Pädiatrie

Individualrezepturen aus der Apotheke

Wenn schon Kinder einen zu hohen Blutdruck haben, ist das Risiko groß, dass es später zu Arterienverkalkung, Herzinfarkt oder einem Schlaganfall kommt. Daher sollte bei Kindern rasch mit der Therapie begonnen werden, wenn eine Hypertonie festgestellt wurde. Viele der zur Verfügung stehenden Arzneistoffe sind jedoch für die Behandlung von Kindern nicht zugelassen. Wir sprachen mit Prof. Dr. Jürgen Strehlau vom Universitätsklinikum Leipzig, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, wie hier in der Apotheke geholfen werden kann.

DAZ: Gibt es Symptome, an denen sich erhöhter Blutdruck bei Kindern sicher erkennen lässt?

 

Strehlau: Hoher Blutdruck kann eigentlich nur beim Arzt festgestellt werden, zum Beispiel bei den Vorsorgeuntersuchungen bei Kindern und Jugendlichen oder wenn das Kind wegen einer Grunderkrankung behandelt wird. Denn geringe Blutdruck-Erhöhungen, die jedoch schon nicht mehr normal sind, werden von den Kindern mit einem gesunden Herzen gut toleriert. Außerdem gilt die Faustregel: je jünger die Kinder sind, desto weniger Symptome zeigen sie. Treten erhebliche Beeinträchtigungen wie Leistungsabfall, Kopfschmerzen, Übelkeit oder Erbrechen auf, so liegt in der Regel schon ein länger persistierender Bluthochdruck vor. Das heißt, eine Hypertonie ist nicht an klinischen Symptomen erkennbar, sondern nur durch gezielte Messungen. Das einzig sinnvolle sind dann Langzeit-Blutdruckmessungen über 24 Stunden.

DAZ: Gibt es in Deutschland genügend zugelassene Medikamente für Kinder mit Bluthochdruck?

 

Strehlau: Nein, das ist ein Riesenproblem, es gibt viel zu wenige. Die meisten Blutdruckmedikamente sind für Erwachsene, jedoch nicht für Kinder konzipiert und in Studien getestet. Allerdings ist hier durch die neue, sehr sinnvolle EU-Verordnung zu Kinderarzneimitteln einiges in Bewegung geraten. Dadurch werden jetzt zunehmend Kinderstudien initiiert. So werden beispielsweise derzeit in Deutschland zwei große Studien mit den Angiotensin-II-Rezeptorblockern Losartan und Valsartan bei Kindern durchgeführt.

Zwar sind in der entsprechenden Literatur inzwischen zu vielen häufig eingesetzten Antihypertensiva Kinderdosierungen zu finden, diese sind jedoch in den meisten Fällen Erfahrungsdosierungen oder beruhen auf sehr kleinen Studien.

DAZ: Wie sieht es mit kindgerechten Arzneiformen aus? Für einige Wirkstoffe z. B. Nifedipin oder Furosemid, gibt es ja "kinderfreundliche" flüssige Darreichungsformen.

 

Strehlau: Dies betrifft aber nur einige ältere Wirkstoffe. Bei den moderneren Antihypertensiva sind die Tabletten oder Kapseln oft so groß, dass sie von Kindern nicht geschluckt werden können.

DAZ: Wie gehen Sie in der Praxis mit diesem Problem um? Lassen Sie in Fällen, wo kindgerechte Darreichungsformen nicht zur Verfügung stehen, Individualrezepturen herstellen?

 

Strehlau: Ja, genau. Wir lassen viele Rezepturen in Kapselform herstellen. So beispielsweise bei Losartan, bei dem es nur eine 12,5-mg-Dosierung gibt. Wir benötigen aber Einzeldosierungen von z. B. 2,5 mg, die wir dann individuell herstellen lassen. Der Kapselinhalt wird dann von den Eltern in Milch oder Joghurt aufgelöst. Bei kleinen Kindern haben wird außerdem die Situation, dass das entsprechende Medikament zu Beginn der Mahlzeit gegeben werden muss, einfach weil dann die Chance besteht, dass auch nicht ganz so wohlschmeckende Mittel mit einer kleinen Menge Milch noch heruntergeschluckt werden. Wenn Sie dagegen – wie es eigentlich empfohlen ist – versuchen würden, das Medikament eine Stunde vor oder nach einer Mahlzeit zu verabreichen, hätten Sie keinen Erfolg.

