Schwerpunkt Osteoporose

"Vitamin D ist wichtigerals Calcium-Substitution!"

Ein Interview mit Prof. Dr. Heike Bischoff-Ferrari
Die Bedeutung von Vitamin D für die Osteoporose-Prophylaxe und – Therapie ist lange unterschätzt worden. Immer mehr kristallisiert sich heraus, dass Vitamin D nicht nur Knochen aufbaut, sondern durch Stärkung der Muskulatur Stürze und Knochenbrüche vermeiden hilft. Prof. Dr. Heike Bischoff-Ferrari zählt zu den führenden Forschern, die in den letzten Jahren mit ihren Arbeiten zu einem wesentlich besseren Verständnis der Vitamin-D-Funktionen beigetragen hat. Wir haben mit ihr über die neuen Erkenntnisse und ihre Bedeutung für die Praxis gesprochen.
Osteoporose könnte längst ihren Schrecken verloren haben, wenn das inzwischen etablierte Management nach den Leitlinien der "evidence based medicine" konsequent ungesetzt würde. Mindestens 50% aller Osteoporose-bedingten Knochenbrüche wären so vermeidbar. Denn:
  • Es gibt einfache und preiswerte Diagnostikverfahren
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In diesem Buch beschreibt ein Experte Klinik, Diagnoseverfahren und Monitoring der Osteoporose. Außerdem stellt er die Anti-Osteoporotika mit ihren Wirkmechanismen, Pharmakokinetik, Neben- und Wechselwirkungen vor.
Bartl, Reiner
Anti-Osteoporotika
Osteologische Grundlagen, Pharmakologie und klinische Anwendung
Medizinisch-pharmakologisches Kompendium, Band 15 2006. 196 S., 44 s/w Abb., 19 s/w Tab., Kartoniert 34,– €; Vorzugspreis für Bezieher der Reihe: 27,20 €
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH ISBN 978-3-8047-2265-1
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DAZ Frau Professor Bischoff-Ferrari, welche Eigenschaften von Vitamin D lassen sich nach heutigen Vorstellungen zur Prophylaxe und Therapie der Osteoporose nutzen?

Bischoff-Ferrari: Hier sind zwei Eigenschaften von Vitamin D wichtig:

  • Vitamin D hat einen Calcium-sparenden Effekt: Es fördert die Calciumaufnahme aus dem Darm und reduziert die Calciumausscheidung in den Nieren. Damit erhöht Vitamin D das Calciumangebot für den Knochen. Am Knochen selber fördert Vitamin D den Einbau von Calcium.
  • Neben dieser optimalen Nutzung der Calciumressourcen hat Vitamin D einen direkten Effekt auf die Muskulatur.

In vielen Doppelblindstudien haben wir gesehen, dass Vitamin D sehr schnell die Muskelkraft stärkt und das Sturzrisiko reduziert. Schon nach zwei bis fünf Monaten war das Sturzrisiko unter Vitamin-D-Behandlung in Größenordnungen zwischen 25 und 60% reduziert. Das erklärt, warum wir in den großen Untersuchungen mit Vitamin D schon eine sehr frühe, nach etwa sechs Monaten einsetzende Risikoreduktion der Knochenbrüche sehen. Dieser schnelle Schutz lässt sich jedenfalls nicht alleine mit einer Steigerung der Knochendichte erklären. Sie nimmt unter der Vitamin-D-Behandlung nur um etwa 1% im Jahr zu.

Die günstigen Wirkungen auf die Frakturrate sind daher zu einem großen Teil auch einer direkten Wirkung von Vitamin D auf die Muskulatur zuzuschreiben.

Wir wissen inzwischen, dass Muskelzellen über einen Vitamin-D-Rezeptor verfügen, über dessen Stimulation durch Vitamin D die Proteinsynthese gefördert und die Muskulatur gestärkt wird. Wegen dieser einzigartigen Doppelwirkung auf den Calcium-Stoffwechsel einerseits (Knochen-stärkende Wirkung) und auf die Muskelgesundheit andererseits (Sturz-reduzierende Wirkung) sollte Vitamin D als Basis jeder Osteoporose-Vorsorge, und zudem als unverzichtbarer Partner jeder Osteoporose-Therapie zum Einsatz kommen.

DAZ Wie muss Vitamin D dosiert werden, um in den Genuss des Doppeleffektes auf Knochen und Muskulatur zu kommen?

Bischoff-Ferrari: Hier ist ganz klar eine Mindestdosierung von 800 IE pro Tag notwendig. Dosierungen unter 700 Einheiten haben anhand der klinischen Untersuchungen keinen ausreichenden Benefit auf die Muskel- und Knochengesundheit. Ein Schutz vor Stürzen und Knochenbrüchen tritt definitiv erst ab etwa 700 Einheiten Vitamin D am Tag auf. Über 60-Jährige sollten generell 800 IE Vitamin D pro Tag einnehmen, im Winter empfiehlt sich eine Dosierung von 1000 bis 1500 IE, da im Winter in ganz Europa die Sonnenintensität nicht ausreicht, um genug Vitamin D in der Haut zu bilden.

