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Toxoplasma als kulturprägender Faktor?

Kann eine Infektionskrankheit den individuellen Charakter und das Verhalten des Menschen verändern? Können Parasiten ganze Kulturen beeinflussen? Toxoplasma gondii, der Erreger der Toxoplasmose, ist ein Beispiel für diese Hypothese. Er ist nicht der einzige Parasit, der seine Wirte manipuliert.

Ein Fadenwurm (Nematode) der Gattung Thelaziidae war in den 1920er Jahren der erste Verdächtige. Er lebt unter anderem in den Kanälen der Tränendrüsen des Menschen. Manifest wurde der Verdacht, dass ein Parasit seinen Wirt manipuliert, dann in den 1950er Jahren bei dem Riemenwurm Ligula intestinalis Dieser bis zu 60 cm lang werdende Bandwurm braucht für seinen Lebenszyklus drei Wirte: Er lebt im Darm fischfressender Vögel, die seine Eier mit dem Kot im Wasser verbreiten. Ruderfußkrebse (Copepoda) nehmen die Eier auf und werden von Fischen gefressen; in beiden Wirten wachsen die Larven heran, die sich dann im Vogel zum Bandwurm entwickeln.

Feldstudien haben gezeigt, dass die Riemenwurmlarven in Rotaugen (Rutilus rutilus) oder Döbeln (Leuciscus cephalus) den Vitellogenin-Spiegel, die CYP19-Aromatase-Aktivität und die Plasmakonzentration verschiedener Steroidhormone deutlich verändern. Vitellogenin ist das Dottervorläuferprotein eierlegender Vertebraten und kommt normalerweise ausschließlich bei geschlechtsreifen Weibchen vor. Kommt Vitellogenin im Blut männlicher Fische vor, weist dies eindeutig auf eine Exposition mit Östrogen hin, dessen Synthese von der Aromatase, einem Enzym aus der Cytochrom-P450-Familie, katalysiert wird. Der Riemenwurm beeinflusst über die Hypophyse die Synthese von Sexualhormonen derart, dass sich bei jungen infizierten Fischen keine Geschlechtsorgane ausbilden.

Tab. 1: Einige Organismen, die ihre Wirte manipulieren
Parasit
Hauptwirt
Zwischenwirt
Wirkung
Kleiner Leberegel, Dicrocoelium
dendriticum
Schaf, Ziege, Wild
Landschnecken, Ameisen
Mit dem Kot ausgeschiedene Eier werden von Schnecken aufgenommen. Sie scheiden in Schleim gehüllte vegetative Zerkarien aus, die von Ameisen gefressen werden. Die Zerkarien setzen sich im Unterschlundganglion fest und zwingen die Ameise bei Temperaturen < 15 °C, sich an der Spitze eines Grashalms oder einer Blüte festzubeißen. Dort wird sie bald gefressen.
Saitenwurm,
Spinochordodes tellinii
Krebse, Fische
Grashüpfer, Schnecken,
Käfer, Spinnen
Infizierte Zwischenwirte stürzen sich ins Wasser, wo der Wurm austritt und sich paaren kann.
Plattwürmer,
Plathelminthes
Wirbeltiere,
z. B. Watvögel
Herzmuscheln, Cardium spp.
Infizierte Muscheln wandern bei Ebbe an die Schlickoberfläche, wo sie von Vögeln gefressen werden.
Kratzwurm,
Polymorphus
paradoxus
Enten, Schwäne,
Gänse
Seenflohkrebs,
Gammarus lacustris
Durch abnormes Verhalten lassen sich die Krebse leichter fressen. Der Fluchtreflex wird unterdrückt.
Saugwurm,
Euhaplorchis
californiensis
Vögel
Eierlegender Zahnkärpfling (Killifisch),
Fundulus parvipinnis ;
Hornschnecke, Cerithidea californica
Der Saugwurm kastriert die Schnecke und setzt sich dann im Hirn des Zahnkärpflings fest. Der Fisch macht dann durch wilde Kapriolen an der Meeresoberfläche Vögel auf sich aufmerksam, sodass er bald gefressen wird.
Saugwurm,
Trichobilharzia
ocellata
Vögel
Schnecke,
Lymnaea stagnalis
Einfluss auf die Synthese von Sexual- und Wachstumshormonen durch endokrine Neuronen.
Zytomegalievirus
Mensch
Das Virus setzt bei infizierten Personen den Grad der Neugierde herab.

