Arzneimittel und Therapie

Grippeimpfung für Senioren keine Lebensversicherung

Trotz der Diskussion darüber, ob ältere Patienten wirklich von einer Grippeschutzimpfung profitieren, rät das Robert Koch-Institut wieder allen über 60-Jährigen, sich gegen Influenza impfen zu lassen. Es stützt sich dabei auf Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO, die bis zum Jahr 2010 eine Impfrate von 75% in der älteren Bevölkerung anstrebt.

Ältere Menschen sind durch eine Influenzainfektion besonders gefährdet. 90% aller Grippe-bedingten Todesfälle werden bei über 60-Jährigen verzeichnet. Auch wenn die Schutzwirkung einer Influenzaimpfung gerade in dieser Bevölkerungsgruppe deutlich geringer ist als bei jüngeren Menschen, soll sich eine beachtliche Zahl von Grippe-bedingten Todesfällen bei Älteren durch die Impfung verhindern lassen. Dr. Udo Buchholz vom Robert Koch-Institut erläuterte im Rahmen einer Pressekonferenz am 10. September 2008 in Berlin, dass in den Jahren 2001/2002 bis 2006/2007 schätzungsweise 31.000 Menschen über 60 Jahre direkt oder indirekt an den Folgen einer Influenza-Infektion verstorben sind. Die saisonalen Impfraten lagen in dieser Zeit in der Altersgruppe der über 60-Jährigen zwischen 44 und 59%. Ausgehend von einer 30%igen Schutzwirkung des Impfstoffs konnten demnach in den letzten sechs Jahren 5300 Grippetote verhindert werden. Wären entsprechend des WHO-Ziels 75% der älteren Menschen geimpft gewesen, hätten ca. 2800 weitere Grippetote verhindert werden können, so Buchholz [1].

Healthy-user-Effekt schönt Zahlen

Ob ältere Menschen tatsächlich in diesem Ausmaß von der Influenzaimpfung profitieren, wurde durch zwei vor Kurzem veröffentlichte Studien in Zweifel gezogen.

Der kanadische Epidemiologe Dean Eurich vermutete, dass Ergebnisse aus Beobachtungsstudien, nach denen mit einer 50%igen Senkung der Mortalität durch die Grippeimpfung zu rechnen ist, nur mit einem Healthy-user-Effekt zu erklären seien. Denn es würden sich vor allem gesunde Senioren gegen Grippe impfen lassen, die auch ungeimpft eine Influenzainfektion ohne größere Komplikationen überstehen würden. Die besonders gefährdeten kranken Patienten würden dagegen von einer Influenzaimpfung nur selten Gebrauch machen.

Um diese Hypothese zu untermauern, untersuchte er die Daten von 704 Patienten, bei denen außerhalb der Grippesaison eine Lungenentzündung aufgetreten war [2]. 352 von ihnen waren geimpft, 352 nicht. 85% dieser Patienten waren älter als 65 Jahre, 29% erkrankten an einer schweren Pneumonie, 12% verstarben an den Folgen. Da die Erkrankungen außerhalb der Grippesaison aufgetreten waren, sollte die Impfung weder auf die Schwere der Erkrankung noch auf die Mortalität einen Einfluss gehabt haben. Dennoch lag die Mortalität bei den geimpften Patienten mit 51% signifikant unter der der Nichtgeimpften. Wurden jedoch weitere Parameter (Vorliegen einer Pneumokokkenimpfung, Schwere von Begleiterkrankungen, sozioökonomischer Status etc.) einbezogen, konnte kein statistisch signifikanter Mortalitätsunterschied mehr zwischen Geimpften und Nichtgeimpften festgestellt werden. Die Autoren der Studie schließen daraus, dass der aufgrund von Beobachtungsstudien ermittelte Benefit einer Influenzaimpfung aufgrund eines solchen Healthy-user-Effektes überschätzt wird.

Ebenfalls Zweifel an dem Nutzen der Influenzaimpfung hegen die Autoren einer Veröffentlichung im Lancet, die die Häufigkeit ambulant erworbener Pneumonien als Komplikation einer Influenzainfektion näher betrachtet hatten [3]. Bislang war man hier aufgrund von Beobachtungsstudien davon ausgegangen, dass durch die Impfung die Pneumonierate um 20 bis 30% reduziert wird. Die Autoren der Lancet-Veröffentlichung konnten jedoch nur eine Reduktion um 8% feststellen. Bei ihrer Analyse von 1173 Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie und 2346 Kontrollen hatten sie, um Verzerrungen zu vermeiden, auch den Gesundheitszustand der Betroffenen wie das Vorliegen schwerer Vorerkrankungen berücksichtigt. Unter Einbeziehung solcher Faktoren kommen sie zu dem Schluss, dass eine Influenzaimpfung das Pneumonierisiko für ältere Patienten in der Influenzasaison nicht signifikant reduzieren kann.

Trotzdem impfen!

Keiner der Autoren rät jedoch von einer Influenzaimpfung älterer Menschen ab. Nur als Lebensversicherung wollen sie sie nicht verstanden wissen.

 

Quelle

[1] Buchholz U: WHO Influenza-Impfziele 2010: Wo steht Deutschland, was ist noch zu tun? Pressekonferenz der Arbeitsgemeinschaft Influenza. 10. September 2008-

[2] Eurich DT et al.: Mortality Reduction with Influenza Vaccine in Patients with Pneumonia Outside "Flu" Season. Am J Resp Crit Care Med 2008;178: 527–533.

[3] Jackson ML et al.: Influenza vaccination and risk auf community-acquired pneumonia in immunocompetent elderly people. Lancet 2008; 372: 398– 405.

 


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