Feuilleton

Astrologie und Astronomie – die ungleichen Zwillinge

"Die Sterne lügen nicht – Astrologie und Astronomie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit" heißt das Thema einer Sonderausstellung in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Bis zum 26. Juli sind Handschriften, Wiegendrucke und wissenschaftliche Werke aus späterer Zeit, Grafiken und Globen aus der Sammlung des Hauses zu sehen.
Herzog August Bibliothek, Lessingplatz 1, 38304 Wolfenbüttel
Tel. (0 53 31) 80 80, Fax 80 83 02, www.hab.de
Geöffnet: Dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr
Katalog: "Die Sterne lügen nicht" – Astrologie und Astronomie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit
284 S., 190 Abb., 39,80 Euro
ISBN 978-3-447-05863-6

Stand der Mond im Tierkreiszeichen Krebs, durften an der Brust eines Patienten keine medizinischen Eingriffe vorgenommen werden. Die Füße wurden durch die "Fische" regiert und der Stier beherrschte den Hals. Zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert orientierten Ärzte ihre Behandlung am Homo signorum, der den menschlichen Körper in zwölf Regionen einteilte und diese jeweils einem Tierkreiszeichen zuordnete. Theoretische Grundlage des Tierkreiszeichenmanns war die antike Vorstellung, dass es einen Zusammenhang zwischen Mikro- und Makrokosmos gibt. Demnach wurde der menschliche Organismus ebenso wie das Weltgeschehen durch die Konstellationen der Sterne beeinflusst.

Makrokosmos und Mikrokosmos

Schon Hippokrates von Kos hatte gesagt, dass niemand sich zu Recht als Arzt bezeichnen dürfe, sofern er nicht die Astrologie beherrsche. Der berühmteste Arzt des Altertums hatte auch die Lehre von den Miasmen begründet, die besagt, dass giftige Ausdünstungen des Bodens, die durch die Luft verbreitet werden, epidemische Krankheiten verursachen. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts widerlegte Robert Koch diese Annahme.

Auf die Zuordnung der inneren Organe zu den sieben "Planeten" oder der Körperteile zu den zwölf Tierkreiszeichen ging auch der römische Schriftsteller Marcus Manilius – wenngleich nur knapp – im "Astronomicon" ein. Die Theorie, die Sterne würden das Geschehen auf der Erde, dem Zentrum des Weltalls, beeinflussen, fand ebenso begeisterte Anhänger wie entschiedene Gegner. Bereits in der Spätantike versuchten staatliche und kirchliche Instanzen, das Sternedeuten zu unterdrücken. Auf dem Provinzialkonzil im portugiesischen Braga brandmarkte der Klerus die Iatromathematik – die astrologische Heilkunde – als unvereinbar mit der christlichen Lehre.

Dennoch überdauerte der Glaube, durch die Beobachtung der Sterne die Zukunft voraussagen und sinnvolle Verhaltensregeln ableiten zu können.

Nachdem Gerhard von Cremona (1114 – 1187) die "Syntaxis mathematica" und den "Almagest" von Claudius Ptolemäus übersetzt hatte, wurde die Abbildung des antiken Homo signorum in der medizinische Literatur üblich. Bader und Barbiere wurden verpflichtet, den Aderlasskalender des Stadtarztes einzuhalten, der besagte, wann der Patient an welcher Körperregion zur Ader gelassen werden kann, ohne dass es sein Leben gefährdet.

Aber auch in anderen Bereichen des mittelalterlichen Lebens war die Astrologie fest verankert. Isidor von Sevilla, einer der bedeutendsten Schriftsteller des Frühmittelalters (Hauptwerk: Etymologiae), unterteilte die Sternenkunde in zwei Bereiche: Das Erstellen von Horoskopen ordnete er der "Astrologia superstitiosa" zu. Unter "Astrologia naturalis" verstand er hingegen die Himmelskunde im Sinne von Astronomie, die allerdings stark spekulativ war. So versuchte man noch bis in die frühe Neuzeit immer wieder, anhand der Bibel und von astronomischen Beobachtungen den Termin des jüngsten Tages zu berechnen.

