Pharmakogenetik in der Praxis

Wenn der Schmerz nicht nachlässt

Wenn Schmerzpatienten auf Standarddosierungen eines Schmerzmittels nicht ansprechen, dann kann dahinter zwar eine fehlende Compliance stecken, aber in jedem Fall muss auch an eine pharmakogenetische Ursache gedacht werden. Denn gerade im Bereich der Schmerztherapie hängt der Therapieerfolg oft von der Bioaktivierung des Arzneistoffs ab. So kann eine unzureichende Überführung des Prodrugs Oxycodon in die Wirksubstanz Oxymorphon aufgrund pharmakogenetischer Besonderheiten für eine unbefriedigende Schmerzreduktion verantwortlich sein. Mithilfe einer Genotypisierung lässt sich dies erkennen. Liegen entsprechende Polymorphismen vor, dann ist eine maßgeschneiderte Schmerztherapie gefragt.

Nicht jeder Arzneistoff liegt nach der Einnahme bereits in seiner wirksamen Form vor. Manche Arzneistoffe müssen erst eine biologische Aktivierung im Körper erfahren, um ihre pharmakologische Wirkung entfalten zu können. Diese sogenannten Prodrugs sind also ohne den Umsetzungsschritt nicht wirksam. Meistens erfolgt diese Aktivierung im Zuge des First-Pass-Effektes in der Leber durch Metabolisierung. Zum Beispiel wird Clopidogrel erst durch CYP2C19 zu seinem wirksamen Metaboliten umgewandelt. Welche klinischen Konsequenzen das haben kann, wird gegenwärtig intensiv diskutiert: Eine nicht ausreichende Bioaktivierung bei CYP2C19-Poor-Metabolizern (PM) soll im Zusammenhang mit einer unzureichenden Herzinfarktprophylaxe und einer erhöhten Sterblichkeit stehen [1].

Steckbrief des CYP2D6-Polymorphismus


 

Der Polymorphismus des Cytochrom-P450-Isoenzyms 2D6 (CYP2D6) ist einer der am besten untersuchten genetischen Unterschiede der Arzneistoff-metabolisierenden Enzyme. Das Enzym CYP2D6 ist das einzige funktionale Enzym aus der 2D-Familie. Es wird hauptsächlich in der Leber exprimiert, aber auch in anderen Geweben wie dem Magen-Darm-Trakt, der Niere oder dem Gehirn. Obwohl es am Cytochrom-P450-Gesamtgehalt der Leber nur einen Anteil von ungefähr 2% besitzt, werden etwa 25% aller Medikamente von CYP2D6 im Rahmen des Phase-I-Metabolismus verstoffwechselt. Neben dem Wildtyp-Allel *1 sind mittlerweile mehr als 80 Allelvarianten bekannt, was den polymorphen Charakter dieses Enzyms unterstreicht [8, 24, 25].

Man kann CYP2D6-Träger hinsichtlich ihrer Enzymaktivität in vier verschiedene Klassen unterteilen. Diese unterscheiden sich aufgrund der Anzahl von funktionsfähigen Enzymen die gebildet werden können und der hiermit zusammenhängenden Stoffwechselleistung.

Die Punktmutationen wie *2, *4, *6, *7, *8, *11 in der DNA-Sequenz führen zu einer Veränderung der Aminosäureabfolge des entstehenden CYP2D6-Enzyms und hierdurch zu einer Funktionslosigkeit. Der *5-Polymorphismus resultiert in einer Deletion, also einem Fehlen des kompletten Gens. Darüber hinaus gibt es auch Polymorphismen, die zu einer eingeschränkten Metabolisierungsfähigkeit des Enzyms führen (*9, *10, *17). Daneben gibt es genetische Veränderungen, die sich allerdings nicht auf die Enzymfunktion auszuwirken scheinen (*1, *2, *33, *35) [8].

In Abhängigkeit der Kombination von Allelen mit diesen möglichen Mutationen teilt man die verschiedenen Genotypen ein.

