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- DAZ 14/2009
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Arzneimittel und Therapie
"PCa-Screeningstudien sind nicht aussagekräftig!"
DAZ Herr Dr. Dubben, soeben wurden im New England Journal of Medicine widersprüchliche Zwischenergebnisse zweier Studien zum PCa-Screening mithilfe des PSA-Tests veröffentlicht. Die eine sieht keinen Nutzen, die andere eine Reduktion der Gesamtsterblichkeit infolge eines Prostatakarzinoms um 20%. Was sagen uns diese Studien?
Dubben: Zunächst einmal müssen wir uns darüber klar werden, welcher Fragestellung die Studien nachgegangen sind. Sie wollten die Frage beantworten, ob sich ein PCa-Screening auf die Prostatakarzinom-spezifische Mortalität auswirkt. Dazu müssten weit mehr als 200.000 Männer in eine Studie aufgenommen werden, die insgesamt etwa 20 Jahre dauern müsste. Eine relative Reduktion der Prostatakarzinom-Sterblichkeit um 25% führt zu einer Abnahme des absoluten Risikos von weniger als 1%. Wenn alles ideal läuft und das Screening tatsächlich wirksam ist, dann würde in solch einer theoretischen Studie 75 Männern das Leben verlängert werden, indem sie aufgrund des Früherkennungsprogramms vor einem Tod durch ein Prostatakarzinom bewahrt bleiben. Diese Männer sind übrigens im Mittel über 80 Jahre und damit überdurchschnittlich alt. In der Realität werden auch nicht alle in der Kontrollgruppe auf einen PSA-Test verzichten und auch nicht alle, die zum Screening eingeladen werden, der Einladung folgen. In der Realität lässt sich auch die Todesursache nicht mit absoluter Sicherheit feststellen. Wenn man all das berücksichtigt, dann muss man, um zu einer einigermaßen sicheren Antwort zu kommen, mehrere Millionen Männer in eine solche Studie einbeziehen und darunter die paar Dutzend Männer finden, deren Leben verlängert wurde.
Vor diesem Hintergrund wird klar, dass die beiden zurzeit diskutierten Studien mit 76.693 bzw. 162.243 Teilnehmern bei weitem zu klein sind. Die Ergebnisse sind äußerst anfällig für zufällige Schwankungen. Es ist damit nicht verwunderlich, dass bei der einen Studie kein Vorteil und bei der anderen eine 20%ige relative Reduktion der Prostatakarzinom-spezifischen Mortalität gefunden wurde. (Dies entspricht einer absoluten Reduktion von 0,071%). Neben den zufälligen Schwankungen muss man natürlich auch mit systematischen Verzerrungen der Daten rechnen.
DAZ Was sind denn die gravierendsten Mängel der ERSPC-Studie?
Dubben: In der Screening-Gruppe finden Schröder et al. 214 PCa-spezifische Todesfälle unter 72.890 Teilnehmern, in der Kontrollgruppe sind es 326 unter 89.353. Dieser Unterschied wäre nicht mehr statistisch signifikant, wenn in der Screening-Gruppe 11 Todesfälle mehr aufgetreten wären. Der Unterschied würde sich ins Gegenteil verkehren, wenn dort 52 Todesfälle mehr aufgetreten wären. Andererseits wurden aus der Studie etwa 17.000 portugiesische Teilnehmer nachträglich ausgeschlossen, weil die portugiesischen Forscher, so Schröder et al., nicht in der Lage waren, die erforderlichen Daten zur Verfügung zu stellen. Außerdem wurden zunächst 182.160 Männer im Alter von 50 bis 74 Jahren aufgenommen, dann jedoch nur 162.243 Männer im Alter von 55 bis 69 Jahren ausgewertet. Diese angeblich "predefined age core group" (Schröder et al.) weicht von der vorher im Current Clinical Trials Register angegebenen Altersgruppe (55-74) ab. Dadurch fallen weitere ca. 10.000 Teilnehmer aus der Studie. Solche nachträglichen Änderungen machen die Wahrscheinlichkeitsaussagen, die man mit Signifikanztests macht, zunichte. Das ist, als würde man bei einem Glücksspiel während des Spiels die Spielregeln ändern. Oder: Sie erfahren von einer Präsidentschaftswahl, dass der erfolgreiche Kandidat mit 52 Stimmen Vorsprung gewählt wurde, aber es wurden 17.000 Personen von der Wahl ferngehalten und weitere 10.000 Stimmen nachträglich für ungültig erklärt. Wie ernst würden Sie dieses Wahlergebnis nehmen?
DAZ Trotzdem, wenn man die ERSPC-Studie ernst nimmt, wie viele Männer müsste man screenen, um einen von ihnen vor dem Tod durch ein Prostatakarzinom zu bewahren, wie ist also die number to screen?
Dubben: Die durchschnittliche Nachbeobachtungsdauer der Studie beträgt neun Jahre. Wenn das Zwischenergebnis stimmt, dann wird in diesem Zeitraum einem von etwa 1400 Männern das Leben verlängert, indem er nicht an einem Prostatakarzinom verstirbt. Leider gibt es aber auch sogenannte Überdiagnosen. Dabei wird durch Screening ein Tumor diagnostiziert, der dem Teilnehmer zu Lebzeiten aber nie Probleme bereitet hätte. Schon gar nicht wäre er daran gestorben. Es werden also auch Tumoren aggressiv behandelt, die man nicht hätte behandeln müssen. Man spricht dann von Überbehandlungen. Aus den Daten, die vom NEJM zusammen mit der Publikation online zur Verfügung gestellt wurden, geht hervor, dass auf 1400 Teilnehmer 40 Überbehandlungen kommen, und zwar Operationen, Bestrahlungen oder Kombinationen aus beidem. Ich habe sie aus den Online-Daten errechnet. Dabei habe ich alle Behandlungen gezählt, die OP oder Bestrahlung oder beides enthielten. Die Autoren kommen sogar auf 48. Sie haben Hormontherapie und Watchful waiting mitgezählt. Ich habe mich auf OP und Bestrahlung beschränkt, weil deren Nebenwirkungen irreversibel sind. Ob 40 unnötige Behandlungen für ein verlängertes Leben ein hoher Preis sind, will ich nicht beurteilen, aber ich halte es für notwendig, auf den Preis hinzuweisen. Und noch etwas, worauf ich hinweisen möchte: diese 41 Behandelten sind überzeugt, dass Früherkennung ihnen das Leben gerettet hat. Davon irren sich aber 40, denen obendrein noch ein unnötiger Schaden zugefügt wurde. Dies erklärt vielleicht die Begeisterung für die PCa-Früherkennung, zeigt aber auch, dass sie offenbar auf einer großen Fehleinschätzung beruht.
DAZ Die Studien sollen fortgesetzt werden. Was können wir davon erwarten?
Dubben: Die Frage, ob Screening die PCa-spezifische Mortalität oder gar die Gesamtmortalität verändert, erfordert wie gesagt Studiengrößen, die nicht mehr handhabbar sind. Die Frage lässt sich mit der besten klinischen Forschungsmethode, nämlich einer kontrollierten randomisierten Studie, nicht beantworten. Die Evidenz-basierte Medizin hat hier offenbar ihre Grenze. Außerdem stehen die Ergebnisse einer derartigen Studie erst etwa 20 Jahre nach Studienbeginn zur Verfügung. Sie sind dann zwangsläufig veraltet.
DAZ Herr Dr. Dubben, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Hans-Hermann Dubben
Institut für Allgemeinmedizin
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52
20246 Hamburg
Das Gespräch führte Dr. Doris Uhl, Stuttgart
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