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Rasante Entwicklung, hoher Impact
Bioäquivalenz-Studien sind in der pharmazeutischen Wissenschaft und in der regulatorischen Praxis keineswegs ein Randthema. Mit 70% sind sie weltweit die bei Weitem häufigste Studienart und darüber hinaus diejenige mit den striktesten Anforderungen. Sie sind nicht nur relevant für Generika, sondern auch für innovative Produkte, wenn es darum geht, die optimale Arzneiform zu finden, bei Stabilitätsprüfungen, sowie außerdem für Arzneistoffe/Produkte mit einer hohen Variabilität und für multiple release-Arzneiformen.
Bioäquivalenz-bezogene Studien nehmen im Übrigen eine Trendsetter-Funktion in der analytischen und biopharmazeutischen Wissenschaft ein. Sie beförderten eine enorme Verbesserung der Analytik in Form der Geräteoptimierung, Automatisierung, Software etc. und trugen außerdem entscheidend zu einem besseren Verständnis der Einflüsse der Formulierung von Wirkstoffen und der Physiologie des Gastrointenstinaltraktes bei. Last not least waren sie Auslöser für die Entwicklung des biopharmazeutischen Klassifikations-Systems (BCS), das schließlich zum Biowaiver-Konzept führte, nach dem unter bestimmten Voraussetzungen auf In vivo-Studien verzichtet werden kann.
Wie in den USA alles anfing
SocraTec-Mitgründer Blume warf einen Blick zurück in die spannende Geschichte der Bioäquivalenz-Forschung, die er selbst mit seinen Arbeiten maßgeblich mitbestimmt hat. Annähernd vierzig Jahre ist es nun schon her, dass in den USA erstmals BV-Studien für neue Arzneistoffe (NDA) gefordert wurden. Nachdem dann im Jahr 1983 die Kriterien im Code of Federal Regulations (CFR) definiert waren, wurde in den USA in Zulassungsverfahren ab 1984 der Nachweis der Bioäquivalenz für Generika gefordert. In Deutschland war die Gesetzgebung zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht so weit. Noch im Jahr 1985 ließ der damalige Leiter des Arzneimittelinstitutes des Bundesgesundheitsamtes Prof. Dr. B. Schnieders bei einem ZL-Expertentreffen verlauten: "Der Begriff ‚Bioäquivalenz‘ ist weder im AMG, noch in den Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft verankert. Daher spielt sie für die Zulassung keine relevante Rolle."
Glibenclamid-Studie – Initialzündung in Europa
Diese Aussage sorgte seinerzeit für erhebliches Aufsehen, hatte doch erst kurz zuvor die erste Generika-Vergleichsstudie des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker (ZL) zu Glibenclamid-Präparaten gezeigt, dass diesem Kriterium durchaus eine relevante wissenschaftliche Bedeutung zukommen sollte. Immerhin kam die Diskussion damit in Gang und erreichte schließlich auch die Politik. Mit der 3. AMG-Novelle wurde die Forderung des Nachweises der Bioäquivalenz für Nachahmer-Produkte im Jahr 1988 im AMG festgeschrieben. Ein Jahr später wurde auf Initiative der Deutschen die erste europäische Leitlinie zur "Investigation of bioavailability and bioequivalence” auf den Weg gebracht und schließlich im Dezember 1991 angenommen.
Ringen um Konsens
Konsolidiert war die Situation damit allerdings noch lange nicht, vielmehr markiert sie den Aufbruch zur Harmonisierung in Europa, die sich zunächst auf eine gemeinsame Interpretation von Grundsatzfragen – etwa, ob Bioäquivalenz als ein Parameter der Qualitätskontrolle oder ein Charakteristikum der therapeutischen Äquivalenz anzusehen sei – konzentrierte, bevor in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts die Statistik mehr und mehr in den Fokus der wissenschaftlichen Methodik zum Nachweis der Bioäquivalenz rückte.
Die nächste Mammut-Aufgabe bestand in der Herstellung eines Konsenses zwischen den USA und Europa hinsichtlich der Kriterien für die Bioäquivalenz-Entscheidung, die mit der Einigung auf die Konfidenzintervall-Lösung ausging.
Weitere Schritte zur Harmonisierung
Die überarbeitete CPMP Note for Guidance aus dem Jahr 2001 enthielt schließlich erheblich präziser formulierte Anforderungen hinsichtlich der
- Designs der Studien (Probanden, Applikationsbedingungen, etc.,
- Festlegung der Prüfpräparate,
- analytischen Rahmenbedingungen
- pharmakokinetischen Parameter,
- Auswertung: 90% Konfidenzintervall (Akzeptanzkriterien und deren mögliche Ausweitung),
stets orientiert an der Grundphilosophie der klinischen Rechtfertigung.
