Drogenszene

Spice – die neue Modedroge

Schwunghafter Handel mit unberechenbarer Kräutermischung

Von Hans-Peter Hanssen

In den letzten Wochen ist sie immer häufiger in die Schlagzeilen geraten: Spice, eine Modedroge, die zunächst eher wie eine obskure Kräutermischung aus acht verschiedenen Zutaten erscheint. Eine genauere Betrachtung der verwendeten Inhaltsstoffe zeigt jedoch, dass es sich durchweg um Pflanzen oder Pflanzenteile mit ethnopharmakologischem Hintergrund handelt. Zumindest einige von ihnen enthalten psychoaktive Substanzen. Auch in einschlägigen Kreisen ist ihre Wirkung schon seit Längerem bekannt.

Spice wird wie Marihuana geraucht und gilt auch als Cannabisersatz. Alle Inhaltsstoffe sind jedoch in Deutschland, Österreich und anderen EU-Ländern (noch) legal. Es sind keine Wirkstoffe bekannt, die im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) genannt werden. Neben dieser unbefriedigenden Rechtslage besteht vor allem aber ein nicht geklärtes Gefahrenpotenzial für die meist jungen Konsumenten.

Silver, Gold, Diamond

Angeboten wird die neue Party- und Modedroge unter den Namen "Silver", "Gold", "Diamond", "Tropical Synergy" oder "Arctic Synergy". Die verschiedenen Sorten sollen sich in der Intensität unterscheiden, "Spice Diamond" gilt als die stärkste Sorte. "Tropical Synergy" und "Arctic Synergy" enthalten zusätzlich Aromastoffe wie Vanille, Honig oder Roter Klee zur Geschmacks- oder Geruchsverbesserung. Spice ist nicotin- und tabakfrei und wird als Räucherware deklariert. Es ist vor allem über das Internet und in sogenannten "Head-Shops" erhältlich. Auf den handelsüblichen Packungen wird vor dem Verzehr gewarnt. Tatsächlich gilt es als Cannabisersatz und wird wohl nur in Form von Joints geraucht.

Von Marihuanilla bisIndian Warrior

Die Bezeichnung "Spice" (engl. "Gewürz”) könnte ihren Ursprung im Kultroman "Dune – der Wüstenplanet” haben: "Im 11. Jahrtausend ist die wichtigste Substanz im ganzen Universum das Spice, eine einzigartige Droge, die lebenswichtig für die Raumfahrt ist. Doch das Spice existiert nur auf einem einzigen Planeten: Arrakis, auch genannt Dune – der Wüstenplanet" [1].

Die in der Droge enthaltenen Kräuter sollen teilweise bereits seit Jahrhunderten als Cannabisersatz gehandelt und benutzt worden sein, andere sind aus ritueller Verwendung bekannt. Offensichtlich wurden manche als Opiatersatz im Ersten Weltkrieg verwendet [1, 2].

Im Einzelnen finden sich in den Kräutermischungen Bestandteile der Pflanzen:

  • Meeresbohne (Canavalia rosea, syn. C. maritima)
  • Blauer Lotus (Nymphaea caerulea)
  • Indischer Lotus (Nelumbo nucifera)
  • Helmkraut (Scutellaria nana)
  • Marihuanilla (Leonurus sibiricus)
  • Afrikanisches Löwenohr (Leonotis leonurus)
  • Maconha Brava (Zornia latifolia)
  • Indian Warrior (Pedicularis densiflora)

Blätter der Meeresbohne (C. maritima) sollen als Marihuanaersatz seit Langem bekannt sein. An der Golfküste Mexikos wird es als Räucherstoff benutzt, aber wohl auch als Cannabissubstitut verwendet. In Yucatan und Peru wurden Samen der Pflanze in königlichen Gräbern gefunden, die aus der Zeit 300 v. C. bis 900 n. C. reichen. Als möglicher Wirkstoff wurde das Alkaloid L-Betonicin (Achillein) nachgewiesen, das möglicherweise psychoaktiv ist [2]. Darüber hinaus wurde unlängst Canarosin, ein azyklisches Guanidinalkaloid, isoliert, das offensichtlich bereits in sehr geringer Konzentration den Dopaminrezeptor blockiert [3].

