Arzneimittel und Therapie

Neues estradiolbasiertes orales Kontrazeptivum

Ein neues orales Kontrazeptivum, das Estradiolvalerat mit dem Gestagen Dienogest kombiniert enthält (Qlaira® , gesprochen "Klära"), hat die Zulassung erhalten. Da bereits während der gastrointestinalen Resorption im Organismus der Valeratrest abgespalten wird, sollen alle estrogenbedingten Wirkungen ausschließlich durch "natürliches" Estradiol vermittelt werden. Bislang konnte das im Menschen wirkende Estradiol nicht direkt in oralen Kontrazeptiva eingesetzt werden, da der Zyklus nur unzureichend kontrolliert werden konnte.
Neues Dosierungsschema Die Estrogendosis wird stufenweise gesenkt, während die Gestagendosis schrittweise ansteigt. Mit der Einführung von Qlaira® wird im Mai 2009 gerechnet.

Seit langem wird versucht, Ethinylestradiol durch Estradiol zu ersetzen, das als das "natürliche Estrogen der Frau" angesehen wird, einen geringeren Einfluss auf Stoffwechsel und Gerinnung aufweisen soll und somit zu einer Verminderung von Nebenwirkungen beitragen könnte. Das bisher in oralen Kontrazeptiva verwendete Ethinylestradiol enthält eine 17-α-Ethinylgruppe, die eine oxidative Metabolisierung verhindert und die orale Bioverfügbarkeit von Ethinylestradiol im Vergleich zum Estradiol wesentlich erhöht. Estradiol wird in Gegenwart eines Gestagens sehr schnell zu Estron oxidiert, das eine geringere biologische Aktivität am Endometrium hat. Als Folge wird die zyklusgerechte Proliferation des Endometriums gestört: Alle bisherigen Versuche, ein Kontrazeptivum mit Estradiol und akzeptabler Zykluskontrolle zu entwickeln, sind bisher gescheitert, es traten unerwünschte Zwischenblutungen und Durchbruchblutungen auf. Dieses Problem wurde in dem neuen Kontrazeptivum durch die Kombination des Estradiolvalerats mit dem Gestagen Dienogest und einem speziellen "dynamischen Dosierschema" mit Verringerung der Estrogen- und Steigerung der Gestagendosis innerhalb von 26 Tagen gelöst. Das in Qlaira® enthaltene Estrogen ist Estradiolvalerat, ein Ester des natürlich beim Menschen vorkommenden 17β-Estradiols (1 mg Estradiolvalerat entspricht 0,76 mg 17β-Estradiol). Estradiolvalerat wird nach oraler Aufnahme schnell resorbiert und bereits während der Resorption über die Darmschleimhaut oder im Verlauf der ersten Leberpassage nahezu vollständig zu 17β-Estradiol hydrolysiert. Dieses Estrogen unterscheidet sich von Ethinylestradiol oder dessen Prodrug Mestranol, die in anderen Kontrazeptiva verwendet werden, durch die fehlende Ethinylgruppe in der 17-alpha-Position. Als Gestagen, das hauptsächlich für die Ovulationshemmung und die ordnungsgemäße Transformation des Endometriums zuständig ist, wird in Qlaira® Dienogest eingesetzt. Das 19-Nortestosteron-Derivat besitzt keine androgene Aktivität, sondern eher eine anti-androgene Aktivität. Mit seiner starken gestagenen Wirkung am Endometrium ist es gut geeignet für Kombination mit Estradiolvalerat.

