Praxis

Retaxfalle Normgrößen

(tmb). Die bürokratischen Vorschriften bei der Abgabe von Arzneimitteln zulasten der GKV sind kaum noch zu überschauen. Doch die Apotheker müssen die Regelungen nicht nur beachten, sondern sie auch noch den Patienten erklären. Wenn es dabei um die Packungsgröße der verordneten Arzneimittel geht, reagieren viele Versicherte besonders misstrauisch. Daher sorgen die Normgrößen für zahlreiche Probleme im Apothekenalltag – im Umgang mit den Patienten und als Anlass für Retaxationen.

Viele Patienten setzen die Normgröße N3 mit einer 100er-Packung gleich. Sie bitten den Arzt um eine N3-Verordnung und erwarten in der Apotheke eine 100er-Packung zu erhalten. Dann erfordert es viel Geduld, den Patienten zu erklären, dass sich die Bedeutung der Normgrößen je nach Anwendungsgebiet unterscheiden kann. Praktisch aussichtslos sind die Erklärungsversuche nach den Erfahrungen des Retaxfallen-Autors Dieter Drinhaus, wenn ein Kunde statt einer gewohnten 100er-N3-Packung Omeprazol nur eine 60er-N3-Packung erhält, weil der Hersteller des Rabattarzneimittels andere Packungsgrößen als sein "gewohnter" Hersteller hat. Die Krankheit, die Behandlungsdauer und die Darreichungsform sind geblieben, aber die Packung ist deutlich kleiner. Schlimmstenfalls wird der Patient den Apotheker in der Offizin lautstark des Betrugs bezichtigen, weil er die Vorschriften nicht nachvollziehen kann.

Prüfung in der Apotheke

Schon vor den Rabattverträgen hat die Einführung der Packungsgrößenverordnung (PackungsV) zum 1. Juli 2004 den Umgang mit den Normgrößen in der Apotheke komplizierter gemacht. Bis dahin gab es ein generelles Abgabeverbot für Packungen ohne Normgrößen. Doch mit der PackungsV wurden einige Prüfpflichten auf die Apotheken übertragen, die sonst Aufgaben des Herstellers sind. Die Apothekenmitarbeiter müssen bei Packungen ohne N-Kennzeichnung im ABDATA-Artikelverzeichnis nachsehen und die Normgröße auf die Packung auftragen. Jumbopackungen, also Packungen, deren Stückzahl die Menge der größten N-Bezeichnung überschreitet, dürfen nicht abgegeben werden. Daher muss die Apotheke anhand der PackungsV die Menge der größten N-Bezeichnung für die vorliegende Indikation ermitteln und feststellen, ob die verschriebene Stückzahl diese Menge überschreitet oder nicht. Doch dies ist teilweise gar nicht möglich, weil die Mengen für die N-Bezeichnungen von der Indikation abhängen und die vom Hersteller beanspruchte Hauptindikation bei manchen Produkten mit weiten Anwendungsgebieten nicht bekannt ist.

Aus solchen komplizierten Regelungen ergeben sich im Apothekenalltag mehrere Varianten der "Normgrößen-Falle", die zu Retaxationen führen können. Retaxfallen-Autor Dieter Drinhaus unterscheidet dabei fünf besondere wichtige Alltagssituationen.

Variante 1 – Jumbopackung

Im ersten Beispiel seien Ursofalk® Kapseln 200 Stück verordnet. Diese Packungsgröße hat keine N-Bezeichnung. Gemäß PackungsV enthält die maximale zulässige N-Größe (N3) für Cholagoga und Gallenwegstherapeutika 100 Stück. Die 200er-Packung gilt daher als Jumbopackung und darf nicht zulasten der GKV abgegeben werden. Anderenfalls droht eine Retaxation. Hier dürfen auch nicht zwei 100er-Packungen abgegeben werden, obwohl Stückelungen bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gemäß Rahmenvertrag erlaubt sind. Denn die Abgabe von Mengen in der Größe von Jumbopackungen ist nur zulässig, wenn der Arzt einen zusätzlichen ausdrücklichen Mengenhinweis angebracht hat.

