Arzneimittel und Therapie

Stiripentol für seltene Epilepsieform bei Kindern

Stiripentol (Diacomit®) ist ein Antiepileptikum, das bei Kindern mit einer sehr seltenen Form der Epilepsie angewendet wird. Da es nur eine geringe Anzahl dieser Patienten gibt, wurde es als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesen. Stiripentol ist indiziert, wenn die Anfälle mit Clobazam und Valproat nicht ausreichend kontrolliert werden können und wird zusätzlich zu diesen beiden Antiepileptika gegeben.
Stiripentol

Stiripentol ist ein Antiepileptikum, das bei Kindern mit einer sehr seltenen Form der Epilepsie, der so genannten schweren myoklonischen Epilepsie im Kindesalter (SMEI), die auch als Dravet-Syndrom bezeichnet wird, angewendet wird. Da es nur eine geringe Anzahl von Patienten mit SMEI gibt, wurde Stiripentol am 5. Dezember 2001 als Arzneimittel für seltene Leiden, als Orphan drug, ausgewiesen.

Stiripentol wurde unter besonderen Bedingungen zugelassen. Dies bedeutet, dass weitere Nachweise für den Nutzen des Arzneimittels von der Herstellerfirma erwartet werden, insbesondere in Bezug auf seine Wirksamkeit bei Anwendung in Kombination mit den Höchstdosen anderer Antiepileptika. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMEA) überprüft jährlich eventuelle neue Informationen und bringt diese Zusammenfassung bei Bedarf auf den neuesten Stand.

Zusätzlich zu Clobazam und Valproat

Stiripentol wird als Zusatztherapeutikum zu Clobazam und Valproat zur Behandlung von generalisierten tonisch-klonischen Anfällen (schweren so genannten Grand-mal-Anfällen mit Bewusstlosigkeit) eingesetzt, wenn diese mit Clobazam und Valproat nicht angemessen behandelt werden können.

Die Dosierung beträgt 50 mg/kg Körpergewicht in zwei oder drei Dosen über den Tag verteilt. Die Behandlung beginnt gewöhnlich mit einer niedrigen Dosis, die über drei Tage schrittweise bis zur empfohlenen Dosis gesteigert wird. Nach Beginn der Gabe von Stiripentol muss die Dosis von Clobazam unter Umständen verringert werden. Die Dosis von Valproat muss dagegen normalerweise nicht angepasst werden.

Stiripentol muss immer mit Nahrung eingenommen werden, da es sich in saurer Umgebung (z. B. in Anwesenheit von Magensäure in einem leeren Magen) schnell zersetzt. Stiripentol darf auch nicht mit Milch oder Milchprodukten, kohlensäurehaltigen Getränken, Fruchtsäften oder Nahrungsmitteln und Getränken, die Coffein oder Theophyllin enthalten, eingenommen werden.

Abbau über Cytochrom P450

Stiripentol wird bei oraler Gabe gut und schnell resorbiert, nach rund 1,5 Stunden ist die höchste Plasmakonzentration erreicht. Die Substanz bindet sehr stark an zirkulierende Plasmaproteine (ca. 99%). Stiripentol wird weitgehend metabolisiert, vor allem durch die Cytochrom-P450-Enzyme CYP 1A2, CYP 2C19 und CYP 3A4. Die Eliminationshalbwertzeit liegt zwischen 4,5 und 13 Stunden und nimmt mit zunehmender Dosis zu. Der größte Teil (73%) von Stiripentol wird in Form von Metaboliten über die Nieren, 13 bis 24% als unveränderter Wirkstoff in den Fäzes ausgeschieden.

Zweifache Wirkung

Wahrscheinlich wirkt Stiripentol über zwei Mechanismen: Es erhöht die Konzentration der Gamma-Amino-Buttersäure (GABA) im synaptischen Spalt der Nervenzellen im Gehirn und verstärkt gleichzeitig die Wirkung anderer Antiepileptika, indem es die Geschwindigkeit ihres Abbaus in der Leber verlangsamt.

Im Tiermodell antagonisiert Stiripentol durch Elektroschocks, Pentetrazol und Bicucullin induzierte Anfälle. Bei Nagetieren scheint es die Konzentration von Gamma-Amino-Buttersäure (GABA), dem wichtigsten inhibitorischen Neurotransmitter im Säugetiergehirn, zu erhöhen. Das könnte durch Hemmung der synaptischen Wiederaufnahme von GABA und/oder Hemmung der GABA-Transaminase erfolgen. Außerdem verstärkt Stiripentol die GABA-A-Rezeptor-vermittelte Transmission im unreifen Rattenhippokampus und erhöht die durchschnittliche Öffnungsdauer (aber nicht die Öffnungshäufigkeit) der GABA-A-Rezeptor-Chloridionenkanäle durch einen Barbiturat-ähnlichen Mechanismus.

