen EU-Verordnung zu Kinderarzneimitteln deren Ziel es ist, einen Anreiz zur verstärkten Entwicklung kindgerechter Arzneimittel zu schaffen. Durch diese Verordnung werden Pharmaunternehmen verpflichtet, alle in Entwicklung befindlichen Arzneimittel auch für Kinder und Jugendliche zu prüfen und zur Zulassung zu bringen, sofern diese für Minderjährige in Betracht kommen. Die Unternehmen erhalten dafür einen um sechs Monate verlängerten Schutz vor Nachahmerpräparaten. Auch für bereits zugelassene Präparate mit abgelaufenen Schutzfristen gibt es Anreize, sie nachträglich für Kinder und Jugendliche zu erproben und dafür eine spezielle "Kinderzulassung" zu erwirken.

Literaturquellen für Informationen über Kinderdosierungen

  • von Harnack, G.-A.; Janssen, F.: Pädiatrische Dosistabellen. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart (2003).
  • Ankermann, T.; Pankau, R.; Wessel, A. (Hrsg.): Arzneimitteltherapie und Ernährung im Kindesalter, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart (2005).
  • Wigger, D.; Stange, M.: Medikamente in der Pädiatrie. Urban & Fischer (2007).
  • Bruhn, C.; Frey, O.; Wagner, R.: Das Kind in der Apotheke. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart (2006).

Quelle

Hypertonie im Kindesalter. aus: Leitlinien für die Prävention, Erkennung, Diagnostik und Therapie der arteriellen Hypertonie der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften (AWMF), Stand November 2003; http://leitlinien.net/

Rascher, M.: Hypertonie im Kindes- und Jugendalter. Management Hypertonie Journal by Fax, Nr. 9, 5. Jahrgang (2005).

Krull, F.: Arterielle Hypertonie im Kindesalter. pädiatrie hautnah, 104-108, Nr. 2/2007.

Hypertonie bei Kindern mit Diabetes. DiabetesNews, Nr 3 (2005).

Seikaly, M. G.: Hypertension in children: an update on treatment strategies, Curr Opin Pediatr 19: 170-177 (2007).

Sorof, J. M.; et al.: Overweight, ethnicity, and the prevalence of hypertension in school-aged children, Pediatrics 113: 475-482 (2004).

www.rote-liste.de

 


Anschrift der Verfasserin 

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

Ahornstr. 8 

12163 Berlin

 

 

 

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