Variante 2 – keine N-Größe vergeben

Als zweites Beispiel sei Transpulmin® Kinderbalsam S 20 Gramm Creme für ein Kind verordnet. Auch diese Größe hat keine N-Bezeichnung. Als N1 ist eine Packung mit 40 Gramm, als N2 eine Packung mit 100 Gramm im Handel. Das Arzneimittel ist apothekenpflichtig, so dass kein generelles Abgabeverbot zulasten der GKV besteht. Die Tube mit 20 Gramm ist offensichtlich keine Jumbopackung. Es gibt hier vermutlich keinen rechtlichen Grund für die fehlende N-Kennzeichnung. Offenbar hat sich der Hersteller dafür entschieden, die N1-Bezeichnung für die Packung mit 40 Gramm zu vergeben. Es ist auch keine gesetzliche oder rahmenvertragliche Regelung zu erkennen, die die Abgabe untersagen würde.

Doch nach den Erfahrungen aus dem Retaxforum befürchtet Drinhaus, dass die Prüfstellen der Krankenkassen die Abgabe der 20-Gramm-Tube wegen "Abgabe ohne N-Bezeichnung" retaxieren könnten. Da er auch vom Hersteller keine Auskunft zum Umgang mit dieser Frage erhielt, empfiehlt Drinhaus sicherheitshalber eine Rücksprache mit dem Arzt.

Wenn eine Packung eine N-Bezeichnung trägt, kann sie grundsätzlich – aber nicht immer – zulasten der GKV abgegeben werden. Der Umkehrschluss gilt allerdings nicht immer. Doch fehlende N-Bezeichnungen sollten stets als Alarmsignal für drohende Retaxationen gewertet werden. Denn es könnte sich um eine Packung handeln, die "zur ausschließlichen Abgabe an Krankenhäuser bestimmt" oder "grundsätzlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen" ist. Solche Packungen dürften gemäß § 2 PackungsV keine N-Bezeichnung tragen.

Variante 3 – kein apothekenpflichtiges Arzneimittel

In diesem Beispiel sei Desitin® Salbe 25 Gramm für einen Erwachsenen verordnet. Das Produkt hat keine N-Bezeichnung und befindet sich nicht auf der OTC-Ausnahmeliste. Die fehlende N-Bezeichnung sollte auch hier für Aufmerksamkeit sorgen, denn das Arzneimittel ist nicht apothekenpflichtig und darf daher nicht auf eine Einzelverordnung zulasten der GKV abgegeben werden (siehe Abb. 1a/b).

Variante 4 – unwirtschaftliches Ergebnis

Hier sei Diclac® 5 Ampullen verordnet. Die 5er-Packung trägt keine N-Bezeichnung, ist ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel und auch in der Datenbank nicht mit einer Normgröße bezeichnet (siehe Abb. 2). Daher darf es nicht auf eine Einzelverordnung zulasten der GKV abgegeben werden.

Auf Kassenrezept ist hier nur die Abgabe von fünf Packungen mit je einer Ampulle Diclac® erlaubt, obwohl diese Abgabe nicht wirtschaftlich ist. Denn die 5er-Packung ist kaum teurer als die 1er-Packung. Offensichtlich führen die komplizierten Vorschriften gerade durch ihre Rigidität nicht unbedingt zu wirtschaftlich sinnvollen Ergebnissen.

Besonders kurios mutet dieses Beispiel aus der Perspektive eines gebührenpflichtigen Versicherten an, der ebenfalls von dem wirtschaftlich unvorteilhaften Ergebnis betroffen ist. Denn bei der Abgabe von fünf Einzelpackungen muss er 25 Euro Zuzahlung bezahlen, der Krankenkasse werden über 50 Euro berechnet. Ein erstattungsfähiges Kassenrezept darf die Apotheke nicht als Privatrezept behandeln. Würde der Patient aber darauf bestehen oder ein Privatrezept vorlegen, würde er mehr als 13 Euro sparen und alle Ampullen wären bezahlt. Offensichtlich wurde bei der Festlegung der Regeln für die N-Größen nicht berücksichtigt, welche Folgen die Preisbildung gemäß Arzneimittelpreisverordnung haben kann.