Horoskope und Zukunftsgestaltung

Auf persönliche Horoskope legten insbesondere die Herrscher viel Wert. 1164 erstellte ein italienischer Astrologe eines der ältesten in Deutschland aufgezeichneten Horoskope für Kaiser Friedrich Barbarossa. Dessen Enkel Friedrich II. führte an seinem Hof die Astrologie zur Blüte. Wichtige Termine wie Hochzeiten oder Grundsteinlegungen wurden stets für astrologisch günstige, glückverheißende Tage anberaumt; man legte gleichsam den "Geburtstag" einer Ehe oder eines Gebäudes fest und entschied damit über deren weiteres Schicksal.

Auch der französische König Karl V. schätzte die Voraussagen Sternkundiger. Dessen Hofastronom, der in Hessen gebürtige Theologe Heinrich von Langenstein, wandte sich allerdings entschieden gegen Voraussagen aufgrund bestimmter Planetenkonjunktionen. Bereits 1277 – knapp hundert Jahre vor der Veröffentlichung von Langensteins "Tractatus contra astrologos coniunctionistas de eventibus futurorum" – hatte der Bischof von Paris, Etienne Tempier, die Astrologie strikt verboten, weil sie aus klerikaler Sicht die menschliche Willensfreiheit gefährdet.

Die angekündigte Sintflut kam nicht

Auch in der Renaissance war die Sternkunde gleichermaßen Naturbeobachtung und Spekulation. Mit der zunehmenden Besinnung auf antike Vorbilder erhoffte man eine Wiederbelebung aller Wissenszweige. Weltliche und geistliche Herrscher orientierten sich gleichermaßen an den Prophezeiungen ihrer Astronomen. Zwischen dem späten 15. und dem frühen 16. Jahrhundert hatten Sterndeuter selbst im Vatikan Hochkonjunktur – wohl nicht zuletzt in der Erwartung, dass das jüngste Gericht unmittelbar bevorsteht.

Ein beredtes Beispiel für die "Sintflutdebatte", die damals die Menschheit des Abendlands bewegte, ist ein Einblattdruck "Newe zeytung" von Augsburg, Anfang der 1520er Jahre. Darin wird über ein internationales Treffen von Astronomen in Venedig berichtet, die für den Februar 1524 eine Sintflut voraussagten, weil sich dann alle Planeten im Tierkreiszeichen der Fische treffen; die "würckung der Coniunction" in dem mit Wasser assoziierten Sternbild sollte ein Dauerregen sein. Ein anonymer Autor schilderte detailliert, welche Naturkatastrophen sich an sechs bestimmten Tagen ereignen werden, und empfahl Vorsichtsmaßnahmen.

Ungünstige Konstellation verursacht Miasmen

Der Arzt, Philosoph und Mathematiker Girolamo Cardano (1501 – 1576) machte sich nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als Traumdeuter einen Namen. Der Mailänder erstellte Horoskope für Erasmus von Rotterdam, Albrecht Dürer und andere namhafte Auftraggeber. In der Medizin vertrat Cardano einen ganzheitlichen Behandlungsansatz. Bereits 300 Jahre, bevor die Behandlung von Asthma- und Tuberkulosepatienten in Sanatorien allgemein üblich wurde, empfahl er die Einrichtung spezieller Heilanstalten.

Zudem unterschied der Gelehrte erstmals zwischen Syphilis und Gonorrhö. Welchen Stellenwert venerische Erkrankungen in der frühen Neuzeit hatten, verdeutlicht ein Holzschnitt Dürers.

Im Zusammenhang mit der Miasmenlehre glaubte man damals, unter der sehr seltenen Konjunktion von Saturn, Jupiter und Mars im Zeichen des Steinbocks im Jahr 1484 hätten sich Ausdünstungen gebildet, die die "Lustseuche" verursachten.

Oder sind bestimmte Krankheitskeime schuld?