  • PM • Die Gruppe der langsamen Metabolisierer (PM, Poor Metabolizer) besitzt auf beiden Allelen Punktmutationen, die zu nicht vorhandenen oder funktionslosen Enzymen führen. Menschen mit diesen Mutationen können Substrate des CYP2D6 praktisch nicht verstoffwechseln. Die Häufigkeit der PM bei den sogenannten Kaukasiern (in etwa europäische Bevölkerung) liegt bei ungefähr 8 bis 10%.
  • IM. Die nächste Gruppe stellen die sogenannten intermediären Metabolisierer (IM) dar. Sie repräsentieren ca. 10 bis 15% der europäischen Bevölkerung und besitzen ein funktionsloses Allel und eines mit einer eingeschränkten Funktion. Die IM sind bedingt in der Lage CYP2D6 Substrate zu verstoffwechseln und haben daher meist weniger Komplikationen in Form von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) als PM.
  • EM. Die größte Gruppe der CYP2D6-Metabolisierer stellen mit 75 bis 80% die schnellen Metabolisierer (Extensive Metabolizer, EM) dar. Sie sind durch das Vorhandensein von mindestens einem voll funktionsfähigen Allel charakterisiert [26, 27, 28, 29].
  • URM. Neben diesen vorgestellten Punktmutationen können aber auch Genduplikationen entstehen, die in der Folge zu überdurchschnittlich vielen CYP2D6-Enzymen führen. Träger von mehreren funktionierenden CYP2D6-Genen werden als URM (Ultra Rapid Metabolizer) bezeichnet und können im Vergleich zu allen anderen CYP2D6-Genotypen die Substrate für das Enzym überdurchschnittlich schnell verstoffwechseln. Die Häufigkeit von Trägern dieser Genanomalie unterliegt einem deutlichen Nord-Süd-Gefälle. Während in Europa ca. 2% der Bevölkerung eine CYP2D6-Genduplikation aufweisen, sind es in Saudi-Arabien schon 20% und in Äthiopien sogar 29% der Bevölkerung [30].

Der CYP2D6-Status (PM, IM, EM, URM) hat also einen maßgeblichen Einfluss auf die Arzneistoffexposition und somit auch auf die Wirkung von Arzneistoffen. Mit zunehmender Enzymleistung nimmt die Exposition mit dem Arzneistoff durch die Abbauvorgänge in der Leber ab. Im Falle eines Prodrugs ist die Situation umgekehrt: Hier können nur Personen mit funktionierenden Enzymen einen Wirkspiegel aufbauen, wie am klinischen Beispiel einiger Opiate in den Patientenfällen gezeigt, da hier der Metabolit und nicht die Muttersubstanz für die klinische Wirkung verantwortlich ist (Abb. 1).

Die Bestimmung des CYP2D6-Phänotyps kann über die Messung der Verstoffwechselung von Testsubstanzen bestimmt werden. Dextromethorphan ist eine dieser Testsubstanzen. Hierzu wird der Urin nach Einnahme einer definierten Menge des Arzneistoffs gesammelt und dort das Verhältnis von Muttersubstanz zu Metabolit, der über CYP2D6 gebildet wird, gemessen. Das Verhältnis der beiden Werte spiegelt die Stoffwechselleistung des Enzyms wieder und korreliert mit den jeweiligen Genotypen [31].

Über die Leberenzyme des Cytochrom-P450-Systems werden ca. 50% aller Arzneistoffe verstoffwechselt. Neben dem Isoenzym 3A4 (CYP3A4), das den Großteil dieser Arbeit verrichtet (ca. 50%), übernimmt auch das Isoenzym 2D6 (CYP2D6) etwa ein Viertel des Arzneistoffabbaus über das CYP-450-System [2]. Die Arzneistoffe, die hierfür als Substrate dienen, sind extrem vielfältig. Dazu zählen der Betablocker Metoprolol, der Östrogenrezeptor-Antagonist Tamoxifen, der Dopamin-Rezeptor-Antagonist Metoclopramid und die Neuroleptika Risperidon sowie Promethazin [3].