Variante 5 – verschiedene Packungsgrößen mit gleicher N-Bezeichnung

Da die PackungsV meist nur Bereiche und keine feste Stückzahl für eine Normgröße definiert, gibt es vielfach unterschiedliche Packungsgrößen mit gleicher N-Bezeichnung bei demselben Arzneimittel. Dann darf jeweils nur die kleinste Menge der verordneten Normgröße abgegeben werden. Als Beispiel soll eine Verordnung dienen, die Drinhaus als "Klassiker" unter den Retaxationen bezeichnet: Omeprazol AL 20 mg Kapseln N3 (siehe Abb. 3). Wenn der Patient bisher immer eine 100er-Packung bekam und dies entsprechend in der Apothekensoftware vermerkt ist, liegt diese Abgabe nahe. Beim Einscannen der 100er-Packung zeigen die meisten EDV-Systeme einen Warnhinweis, der auf die ebenfalls als N3 bezeichnete 60er-Packung aufmerksam macht. Nach den Erfahrungen von Drinhaus werden manche der zahlreichen und oft kaum verständlichen Hinweise im Alltag schnell "weggeklickt". Hier würde der Hinweis aber vor einer Retaxation schützen, weil nur die kleinste N3-Packung mit 60 Stück abgegeben werden darf.

Noch deutlicher wird dieses Problem bei einer Verordnung über Omeprazol 40 mg N3 ohne Herstellerangabe. Wenn der Rabattpartner der betreffenden Krankenkasse nur eine N3-Packung mit 100 Stück im Sortiment hat und die Apotheke irrtümlich diese Packung abgibt, würde sie voraussichtlich wegen "Berechnung falscher N-Größen" retaxiert werden. Wenn die Apotheke den Rahmenvertrag beachtet und die kleinere N3 mit 60 Stück von einem anderen Hersteller abgibt, kommt die Krankenkasse nicht in den Genuss des Herstellerrabattes aus dem Rabattvertrag. Welche Abgabe für die Krankenkasse wirtschaftlich sinnvoller wäre, lässt sich ohnehin nicht beurteilen, weil die Höhe des Herstellerrabattes unbekannt ist.

Tipps für die Praxis

Aufgrund der vielen Erfahrungen aus dem Retaxforum hat Drinhaus noch weitere Ratschläge zum Umgang mit den Normgrößen bei GKV-Verordnungen parat:

  • Die PackungsV gilt nur für Arzneimittel. Auf Verbandmitteln sind daher meist keine N-Bezeichnungen zu finden. Solche Produkte dürfen unabhängig von den N-Bezeichnungen abgegeben werden, wenn mit der Krankenkasse ein Preis vereinbart ist.
  • Krankenhauspackungen, Nichtarzneimittel, bestimmte Medizinprodukte, Arzneimittel von der Negativliste und weitere nicht zulasten der GKV verordnungsfähige Packungen dürfen vom Hersteller nicht mit einer N-Bezeichnung gekennzeichnet werden. In der Apotheke sollte der Artikelstatus solcher Produkte in der EDV geprüft werden.
  • Für den Sprechstundenbedarf dürfen auch Packungen ohne N-Bezeichnung geliefert werden, jedoch keine Krankenhaus-Packungen.
Abb. 1a: Die fehlende Normgröße sollte als Warnsignal wirken.
Abb. 1b: Das nicht apothekenpflichtige Arzneimittel darf nicht auf eine Einzelverordnung zulasten der GKV abgegeben werden.
Abb. 2: Die Packung mit 5 Ampullen Diclac® trägt keine N-Bezeichnung und übersteigt die zulässige Normgröße gemäß Datenbank.
Abb. 3: Nach Abgabe einer 100er-Packung Omeprazol wurde diese Verordnung retaxiert.

Retaxfallen:eine Sammlung aus der Praxis

Retaxationen sind ein "Dauerbrenner" in der Apothekenpraxis. Davon zeugt insbesondere die Arbeit des Apothekers Dieter Drinhaus aus Eichendorf. Mit Unterstützung vieler Kollegen erstellte er eine Sammlung der 50 wichtigsten "Retaxfallen" im Apothekenalltag. Eine Veröffentlichung dieser Sammlung als Buch ist in Vorbereitung. Vorab präsentiert die DAZ-Redaktion Ihnen schon jetzt einige besonders wichtige Erfahrungen aus dieser Arbeit. Wenn auch Sie eine "Retaxfalle" beisteuern möchten, mailen oder faxen Sie bitte Ihre anonymisierten Unterlagen direkt an Herrn Drinhaus:
retaxfallen@gmx.de
Fax 0 99 52 - 9 00 88

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