DAZ Und wie sieht es mit Calcium aus?

Bischoff-Ferrari: Calcium-Tabletten alleine können anhand der neusten Daten als Osteoporose-Vorsorge nicht mehr empfohlen werden. Wir haben in einer 2007 erschienenen Zusammenfassung der bisherigen Studien gezeigt, dass Calcium-Tabletten verglichen zu Scheinpräparaten das Knochenbruchrisiko nicht vermindern können. Für die Knochenbrüche an der Hüfte konnten wir gar einen negativen Effekt nicht ausschließen. Das kann an einer ungenügenden Phosphatversorgung bei alten Menschen liegen, die durch Calcium-Tabletten noch verschlechtert wird. Denn Calcium-Tabletten reduzieren die Phosphataufnahme zusätzlich. Für den Knochenaufbau steht also zuwenig Calciumphosphat zur Verfügung, was eher zu einem Knochenabbau beiträgt und das Frakturrisiko somit steigern kann. Gerade älteren Menschen empfehle ich, den Calciumbedarf bevorzugt über Milchprodukte zu decken. Milchprodukte liefern Calcium und Phosphat, letzteres über das hochwertige Milchprotein, was auch für die Muskelkraft wichtig ist. Parallel sollte aber Vitamin D in einer ausreichenden Dosierung als Tropfen oder Tabletten eingenommen werden. Vitamin D spart Calcium und so kann eine Aufnahme von Calcium zwischen 700 und 800 mg über die natürliche Ernährung gesichert werden. Ein Glas Milch oder eine Scheibe Hartkäse enthalten bereits 300 mg Calcium. In jedem Fall zeigen die neusten Studien, dass eine primäre Vitamin-D-Substitution wesentlich effektiver ist als die Gabe von Calcium-Tabletten ohne Vitamin D.

DAZ Wann ist eine kombinierte Prophylaxe mit Calcium und Vitamin D überhaupt sinnvoll?

Bischoff-Ferrari: Vieles spricht dafür, dass bei ausgewogener Ernährung mit ausreichend Calcium auf eine Calcium-Substitution mit Tabletten verzichtet werden kann, sofern Vitamin D ausreichend eingenommen wird.

Falls Milchprodukte nicht vertragen werden, sind Calcium-Tabletten mit Vitamin D weiterhin sinnvoll. Keinesfalls darf Calcium alleine ohne Vitamin D substituiert werden.

Neuere Studien zeigen, dass unter einer ausreichenden Vitamin- D-Gabe (800 IE am Tag), eine Calcium-Dosis von 700 bis 800 mg am Tag ausreichen kann. Gleichzeitig soll aber erwähnt sein, dass 1000 bis 1200 mg Calcium pro Tag in den gängigen Vitamin-D- (800 IE) plus Calcium-Kombinationen auch weiterhin empfohlen werden kann. Anhand der neusten Erkenntnisse ist jedoch die flexible Vitamin-D-Monotherapie plus Calcium über Milchprodukte bei älteren Personen eine wertvolle Alternative.

DAZ Wann spricht man überhaupt von einem Vitamin-D-Mangel, welche Werte werden angestrebt?

Bischoff-Ferrari: Wenn wir 25(OH)-Vitamin-D3 -Blutspiegelwerte von unter 30 nmol/ l oder 12 ng/ml messen, dann sprechen wir von einem schweren Vitamin-D-Mangel, der bei älteren Personen weiterhin weit verbreitet ist. Ein optimaler Spiegel, unter dem ein Schutz vor Stürzen und Knochenbrüchen erwartet werden kann, ist ab 75 bis 100 nmol/l bzw. 30 bis 40 ng/ml erreicht.

DAZ Wie gehen Sie vor, wenn ein schwerer Vitamin-D-Mangel vorliegt?

Bischoff-Ferrari: Um eine solche Mangelsituation schnell zu beheben, ist eine einmalige orale Stoßtherapie mit 30.000 bis 50.000 IE Vitamin D sinnvoll, gefolgt von einer konsequenten täglichen Vitamin-D-Einnahme von 800 bis 1500 Einheiten am Tag. Dann kontrolliert man idealerweise nach 1 bis 1,5 Monaten den 25-Hydroxy-Vitamin-D-Spiegel, um zu sehen, ob das Ziel erreicht ist. Basierend auf verschiedenen Studien und Erfahrungswerten aus der Klinik besteht aber auch die Möglichkeit, ohne Verlaufswert so vorzugehen, falls eine Blutbestimmung nicht möglich ist. Vertretbar ist auch eine tägliche Therapie mit 800 bis 1500 Einheiten ohne den anfänglichen Stoß. So braucht es einfach länger, um den Vitamin-D-Spiegel anzuheben. Grundsätzliche benötigen adipöse Personen oder Personen mit einer dunkleren Hautfarbe eine höhere Vitamin-D-Dosierung.

