Arzneimittel und Therapie

Die 2. sexuelle Revolution

Als am 1. Oktober 1998 der PDE-5-Hemmer Sildenafil (Viagra®) zur Behandlung der erektilen Dysfunktion eingeführt wurde, konnte sich kaum jemand vorstellen, dass die kleine blaue Pille die Behandlung der Erektionsstörungen derart revolutionieren würde. Die erektile Dysfunktion und die damit verbundenen Probleme in der Partnerschaft sind heute, zehn Jahre später, ein Thema geworden, über das man sprechen kann. Und unbestritten ist inzwischen auch, dass eine solche Pille nicht nur Erektions-, sondern auch Partnerschaftsprobleme zu lösen vermag. Zudem hat die Forschung rund um die PDE-5-Hemmer zu einem enormen Kenntniszuwachs auf dem Gebiet der männlichen, aber auch der weiblichen Sexualstörungen geführt.
Zehn Jahre Viagra® Die kleine blaue Pille hat nicht nur vielen Männern mit Potenzproblemen geholfen, sondern das Thema Sexualität im Alter aus der Tabuzone geholt.
Foto: Pfizer GmbH

Versuche, die männliche Potenz zu steigern, sind keine besondere Errungenschaft unserer modernen Gesellschaft. Im alten Rom suchten die Männer ihr Glück unter anderem in den Zungen von Singvögeln, im antiken Griechenland mussten die Hoden brünstiger Böcke, Hirsche und Schafe herhalten, Casanova und die französischen Könige schworen auf die Kraft von 50 Austern und während der Französischen Revolution galt die Spanische Fliege als Geheimtipp. Es folgten chirurgische Eingriffe. Prostataprothesen und Vakuumpumpen wurden entwickelt. Die Zeit vor der Einführung von Sildenafil stand ganz im Zeichen der penilen Gefäßchirurgie, der sogenannten Corpus-cavernosum-Revaskularisation. Parallel dazu etablierte sich die Schwellkörperinjektionstherapie mit gefäßerweiternden Substanzen wie Papaverin und Prostaglandin E1 (Alprostadil). 1994 wurde die Alprostadil-Behandlung unter dem vielversprechenden Handelsnamen Muse® eingeführt. Sie dominierte bis 1998 die Therapie der erektilen Dysfunktion.

Nebenwirkung mitungeahnten Folgen

Die erektionsfördernde Wirkung des Phosphodiesterase-5-Hemmers Sildenafil war ein Zufallsfund. Die gefäßerweiternde Wirkung, die durch die Hemmung der Phosphodiesterase 5 (PDE 5) zu erreichen ist, sollte ursprünglich zur Behandlung der koronaren Herzkrankheit genutzt werden. Dazu wurden in der Zeit von 1991 bis 1993 entsprechende Studien mit Sildenafil durchgeführt, allerdings mit nur mäßigem Erfolg. Doch eine besondere Nebenwirkung ließ die Forscher aufmerken: das Auftreten von Erektionen. Männer, die unter entsprechenden sexuellen Problemen gelitten hatten, waren von den Wirkungen des Koronartherapeutikums begeistert. Die daraufhin in den Jahren 1993 bis 1997 durchgeführten klinischen Studien zur Behandlung der erektilen Dysfunktion mit Sildenafil übertrafen alle Erwartungen: 80% aller Behandelten sprachen auf die Therapie an. Ende September 1998 erhielt Sildenafil die europäische Zulassung für die Indikation erektile Dysfunktion. Zum 1. Oktober 1998 wurde Sildenafil in Deutschland unter dem Handelsnamen Viagra® eingeführt und damit ein tiefgreifender Wandel in der Wahrnehmung und Behandlung der nicht nur für Männer sehr belastenden Erektionsstörungen eingeleitet.

Man(n) traut sich – oft nur zögerlich!

Vor der Viagra® -Ära konnte sich kaum jemand vorstellen, dass eine Pille derart durchschlagend Potenzprobleme des alternden Mannes lösen könnte. Auch Dr. Michael Berner, Psychiater am Universitätsklinikum Freiburg, hat dies damals nicht für möglich gehalten. Mit der Einführung von Viagra® wurde an der Freiburger Universitätsklinik auch das Informationszentrum für Sexualität und Gesundheit gegründet. Seit zehn Jahren, so berichtete Berner im Rahmen einer Presseveranstaltung zu Viagra® am 26. September 2008 in Stuttgart, haben dort die Mitarbeiter das Ohr am Patienten und beantworten Fragen rund um sexuelle Störungen und deren Therapie. Während in den ersten Jahren Fragen wie "Viagra® – was ist das, wie nimmt man das ein, kann das nicht schaden oder ist eine Erektionsstörung im Alter nicht normal?" im Vordergrund standen, wird heute nachgefragt, wenn der PDE-5-Hemmer nicht wirkt oder zu welchem Arzt man gehen bzw. wo und wie über das Problem geredet werden kann. Auch wenn das Thema erektile Dysfunktion mit der Einführung von Viagra® aus der Tabuzone gerückt ist, sprechen immer noch zu wenig Ärzte das Problem bei ihrem Patienten direkt an, immer noch zu viele Patienten trauen sich nicht, über ihre Sexualität zu reden, so Berner. Das führt dazu, dass sich viele Männer fragwürdiger Quellen bedienen, um an Viagra® und Co. heranzukommen. Dem Counterfeiting Superhighway Report der European Alliance for Access to Safe Medicine vom Juni 2008 ist zu entnehmen, dass 95,6% aller Online-Apotheken illegal operieren, 94% keinen verantwortlichen Apotheker benennen und 90% verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne Rezept liefern. Bei keiner Stichprobe seien, so Berner, Originalpräparate verschickt worden. Besonders gefährlich würde es, wenn Fälschungen mit anderen Wirkstoffen versendet würden. Als Beispiel nannte er gefälschtes Viagra® aus Ungarn, das anstelle von Sildenafil Amphetamin enthalten hatte.