Die Bezeichnung "Syphilis" geht indessen auf einen Zeitgenossen Cardanos, den universell gebildeten Arzt und Dichter Girolamo Fracastoro (1483 – 1553), zurück. Der Veroneser hatte 1530 das Gedicht "Syphilis, sive morbi gallici, libri tres, ad Petrum Bembum" veröffentlicht und vertrat im Gegensatz zur damals herrschenden Miasmenlehre die Kontagienlehre, der zufolge bestimmte Krankheiten durch Keime übertragen werden. Dies war in etwa ein spekulativer Vorgriff auf die Entdeckung der pathogenen Mikroben mehr als drei Jahrhunderte später.

Kopernikus erschütterte das ptolemäische Weltbild

Während seines Studiums an der Universität Padua hatte Fracastoro Nikolaus Kopernikus (1473 – 1543) kennengelernt, der nicht nur Horoskope und Voraussagen anzweifelte. Der aus Thorn in Westpreußen stammende Arzt und Jurist hinterfragte sogar das geozentrische Weltbild, das seit Ptolemäus gültig war. Stattdessen nahm er an, dass die Sonne als Fixstern im Mittelpunkt der Planetenbahnen steht und dass auch die Erde ein Planet ist, der sich zudem einmal täglich um seine Achse dreht.

Am Morgen der Neuzeit war Kopernikus allerdings nicht der erste Gelehrte gewesen, der das an der aristotelischen Physik orientierte System erschütterte. Zuvor hatten schon Nikolaus von Kues und der früh verstorbene Regiomontanus ein heliozentrisches Weltbild aufgestellt. 1509 schrieb Kopernikus seine These, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Kosmos ist, sondern die Sonne umkreist, im "Commentariolus" nieder. Aus Angst vor Verspottung durch die Kollegen zeigte er sein Manuskript allerdings nur wenigen Vertrauten. Erst 30 Jahre später, kurz vor seinem Tod, ließ er sich durch seinen einzigen Schüler, den Wittenberger Astronom Joachim Rheticus, ermutigen, seinen "Commentariolus" zu publizieren.

Unter den Gelehrten blieb Kopernikus noch jahrzehntelang umstritten. Kritisch äußerte sich z. B. der aus Dänemark stammende Astronom Tycho Brahe (1546 – 1601), obwohl er die Mängel des geozentrischen Weltbilds kannte. In einem Brief an den Mathematiker Christoph Rothmann unterstellte er – sollte Kopernikus Recht haben –, dass eine in Richtung der Erddrehung geschossene Kanonenkugel erheblich weiter fliegen müsste als ein in die entgegengesetzte Richtung abgefeuertes Geschoss. Der Mathematiker widerlegte aber Brahes Hypothese durch das Argument, dass sich mit der Erde auch die Kanone fortbewegt.

 

Spagat zwischen Wissenschaft und Astrologie

Schließlich entwickelte der Däne, der sich seit seinem dreizehnten Lebensjahr für Astronomie interessierte und nach der Entdeckung der "Stella nova", der Supernova von 1572, in ganz Europa berühmt wurde und  zuletzt am

Hof Kaiser Rudolfs II. in Prag wirkte, ein Kompromiss-System aus dem ptolemäisch-geozentrischen und dem kopernikanisch-heliozentrischen Weltbild. Demnach war die Erde das Zentrum des Kosmos, um das der Mond und die Sonne kreisen. Die "anderen" Planeten (d. h. die Planeten im heutigen Sinne mit Ausnahme der Erde) sollten indessen ihre Bahnen um die Sonne ziehen.

Sein Leben lang versuchte Brahe, durch intensive Beobachtungen mit selbst entwickelten Instrumenten die Richtigkeit seines Systems nachzuweisen. Nach der Lektüre des "Mysterium Cosmographicum" von Johannes Kepler (1571 – 1630) lud er den aus Weil der Stadt stammenden Gelehrten im Jahr 1600 nach Prag ein. Kepler war Naturphilosoph, evangelischer Theologe, Mathematiker und Astronom, der Kopernikus‘ Theorie vertrat. Wegen der kontroversen Standpunkte und der starken charakterlichen Gegensätze gestaltete sich die Zusammenarbeit der beiden Gelehrten schwierig. Doch weil Kepler nun schon in Prag war, wurde er nach Brahes Tod 1601 als Mathematiker und Astrologe an den kaiserlichen Hof berufen. Die Astrologie vertrat Kepler mit Überzeugung, denn seiner Meinung nach gab es drei Ursachen für das menschliche Glück: die Stellung der Gestirne, den freien Willen des Menschen und Gott.