DAZ Wir haben gelernt, dass sich in sehr hohen Dosierungen die günstigen Wirkungen von Vitamin D am Knochen umkehren: Calcium wird herausgelöst, eine Hyperkalzämie ist die Folge. Wann ist mit einer solchen Vitamin-D-Intoxikation zu rechnen?

Bischoff-Ferrari: Wir wissen, dass in der Haut (Exposition in der Badehose) innerhalb von 20 Minuten durch Sonnenlicht 10.000 bis 14.000 IE Vitamin D gebildet werden, ohne dass das in irgendeiner Form bedenklich wäre. Die National Academy of Science setzt die sichere obere Einnahmegrenze bei Erwachsenen auf 2000 IE am Tag fest, was heute als konservativ beurteilt wird. Denn in Studien über mehrere Monate blieben Dosierungen bis zu 10.000 IE pro Tag ohne Nebenwirkungen. Bei gesunden Personen wie dem Bademeister auf Hawaii werden normal hohe Spiegel um 160 nmol/l gemessen. Eine Intoxikation mit einer Freisetzung des Calciums aus dem Knochen gefolgt von einem Anstieg im Blut kann ab 220 nmol/l 25-Hydroxy-Vitamin-D auftreten. Um diese Spiegel zu erreichen müssen täglich mehr als 10.000 Einheiten zugeführt werden. Grundsätzlich kann man sagen, dass das Risiko einer Intoxikation bei einer Empfehlung zwischen 800 und 1500 IE am Tag nicht besteht, auch bei einer langfristigen Einnahme.

DAZ Ist die tägliche Einnahme von Vitamin D Voraussetzung für eine erfolgreiche Prophylaxe oder sind vor dem Hintergrund einer besseren Compliance auch größere Abstände möglich?

Bischoff-Ferrari: Ich empfehle zwar die tägliche Einnahme von 800 IE Vitamin D, halte aber auch eine einmal wöchentliche oder einmal monatliche Gabe von Vitamin D in entsprechender Dosierung für vertretbar, da Vitamin D eine lange Halbwertszeit von 1,5 Monaten hat. Das wären dann etwa 5600 IE Vitamin D einmal pro Woche oder 30.000 IE einmal pro Monat. Die intermittierende Therapie wird heute intensiv diskutiert, weil Sie Vorteile in der Compliance verspricht.

DAZ Die Empfehlungen für ältere Osteoporose-gefährdete Patienten sind relativ klar. Was raten Sie bei Kindern und Jugendlichen?

Bischoff-Ferrari: Wie hoch unser Osteoporoserisiko im Alter ist, hängt entscheidend davon ab, wie gut wir in der Kindheit und im frühen Erwachsenenalter Knochen aufbauen. Daher ist eine gute Versorgung mit Vitamin D bereits bei Kindern und jungen Erwachsenen relevant. Für Vitamin D gibt es zwei natürliche Quellen: die Sonne und die Ernährung.

Die Sonnenlicht-induzierte Vitamin-D-Bildung in der Haut ist die effizienteste Quelle. Allerdings machen drei Aspekte die Sonne zu einer nicht verlässlichen Quelle:

  • Im Winter reicht die Intensität der Sonne bei uns nicht aus, ganz unabhängig vom Alter.
  • Im Alter nimmt die Kapazität der Haut, Vitamin D zu produzieren, im Vergleich zu jüngeren Personen um den Faktor 4 ab.
  • Sonnencremes ab einem Lichtschutzfaktor von 8 bei korrekter Auftragung reduzieren bereits deutlich die hauteigene Vitamin-D-Produktion, was bereits bei jüngeren Personen und Kindern relevant sein kann.

Mit der Ernährung können wir unseren Bedarf nur decken, wenn wir täglich fetten Fisch (z.B. Lachs, Aal, Makrele) essen und zwar zwei Portionen.

Da weder die Sonne, noch die Ernährung verlässliche Quellen sind, hat Anfang Oktober 2008 die Amerikanische Gesellschaft der Kinderärzte die Vitamin-D- Empfehlung bei Kindern von 200 IE auf 400 IE erhöht. Bei Erwachsenen ist sich die National und International Osteoporosis Foundation einig, dass für die Knochengesundheit bei postmenopausalen Frauen und Personen ab 60 Jahren mindesten 800 IE am Tag erforderlich sind.

Damit beugen wir nicht nur sehr effektiv einer Osteoporose vor. Wir nutzen auch die vielfältigen anderen positiven Eigenschaften von Vitamin D wie beispielsweise kardioprotektive und antikanzerogene Wirkungen. Dieses nicht-skelettale Potenzial von Vitamin D wurde in Beoachtungsstudien wiederholt beschrieben und wird aktuell in großen klinischen Studien untersucht.

DAZ Frau Professor Bischoff-Ferrari, wir danken Ihnen für das Gespräch!


Prof. Dr. med. Heike A. Bischoff-Ferrari,

Direktorin Zentrum Alter und Mobilität, Universität Zürich
Oberärztin/Leiterin klinische Forschung, Abteilung Rheumatologie und Institut für Physikalische Medizin
UniversitätsSpital Zürich,
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
Das Gespräch führte Dr. Doris Uhl, Stuttgart

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