Blauer und weißer Lotus (Nymphaea caerulea bzw. N. alba) waren im alten Ägypten hochgeschätzt als Sinnbild für die Entstehung des Lebens, wohl aber auch wegen einer berauschenden Wirkung von Tee und Sud, die aus Knospen und Blüten bereitet wurden [2]. Auch in einigen südamerikanischen Kulturen war blauer Lotus als psychoaktive Droge bekannt. Genannt wird eine beruhigende, krampflösende und "reinigende" Wirkung, daher auch die Anwendung in der Aromatherapie. Als Inhaltsstoffe sind neben etherischem Öl verschiedene Alkaloide wie Nuciferin und Aporphin beschrieben. Diese Verbindungen sind ebenfalls im entfernt verwandten Indischen Lotus (Nelumbo nucifera) enthalten, der auch eine ähnliche Wirkung aufweist. Die Pflanze wird in der Ayurveda-Medizin gegen zahlreiche Beschwerden eingesetzt, u. a. als Tonikum und bei Schlaflosigkeit, aber auch bei Blutungen verschiedener Art, Herz- und Magenschwäche und gar gegen Krebs. Indischer (Pink) Lotus wurde geraucht oder als Tee getrunken, um ein mystisches Gefühl der Freude zu erzeugen, das Körper und Geist durchdringt [1].

Das Helmkraut (Scutellaria nana) war bei verschiedenen nordamerikanischen Indianerstämmen als Beruhigungsmittel bekannt, um Angstgefühle und Schlaflosigkeit zu bekämpfen; große Mengen davon sollen Schwindelgefühle verursachen [1]. Es wurde in Blogs und Foren berichtet, dass das Rauchen der Blätter ähnliche Effekte hervorruft wie Cannabis. Ebenfalls als Cannabis-ähnlich oder narkotisierend ist die Wirkung vom Löwenohr (Leonurus sibiricus), das im Spanischen "Marihuanilla" (kleine Marihuana-Pflanze) genannt wird, beschrieben worden. Die Pflanzen kommen in Sibirien und Ostasien, aber auch in Brasilien und Mexiko vor. Sie ist Bestandteil der traditionellen chinesischen Medizin (Yi Mu

Cao) und enthält etwa 0,02 bis 0,04% des Alkaloids Leonurin. Eine Vielzahl von Inhaltsstoffen (z. B. Alkaloide, Bitterstoffe, Flavonglykoside, Diterpene in teils sehr geringen Konzentrationen) ist bislang nicht auf eine psychoaktive Wirkung untersucht worden.

Das afrikanische Löwenohr (Leonotis leonurus) wurde in Südafrika von eingeborenen Stämmen wegen seines berauschenden und euphorisierenden Effekts verwendet. Das Kraut soll aber auch in Kalifornien (engl. "Wild Dagga") als Marihuanaersatz geraucht werden [2]. Wissenschaftliche Untersuchungen zu möglichen psychoaktiven Inhaltsstoffen liegen nicht vor.

Die umgangssprachliche Bezeichnung Maconha Brava (Zornia latifolia) bedeutet "falsches Marihuana" oder "falsches Kraut". Die getrockneten Blätter werden von Indianern in Brasilien zur Unterstützung von Visionen geraucht [1]. Es gibt keine Daten zu psychoaktiven Verbindungen. Ähnliches gilt für Indian Warrior (Pedicularis densiflora). Die Blüten von bestimmten Pedicularisarten sollen wegen ihrer narkotischen und medizinischen Wirkungen geraucht worden sein. Medizinische Verwendung fand die Pflanze als Aphrodisiakum, zur Muskelentspannung und als starkes Beruhigungsmittel. Geraucht soll die Droge Angst, Schmerz und Beunruhigung reduzieren [1]. Es ist nicht bekannt, welche Inhaltsstoffe für die psychoaktiven Wirkungen verantwortlich sein könnten.