Aufgrund des breiten Spektrums an Arzneistoffgruppen, die über CYP2D6 abgebaut werden, wirken sich Veränderungen in der Enzymfunktion auf die Therapien und den Therapieerfolg vieler Krankheitsbilder aus. So ist zum Beispiel das Therapieansprechen und damit die Remission einer Tamoxifen-Therapie bei Mammakarzinom unter langsamen Metabolisierern (PM) geringer als bei "normalen" Tamoxifen-Metabolisierern (EM) [4, 5].

Aber auch im Bereich der Schmerztherapie spielt die Bioaktivierung durch Cytochrom-P450-Enzyme eine klinisch bedeutende Rolle. Hier geht es zwar nicht um "Leben oder Tod", aber um die Lebensqualität des Patienten. Eine fehlende Bioaktivierung beispielsweise von Opiaten kann zunächst für eine Wirkungslosigkeit der Schmerztherapie verantwortlich sein. Das führt zu Dosiserhöhungen und damit zu entsprechend ausgeprägten unerwünschten Wirkungen wie Übelkeit und Erbrechen. Daraus resultieren Complianceprobleme, die ihrerseits das Arzt-Patienten-Verhältnis belasten können. Ein fehlendes Ansprechen auf Standarddosierungen könnte zum Beispiel als Fehleinnahme des Arzneimittels interpretiert werden. Hier soll der Apotheker als Arzneimittelfachmann durch seine fundierte Kenntnis des Arzneimittelstoffwechsels zu einer rationalen Arzneimitteltherapie raten und damit zusätzlich helfen, die Compliance des Patienten zu verbessern (s. a. DAZ 2008; 148 (27): 2950 ff.)

Wie die Kenntnis um den Einfluss des CYP2D6-Genotyps auf die Wirkung einer Analgetika-Therapie hierbei von Vorteil sein kann, soll am Beispiel eines Familienfalls, der in eine mögliche Arzt-Apotheker-Patientensituation übertragen worden ist [6, 7], gezeigt werden (s. S. 55).

Im Folgenden soll im Rahmen eines Fragenkatalogs auf verschiedene Aspekte der Patientenfälle eingegangen werden.

Die langsame Familie Meier

 

Herr Meier kommt mit seiner 54-jährigen Frau in die Apotheke. Die Frau humpelt und sieht sehr mitgenommen aus. Sie möchte die größte Packung Paracetamol, die der Apotheker ihr geben kann. Da der Apotheker die Frau kennt, die sonst einen sehr fröhlichen und ausgeglichenen Eindruck macht, fragt er genauer nach. Ja, es habe sie wohl schlimm erwischt, denn sie habe ständig Schmerzen. Der Apotheker erfährt nach und nach, was sich zugetragen hat. Vor zwei Wochen ist die Patientin vom Pferd gestürzt und hat im Krankenhaus ihre Wirbelkörperkompressionsfraktur auskurieren müssen. Inzwischen ist auch alles soweit wieder in Ordnung, nur die Schmerzen seien praktisch die ganze Zeit nicht zum Aushalten gewesen. Die Patientin hat im Krankenhaus eine starke Schmerztherapie mit Hydromorphon und Paracetamol erhalten sowie zusätzlich Promethazin, Famotidin und Diphenhydramin gegen Übelkeit und Erbrechen. Die Schmerzen seien aber nicht erträglicher geworden und Übelkeit sowie Erbrechen hätten sie trotzdem gequält. Zusätzlich habe sie unter Unruhezuständen gelitten. Das sei bei ihr früher schon einmal ein Problem gewesen. Eine Schmerzspritze mit Diclofenac habe ebensowenig gebracht wie eine Umstellung auf Oxycodon und Paracetamol in Kombination mit Dimenhydrinat. Auch hierunter plagten die Patientin starke Übelkeit und Erbrechen, Schmerzen waren nach wie vor vorhanden. Schließlich war sie so weit, dass sie keine Schmerzmittel mehr einnehmen und entlassen werden wollte. Jetzt traue sie sich gar nicht mehr zum Hausarzt, und sie wisse auch nicht, ob der ihr überhaupt noch helfen könne.