Stiripentol potenziert ferner die Wirksamkeit anderer Antikonvulsiva wie Carbamazepin, Natriumvalproat, Phenytoin, Phenobarbital und zahlreicher Benzodiazepine aufgrund pharmakokinetischer Wechselwirkungen. Diese zweite Wirkung von Stiripentol beruht hauptsächlich auf der metabolischen Hemmung mehrerer Isoenzyme, insbesondere von CYP 3A4 und CYP 2C19, die am hepatischen Metabolismus der genannten Antiepileptika beteiligt sind.

 

Steckbrief: Stiripentol

Handelsname: Diacomit

Hersteller: Desitin Arzneimittel GmbH, Hamburg

Einführungsdatum: 1. Januar 2008

Zusammensetzung: Jede Kapsel enthält 250 bzw. 500 mg (E)-Stiripentol (Stiripentol). Sonstige Bestandteile: Povidon K29/32, Carboxymethylstärke-Natrium (Typ A), Magnesiumstearat. Kapselhülle: Gelatine, Titandioxid (E 171). Jeder Beutel enthält 250 bzw. 500 mg Stiripentol. Sonstige Bestandteile: Povidon K29/32, Carboxymethylstärke-Natrium (Typ A), sprühgetrockneter Glucose-Sirup, Erythrosin (E 127), Titandioxid (E 171), Aspartam (E 951), Tutti-Frutti-Aroma (enthält Sorbitol), Carmellose-Natrium, Hyetellose.

Packungsgrößen, Preise und PZN: 250 mg Hartkapseln: 60 Stück, 228,43 Euro, PZN 0724933. 500 mg Hartkapseln: 60 Stück: 228,43 Euro, PZN 0724962. 250 mg Pulver: 60 Beutel, 421,36, PZN 0724979. 500 mg Pulver: 60 Beutel, 421,36, PZN 0724979.

Stoffklasse: Antiepileptika. ATC-Code: N03AX17.

Indikation: Stiripentol ist indiziert für die Anwendung in Verbindung mit Clobazam und Valproat als Zusatztherapie bei refraktären generalisierten tonisch-klonischen Anfällen bei Patienten mit schwerer myoklonischer Epilepsie im Kindesalter (SMEI, Dravet-Syndrom), deren Anfälle mit Clobazam und Valproat nicht angemessen kontrolliert werden können.

Dosierung: Der Beginn der Zusatztherapie mit Stiripentol sollte sich über einen Zeitraum von drei Tagen erstrecken (allmähliche Dosissteigerung bis zum Erreichen der empfohlenen Dosis von 50 mg/kg/Tag, die in Verbindung mit Clobazam und Valproat angewendet wird). Die Kapseln sollen unzerkaut mit einem Glas Wasser während der Mahlzeit eingenommen werden. Die tägliche Dosierung kann in zwei oder drei Teildosen eingenommen werden.

Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile. Vorgeschichte mit Psychosen in Form deliranter Anfälle.

Nebenwirkungen: Sehr häufig: Anorexie, Appetitverlust, Gewichtsverlust (vor allem in Kombination mit Natriumvalproat); Schlaflosigkeit; Benommenheit, Ataxie, Hypotonie, Dystonie. Häufig: Neutropenie; Aggressivität, Reizbarkeit, Verhaltensstörungen, ablehnendes Verhalten, Übererregbarkeit, Schlafstörungen; Hyperkinesie; Übelkeit, Erbrechen; erhöhte α-GT (vor allem in Verbindung mit Carbamazepin und Valproat).

Wechselwirkungen: Stiripentol wird unter anderem durch die Enzyme CYP1A2, CYP2C19 und CYP3A4 verstoffwechselt; daher ist Vorsicht geboten, wenn Stiripentol mit anderen Medikamenten gleichzeitig angewendet wird, die eines oder mehrere dieser Enzyme hemmen oder induzieren. In therapeutischen Konzentrationen hemmt Stiripentol signifikant mehrere CYP 450-Isoenzyme, zum Beispiel CYP 2C19, CYP 2D6 und CYP 3A4, weshalb pharmakokinetische Wechselwirkungen metabolischen Ursprungs mit anderen Arzneimitteln erwartet werden können. Die Hemmung der CYP-450-Isoenzyme CYP 2C19 und CYP 3A4 kann pharmakokinetische Wechselwirkungen mit Phenobarbital, Primidon, Phenytoin, Carbamazepin, Clobazam, Valproat, Diazepam (verstärkte Muskelrelaxation), Ethosuximid und Tiagabin auslösen; bei Kombination mit Stiripentol wird eine klinische Überwachung der Plasmaspiegel anderer Antikonvulsiva, mit eventueller Dosisanpassung, empfohlen.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Mit der Anwendung von Stiripentol, Clobazam und Valproat kann eine Neutropenie assoziiert sein; deshalb sollte das Blutbild vor Beginn der Behandlung mit Stiripentol untersucht werden. Vor Beginn der Behandlung mit Stiripentol und dann alle sechs Monate sollte ferner die Leberfunktion untersucht werden. Bei Patienten mit beeinträchtigter Leber- und/oder Nierenfunktion wird die Anwendung nicht empfohlen. Kinder zwischen sechs Monaten und drei Jahren sollten während einer Stiripentol-Therapie sorgfältig überwacht werden.