Unbekannte Wirkungen

Die meisten Konsumenten beschreiben die Wirkung von Spice als vergleichbar der von Marihuana. Manche verspüren überhaupt keine Wirkung oder aber eine schwächere, gelegentlich auch stärkere oder länger anhaltende. Das BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) hat unlängst eingeräumt, dass "eine wissenschaftlich belastbare gesundheitliche Bewertung aufgrund der derzeitigen Datenlage nicht möglich sei" [4].

Zusatz von synthetischen Verbindungen?

Es sei denkbar, dass der Konsum der Droge zu Fahruntüchtigkeit führe und die Fähigkeit beeinträchtige, Maschinen zu bedienen. Auch haben offensichtlich erste Analysen ergeben, dass die Kräutermischung Tocopherol (Vitamin E) enthält. Das BfR empfiehlt, die genaue Zusammensetzung hinsichtlich möglicher pharmakologisch wirksamer Stoffe nach wissenschaftlichen Kriterien zu ermitteln. Darüber hinaus sei auch vorstellbar, dass synthetische Verbindungen, die eine wesentlich höhere Potenz als Tetrahydrocannabinol (THC) haben, den Produkten zugesetzt sein könnten [4].

"Legale" Rauschdroge

Der eigentliche Widerspruch, der sich aus der Kombination "Rauschdroge" und "legal" ergibt, macht Spice für viele Konsumenten möglicherweise besonders attraktiv. Nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) liegt keine Strafbarkeit wegen Handeltreibens vor, da Spice keine Wirkstoffe gemäß Anlage I – III zu § 1 BtMG enthält. Eine betäubungsmittelähnliche Wirkung begründet ebenfalls keine Strafbarkeit. Auch das Tabakgesetz kann nicht herangezogen werden, da in der Mischung keine Bestandteile von Pflanzen der Gattung Nicotiana enthalten sind. In der Schweiz hingegen unterliegt Spice den Vorschriften der Tabakverordnung und ist verboten. Eine Einstufung als Arzneimittel ist nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) ebenfalls problematisch, solange eine pharmakologische Wirkung der Mischung nicht nachgewiesen ist.

Unbefriedigende Rechtslage

Es bleibt zunächst also nur eine unbefriedigende Rechtslage und die Möglichkeit, die Konsumenten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, z. B. über Schulen oder Jugendeinrichtungen, auf das nicht geklärte Gefahrenpotenzial von Spice aufmerksam zu machen. Allerdings sind viele Experten skeptisch und die Anbieter findig: Als Ersatz für "Spice Diamond" wird im Internet zum Preis von 29,50 Euro "Sence" angeboten, eine "Kräutermischung, die Deinen Geist zu neuen Höhen führen wird" – und die weder Tabak noch Nicotin oder Marihuana enthält [1].


Quelle

[1] www.jugendamt.nuernberg.de/downloads_temp/suchtpraevention_info_spices.pdf.

[2] Rätsch, C: Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen. Botanik, Ethnopharmakologie und Anwendungen. 7. Aufl. 2004, AT Verlag, Baden (CH).

[3] Pattamadiloc, D.; et al.: Canarosine: A new guanidine alkaloid from Canavalia rosea with inhibitory activity on dopamine D1 receptors. J Asian Nat Prod Res. 2008; 10(10): 915 – 918.

[4] www.bfr.bund.de – BfR rät vom Konsum der Kräutermischung "Spice" ab (Stellungnahme Nr. 045/2008 des BfR vom 24.11.2008).


Autor

Dr. Hans-Peter Hanssen, Universität Hamburg, Institut für Pharm. Biologie und Mikrobiologie, Bundesstr. 45, 20146 Hamburg, E-Mail: hans-peter.hanssen@hamburg.de

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