Medizin

Was ist eigentlich ...das Locked-in-Syndrom?

"Unbeweglich wie ein Leichnam saß der Greis in seinem Stuhl, doch bewies der lebhafte und intelligente Blick, … dass sein Geist noch vollkommen frisch war … Schon konnte er nicht mehr durch eine Geste zum Ausdruck bringen, was er wünschte, schon war ihm die Sprache versagt. Er befahl mit den Augen, kurz er war ein Leichnam mit lebendigen Augen ...". Die Rede ist von einer Figur aus dem Roman "Der Graf von Monte Christo", mit der Alexandre Dumas sehr treffend das Locked-in-Syndrom beschreibt.

Das Locked-in-Syndrom ist selten und findet meist nur Beachtung, wenn in den Medien über spektakuläre Einzelfälle berichtet wird. Es bezeichnet einen Zustand, in dem ein Mensch bei erhaltenem Bewusstsein vollständig gelähmt und unfähig ist, sich sprachlich oder durch Bewegungen verständlich zu machen. Die Kommunikation nach außen ist nur durch vertikale Augenbewegungen beziehungsweise über den Lidschlag möglich. Der Hörsinn ist völlig intakt.

Das Locked-in-Syndrom ist vermutlich so alt wie die Menschheit, doch früher wurden die Betroffenen als emotionslos oder sogar als scheintot abgestempelt. Damals wurde noch nicht von einem Locked-in-Syndrom gesprochen. Erst Plum und Posner prägten 1967 den heute gängigen Begriff (locked-in, engl. eingeschlossen). 1997 erschien das Buch "Schmetterling und Taucherglocke". Es war von dem am Locked-in-Syndrom leidenden Patienten Jean-Dominique Bauby nur mit dem Augenlid diktiert worden und wurde sogar von dem amerikanischen Maler Julian Schnabel verfilmt.

Wenn die Hirnbrücke geschädigt wird

Verursacht wird das Locked-in-Syndrom durch eine Schädigung der ventralen Pons, meist durch einen Schlaganfall, eine Blutung oder ein Schädelhirntrauma. Die Hirnbrücke (Pons) liegt zwischen Mittelhirn und Nachhirn und gehört zum Kleinhirn. Sie bildet zusammen mit dem Kleinhirn das Hinterhirn. Hier verlaufen die Nervenzellen zwischen vorderem und hinterem Hirn, die viele Körperfunktionen steuern. Werden bestimmte Hirnnerven in dieser Hirnstammregion beschädigt, können charakteristische Gesichtsbereichausfälle auftreten.

Bei Schlaganfällen ist häufig ein Verschluss des Anfangsteils der Arteria basilaris ursächlich, die Symptome äußern sich mit Lähmungen, Schluckstörungen, Sprechstörungen, Atemstörungen und vielen anderen Symptomen. Das für das Bewusstsein wichtige Tegmentum, das sowohl von der Arteria cerebelli superior als auch durch die Arteria cerebri posterior mit Blut versorgt wird, bleibt bei einem Verschluss der Arteria basilaris dank der Doppelversorgung verschont.

Weitere Auslöser können sein:

degenerative Erkrankungen wie die amyotrophische Lateralsklerose (ALS),

Traumen,

Tumoren,

Enzephalitiden,

zervikale Manipulationen beim "Einrenken" von Halswirbeln,

die multiple Sklerose,

Ponsabszesse,

Arterithiden,

Luftembolien,

Diazepam- und Heroin-Vergiftungen.

Die Sprache versagt

Beim Locked-in-Syndrom besteht per Definitionem eine Quadriplegie (Lähmung aller vier Extremitäten) und eine Anarthrie (Unfähigkeit zu sprechen). Die Patienten sind bei Bewusstsein und wach. Das EEG ist meist normal.

Einzig vertikale Augenbewegungen sowie Lidbewegungen sind möglich, wodurch eine non-verbale Kommunikation möglich ist.

Ursache der kompletten Lähmung ist eine querschnittartige Unterbrechung des Tractus corticobulbaris und corticospinalis im Pons-Bereich. Durch den Ausfall von cortico-bulbären, cortico-spinalen Bahnen, sowie Teilen der Formatio reticularis und der Hirnnervenkerne durch die Schädigung der Brücke kommt es zur Extremitätenlähmung.

Patienten werdenoft abgeschoben

Das Locked-in-Syndrom geht an die Belastbarkeitsgrenze des Menschen. Betroffene Patienten benötigen intensivste psychologische Betreuung und umfassende Therapien zur Verbesserung ihres Zustands. Doch leider sieht die Situation ganz anders aus. Ein Großteil der Betroffenen wird oft nur unzureichend behandelt und einfach in Heime abgeschoben. Da die Krankheit so selten ist, ist sie auch kaum ein Thema für Forschung und Pharmaindustrie.

Frühe Behandlungentscheidend

Die Behandlung umfasst Krankengymnastik, Ergotherapie sowie Logopädie. Die besten Rehabilitationserfolge werden erreicht, je früher die Behandlung einsetzt. Dadurch sind teilweise erstaunliche Verbesserungen möglich, da das Gehirn offenbar bessere Reparaturmechanismen besitzt als lange angenommen wurde. Beispielsweise kann es durch das repetitive Basis-Training gelingen, wieder Beweglichkeit herzustellen. Zunächst werden nur Einzelbewegungen im Gelenk geübt. Erst wenn diese wieder möglich sind, wird die Haltearbeit mitgeübt. Anschließend können dann die Einzelbewegungen und die Haltearbeit zu den unterschiedlichsten Tätigkeiten kombiniert werden (siehe Webseite der Berliner Selbsthilfegruppe LIS – Locked-in-Syndrom e.V. [www.locked-in-syndrom.org]). Parallel zur Physiotherapie wird bei der Ergotherapie versucht, die neurophysiologischen Defizite auszugleichen. Mit der logopädischen Therapie soll die Kommunikationsfähigkeit verbessert werden. Die Betroffenen können in aller Regel zunächst nur über Augenbewegungen anhand vereinbarter Signale kommunizieren. Einmal blinzeln bedeutet beispielsweise "ja", zweimal blinzeln "nein". Eine weitere Möglichkeit der Kontaktaufnahme besteht in der Benutzung einer Buchstabentafel und das Zeigen auf bestimmte Buchstaben. Die logopädischen Übungen sind aufwendig, können aber langfristig dazu führen, dass der Betroffene wieder mit seiner Umwelt in Kontakt treten kann.

Zur Kommunikation können Betroffene eventuell auch das Brain-Computer-Interface-Verfahren nutzen. In einem sehr komplexen Verfahren lernen die Betroffenen, bestimmte Vorstellungen über den Computer zu steuern. Durch die elektrischen Hirnaktivitäten kann der Mensch dem Computer Signale geben, die Vorstellungen setzt der Computer in Steuerungsbefehle um. Allerdings erreichen nicht alle Patienten eine ausreichende EEG-Kontrolle zum Kommunizieren. Nach weiteren Methoden wird gesucht.


Quelle

Eimear Smith E, Delargy M: Locked-in syndrome BMJ 2005;330:406-409
Wilhelm B: Communication in locked-in syndrome: Effects of imagery on salivary pH. Neurology. 2006; 67: 534
Heinrich C: Das Locked-in-Syndrom. Dissertation, Bamberg 1. März 2004

Dr. med. Ingo Blank, Gärtringen

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