Neues Dosierungsschema: Weniger ist mehr

In Anlehnung an den natürlichen Zyklus enthalten die jeweils 28 Filmtabletten eine unterschiedlich hohe, dabei möglichst niedrige Hormondosis. In den 26 hormonhaltigen Tabletten sinkt die Estrogendosis stufenweise, während die Gestagendosis schrittweise ansteigt (Tage 1 und 2, dunkelgelbe Tabletten: 3 mg Estradiolvalerat; Tage 3 bis 7, mittelrote Tabletten: 2 mg Estradiolvalerat und 2 mg Dienogest; Tage 8 bis 24, hellgelbe Tabletten: 2 mg Estradiolvalerat und 3 mg Dienogest; Tage 25 und 26, dunkelrote Tabletten: 1 mg Estradiolvalerat). Zwei weiße Tabletten für die Tage 27 und 28 sind wirkstofffrei. Im Vergleich zu Kontrazeptiva mit konventionellem Einnahmeschema ist die hormonfreie Phase bei Qlaira® mit zwei Tagen Dauer um fünf Tage kürzer. Diese nur zweitägige hormonfreie Pause erwies sich als ausreichend, um bei der Mehrzahl der Frauen im Vergleich mit herkömmlichen kombinierten oralen Kontrazeptiva ein vergleichbar gutes Blutungsmuster zu induzieren. Die Estrogendosis verringert sich im Verlauf eines Einnahmezyklus. Im Ergebnis soll so während des gesamten Zyklus eine relativ stabile Estradiolkonzentration erreicht werden. Das 28-tägige Einnahmeschema mit Vermeidung einer pillenfreien Pause soll zudem eine höhere Compliance bewirken, da einfach jeden Tag eine "Pille" eingenommen wird. Die Tabletten müssen jeden Tag etwa zur gleichen Zeit, falls erforderlichmit etwas Flüssigkeit, eingenommen werden.

Vorteil: kürzere und leichtere Blutungen

Dienogest wird in Qlaira® im Mittel mit 2,2 mg/Tag verabreicht. Mit dieser etwa doppelten Ovulationshemmdosis wird die kontrazeptive Sicherheit wie mit anderen kombinierten Pillen gewährleistet. Die gepoolten Daten aus zwei zulassungsrelevanten Studien zur kontrazeptiven Sicherheit ergaben für Frauen im Alter von 18 bis 50 Jahren einen unbereinigten Pearl-Index (Anwenderfehler und Versagen des Kontrazeptivums) von 0,79 bzw. einen korrigierten (Versagen des Kontrazeptivums) Pearl-Index von 0,42 und ist damit mit den herkömmlichen Präparaten vergleichbar. Interessant erscheinen auch die Ergebnisse hinsichtlich der Zykluskontrolle: Sie ist mit der neuen Kombination ähnlich gut wie bei Präparaten mit 20 μg Ethinylestradiol und 100 μg Levonorgestrel, wobei die Blutungen bei Qlaira® sogar kürzer und leichter ausfallen. Es wurde eine Tendenz zu Zyklen ohne Monatsblutungen beobachtet. Das im Rahmen der Studien erfragte emotionale und körperliche Wohlbefinden war bei der überwiegenden Mehrheit von Frauen, die die neue Kombination erhielten, gleich gut oder besser als vor der Anwendung.

Kontraindikationen und Warnhinweise

Bisher liegen Daten von mehr als 5400 Frauen mit über 47.000 Behandlungszyklen (3600 Frauenjahre) vor. Die Auswertung zeigte, dass insgesamt eine niedrige Zahl unerwünschter – inklusive schwerer unerwünschter – Ereignisse auftraten. Unerwünschte Arzneimittelreaktionen bei mehr als 1% der Anwenderinnen waren vergleichbar mit denen anderer Pillen (Brustbeschwerden, Zwischenblutungen, Kopfschmerzen). Das Risiko thromboembolischer Ereignisse kann wegen der sehr niedrigen Inzidenz in klinischen Studien vor der Zulassung des Präparates nicht erfasst werden. Mit der Markteinführung soll daher eine aktive Post-Marketing-Surveillance gestartet werden. Bis die Daten vorliegen gelten für das neue Kontrazeptivum dieselben Kontraindikationen und Warnhinweise wie für andere Pillen mit niedriger Hormondosis.

 

Quelle
Prof. Dr. Hans-Joachim Ahrendt, Magdeburg; Dipl.-Psych. Frank Szymkowiak, Köln; Priv.-Doz. Dr. med. Inka Wiegratz, Frankfurt: "Orale Kontrazeption mit (natürlichem) Estradiol: Vom Konzept zur Realität", Düsseldorf, 4. März 2009, veranstaltet von der Bayer Vital GmbH, Leverkusen, und der Jenapharm GmbH & Co. KG., Jena. 

 

Fachinformation Qlaira, Stand Januar 2009. 

 

ck

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