Gerade letztere führt in der erst jüngst erheblich erweiterten Europäischen Union immer wieder zu Diskussionen zwischen alten und neuen EU-Mitgliedstaaten. Speziell der uneinheitliche Umgang mit der Ausweitung der Akzeptanzkriterien führt, wie Blume meint, zu einer unzumutbaren Situation für die Pharmaunternehmen, die in Zulassungsverfahren auf eine konsistente Bewertung ihrer Studien angewiesen sind. Nun gilt es, hinsichtlich der revidierten europäischen Note for Guidance zu einem Konsens zu kommen, wobei Blume mit einem Kompromiss rechnet, der sich von einer "wissenschaftlichen" Leitlinie wegbewegt hin zu einem "Kochbuch"-Ansatz mit strikteren Vorgaben. Mit einem solchen Kompromiss zu leben, hält er allerdings nicht für die beste Option, da das "One-size-fits-all"-Prinzip auf diesem Gebiet für ihn nicht realistisch ist. Er glaubt vielmehr, dass jedes Projekt seine eigene wissenschaftliche Rationale verdient.
Offene Fragen
Als nach wie vor offene Punkte auf dem Gebiet der Bestimmung der Bioverfügbarkeit und der Bioäquivalenz führte Blume den Umgang mit hoch variablen Stoffen/Produkten, die Dosis-Normierung und die Individualisierung bei Food-effect-Studien an. Relevante Veränderungen durch die Mahlzeit sind der temporäre Anstieg des pH-Wertes im Magen und die signifikante Verlängerung der Magenverweilzeit, die sich in einer verzögerten Resorption auswirkt, allerdings mit großen Schwankungen je nach Essensmenge.
Es resultiert ein inkonsistenter Food-effect auf die Resorption, dem mit einer individuellen Standardisierung der Essensmenge abgeholfen werden könnte. Der Goldstandard "single-dose Studie nüchtern" wird konsequenterweise in Europa inzwischen modifiziert, indem man sich an den Empfehlungen für die Einnahme nach der Fachinformation als Referenz orientiert, soweit die Einnahmebedingungen verträglichkeitsrelevant sind.
In-vivo-Studien mit Magnetic Marker Monitoring
Prof. Dr. Werner Weitschies von der Universität Greifswald untersucht in seinen Studien das In-vivo-Freisetzungsverhalten von Zubereitungen mithilfe des Magnetic Marker Monitoring (MMM), eines von ihm gemeinsam mit Wissenschaftlern der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Berlin entwickelten neuartigen Verfahrens zur Untersuchung der Passage von Arzneimitteln durch den Magen-Darm-Trakt. Die Arzneiformen werden durch Einarbeitung geringer Mengen an magnetischem Eisenoxid markiert und können dann durch Messung des Magnetfeldes mithilfe höchstempfindlicher Sensoren lokalisiert werden.
Die auf diese Weise gewonnenen Informationen sind vielfältig nutzbar, z. B.
- zur Erklärung unerwarteter pharmakokinetischer Phänomene, wobei der Schlüssel oft in der exakten Kenntnis der Magenverweildauer der Arzneiform liegt,
- zur exakten Lokalisierung der Wirkstofffreisetzung im Magen-Darm-Trakt,
- für In-vitro-/in-vivo-Korrelationen: Die Standardverfahren zur Etablierung solcher Korrelationen stoßen nicht selten an Interpretationsgrenzen, meist als Folge fehlender Informationen zum Verhalten der Arzneiformen im GI-Trakt.
Anhand einer Studie zum Plasmaspiegelverlauf einer zweiphasig freisetzenden Tablette Amoxicillin und Clavulansäure, Einnahme entweder nüchten, mit Frühstück oder nach dem Frühstück unter Einschluss von neun Probanden in drei Studienarmen zeigte Weitschies auf, dass sich das In-vivo-Verhalten mithilfe der MMM-Technik selbst anhand kleiner Probandenzahlen schlüssig aufklären lässt. Für unabdingbar hält er allerdings eine enge Überwachung und individuelle Betrachtung der Probanden, die darüber hinaus Grundlage jeder In-vitro-/In-vivo-Korrelation (IVIVC) sein sollte. Auch in Studien dieser Größenordnung lassen sich nach seinen Erfahrungen im Übrigen ohne Weiteres ausgeprägte Food-Effekte feststellen und abklären. Vor diesem Hintergrund plädiert Weitschies wie Blume dafür, dass die in Studien einzunehmende Kalorienmenge an das Körpergewicht der Probanden anzupassen sein sollte.
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