Molekulare Strategien

Viele Parasiten sind in den letzten 30 Jahren in die Liste der Verdächtigen und Überführten aufgenommen worden. Sie beeinflussen Morphologie, Physiologie und auch Verhalten ihrer Zwischenwirte, um sich effektiver vermehren zu können. So werden beispielsweise Gliederfüßer (Arthropoda) von den in ihnen parasitierenden Faden- (Nematoda) und Saitenwürmern (Nematomorpha) dazu veranlasst, ins Wasser zu springen, das die Schmarotzer zur Ausbreitung und Vermehrung benötigt. Der bekannteste Parasit, der diese Strategie verfolgt, ist der Kleine Leberegel (Dicrocoelium dendriticum , engl. brainworm). Er setzt sich ins Unterschlundganglion von Ameisen und bringt sie dazu, an die Spitze von Grashalmen zu klettern und sich dort festzubeißen. So erhöht der Kleine Leberegel seine Chance, in ein Schaf, seinen Hauptwirt, zu gelangen. Die Liste ließe sich lange fortsetzen, bis hin zu parasitierenden Wespen, die Spinnen zwingen, ihre Kokons so zu spinnen, dass die Wespenpuppen besser vor starkem Regen geschützt sind, und zu parasitierenden Pilzen, die ihre penetrierten Insekten dazu bringen, an einem Ort zu sterben, der die optimale Verbreitung der Sporen durch den Wind gewährleistet.

Der Soziobiologe Richard Dawkins sieht in diesem Phänomen sein Konzept des "Erweiterten Phänotyps" (extended phenotype) verwirklicht. So gesehen, gehören die adaptiven Gene der Wirte im Grunde zum Genom des Parasiten. Die aktuelle Forschung ist allerdings nicht so metaphysisch und versucht erst einmal, die Strategien der Parasiten auf molekularer Ebene zu erklären; dabei stehen die Neuromodulatoren, die das neuroendokrine System kontrollieren, im Mittelpunkt des Interesses. Es scheint so, dass die Parasiten nach dem Prinzip des minimalen Energieaufwandes vorgehen, denn sie zwingen die Wirte, die zu ihrer eigenen Manipulation notwendigen Stoffe in ausreichender Konzentration selbst zu erzeugen.

Beispielsweise unterdrückt die parasitische Brackwespe Cotesia congrata die Nahrungsaufnahme ihres Wirtes, des Tabakschwärmers (Manduca sexta), indem sie ihn veranlasst, die Octopamin-Konzentration in der Hämolymphe zu erhöhen. Daraufhin sendet sein Frontalganglion keine Signale mehr aus, Nahrung aufzunehmen. Der Schwärmer schwärmt (fliegt) nicht mehr, und damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass er vor dem Schlüpfen der Wespen gefressen wird.

Der Saugwurm Trichobilharzia ocellata bringt seinen Wirt, die Schnecke Lymnaea stagnalis , dazu, Schistosomin zu sezernieren. Das Peptid unterdrückt die Synthese der weiblichen Sexualhormone und führt zu einer Art chemischer Kastration der Schnecke, sodass L. stagnalis keine Eier mehr legt; zugleich beginnt die Schnecke übermäßig zu wachsen.

Toxoplasma gondii im Netz

Hofstedes kulturelle Dimensionen

Parasitologie an der Universität Würzburg

Der Mensch als Wirt

Beim Menschen ist die Manipulation durch Parasiten schwieriger nachzuweisen, da sie oft nur minimal ist. Aber prinzipiell funktioniert auch hier, was den Parasiten bei Ameisen und Tabakschwärmern gelingt. Am deutlichsten ist dies bei Toxoplasma gondii , dem Erreger der Toxoplasmose und Verursacher der konnotalen Infektion bei schwangeren Frauen.

Der Protozoe (Einzeller) T. gondii ist weltweit verbreitet. Bislang wurden drei Hauptgenotypen identifiziert, die alle infektiös für den Menschen sind. In Europa und Nordamerika scheint der Genotyp II für die meisten Infektionen verantwortlich zu sein. In Europa nimmt die Durchseuchungsrate der Bevölkerung mit zunehmendem Lebensalter zu. In Deutschland wird sie auf ca. 50% geschätzt.

Psychische Störungen

T. gondii steht im Verdacht, den Charakter und das Verhalten infizierter Menschen zu manipulieren, seitdem 1953 erstmals T. gondii -Antikörper bei psychiatrischen Patienten nachgewiesen worden sind. Die Forschungen von Joanne Webster vom Imperial College in London bauen auf der Erkenntnis auf, dass Psychopharmaka die Vermehrung von T. gondii hemmen. An infizierten Ratten hat sie 2006 gezeigt, dass nicht nur das Neuroleptikum Haloperidol und das Antiepileptikum Valproinsäure die psychotischen Störungen lindern, sondern dass die Antiprotozoika Pyrimethamin und Dapson die gleiche Wirkung hervorrufen.