 

Tab. 4: Beispiele für Individualrezepturen für Kinder mit Hypertonie
Wirkstoff
Präparat (Bsp.)
Individualrezeptur
Hinweise
Captopril
Lopirin® Cor
Tabletten (2,5 mg)
Captopril-Kapseln 1 mg 25 Stück:
2 Tabletten Lopirin® Cor, Mannit-Aerosil-Grundlage ad 12,5 ml, in Kapseln Gr. 1 abfüllen
2 Jahre haltbar
in wässriger Lösung besitzt Captopril begrenzte Stabilität! (1 mg/ml in Aqua dest. ist 14 Tage bei 4°C und 7 Tage bei 22°C stabil)
Clonidin
Catapresan® 150 Tabletten
Clonidin-Kapseln 10 µg 60 Stück:
4 Tabletten Catapresan® 150, Mannit-
Aerosil-Grundlage ad 30 ml, in Kapseln Gr. 1 abfüllen
2 Jahre haltbar
Enalapril
Xanef® Tabletten
(5 mg)
Enalapril-Suspension 1 mg/ml:
24 Tabletten Xanef® 5 mg, in Ora-Sweet® 60 ml/Ora-Plus® 60 ml ad 120 ml suspendieren
geeignete Dosierhilfe (z. B. Oralspritze) beifügen;
bei Raumtemperatur oder im Kühlschrank 90 Tage haltbar;
vor Gebrauch gut schütteln!
Hydrochlorothiazid
Esidrix® Tabletten (25 mg)
Hydrochlorothiazid-Suspension 5 mg/ml:
24 Tabletten à 25 mg in Ora-Sweet® 60 ml/Ora-Plus® 60 ml ad 120 ml suspendieren
geeignete Dosierhilfe (z. B. Oralspritze) beifügen;
im Kühlschrank 60 Tage haltbar;
vor Gebrauch gut schütteln!
Quelle: Bruhn, C.; Frey, O.; Wagner, R.: Das Kind in der Apotheke. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart (2006).

DAZ: Wie wird in Ihrer Klinik ein Kind auf ein Medikament eingestellt?

Strehlau: Abgesehen von einigen Fällen, wo Säuglinge bei uns im Rahmen einer stationären Behandlung eingestellt werden, erfolgt die Einstellung der meisten Kinder bei uns ambulant mit Hilfe der elterlichen Blutdruckkontrolle und 24-h-Blutdruckmessung. Danach sehen wir die Kinder etwa alle zwei bis drei Monate. Für die Zwischenkontrollen, die in der Anfangsphase der Behandlung etwa alle zwei bis vier Wochen notwendig sind, arbeiten wir eng mit niedergelassenen Kollegen zusammen. Nicht zuletzt deshalb, um den Familien lange Anfahrtswege zu uns zu ersparen.


DAZ: Welche Probleme gibt es bei der Behandlung von Kindern mit hohem Blutdruck außerdem?

Strehlau: Zum einen ist es bei Kindern schwierig, den Blutdruck überhaupt zu messen. Sie benötigen spezielle Messgeräte und wir haben außerdem mit der Angst der Kinder zu kämpfen, die ahnen, dass nach einer Messung nicht selten eine Blutentnahme kommt. Manche Blutdruckmessgeräte pumpen auch immer weiter bis in schmerzhafte Bereiche über 250 mmHg auf, nachdem sie den niedrigen Blutdruck bei Kleinkindern nicht registriert haben.

Das Problem bei der Hypertonie – bei Kindern wie bei Erwachsenen – ist auch, dass es sich um eine weitgehend symptomlose Erkrankung handelt. Je einfacher Therapie und Blutdruckkontrolle durchgeführt werden, umso höher ist die Akzeptanz bei Eltern und Kindern, über Jahre hinweg Blutdruck zu messen und regelmäßig Medikamente einzunehmen. Daher verbessert sich die Compliance durch den Einsatz von Retardpräparaten, durch synergistische Medikamente, erträglichen Geschmack der Formulierungen und messbaren Erfolg. Komplizierte Einnahmeschemata mit mehreren Medikamenten mehrmals am Tag oder gar nachts sind zu vermeiden.


DAZ: Wie kann die Apotheke dazu beitragen, die Compliance zu verbessern?

Strehlau: Meiner Ansicht nach kann die Apotheke zur Compliance viel beitragen. Falls es zum Beispiel bei einem Präparat Probleme mit einer Rezeptur, mit der Tablettengröße oder mit der Zuzahlung gibt, sollte sich die Apotheke mit dem behandelnden Arzt in Verbindung setzen, um gegebenenfalls auf ein Präparat auszuweichen, das vom Kind besser akzeptiert wird.

Wir sind auch bestrebt, die Zusammenarbeit mit den Apotheken zu verbessern, wenn es darum geht, bei einer Dauermedikation die Compliance zu sichern oder wenn sehr zeit- und personalintensive Individualrezepturen verordnet werden sollen. Die Eltern und Kinder müssen zu Hause den Blutdruck regelmäßig kontrollieren – mit geeigneten Geräten. Schicke Handgelenkgeräte sind meist ungeeignet für schmale Kinderarme. Die Kenntnis kindgerechter Messgeräte und ihrer Tücken kann helfen, die Akzeptanz einer langjährigen Behandlung überhaupt erst zu schaffen.



DAZ: Herr Professor Strehlau, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

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