Der Apotheker beruhigt die Frau und fragt sie, ob er sich ihre Geschichte notieren darf. Er bittet sie, dringend zu ihrem Hausarzt zu gehen, denn Paracetamol würde die Schmerzen nicht ausreichend unterdrücken können. Er bietet ihr an, ihren Hausarzt anzurufen. Die Frau ist skeptisch. Aber der Apotheker erzählt ihr, dass man heutzutage immer besser versteht, warum Menschen Arzneimittel unterschiedlich gut vertragen. Vielen Patienten könne man mittlerweile mit einer maßgeschneiderten Arzneimitteltherapie helfen. Er habe während seiner Promotionszeit mit den Stationsärzten im Krankenhaus öfter solche Arzneimittelproblemfälle betreut und auch gelöst. Wenn das, was er vermutet, zutreffe, dann könne man ihr helfen und man könne sie auch zukünftig zielsicherer mit vielen anderen Arzneistoffen therapieren. Frau Meier willigt ein, bittet den Apotheker allerdings noch zu warten, denn sie möchte zuerst ihren Hausarzt selber darüber informieren.

Am nächsten Tag kommt Frau Meier mit einer Verordnung von Hydrocodon in die Apotheke und bittet jetzt den Apotheker, sich mit ihrem Hausarzt in Verbindung zu setzen. Ihr Hausarzt sei sehr an einer gemeinsamen Diskussion interessiert. Am Telefon erzählt der Arzt dem Apotheker dann, dass er Frau Meier aus ganz pragmatischen Gründen Hydrocodon verschrieben habe: Er habe bei anderen Patienten mit ähnlichen Problemen einfach gute Erfahrung mit dieser Verordnung gemacht. Der Apotheker berichtet dem Arzt von seiner Vermutung über ein Verstoffwechselungsproblem bei Frau Meier und über eine mögliche genetische Ursache für das schlechte Ansprechen und die starken Nebenwirkungen der Opioid-Therapie. Er bittet den Arzt, eine genetische Untersuchung durchführen zu lassen.

Drei Tage später meldet sich der Arzt und teilt dem Apotheker erfreut mit, dass der Genotypisierungsbefund die Vermutung eines besonderen Verstoffwechselungstyps bei Frau Meier bestätigt habe. In diesem Zusammenhang fragt der Arzt den Apotheker, ob er schon einmal von einer "Codeinallergie" gehört habe, die zu ähnlichen Symptomen führen könne. Die Mutter von Frau Meier habe einen Allergiepass, indem Codein vermerkt sei. Bei einer Hüft-OP vor fast zwei Jahren habe die Mutter ihre Schmerztherapie ähnlich schlecht vertragen wie die Tochter jetzt. Auch sie habe auf Oxycodon mit starker Übelkeit und Erbrechen reagiert und Tramadol habe nicht ausreichend gewirkt. Die damals 83-jährige Dame habe erst sehr verspätet und auch nur äußerst eingeschränkt an den Rehabilitationsmaßnahmen teilnehmen können. Nun stehe aktuell eine erneute Hüft-OP bei der Mutter an, mit vermutlich den altbekannten Problemen in der Schmerzbehandlung.

Der Apotheker bestätigt die Vermutung des Arztes, dass hinter der Bezeichnung "Codeinallergie" vielleicht ein ähnliches Problem wie bei der Tochter stehen könne und empfiehlt dem Hausarzt, auch die Mutter genotypisieren zu lassen. Sie verständigen sich darauf, sich über den Fall auszutauschen. Der Apotheker verspricht dem Arzt, für die Patientinnen einen Arzneimittelpass auszustellen, indem die Arzneimittel notiert sind, die bei beiden Damen zu Problemen führen können.