Im Beobachtungsgehege zog es die infizierten Ratten deutlich stärker zu den mit Katzengeruch belegten Nesthäuschen als zu den unbehandelten. Dieses psychotische Verhalten interpretiert Webster als deutlichen Hinweis darauf, dass T. gondii an der Entstehung von Schizophrenie beteiligt ist. Ihre Hypothese wird dadurch gestützt, dass Kinder von Müttern mit hohem T. gondii -Antikörperspiegel mehr als doppelt so häufig an Schizophrenie leiden.

T. gondii infiziert bevorzugt die Gehirnregionen, die Emotionen und Furcht steuern. So wird bei Ratten und Mäusen die angeborene Furcht vor Katzen zur tödlichen Vorliebe. Der Parasit erhöht damit die Wahrscheinlichkeit, irgendwann eine Katze zu besiedeln, erheblich. Er verändert das Verhalten der Nager so präzise, dass er deren angeborene Furcht vor offenen Flächen oder unbekannter Nahrung nicht beeinflusst. Ähnliches scheint nun auch für den Menschen zu gelten.

Teils intelligenter, teils dümmer

Forscher der Karlsuniversität Prag haben an infizierten Personen einen Persönlichkeitstest mit dem 16PF-Questionnaire durchgeführt (von dem Psychologen Raymond Cattell, 1905–1998, in den 1940er Jahren entwickelt; fragt 16 Persönlichkeitsfaktoren ab). Die Ergebnisse im Vergleich zur Kontrolle fielen bei beiden Geschlechtern sehr unterschiedlich aus. Demnach erweisen sich infizierte Frauen als besonders kontaktfreudig und warmherzig, waren intelligenter und zeigten ein stärkeres Überich (superego strength), das heißt, sie waren pflichtbewusster, moralischer und nachgiebiger. Infizierte Männer dagegen erwiesen sich als weniger intelligent, hatten ein geringeres Überich, waren eifersüchtiger und zeigten eine verringerte Neugier. Bei beiden Geschlechtern stieg die Neigung zu Schuldbewusstsein. Doch damit ist die Spekulation über die Einflussnahme der Parasiten noch nicht zu Ende.

Der Parasitenökologe Kevin Lafferty von der Universität von Kalifornien, Santa Barbara, geht einen deutlichen Schritt weiter. Er behauptet, dass der "Hirnparasit" Toxoplasma gondii die menschliche Kultur beeinflusst, und bezieht sich auf Forschungen des niederländischen Kulturwissenschaftlers Geert Hofstede, Professor emeritus für Organisationsanthropologie an der Universität Maastricht. Hofstede hat ein Schema entwickelt, menschliche Kulturen mit fünf indizierten Parametern zu charakterisieren:

  • Machtunterschiede,
  • Individualismus,
  • Maskulinität,
  • Unsicherheitsvermeidung,
  • Langzeit-Orientierung.

Lafferty hat die Angaben Hofstedes, die im Internet verfügbar sind, mit der T. gondii -Durchseuchungsrate der jeweiligen Länder verglichen und fand eine Korrelation der Durchseuchungsrate mit dem Grad an Neurotizismus; darunter versteht Hofstede ein stärkeres Streben nach Kontrolle, Herrschaft und materiellen Werten. Sollte das stimmen, könnte der Einfluss von Toxoplasma gondii auf die Kulturen und ihr Zusammenleben größer sein, als man sich bisher vorgestellt hat.


Literatur

Geert Hofstede, Robert McCrae: Personality and Culture Revisited: Linking Traits and Dimensions of Culture. Cross-Culture Research, 2004.

Kevin Lafferty: Can the common brain parasite, Toxoplasma gondii, influence human culture? Proc. R. Soc. B 273, 2749–55 (2006).

Frederic Thomas et al.: Parasitic manipulation: where are we and where should we go? Behavioural Processes 68 , 185–199 (2005).

Joanne Webster et al.: Parasites as causative agents of human affective disorders? The impact of anti-psychotic, mood-stabilizer and anti-parasite medication on Toxoplasma gondii‘s ability to alter host behaviour. Proc. Biol. Sci. 273 , 1023–1030 (2006).

Jaroslav Flegr et al: Increased risk of traffic accidents in subjects with latent toxoplasmosis: a retrospective case control study. BMC Infect. Dis. 2 , 11–16 (2002).

Jaroslav Flegr et al: Decreased level of psychobiological factor novelty seeking and lower intelligence in men latently infected with the protozoan parasite Toxoplasma gondii. Biol. Psychol. 63 , 253–268 (2003).


Dr. Uwe Schulte Händelstraße 10, 71640 Ludwigsburg schulte.uwe@t-online.de

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