Dr. med. Michael Berner, Freiburg

So populär wie Coca Cola

Heute ist der Markenname Viagra® so populär wie Coca Cola oder Tempo-Taschentücher. In den vergangenen zehn Jahren sind weit über eine Million Männer in Deutschland mit Viagra® behandelt worden. Über 50 Millionen Sildenafil-Tabletten wurden alleine in Deutschland verschrieben. 80% aller Rezepte wurden Männern im Alter von 40 bis 70 Jahren ausgestellt, im Schnitt waren die Männer 60 Jahre alt. Inzwischen stehen neben Sildenafil mit Taldalafil (Cialis®) und Vardenafil (Levitra®) zwei weitere PDE-5-Hemmer zur Behandlung der erektilen Dysfunktion zur Verfügung. Keine der Substanzen weist bei dieser Indikation entscheidende Vorteile hinsichtlich Wirksamkeit und Nebenwirkungen auf. Unterschiede bestehen in der Pharmakokinetik und damit im Wirkungseintritt sowie der Wirkdauer.

Erektion und Endothel – eine enge Beziehung

Die Forschungen rund um die Phosphodiesterase 5 haben wesentlich zum heutigen Verständnis der Vorgänge rund um die erektile Dysfunktion und damit zur Funktion des Schwellkörpers beigetragen. Danach ist die erektile Dysfunktion in erster Linie die Folge einer endothelialen Dysfunktion und unter anderem Störungen der NO-Produktion in den Endothelzellen der Blutgefäße im Schwellkörper. Das NO der Endothelzellen wird zur Stimulation der Guanylatcyclase in den die Gefäße umgebenden glatten Muskelzellen benötigt, die ihrerseits über die Bildung von zyklischen Guanosinmonophosphat (cGMP) die Muskelzelle erschlaffen lässt. Auf diese Weise wird der Weg für einen ungehinderten Bluteinstrom in den Penis frei gemacht. Es kommt zur Erektion. Danach kontrahieren sich die glatten Muskelzellen wieder und schnüren damit die Blutversorgung ab, der Penis erschlafft.

Abgebaut wird cGMP in den glatten Muskelzellen des Schwellkörpers durch die Phosphodiesterase 5. Wird sie gehemmt, steigt der cGMP-Spiegel in der glatten Muskelzelle und die Muskelzelle erschlafft.

Die endotheliale Dysfunktion ist eng assoziiert mit pathologischen Vorgängen im Rahmen von Atherosklerose, Herzinsuffizienz, Hypertonie, Adipositas und Diabetes mellitus. Sie werden auch durch Rauchen hervorgerufen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass vor allem Männer, die entweder rauchen oder von einer der genannten Erkrankungen betroffen sind, unter nachlassender sexueller Leistungskraft leiden. In der Cobra-Studie wurde der Zusammenhang von koronarer Herzkrankheit und Potenzstörungen untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass bei einer Gefäßerkrankung 18% der Männer unter einer erektilen Dysfunktion (ED) litten, bei zwei bis drei Gefäßerkrankungen waren es schon 57% und bei chronischer Angina pectoris betrug die ED-Prävalenz 66%. Zudem stellte sich heraus, dass sich bei gut zwei Dritteln der Männer die Potenzstörung in der Regel ein Jahr vor dem Auftreten der Herzkranzgefäßerkrankung manifestiert hatte.

Es besteht also eine enge Korrelation zwischen erektiler und endothelialer Dysfunktion. Eine erektile Dysfunktion kann demnach als wichtiger Vorhersagefaktor für das Entstehen einer Arteriosklerose oder einer koronaren Herzerkrankung dienen.

Kein erhöhtesHerzinfarktrisiko

Schon bevor Viagra® in Deutschland eingeführt wurde, titelte die Bildzeitung am 23. Mai 1998: "Viagra – 1. Tote" und berichtete über sechs Amerikaner, die nach der Einnahme von Viagra® gestorben seien. Vor allem herzkranke Patienten unter Nitratbehandlung wurden vor der Einnahme von Viagra gewarnt und die Furcht davor, dass unter Sildenafil das Herzinfarktrisiko steigt, war groß. 2001 publizierte Pfizer daraufhin Daten basierend auf 77 Studien der Phase II, III und IV, die kein erhöhtes Herzinfarktrisiko unter Sildenafil erkennen ließen. Heute gilt als gesichert, dass gerade unter erektiler Dysfunktion leidende Männer mit entsprechenden Grunderkrankungen wie koronare Herzkrankheit, Diabetes mellitus oder Hypertonie von einer PDE-5-Hemmer-Therapie profitieren können.

… bei Beachtung der Kontraindikationen

Nach wie vor stellt jedoch die gleichzeitige Gabe von Stickstoffmonoxid-Donatoren wie Amylnitrit oder Nitraten eine Kontraindikation für PDE-5-Hemmer dar. Auch sind PDE-5-Hemmer bei Patienten mit schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie instabiler Angina pectoris oder schwerer Herzinsuffizienz kontraindiziert.


Quelle

Prof. Dr. Hartmut Porst, Hamburg: Statement "10 Jahre Viagra ein Stück Medizingeschichte", Stuttgart, 26. September 2008, veranstaltet von der Pfizer Pharma AG, Karlsruhe.


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