Für Kinder ab drei Jahren

Die Hauptstudien mit Stiripentol wurden bei Kindern im Alter von über drei Jahren durchgeführt. Entscheidungen über die Anwendung bei jüngeren Kindern sollten für jedes Kind individuell getroffen werden, da Kleinkinder unter drei Jahren Stiripentol nur erhalten sollten, wenn die Diagnose der schweren myoklonischen Epilepsie im Kindesalter bestätigt wurde.

Die beiden Hauptstudien mit Stiripentol umfassten 65 Kinder im Alter von drei bis 18 Jahren. In den Studien wurde die Wirksamkeit von Stiripentol (Kapseln oder Beutel) mit einem Placebo zusätzlich zur bestehenden Behandlung mit Clobazam und Valproat verglichen. Der Hauptindikator für die Wirksamkeit war die Anzahl der Patienten, die auf die Behandlung ansprachen. Ein Patient galt als "Responder", wenn die Anzahl der Anfälle im zweiten Monat der Behandlung mit Stiripentol um mindestens 50% niedriger war als im Monat vor Beginn der Behandlung mit Stiripentol.

Auf die Behandlung mit Stiripentol reagierten mehr Patienten als auf das Placebo. In der ersten Studie sprachen 71% der Patienten, die Stiripentol einnahmen, auf die Behandlung an gegenüber 5% in der Placebogruppe. In der zweiten Studie wurden ähnliche Ergebnisse beobachtet (67% und 9%). Es ist jedoch unklar, ob diese Wirkung auf Stiripentol selbst oder auf erhöhte Spiegel der anderen Antiepileptika zurückzuführen ist.

Nebenwirkungen

Die häufigsten Nebenwirkungen, die bei mehr als einem von zehn Patienten auftraten, sind Anorexie (Appetitverlust), Gewichtsverlust, Insomnie (Schlaflosigkeit), Schläfrigkeit, Ataxie (Unfähigkeit zu koordinierten Muskelbewegungen), Hypotonie (verminderte Muskelkraft) und Dystonie (Muskelstörungen).

Patienten, die in der Vergangenheit an Psychosen mit Deliriumanfällen litten, dürfen Stiripentol nicht anwenden.

Zahlreiche Wechselwirkungen

Wegen der zahlreichen Wechselwirkungen ist Vorsicht geboten, wenn Stiripentol gleichzeitig mit anderen Arzneimitteln eingenommen wird. Stiripentol wird unter anderem durch die Enzyme CYP 1A2, CYP 2C19 und CYP 3A4 verstoffwechselt. Vorsicht ist daher geboten, wenn Stiripentol mit anderen Medikamenten gleichzeitig angewendet wird, die eines oder mehrere dieser Enzyme hemmen oder induzieren. Wechselwirkungen mit Theophyllin und Coffein können nicht ausgeschlossen werden. Diese Warnung ist nicht nur auf Arzneimittel begrenzt, sondern gilt auch für eine beträchtliche Zahl von Nahrungsmitteln und Nährstoffen für Kinder wie Colagetränke, die signifikante Mengen an Coffein oder Schokolade mit Theophyllin-Spuren enthalten.

In therapeutischen Konzentrationen hemmt Stiripentol signifikant mehrere CYP-450-Isoenzyme, zum Beispiel CYP 2C19, CYP 2D6 und CYP 3A4. Daher können pharmakokinetische Wechselwirkungen metabolischen Ursprungs mit anderen Arzneimitteln erwartet werden. Vorsicht ist geboten bei folgenden Kombinationen mit Stiripentol wegen der Gefahr von klinisch relevanten Wechselwirkungen: Mutterkornalkaloide (Ergotamin, Dihydroergotamin); Cisaprid, Halofantrin, Pimozid, Chinidin, Bepridil; Immunsuppressiva (Tacrolimus, Ciclosporin, Sirolimus); Midazolam, Triazolam, Alprazolam; Theophyllin, Coffein; Chlorpromazin.

Die Hemmung der CYP-450-Isoenzyme CYP 2C19 und CYP 3A4 kann ferner pharmakokinetische Wechselwirkungen mit Phenobarbital, Primidon, Phenytoin, Carbamazepin, Clobazam, Valproat, Diazepam (verstärkte Muskelrelaxation), Ethosuximid und Tiagabin auslösen. Die Konsequenzen sind erhöhte Plasmakonzentrationen dieser Antikonvulsiva mit potenziellem Risiko einer Überdosierung. Bei Kombination mit Stiripentol wird eine klinische Überwachung der Plasmaspiegel anderer Antikonvulsiva, mit eventueller Dosisanpassung, empfohlen.

 

Quelle

Fachinformation von Diacomit® , Stand Oktober 2007.

Chiron C, Marchand M, Tran A, et al.: Stiripentol in severe myoclonic epilepsy in infancy: a randomised placebo-controlled syndrome-dedicated trial. STICLO study group. Lancet 356, 1638-42 (2000).

 

hel

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