Bei einem Apothekenbesuch drei Wochen später sieht Frau Meier schon deutlich besser aus. Sie bedankt sich für die hilfreiche Beratung und zeigt dem Apotheker noch einmal stolz ihren Arzneimittelpass, indem nun ihr Genotypisierungsbefund notiert ist. Das neue Schmerzmittel vertrage sie deutlich besser und die Schmerzen seien auch abgeklungen. Sie berichtet, dass auch ihre Mutter Genvarianten trägt, die zu einer Arzneimittelunverträglichkeit führen. Ihre Mutter habe jetzt nach der Hüftoperation von vornherein eine an ihren Genotyp angepasste Therapie erhalten: Hydrocodon und Paracetamol. Zusätzlich habe sie schon prophylaktisch Tegaserod (5-HT4 -Antagonist) gegen die Übelkeit erhalten. Während der ganzen Therapie habe sie weder über Übelkeit noch über Erbrechen klagen müssen und sie könne auch an den Rehabilitationsmaßnahmen teilnehmen, was das letzte Mal undenkbar gewesen sei.

Wie lautete das Ergebnis des Genotypisierungsbefundes der jungen Frau Meier?

Das Ergebnis der genetischen Untersuchung von Frau Meier hat sie als *4/*4-Träger für das Phase-I-Metabolisierungsenzym CYP2D6 ausgewiesen. Die vorhandenen *4-Allele führen zu einem DNA-Basenaustausch, der wiederum zu einer veränderten Aminosäurestruktur des entstehenden Enzyms führt. Die Folge dieser genetischen Veränderung bedingt einen Funktionsverlust der vom Körper gebildeten CYP2D6-Enzyme [8]. Frau Meiers CYP2D6-Enzyme sind daher aufgrund struktureller Veränderungen, die sich aus den Punktmutationen ergeben, nicht in der Lage, Substrate, die normalerweise über dieses Leberenzym verstoffwechselt werden, in ausreichendem Maße abzubauen (Abb. 1).

Warum hat der Hausarzt einen Zusammenhang zwischen den Problemen der Opiat-Therapie bei der Tochter und der Mutter vermutet?

Hier ist entscheidend, dass man weiß, dass genetische Anlagen von den Eltern auf die Kinder vererbt werden. Deshalb müssen die Mutter und der Vater von Frau Meier mindestens je ein *4-Allel für CYP2D6 tragen (Abb. 2). Wenn die Mutter in ihrem Erbgut noch eine weitere Mutation trägt, die das CYP2D6-Enzym ebenfalls in seiner Funktion einschränkt, so kann auch die Mutter ein langsamer Metabolisierer mit all seinen klinischen Konsequenzen sein.

Und tatsächlich zeigte das Ergebnis der auf Empfehlung des Apothekers durchgeführten Genotypisierung bei Frau Meiers Mutter einen *4/*6-Genotyp. Der *6-Polymorphismus steht für die Deletion, also das Fehlen einer DNA-Base in der DNA-Sequenz. Auch hier kommt es dadurch zu einer veränderten Aminosäurestruktur des entstehenden Enzyms [8]. Analog zu dem bereits beschriebenen *4-Polymorphismus kommt es in der Folge zu Bildung von nicht funktionsfähigen CYP2D6-Enzymen.

Wieso hängt die Eintragung "Codein" in dem Allergiepass der Mutter mit dem CYP2D6-Polymorphismus zusammen?

Eine bekannte Rolle spielt das CYP2D6-Enzym in der Verstoffwechselung von Codein. Die von Codein ausgehende analgetische Wirkung entsteht durch das bei der Metabolisierung zu ca. 10% gebildete Morphin [9]. PM für CYP2D6 können Codein nicht zu Morphin verstoffwechseln. Die analgetische Wirkung bleibt auch dann aus, wenn die Dosis erhöht wird. [10, 11, 12]. Hingegen haben URM (Ultra Rapid Metabolizer), also Personen, die CYP2D6-Substrate überdurchschnittlich schnell verstoffwechseln, starke analgetische Effekte nach Gabe von Codein, da sie sehr schnell sehr große Mengen der Muttersubstanz zu Morphin metabolisieren. Dies kann dann sogar zu starken morphinbedingten Nebenwirkungen führen wie eine Atemdepression [13].