"Und sie bewegt sich doch!"

Keplers Erwartung, mithilfe von Brahes wissenschaftlichem Erbe seine eigenen Theorien präzisieren zu können, erfüllte sich indessen nicht. Deshalb begann er, ein neues astronomisches System zu entwickeln, in dem er die Kreisbahnen durch Ellipsen ersetzte. 1604 beobachtete er eine Supernova, die ebenso wie die durch ihn entdeckten Planetengesetze nach ihm benannt wurde.

In seiner "Astronomia nova", die 1609 in kleiner Auflage erschien, legte Kepler seinen schwierigen Erkenntnisprozess dar und schloss alle Ideen aus, die nicht mit den empirischen Daten zu vereinbaren waren.

Im selben Jahr erfuhr Galileo Galilei (1564 – 1642) von der Erfindung des Teleskops durch den Niederländer Hans Lipperhey. Der in Padua lebende Mathematiker, Physiker und Astronom korrespondierte seit 1590 mit Kepler und vertrat ebenso wie dieser das kopernikanische, heliozentrische Weltbild. Von der Möglichkeit, die Sterne "aus der Nähe" zu betrachten, war Galilei so begeistert, dass er umgehend weitere Teleskope baute. Ungeachtet der damit gewonnenen Erkenntnisse, die dem ptolemäisch-geozentrischen Weltbild widersprachen, brach dieses nur zögerlich in sich zusammen – wohl auch, weil der Vatikan es weiterhin zu stützen versuchte. Galilei wurde erst am 31. Oktober 1992 durch Papst Johannes Paul II. rehabilitiert.

Derweil werden Astrologen immer noch nach der Zukunft befragt und ihre Horoskope Tag für Tag millionenfach gedruckt und gelesen.

Reinhard Wylegalla

Himmelsglobus Oberhalb des hölzernen Gestells erscheinen von links die Tierkreiszeichen Zwillinge (es ist nur Castor zu sehen), Krebs (cancer), Löwe (leo) und Jungfrau (virgo). Durch sie zieht sich als schwarz-rot gestricheltes Band die Ekliptik, die rechts (bei der Jungfrau) das schwarz-weiße Band des Äquators schneidet. Zwischen Löwe und Nordpol beherrscht der Große Bär (ursa maior) das Firmament. Durchmesser 90 cm.
Horoskop Martin Luthers im Tractatus Astrologicus des ­Luca Gaurico, 1552. Gaurico behauptete, dass das Zusammentreffen von fünf Planeten im Tierkreiszeichen Skorpion im IX. Himmelshaus (oben rechts) auf einen häretischen, antichrist­lichen Charakter hindeutet. Er nannte jedoch ein falsches Geburtsdatum: 22.10.1484, 10 Uhr abends. Links am Rand steht die handschriftliche Korrektur: 10.1.1483, 11 Uhr abends. Darüber der Kommentar: Alles Unsinn! Aus einer falschen Voraussetzung entsteht nur Falsches.
Der Mond als Frauenkopf in einer niederländischen Astronomie des 15. Jahrhunderts. Die ambivalente Göttin Fortuna, erkenntlich am Lockenschopf an der Stirn und der Glatze am Hinterkopf sowie dem rollenden Glücksrad, verweist darauf, dass das Gestirn das Schicksal der Menschen beeinflusst. Das niederländische "dapper en snel" (flink und schnell) bezieht sich darauf, dass der Mond sehr viel schneller als jeder andere Planet den Tierkreis durchläuft. Darunter ein lateinischer Text: "luna est planeta infimus, frigidus, humidus …"; der Mond ist der unterste, kalte, feuchte Planet …

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.