Arzneimittel und Therapie

Fördert das "Glückshormon" Serotonin Dickdarmkrebs?

Serotonin, ein Neurotransmitter mit zahlreichen Funktionen im zentralen Nervensystem und offensichtlich auch für die Steuerung unterschiedlicher biologischer Prozesse in peripheren Organsystemen verantwortlich, könnte die Entstehung von Dickdarmkrebs fördern. In einer experimentellen Studie mit einem spezifischen Mausmodell zeigte eine Forschergruppe aus Zürich und Berlin, dass Serotonin über eine Wechselwirkung mit den in den Tumoren enthaltenen Makrophagen die Gefäßneubildung in den Tumoren stimuliert.

Serotonin, auch 5-Hydroxytryptamin (5-HT), fungiert im Organismus als Gewebshormon bzw. als Neurotransmitter im Zentralnervensystem, Darmnervensystem, Herz-Kreislauf-System und im Blut. Es wird im Zentralnervensystem, der Leber und Milz und den enterochromaffinen Zellen der Darmschleimhaut aus der Aminosäure L-Tryptophan aufgebaut. Die biologischen Funktionen von Serotonin können dabei über Rezeptoren vermittelt werden, zum Teil sind sie aber auch rezeptorunabhängig. Zwischenzeitlich sind zahlreiche Klassen unterschiedlicher Serotonin-Rezeptoren (HTR) beschrieben worden. Es konnte gezeigt werden, dass Serotonin beispielsweise an der Regulation von Entzündungs- und Regenerationsprozessen beteiligt ist. Verschiedene psychische Störungen (Depressionen, Angststörungen, bipolare Störungen) gehen mit einem verminderten Serotonin-Spiegel in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns einher. Serotonin wird deshalb populär auch als Glückshormon bezeichnet, da sich ein ausgeglichener oder leicht erhöhter Serotonin-Spiegel positiv auf das Wohlbefinden auswirkt.

Eingriff in die Angiogenese

Die Forschergruppe vom Zentrum für Leber-, Bauchspeicheldrüsen- und Gallenwegserkrankungen (Swiss HPB-Center) in Basel und vom Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in Berlin konnten jetzt an einem spezifischen Mausmodell mit einer genetisch bedingten Serotonin-Defizienz außerhalb des ZNS (Tph1-/-) zeigen, dass Serotonin das Wachstum von Dickdarmkrebs fördert [1]. Dabei erhöht es nicht die Proliferation der Tumorzellen, sondern greift regulierend in die Angiogenese in der Weise ein, dass es die Expression des Enzyms MMP-12 (Matrix Metalloproteinase 12; Makrophagen-Elastase) in tumorinfiltrierenden Makrophagen reduziert. Dadurch wird vermindert Angiostatin, ein endogener Inhibitor der Angiogenese, gebildet. Serotonin fördert somit die Gefäßneubildung im Dickdarmkrebs. Die Abwesenheit von Serotonin bewirkte in dem verwendeten Mausmodell folglich ein langsameres Wachstum der Tumoren.

Serotonin-Wiederaufnahmehemmer in der Onkologie?

Dickdarmkrebs ist der dritthäufigste bösartige Tumor in der westlichen Welt. Die amerikanische Krebsstatistik weist für das Jahr 2006 allein in den USA 50.000 Todesfälle aus. Interessanterweise konnte eine kürzlich veröffentlichte Studie einen Zusammenhang zwischen einer hohen Aufnahme von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und einer verminderten Inzidenz für das Auftreten von Kolorektalkarzinomen aufzeigen [2]. Dieser Befund zeigt die biologische Relevanz von Serotonin für das Krebswachstum in vivo. Serotonin könnte somit einen vielversprechenden neuen Angriffspunkt für die Prävention und Behandlung des Dickdarmkrebses darstellen. Eine Therapie mit bereits verfügbaren Serotonin-hemmenden Substanzen könnte zumindest das Langzeitüberleben verbessern [3].

 

Quelle

[1] Nocito, A.; et al.: Serotonin Regulates Macrophage-Mediated Angiogenesis in a Mouse Model of Colon Cancer Allografts. In: Cancer Res 2008; 68 (13): 5152–5158.

[2] Xu, W.; et al.: Use of antidepressants and risk of colorectal cancer: a nested-case control study. In: Lancet Oncol 2006; 7 (4): 301–308.

[3] Pressemitteilung der Universität Zürich vom 24. Juni 2008; www.uzh.ch

 

 


Dr. Hans-Peter Hanssen

Universität Hamburg

Institut für Pharmazeutische Biologie und Mikrobiologie

Bundesstr. 45

20146 Hamburg

hans-peter.hanssen@hamburg.de

 

 

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