Warum spielt der CYP2D6-Genotyp für die Opiat-Therapie insgesamt eine so große Rolle?

Auch die Verstoffwechselung von dem Opioid-Analgetikum Tramadol wird maßgeblich durch CYP2D6 beeinflusst. Tramadol, das selber nahezu keine Affinität zu µ-Opioid-Rezeptoren hat, wird durch CYP2D6 zu O-desmethyltramadol metabolisiert. Es besitzt die 200-fache µ-Affinität der Muttersubstanz und ist daher für den analgetischen Effekt hauptsächlich verantwortlich. Somit haben langsame Metabolisierer (PM) bei gleicher applizierter Dosis eine deutlich verminderte analgetische Wirkung von Tramadol im Gegensatz zu normalen, schnellen Metabolisierern (EM) [14, 15].

Das im Patientenfall verabreichte Oxycodon wird ebenfalls über CYP2D6 zu Oxymorphon metabolisiert. Oxymorphon besitzt eine etwa 10-fache analgetische Potenz von Morphin und ist damit Hauptträger der analgetischen Wirkung [16, 17, 18]. Da Frau Meier als Langsam-Metabolisierer Oxycodon nur unzureichend verstoffwechseln kann, stellte sich bei ihr keine analgetische Wirkung des Opiats ein.

Das zuletzt verabreichte Hydrocodon wird außer durch CYP2D6 noch durch weitere Cytochrom-P450-Enzyme zu Hydromorphon verstoffwechselt [19]. Dies könnte die schmerzstillende Wirkung in den beiden Patientenfällen erklären. Auch wird eine Affinität von Hydrocodon selbst zu den µ-Opioid-Rezeptoren diskutiert, was ebenfalls die analgetische Wirkung erklären könnte [20]. Die Stoffwechselwege der Opiate gibt Tab. 1 wieder.

Tab. 1: Abbauwege von häufig eingesetzten Opiaten bzw. Opioiden (nach WHO-Stufenschema)[22, 23]
ArzneistoffMetabolisiert durchDDD*Bemerkung
TilidinCYP3A4, CYP2C1996,7Der CYP2D6-Genotyp hat keinen Einfluss auf die Verstoffwechselung des Arzneistoffs
TramadolCYP2D690,9Wirkung an Opioid-Rezeptoren nur durch aktiven Metaboliten (O-desmethyltramadol)
FentanylCYP3A453,5Der CYP2D6-Genotyp hat keinen Einfluss auf die Verstoffwechselung des Arzneistoffs
OxycodonCYP3A4, CYP2D623,2Nur der CYP2D6-Metabolit (Oxymorphon) hat eine analgetische Wirkung
HydromorphonUGT1A3, CYP2B711,3Der CYP2D6-Genotyp hat keinen Einfluss auf die Verstoffwechselung des Arzneistoffs
BuprenorphinCYP3A415,8Der CYP2D6-Genotyp hat keinen Einfluss auf die Verstoffwechselung des Arzneistoffs
MorphinUGT2B717,5Der CYP2D6-Genotyp hat keinen Einfluss auf die Verstoffwechselung des Arzneistoffs

* DDD (Defined Daily Dose) = Menge an verordneten Tagesdosen des Arzneistoffs in Millionen

Ist nur die Opiat-Therapie von dem CYP2D6-Polymorphismus betroffen?

In Tabelle 2 sind zusätzlich zu den Opiaten weitere Arzneistoffe der hier beschriebenen Patientenfälle aufgeführt, die wesentlich über CYP2D6 verstoffwechselt werden. Es fällt auf, dass neben den bereits erwähnten Analgetika auch das zur antiemetischen Therapie eingesetzte Promethazin betroffen ist. Promethazin wird als Neuroleptikum mit ausgeprägter H1 -antihistaminerger Wirkung vorwiegend bei Unruhe- und Erregungszuständen im Rahmen psychiatrischer Erkrankungen eingesetzt. Es kann allerdings auch aufgrund seiner antiemetischen Wirkung gegen Übelkeit und Erbrechen angewendet werden. Als unerwünschte Wirkungen einer Promethazin-Therapie werden unter anderem nervöse Unruhe angegeben. Symptome einer Überdosierung können Erregungszustände sein [21]. Da die Patientin aufgrund ihres CYP2D6-Langsam-Metabolisierer-Status nicht in der Lage war, Promethazin ausreichend zu verstoffwechseln, können die aufgetretenen Beschwerden durchaus auf die Akkumulation von Promethazin bei der Patientin zurückzuführen sein, zumal sie nach Absetzen des Arzneistoffs auch wieder abgeklungen sind [6].

Tab. 2: Abbauwege von Arzneistoffen mit Relevanz für den Patientenfall [3, 23]
ArzneistoffMetabolisiert durchDDD*Bemerkung
CodeinCYP3A4, CYP2D621,2Analgetische Wirkung nur durch Morphin (Metabolit über CYP2D6)
HydrocodonCYP3A4, CYP2D60,2Hydromorphon (CYP2D6-Metabolit) hat die 30-fache µ-Rezeptor-Affinität (vgl. Muttersubstanz)
PromethazinCYP2D630,2

Wird über CYP2D6 zu inaktiven Metaboliten abgebaut

* DDD (Defined Daily Dose) = Menge an verordneten Tagesdosen des Arzneistoffs in Millionen

Gibt es bessere Alternativen für CYP2D6-Langsam-Metabolisierer zur Therapie von schweren Schmerzzuständen?

Nach dem WHO-Stufenschema zur Schmerztherapie (auch wenn dieses streng genommen auf die Tumorschmerztherapie angewendet wird) kann man die Therapie von Frau Meier in Stufe III einordnen, denn sie erhält ein stark wirksames Opiat und eine Co-Medikation mit einem nicht opioiden Analgetikum (Paracetamol). Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, könnte Frau Meier mit Arzneistoffen problemlos therapiert werden, bei denen CYP2D6 keine Rolle spielt. Das sind beispielsweise Hydromorphon, Morphin aber auch Fentanyl und Buprenorphin, die auch als transdermale Systeme zur Dauertherapie nach erfolgreicher Einstellung verwendet werden könnten.

Der Abbau von Hydromorphon erfolgt über eine Glucuronidierung und über CYP2B7, der Abbau von Morphin lediglich über eine Glucuronidierung. Beide interferieren nicht mit dem CYP2D6-PM-Status der Patientin. Auch Fentanyl und Buprenorphin werden nicht über CYP2D6 verstoffwechselt [22].

Da Hydrocodon nicht ausschließlich über CYP2D6 verstoffwechselt wird, ist auch die Einstellung mit Hydrocodon eine Therapieoption, wie die beiden Fälle gezeigt haben.

Welche Konsequenz hat das Beispiel für den Alltag in der Apotheke?

Die Behandlung starker Schmerzen ist immer wieder ein aktuelles Thema in der Arzneimitteltherapie. Es ist vielschichtig, denn der hohe Leidensdruck, die höchst unterschiedliche individuelle Schmerzwahrnehmung des Patienten aber auch das Verordnungsverhalten des Heilberuflers spielen eine Rolle für den Therapieerfolg und die Verbesserung der Lebensqualität des Patienten.

Eine an die individuelle Verstoffwechselungsleistung des Patienten angepasste Arzneimitteltherapie ist daher von großer Wichtigkeit. Wie die Patientenfälle der Familie Meier zeigen, kann mit einer maßgeschneiderten (personalisierten) Therapie eine zügige Genesung und rechtzeitige Teilnahme an Rehabilitationsmaßnahmen erreicht werden. Das verbessert die Lebensqualität.

Wenn der vorliegende Artikel die Kolleginnen und Kollegen anregen kann, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen, ist damit für unsere Patienten schon viel gewonnen. Und auch wenn die Materie komplex erscheint, so ist doch das Thema der individuellen bzw. personalisierten Therapie so zukunftsweisend, dass sich eine Auseinandersetzung Stück für Stück und Schritt für Schritt damit sehr lohnt.

 

Literatur

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[21] Fachinformation Atosil® Injektionslösung N. Stand Mai 2006

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[23] Schwabe U, Paffrath D: Arzneiverordnungs-Report 2008. Springer-Verlag Berlin, Heidelberg (2008)

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[31] McElroy S et al.: CYP2D6 genotyping as an alternative to phenotyping for determination of metabolic status in a clinical trial setting. AAPS PharmSci 2000;2:E33

 

Autoren

Daniel Schmidt, Prof. Dr. Stephanie Läer

Korrespondenz

Prof. Dr. Stephanie Läer

Institut für Klinische Pharmazie und Pharmakotherapie

Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Universitätsstraße 1

40225 Düsseldorf

 

 

Glossar

Allel
Allele sind die unterschiedlichen Varianten eines Gens an einer bestimmten Stelle (Genort). Jeder Mensch hat immer zwei Allele, nämlich eines von der Mutter und eines vom Vater.
AUC
Area Under the Curve. Fläche unter der Konzentrations-Zeitkurve als Maß für die Arzneistoffexposition.
Deletion
Deletion beschreibt den Verlust von genetischem Material. Hierbei können beliebig viele DNA-Bausteine fehlen, von einer einzelnen Base (Punktmutation) bis hin zum gesamten Chromosom.
Genotyp
Er stellt das Erbbild eines Organismus dar, also seine exakte genetische Ausstattung, die jeder Zellkern in sich trägt.
Heterozygot
Bedeutet generell mischerbig. Hier: Die beiden vorhandenen Allele unterscheiden sich.
Homozygot
Bedeutet reinerbig. Hier: Sowohl das mütterliche wie auch das väterliche Allel sind identisch.
Mutation
Veränderung des Erbgutes eines Organismus durch Veränderung der Abfolge der DNA-Basen.
Phänotyp
Wird auch als Erscheinungsbild bezeichnet und stellt die Summe aller Merkmale eines Individuums dar. Zwar sind die äußeren Merkmale eines Organismus durch seine genetischen Informationen festgelegt (Genotyp), der Phänotyp ist jedoch davon abhängig, welche Gene tatsächlich ausgeprägt werden. So liegen z. B. beim Menschen viele Gene in zwei Varianten vor, eine vom Vater, die andere von der Mutter (Allele). Nur das dominante Gen wird umgesetzt.
Polymorphismus
Variation in der DNA-Sequenz mit einer Häufigkeit in der Bevölkerung von über 1%.
Punktmutation
Veränderung in der DNA-Sequenz, von der nur eine Base betroffen ist. Einzelne Mutationen werden mit einem (*) markiert und durchnummeriert.
Wildtyp
Erscheinungsform (hier die eines Gens), die in der freien Natur am häufigsten anzutreffen ist. Abweichungen hiervon werden als Mutation bezeichnet.
Abb. 1:Konzentrations-Wirkungs-Beziehung des wirksamen Metaboliten in Abhängigkeit des Genotyps nach Gabe einer definierten Dosis eines Prodrugs. Die gelbe Fläche gibt den effektiven Wirkbereich an. Ausgehend von der gleichen Dosis der Muttersubstanz liegt bei URM die AUC des aktiven Metaboliten so weit in dem effektiven Wirkbereich, dass mit unerwünschten Wirkungen gerechnet werden muss. Bei EM wird zwar nicht der maximale (Effekt = 100%), aber der angestrebte Effekt erzielt, ohne dass übermäßig Nebenwirkungen in Kauf genommen werden müssen. Bei PM liegt die AUC des aktiven Metaboliten außerhalb des effektiven Wirkbereichs.
Abb. 2: Vererbungsgang Schematische Darstellung des Vererbungsgangs der defekten CYP2D6- Allele im Patientenfall von Vater und Mutter an ihre gemeinsame Tochter.
Abb. 3: Schematischer Krankheitsverlauf der jungen Frau Meier.
Abb. 4: Schematischer Krankheitsverlauf von Frau Meiers Mutter ohne und mit vorheriger Genotypisierung.

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